Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva
Wieland, Christoph Martin
Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva
Christoph Martin Wieland
Der Sieg der Natur über die Schwärmerei oder
Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva
Eine Geschichte worin alles Wunderbare natürlich zugeht
Nachbericht des Herausgebers
welcher aus Versehen des Abschreibers zu einem Vorberichte gemacht worden
Ich muß es dem guten Willen der Leser überlassen, ob sie glauben wollen oder nicht, daß dieses Buch den Don Ramiro von Z***, der einige Jahre Gesandtschafts-Secretarius bei einem bekannten Spanischen Minister an einem deutschen Hofe gewesen, zum Verfasser habe. Ich meines Orts gestehe, daß ich die spanische Handschrift nicht selbst in Händen gehabt; allein mein Freund, der Herr Übersetzer, erzählt mir in einem Schreiben, worin er mir aufträgt, die Ausgabe dieses Werks zu besorgen, eine so umständliche und wohlzusammen hangende Geschichte der besagten Handschrift und ihrer seltsamen Schicksale, der Ursachen warum, ungeachtet des günstigen Urteils, so der Erzbischof von T*** davon gefällt, dieselbe in Spanien niemalen zum Druck gelangen können, und auf was Art sie, vor einigen Jahren in seine Hände gekommen; daß ich mir die Mühe nicht geben mag, an der Wahrheit seiner Erzählung zu zweifeln. Er versichert mich, daß alle diese und noch viele andre sehr merkwürdige Anecdoten, dieses Buch betreffend, in einer weitläufigen Zuschrift enthalten seien, welche Don Ramiro an seinen Gönner, den berühmten Minister Don Richard von W*** gerichtet habe, und die er dem Leser nicht mißgönnt haben würde, wenn er nicht durch viele eingefallene Geschäfte an Übersetzung derselben wäre gehindert worden.
Ich lasse alles dieses an seinen Ort gestellt sein. Was ich gewiß sagen kann, ist, daß mich Don Sylvio von Rosalva so sehr belustiget hat als irgend ein Buch von dieser Art, und daß ich bei Durchlesung des Manuscripts so oft und so herzlich lachen mußte, daß meine Frau, welche wußte, daß ich allein in meinem Cabinete war, endlich in voller Bestürzung herbei gelaufen kam, und mich fragte, was mir fehle; denn sie besorgte in der Tat, ich möchte närrisch geworden sein, eine Besorgnis, womit sie, ich gestehe es, meinem Verstande eben keine Ehre antat. Meine Frau, die eine gute Art von einem Hausweibe ist, und sich ihre Augen eben nicht mit vielem Lesen verderbt, hat, wenn sie gleich kein gelehrtes Frauenzimmer ist, doch so viel Vernunft, daß sie weißt, wenn man lachen und wenn man weinen muß. Ich bat sie also, sie möchte sich zu mir setzen, und da las ich ihr das Capitel vor, wobei sie mich so laut lachen gehört hatte; ich war noch nicht bis in die Mitte gekommen, so fand sie die Einfälle des Pedrillo so schnakisch, daß sie auch zu lachen anfing, und weil sie die Gewohnheit an sich hat, daß sie nicht wieder aufhören kann, wenn der Anfang einmal gemacht ist, so lachte sie so lang und viel, daß ich selbst auch wieder darein kam, und vor Lachen nicht mehr fortkommen konnte; denn das Lachen ist, wie man weißt, so ansteckend wie das Gähnen. Mein Schreiber wollte eben gewisse Acten in meinem Zimmer holen, wie wir im besten Lachen waren; weil er nun eine gar feierliche, sauertöpfische Art von einem Kerl ist, so blieb er, bei unserm Anblick, mit der Feder hinterm Ohr in der Türe stehen, und machte eine Mine gegen uns, als ob er dächte, wir wären dem Tollhause entloffen. Ich sagte ihm warum es zu tun sei, und ersuchte ihn nur ein wenig da zu bleiben und zuzuhören; ich las fort, und wurde alle Augenblick durch das Kichern meiner Frau und mein eigenes Lachen