Daher man bloß bürgerlichen Menschen Hasardspiele nie vergönnen kann, weil sie die Rechte der Raubschlösser nie besessen. In Spaa müssen sogar Juden, wenn sie als Bankiers und Croupiers auftreten wollen, sich unter der Hand eigenhändig zu Michaelsrittern erheben. Mit den Galgen bräche man zu Meßzeiten, wo so sehr gespielt und gestohlen wird, zugleich die Spieltische ein, und der abgesetzte Bankier müßte sogleich aufsitzen und in dem nächsten Hohlwege reisen, um dem Viehhändler nach der Geldkatze zu greifen. – – Nein, lieber lasset uns Galgen und Ehrlichkeit behalten und dabei ein Spiel Karten.
Und überhaupt – was soll ich erst lange einteilen – steigen meine drei Säulen mit ihren Fruchtgehängen durch alle Stockwerke des Staatsgebäudes! – Allgemein hat man conscientiam dubiam, Gewissens-Skepsin – Hunger und Sättigung herrschen in vermischter Regierungsform über die Welt – alle Stände haben wenig, wollen viel; – – und doch wird wenig gestohlen! Denn die Gedächtnissäulen stehen da und machen aus allgemeiner Not allgemeine Tugend; sie halten jeden von uns zu einem bloßen Nahrungszweige von dem im ganzen verbotenen Baume an, zum Borgen, zum Liquidieren, zum Handel und Wandel, zum kleinen Küstenhandel mit Ämtern, Kindern, Rechten – in dem wie der menschliche Körper aus lauter Gefäßen gebaueten Staatskörper arbeiten, wie in jedem geschwächten, die einsaugenden stärker als die ausdünstenden; alle Kassen stehen daher da, man hat die Stadtkassen, die Heilandskassen, die Regimentskassen, die Steuerkassen – die Beamten bitten Gott um Ehrlichkeit20, wenn die Jahre kommen, wo sie zu leben haben – der breite Weg Rechtens bedeckt, wie in Ungarn die breiten Straßen, das fruchtbare Land – die Residenzraubvögel steigen höher, um zu stoßen – alles gedeiht, die Welt ist ehrlich und satt, und der Galgen ist der allgemeine Protektor.
Gehangen daran werden freilich von Zeit zu Zeit mehrere Galgen-Schneußvögel, wie wir denn da unten am heutigen Jubeltage einen ganzen dergleichen Flug vor uns haben; aber auch dem Fluge kann man diese Freitreppe zum Hängebette von sehr annehmlichen Seiten zeigen, und ich als Geistlicher, der über alles trösten soll und der hier ein betrübtes Kondukt vor sich hat, wo die Leiche und der Leidtragende eine Person formieren, bin zu einem Trostsermon verpflichtet. Bedenkt also, ihr Spezial- und andere Inquisiten – – damit tröst' ich euch –, daß alles sterben muß und mithin irgendwo, also auch auf dieser Handels-Freundschaftsinsel – zieht die ungeheuern Korporationen in Erwägung, welche schon vor euch hier ihre eignen Anker und Schlußvignetten geworden, auch die nach euch – beherzigt, daß es ja noch schlimmer wäre, wenn man euch lebendig spießte, schünde oder in Öl sötte – erwägt, daß ihr weniger euer Leben (das läuft hinter dem Sperrstrick fort) als eure Armut hergebt, weil ja der Staat, so wie er in Blotzheim in Oberelsaß unter zwei gleich edeln Jünglingen, die Augrafen werden wollen, gerade dem ärmsten den Kranz und die Schaumünze überreicht, ebenso unter zwei gleich großen Adspiranten gerade den armen diese drei Gedächtnissäulen einnehmen lässet – macht euch recht tröstliche Bilder von der Sache ( denn, wie Young sagt, nicht der Tod, sondern dessen Bild und Pomp erschreckt, das Läuten, die Prediger, das Herausführen), nennt sie mildernd eine Pfänderstrafe, einen bloßen mors civilis, einen kosmischen Untergang, eine Aposiopesis, ein Calando, scheinbare Selbst-Funeralien wie Karls V., die freilich wie ja auch bei Karln am Ende reell ausgehen – und wenn ihr noch andere aus Leichenreden erinnerliche, mir zu lange Salben darüberstreicht, z.B. von Kürze des Lebens und Hängens, vom Prüfungsstand, von der Mehrheit der Welten – –: so werdet ihr es gelassen ertragen, daß andere (was so viele erst mühsam von sich erringen) euch hängen.