unterbrochen; Anfangs hielt sich mein Herr vom Dintenfaß so gut, daß es nicht besser sein konnte; er machte ein paar Augen wie ein Cato, und veränderte nicht die kleinste von den Falten, in die er sein Gesicht alle Morgen zu legen pflegt, ungeachtet etliche Stellen kamen, bei denen ich und meine Frau uns beinahe aus dem Atem lachten; allein endlich triumphierte doch Pedrillo über seine stoische Unbeweglichkeit, und eine gewisse Stelle, auf die ich im Lesen kam, würkte mit einem solchen Nachdruck auf sein Zwerchfell, daß er in ein wieherndes Gelächter ausbrach, welches desto lauter erschallte, je mehr er sich bemühet hatte es zurück zu halten; das Stuben- die indessen auch an die Türe gekommen war, machte die vierte Stimme in diesem Sardonischen Concerte, und da der Lerm, den wir machten, in kurzem auch die Köchin, und Hans, den Hausknecht, herbei zog, so wurde durch diese neue Verstärkung der Effect unsrer wiehernden Symphonie so heftig, daß die Leute auf der Straße stehen blieben und mit zu lachen anfingen, ohne daß sie wußten warum? Kurz, es lag nur an mir alle meine Nachbarn mit ins Spiel zu bringen, und wer weißt, ob das Gelächter sich nicht von Gasse zu Gasse fortgewälzt und endlich die ganze Stadt samt den Vorstädten in Erschütterung gesetzt hätte, wenn ich nicht so klug gewesen wäre, mein Manuscript wegzulegen, mein Gesinde wegzuschelten, und meine Frau auf ein anders Capitel zu bringen. Ich bitte den geneigten Leser um Verzeihung, daß ich so frei gewesen bin, ihn mit solchen Kleinigkeiten aufzuhalten; ich weiß selbst nicht wie es gekommen ist, daß ich mich so vergessen habe; denn ich kenne die Ehrerbietung sonst ganz wohl, die ein Vorredner dem hochansehnlichen Publico schuldig ist, und ich wollte in der Tat nur sagen, wie gute Hoffnung ich habe, daß Don Sylvio und sein getreuer Pedrillo nicht wenig beitragen werden, der Hypochondrie und dem Spleen Einhalt zu tun, welche, wie ich höre, aus England nach Frankreich, und von den Franzosen, (die nun schon einmal dazu bestimmt sind, uns ihre Galanterien anzuhängen) seit einiger Zeit auch zu uns Deutschen herüber gekommen sein, und sonderlich unter den Damen und jungen Herren bereits starke Progressen gemacht haben sollen.
Weil man aber doch aufrichtig sein, und das eine sagen muß! O wie das andre, so kann ich nicht bergen, daß ich einen gewissen Papefiguier kenne, der dieses Buch in einem ganz andern Lichte betrachtet, und an dem es in der Tat nicht liegt, daß es nicht als ein kleines Ungeheuer in der Geburt erstickt worden. Er ist eine Art von einem Petriner, der, Verstands halben gewiß keine Ketzerei erfinden wird, aber dagegen zum Ersatz einer von den eigensinnigsten Köpfen in der Christenheit. Er geht schon seit dem vorletzten Jubel-Jahr dienstlos herum, und lebt indessen, bis der Jansenismus, wie er hofft, durch ein allgemeines Concilium eingeführt sein wird, von der Gutherzigkeit der Christen und vom Nachtisch des benachbarten Adels. Denn er ist ein erklärter bockbeiniger Janseniste, und das ist eben die Quelle seines Unglücks. Allein er hat, wie gesagt, den Mut noch nicht verloren, daß seine Partei die Oberhand gewinnen werde, und er sieht den Fall der Jesuiten in Frankreich als einen glücklichen Vorboten an, daß der Untergang des großen Drachen vor der Türe sei, welcher bisher, wie er sagt, die ganze Welt verführt habe. Dieser ehrliche Mann, der sich zuweilen zum Mittagessen bei mir einlädt, kam neulich in mein Zimmer zu einer Zeit, da ich eben meiner Geschäfte wegen keine Acht gehen konnte. Er durchnisterte also indessen meine Papiere, und da kam er, zum Unglück auf das