Nun lasset uns diesen Galgen verlassen, wenn wir miteinander gerufen haben: er lebe, denn er lässet leben.«
Darauf prozessiert man wieder zurück. – Nachts ist die geschmackvollste Stadt- und Galgen-Erleuchtung – frugales Gastmahl von den Henkergeldern (es kann ein Spitzbube zu deren Ersparung auf freien Fuß gelassen werden) – den Hausarmen wird viel gereicht – dabei Kanonen-Salven – Gesundheit-ausbringen – Ball bis in die späte Nacht oder länger.... Verdammt! soll ich euch denn alles vorpfeifen?
Sechste Fahrt
Das Welttheater – der Brocken – Imprimatur und
Vorrede des Teufels zum Brockenbuch –
das Menuett-Solo
Heute bei Zeiten macht' ich den Siechkobel segelfertig, um zur Rechten über den langweiligen Jubelstrang wegzugehen. Als die Prozession vorn und hinten auf den Raupenfüßen war, lichtete ich die Anker, und das Schiff erreichte nach 5 Sekunden seine höchste Schnelle. Den Jubelplan hing ich aus meiner Hängematte an einem Faden heraus, den ich immer länger werden ließ. Weg war der Mülanzer Jubel – die Stadt sah den Kobel an – die Feierlichkeit wurde von der Neugier aufgefressen – mein Kutter wogte im hohen Blau, mein Plan sank – die Prozessionsraupen schritten zwar vor, aber mit aufguckenden Köpfen, blasende und singende unter ihnen verfluchten Noten und Text und verließen beide hundertmal – es war sehr erbärmlich, der Mangel an Rührung, der Frost gegen den Zweck, die Nachfahrt meiner Himmelfahrt und das beschwerliche Fortfußen dabei – das niederschwebende Jubelprogramm spannte alle Blicke und Muskeln – ich schnitt es ab – und als man sich unten um dasselbe zusammenballte, wickelte mich ein Sturm in seinen Mantel und entflog mit mir.
Viertehalbtausend Fuß tief rannte die weite Erde – ich glaubte festzuschweben – unter mir dahin, und ihr breiter Teller lief mir entgegen, worauf sich Berge und Holzungen und Klöster, Marktschiffe und Türme und künstliche Ruinen und wahre von Römern und Raubadel, Straßen, Jägerhäuser, Pulvertürme, Rathäuser, Gebeinhäuser so wild und eng durcheinander herwarfen, daß ein vernünftiger Mann oben denken mußte, das seien nur umhergerollte Baumaterialien, die man erst zu einem schönen Park auseinanderziehe.
Auf der Fläche, die auf allen Seiten ins Unendliche hinausfloß, spielten alle verschiedenen Theater des Lebens mit aufgezogenen Vorhängen zugleich – einer wird hier unter mir Landes verwiesen – drüben desertiert einer, und Glocken läuten herauf zum fürstlichen Empfang desselben – hier in den brennend-farbigen Wiesen wird gemähet – dort werden die Feuersprützen probiert – englische Reuter ziehen mit goldnen Fahnen und Schabaracken aus – Gräber in neun Dorfschaften werden gehauen – Weiber knien am Wege vor Kapellen – ein Wagen mit weimarschen Komödianten kommt – viele Kammerwagen von Bräuten mit besoffnen Brautführern – Paradeplätze mit Parolen und Musiken – hinter dem Gebüsche ersäuft sich einer in einem tiefen Perlenbach, nach dem dabei zusehenden Kniegalgen zu urteilen – lange Fähren mit vielen Wagen ziehen unten über breite Ströme und ich oben gleichfalls, aber ohne Fährgeld – ein Schieferdecker besteigt den Stadtturm, und ein sentimentalischer Pfarrsohn guckt aus dem Schalloch, und beide können (das kann ich viertehalbtausend Fuß hoch observieren, weil die dünne Luft alles näher heranhebt) sich nicht genug über das hundert Fuß tiefe Volk unter sich verwundern und erheben – Gartendiebinnen mit Brustavisen stehen in Prangern wie Heilige in Kapellen sehr umrungen – einer auf Knien und hinter der Binde muß drei Kugeln seiner dreifarbigen Kokarde wegen in den Pelz auffangen – ein für die Kirmeß angeputztes Dorf samt vielen nötigen Verkäufern und Käufern dazu – katholische Wallfahrten, von schlechtem Gesang begleitet – ein lachender, trabender Wahnsinniger muß eingefangen werden – fünf Mädchen ringen entsetzlich die Hände, ich weiß nicht warum – über hundert Windmühlen heben im Sturm die Arme auf – die blühende Erde glänzt, die Sonne brennt aus den Strömen zurück, die muntern Schmetterlinge unten sind nicht zu sehen und die hohen Lerchen nur dünn zu hören, oder ich täusche mich sehr – das Leben hier schweigt und ist groß und droht fast – Gott weiß, welcher gewaltige böse oder gute Geist hier in dieser stillen Höhe dem Treiben grimmig-grinsend oder weinend-lächelnd zusieht und die Tatzen ausstreckt oder die Arme, und ich frage eben nichts nach ihm ....
Da jetzt sich zwei streitende Geier wie Wetterhähne auf meine Rotonda setzten und horsteten: so setzt' ich mich auch als Outside-Passenger21 auf meine Sänfte heraus, mich an den Strick des Schiffes klammernd; allein da ich so im wilden ewigen Szenenwechsel fünf Stunden lang hingefahren war über eine Religion und Landschaft und Reichsstadt nach der andern, über eine Saat von Völkern, wovon wie Blumen das eine um 5 Uhr morgens, das andere um 9 Uhr, das dritte um 2 Uhr zum Tage erwacht und der Sonne aufgeht, oder auch dumm einschläft – und als so auf dem langen Farbenklavier des Lebens alle finstere und lichte Farben vor mir laufend aufgehüpfet waren: so wurde mir auf meinem alles zusammenspinnenden Weberschiffe miserabel, leer und wehmütig zumute; ein giftiger Stechapfel von Schmerz, von der Größe meines Herzens, ritzte meine Brust, und ich niesete sehr nahe am Weinen – weinte aber nicht. – – Nein, nein, glaubt nicht, Paternosterschnuren von Welten über mir, daß ich getröstet und weinerlich je aufschauen und sagen werde: ach dort droben! – O das Dortdroben werden auch Siechkobel umschiffen, und die Schiffskapitäne darin werden Kalender genug machen über ihr nur anders verrenktes Personale unter ihnen und werden zur Erde sagen: wahrscheinlich tout comme chez nous!
Ein Mensch wie ich – zumal wenn ihm der Sturm die Halsvenen lange zugeschnürt und den Kopf bluttrunken und schläfrig gemacht – steigt lieber und gescheuter in sein Wachthäuschen zurück und schläft den Rausch des Äthers aus. Aber närrisch wurd' ich geweckt: die Fregatte war auf einen Felsen gestoßen – meine Kajüte war mit goldnem Feuer gefüllt – draußen stand eine Finsternis aufrecht. – Ich war am Brocken gestrandet, die schwarze Flut der Nacht schlug an das Gebürge, und die Abendflamme der Sonne schoß über sie streifend aus der Tiefe herauf.
Ich sprang ans Land und knüpfte meinen unruhigen Kutter an das Brockenhäuschen fest. Der Philosoph22 erklär' es, warum mir dieselbe Höhe hier auf dem festen Lande erhabener erschien als in der Luft. Im Häuschen fand ich einen vergessenen Quartanten vom Brockenbuch, der mich durch die Eitelkeit, Heuchelei und Leerheit der Menschen wieder in meinen gewöhnlichen Grimm und Ekel und dadurch in den Stand setzte, noch so spät eine kurze Vorrede davor auf den leeren Revers des Titelblattes in des Teufels Namen zu schreiben, eines Fakultisten, der, ob er gleich bei seinen Lebzeiten nur anonym in den gelehrten Instituten arbeiten will, doch als der Kurator und Nutritor des gelehrten Deutschlandes und der größte Polygraph seine anerkannten Verdienste behält.
Imprimatur und Vorrede des Teufels zum Brockenbuch
Als Zensor hab' ich bloß zu versichern, daß in dieser Reisebeschreibung von mehrern Verfassern, betitelt: das Brockenbuch, nichts vorkommt, was gegen die Ehre und das Interesse meines Obersten, Beelzebubs, laufen könnte, wenn man nicht so unbillig sein will, bloße poetische Gesinnungen für wirkliche zu nehmen. Als Privatgelehrter und Vorredner wünscht' ich einen und den andern meiner Mitteufel auf den vorteilhaftern Standpunkt für dieses Stamm- und Phrasesbuch zu setzen. Vielen von uns – und nicht eben den schlechtesten – muß es anfangs wunderlich und anstößig vorkommen, daß gerade in unserem Kirchenstaat, unserem Nonnenkloster und Altare und unserer Kanzel23 so nahe, de- und theistische Gesinnungen im Manuskript frei geäußert werden, Floskeln von Anbetung Gottes, Reinheit der Empfindung, Erhebung über die Welt, kurz die gesalbte Sprache jener noch immer nicht ausgerotteten Puritaner oder Katharer, die bekannter unter dem Namen Religiosisten sind. Allein der Billige erwägt, daß es doch offenbar Dichter oder poetische Prosaiker sind, welche in dieser Liederkonkordanz so sprechen. Die Poesie aber muß frei sein und bloße Form, und es muß ihr – wenn man sie nicht wie einige Teufel von mehr Herz als Kopf zum Stoff verkörpern will – jede Empfindung, auch die allersittlichste, darzustellen zugelassen sein. Ist es nicht unbillig, darum von bloßen Darstellungen auf das Herz zu schließen und den Dichter nicht von dem Menschen abzusondern, da man doch in weit schwierigern Fällen Werke wie das des Petronius (nach Lipsius) lesen und (nach Bayle) sogar schreiben kann ohne den geringsten Einfluß auf das Herz? Sind denn die gebildeten Europäer Nordamerikaner, welche die Träume der Nacht am Tage zu realisieren suchen?