Manuscript des Don Sylvio. Ich dachte gleich, daß es Händel absetzen werde, und ich betrog mich nicht; er hatte kaum eine Viertelstunde darin herum geblättert, so warf er es wieder auf den Tisch, und geriet in einen so heftigen Eifer über ein so gottloses und gefährliches Buch, daß ich Gewalt brauchen mußte um ihn zu verhindern, daß er es nicht auf der Stelle ins Camin warf. Er wollte sichs nicht ausreden lassen, daß die Abenteuer des Don Sylvio eine Allegorie oder Parabola sei, wie er es hieß, deren geheimer Sinn und Endzweck auf nichts geringers als auf den Umsturz des Glaubens, des Evangelii des Pater Quesnell und der Wunder des Herrn von Paris abgesehen sei. Mit einem Wort, er machte einen solchen Lermen, daß er mich, als einen Laien, der seiner eignen Einsicht in dergleichen Sachen nicht trauen darf, endlich selbst ungewiß machte, ob ich gleich bei Durchlesung des Manuscripts nicht das mindeste gefunden hatte, das mir die Absichten des Verfassers hätte verdächtig machen können. Weil ich nun als der erbetene Herausgeber dieses Buches, den sichersten Weg gehen, und gewiß wissen wollte, woran ich wäre, so communicierte ich das Manuscript einem angesehen Geistlichen, welcher dermalen Dechant zu *** ist und bei jedermann den Namen eines der gelehrtesten und frömmsten Priestern in unsrer ganzen Revier hat, und bat ihn, er möchte mir seine Gedanken davon offenherzig entdecken, indem ich sehr ungleiche Urteile darüber hätte fällen hören. Dieser rechtschaffene Mann schrieb mir zurück; »er hätte den Don Sylvio nicht ohne Vergnügen durchlesen, ob er gleich gestehe, daß ohne einen besondern Beruf diese Art von Lectur einem Mann von seinem Stande nicht sonderlich anständig sei; er vermute sehr, daß der Verfasser kaum eine andre Absicht gehabt habe als sich und seinen Lesern eine Kurzweil zu machen, eine Absicht, die an sich selbst und in ihrer gehörigen Maße und Einschränkung nicht verwerflich sei; die Torheiten der Menschen, ihre Vorurteile und irrige Meinungen, und die Ausschweifungen ihrer Einbildungskraft und ihrer Leidenschaften zu verspotten, sei nicht nur erlaubt sondern so gar nützlich; und wenn in einem Buch, das mehr zur Belustigung als zum Unterricht geschrieben sei, und worin guter Humor und scherzende Satyre herrsche, der scherzhaft Ton selbst über ernsthaftere Gegenstände ausgedehnt werde, so sei auch dieses solange die Schranken der Anständigkeit nicht überschritten werden, ganz wohl zu dulden, indem die Wahrheit ein jedes Licht vertragen könne, und das Lächerliche niemals an der Wahrheit selbst hafte, sondern vielmehr bloß dazu diene, die falschen Zusätze, womit sie in den Köpfen der Menschen vermengt werde, von ihr abzuschneiden; und wenn auch, im übrigen, die Absicht des Verfassers gewesen wäre in der Person des Don Sylvio die Schwärmerei, und in Pedrillo den Aberglauben und die Leichtgläubigkeit des Pöbels, und überhaupt dasjenige, das Juvenal veteres avias nenne, in ein lächerliches Licht zu stellen, so würde er der Religion dadurch vielmehr einen Dienst als den geringsten Abbruch getan haben; und ihm eine solche Freiheit übel auszudeuten, würde um so viel unbilliger sein, da die heiligen Väter selbst sich meistens keiner andern Waffen als des lachenden Spottes und der beißenden Ironie gegen den herrschenden Aberglauben ihrer Zeiten bedient hätten etc. etc.«
Dieses gelinde Urteil von einem Mann, dessen Aussprüche bei mir eine entscheidende Autorität haben, beruhigte mich wieder vollkommen, und ich gesteh es, daß ich ihm recht dafür verbunden bin, daß ich beim Don Sylvio wieder unbesorgt und nach Herzens Lust lachen darf.
Ich überlasse es nun den Lesern, was sie tun wollen, ob sie dabei lachen, lächeln, sauer sehen, schmälen oder weinen wollen. Mir liegt weniger daran als dem Verleger; denn dieser hat sich, um die Wahrheit zu gestehen, darauf verlassen, daß Don Sylvio ein lustiges Buch sei, und er würde sich schwerlich damit abgegeben haben, ein paar tausend Copien von den Einfällen des Hrn. Don Ramiro von Z** auf seine Unkosten machen zu lassen, wenn man ihn nicht versichert hätte, daß die Medici in hypochondrischen und Milz-Krankheiten, in allen Arten von Vaperus, und hysterischen Zufällen, und sogar im Podagra, ihren Patienten künftig den Don Sylvio statt einer Tisanne einzunehmen verschreiben würden.
R*** am N. den
2. Octob. 1763
P.F.X.D.R.G.N.
und S.S.D.
Erster Teil
Erstes Buch
Erstes Capitel
Character einer Art von Tanten
In einem alten baufälligen Schloß der Spanischen Provinz Valencia lebte vor einigen Jahren ein Frauenzimmer von Stande, die zu derjenigen Zeit, da sie in der folgenden Geschichte ihre Rolle spielte, bereits sechzig Jahre unter dem Namen Donna Mencia von Rosalva sehr wenig Aufsehens in der Welt gemacht hatte.
Diese Dame hatte die Hoffnung, sich durch ihre persönliche Annehmlichkeiten zu unterscheiden, schon seit dem Successions- Krieg aufgegeben, in dessen Zeiten sie zwar jung und nicht ungeneigt gewesen war, einen würdigen Liebhaber glücklich zu machen, aber immer so empfindliche Kränkungen von der Kaltsinnigkeit der Mannspersonen erfahren hatte, daß sie mehr als einmal in Versuchung geraten war, in der Abgeschiedenheit einer Kloster-Celle ein Herz, dessen die Welt sich so unwürdig bezeugte, dem Himmel aufzuopfern. Allein, ihre Klugheit ließ sie jedesmal bemerken, daß dieses Mittel, wie alle diejenigen, so der Unmut einzugehen pflegt, ihre Absicht nur sehr unvollkommen erreichen, und in der Tat die Undankbarkeit der Welt nur an ihr selbst bestrafen würden.
Sie besann sich also glücklicher Weise eines andern, welches sie nicht so viel kostete, und weit geschickter war die einzige Absicht zu befördern, die bei so bewandten Umständen ihrer würdig zu sein schien. Sie wurde eine Spröde, und nahm sich vor, ihre beleidigten Reizungen an allen den Unglückseligen zu rächen, welche sie als Wolken ansah, die den Glanz derselben aufgefangen und unkräftig gemacht hatten. Sie erklärte sich öffentlich für eine abgesagte Feindin der Schönheit und Liebe, und warf sich hingegen zur Beschützerin aller dieser ehrwürdigen Vestalen auf, denen die Natur die Gabe der transcendentalen Keuschheit mitgeteilt hat, und deren bloßer Anblick fähig wären, den mutigsten Faunen zu entwaffnen.
Donna Mencia ließ es nicht bei der bloßen Freundschaft bewenden, die der nähere Umgang, die Sympathie und die Ähnlichkeit ihres Schicksals zwischen ihr und einigen Frauenzimmern von dieser Classe stiftete, mit denen sie zu Valencia, wo sie erzogen worden war, nach und nach Bekanntschaft gemacht hatte. Sie richtete eine Art von Schwesterschaft mit ihnen auf, die in der schönen Welt eben das war, was die Mönchs-Orden in der politischen sind, ein Staat im Staat, dessen Interesse ist, dem andern allen möglichen Abbruch zu tun, und die sich den Namen der Anti-Grazien erwarben, indem sie mit dem ganzen Reich der Liebe in einer eben so offenbaren und unversöhnlichen Fehde stunden, als die Maltheser-Ritter mit den Musulmannen.
Um ihre Zusammenkünfte auch dem gemeinen Wesen so nützlich zu machen, als sie ihnen selbst angenehm waren, erwählten sie die Beförderung der Tugend und guten Sitten unter ihrem Geschlecht zum Gegenstand ihrer großmütigen Bemühungen; denn die klägliche Verderbnis desselben war, ihrem Urteil nach, die wahre und einzige Quelle alles Unheils in der Welt.
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