Wo so etwas – hielte nicht eine so glückliche Scheidewand zwischen Phantasie und Handeln fest – mehr zu befahren gewesen wäre, das wäre bei den Theologen gewesen, welche aus demselben Grunde, warum Pomponius Lätus und Hemon de la Fosse24 durch das Bewundern der alten Autoren endlich zu wirklichen Heiden umschlugen und den Göttern opferten, sich täglich in die Gefahr begaben, durch das ewige Lesen und Loben der Bibel und des biblischen Personale und durch den täglichen Umgang mit ersten Christen (vermittelst der Kirchengeschichte) zuletzt die Gesinnungen selber anzunehmen, in denen sie auf Kanzeln und Pulten webten und lebten, und so mit dem nun seit so vielen Jahrhunderten abgereisten ersten Christentum auf einer Retourfuhre zum allgemeinen Erstaunen wiederzukommen; allein die Sachen sind besser abgelaufen, und der eigne Charakter der Exegeten und Kirchenhistoriker hat sich so festzuhalten gewußt, daß bis diese Stunde ein erster Christ überhaupt so selten erscheint als ein Steinbock.
Um auf die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an unserer vorliegenden Liederkonkordanz zurückzukehren, so ist es eine meiner schönsten Erfahrungen, daß die meisten von ihnen – sie mögen hier oben empfunden und gesungen haben, was sie wollen –, sobald sie wieder ins Halberstädtische herunter sind, wieder zu sich kommen und ihren armen alten Adam, der wie Antäus oben in der Luft ganz verwelkte und einrunzelte, auf der Erde lustig herausfüttern. Die morganischen Feen der poetischen Bergpredigt fahren gänzlich unten auseinander, wenn die vornehmen Reisenden sich in unsere Antichristenheiten25 zerstreuen und wir ihnen die Reiche der Welt viel anziehender in den Tiefen zeigen können als auf Tempelzinnen. In der Tat sollten Teufel sich mehr bedenken, ehe sie über die Menschen, die doch ihre adoptierten Kinder sind, herfahren und sie für Tugend-Puritaner erklären, bloß weil sich einer und der andere auch in erhabenen Empfindungen im Vorübergehen scherzweise versuchen will. O wie ungerecht! Fressen sie sich denn darum sofort in den Kerl auf immer ein, und zieht er damit wie mit Hitzblattern und Höckern im Halberstädtischen und unter Reußen und Preußen räudig herum? Mir wenigstens sind solche Überbeine des Erhabenen weder in Bordellen, noch Kaffeehäusern, noch Spieltischen an solchen Reisenden zu Händen gekommen. Die Schlange wechselt zwar oft die Haut, aber nie die nützlichen Giftzähne. Die Sache ist: mit den Menschen ist es wie mit den Zibetkatzen; wie diese stets einen von andern geschätzten, ihnen aber verdrüßlichen Zibet in ihrem Beutel hecken, so setzen und häufen jene heimlich in ihrem Herzbeutel einen gewissen Religionsfond an, der drückt und weg muß. Der Holländer zieht alle drei Tage seine eingebauerte Katze am Schwanze ein wenig vor und schöpft mit einem Löffel den kostbaren Fümet-Unrat heraus; gleicherweise tritt von Zeit zu Zeit der Dichter auf das Theater und auf das Papier und sondert sogenannte tugendhafte Empfindungen ab und der Leser mit; darauf wird ihnen wieder ganz leicht, und sie sind nach der Ausschöpfung zu allen Streichen tüchtig. Der Tyrann vergießet seine Kotzebuischen Tränen in der Frontloge und der Lüstling auf dem Parterre, nachher gehen beide heim, und jener lockt den Untertanen, dieser seiner Herzenskönigin ganz andere ab. Genies sind daher vollends des Teufels lebendig, wie andere es später sind.
Ganz besonders interpunktier' ich hier das bekannte In puncto puncti. Wie Aristoteles vom Epos verlangt, daß es dem untätigen Teil desselben den reichsten Sprachschmuck anlege, der weg- bleibt, wo Charaktere und Handlung regieren: so ist da, wo keine Handlung ist – es sei im Leben oder in der Liebe –, die reichste poetische tugendhafte Diktion nicht nur erlaubt, sondern sogar nötig; und dann muß man weitergehen.
1 comment