Der Knabe drängte sich behend an einen alten Mann mit klugem Gesichte, der zur Linken des Häuptlings stand und den Worten des Herrn höflich Antwort zu geben wußte, und kündete leise seine Botschaft. »Der junge Wolf führt einen Fremden her«, berichtete der Alte auf den fragenden Blick des Herrn, »der Mann kam ohne Geleit der Katten, ohne Roß und Kriegskleid, ein einzelner Mann aus dem Elend, er sucht das Gastrecht.«

»Bereitet ihm den Gruß in der Halle«, befahl Herr Answald gleichmütig und gab seinen Mannen ein Zeichen, daß sie sich entfernten. Und zu seinem Vertrauten sprach er: »Mit Sorgen seh' ich die fremden Strolche. Seit am Rhein der Römerkrieg aufgebrannt ist, fliegen heiße Funken durch das Land, und mancher Gesell, der Gewalttat gelitten, schweift durch die Länder und übt Frevel in bitterem Hasse.«

»Kommt er als Flüchtling aus dem Süden, so mag er Kunde wissen von dem Römerkrieg.«

»Er mag auch römische Untreue in das Land tragen. Die welsche Sitte schleicht wie eine Pest durch unsere Täler, sie hat die Burgen der Könige mit Übermut gefüllt. Auch unsere Herren möchten im Purpurkleide prangen und schurkische Leibwächter füttern, die ihr Messer dem freien Mann in den Rücken stoßen, wenn sein Antlitz ihrem Herrn verleidet ist. Doch komm, wer auch der Fremde sei: was einem darbenden Mann gebührt, soll ihm werden. Du aber sorge, durch kluge Rede sein Geheimnis zu ergründen.«

Der Häuptling trat in das Haus und setzte sich auf den Herrensitz, der, geschnitzt aus Eichenholz, der Tür gegenüberstand, belegt mit dem schwarzen Fell eines jungen Bären. Die Füße des Herrn ruhten auf einem Schemel, in der Hand hielt er den weißen Herrenstab.

Draußen am Hoftor stiegen die Reiter ab, der Fremde lehnte seinen Speer an den Pfosten und setzte sich schweigend auf den Sitz außerhalb des Tores. Der Sprecher trat heraus und lud ihn mit feierlichem Gruß vor den Herrensitz. Der Fremde trat hoch aufgerichtet auf die Schwelle des Hauses, er und der Häuptling blickten einander einen Augenblick forschend an und beiden gefiel, was sie sahen.

»Heil dir, Fürst Answald, Irmfrieds Sohn!«

»Heil sei auch dir!« klang es vom Herrensitz zurück.

»Spende wegemüdem Mann den Trunk aus deinem Born, die Frucht von deiner Flur, den Schirm deines Daches. Ich komme freundlos, heimatlos und schutzlos zu deinem Herde; verleihe mir, was dem Wanderer das Gastrecht deines Volkes gewährt.«

Hildebrand trat vor und sprach: »Der Fürst verleiht dir nach des Volkes Brauch drei Tage Rast, drei Tage Kost, dann fragt der Fürst das Volk nach seinem Willen. – Tragt ihm den Sitz zum Herd, ihr Knaben, und bietet ihm die Gaben der Götter.«

Drei Jünglinge trugen das Gerät, der eine den Schemel, auf dem der Fremde niedersaß, der andere in zwei Schalen Brot und Salz, der dritte einen Holzkrug, mit dunklem Bier gefüllt. Dieser bot den Trunk zuerst dem Fürsten, der den Krug mit den Lippen berührte, dann dem Fremden. Darauf gab der Sprecher dem Gefolge einen Wink und alle verließen den Raum.

»Und jetzt, Wanderer«, begann Hildebrand, zu den Füßen des Fürsten niedersitzend, mit vertraulichen Worten, »da du Sicherheit gewonnen hast für Leib und Glieder, so gib auch uns Bericht, soweit du vermagst, wenn du etwas hinter unseren Bergen geschaut und gehört hast, was uns zum Nutzen sein kann und dir nicht zum Schaden. Denn es ist sorgenvolle Zeit, und der vorsichtige Wirt müht sich, Kunde zu holen von bewanderten Männern. Willst du erzählen, wenn die Götter dir verliehen haben, daß sich deine Worte willig auf der Zunge zueinander fügen; oder soll ich fragen, was zu erfahren uns not tut?«

Der Fremde erhob sich: »Ich trage Kunde, die das Herz der Männer bewegt, nicht weiß ich, ob sie euch Freude bereitet oder Trauer. Eine Schlacht ist geschlagen, die größte seit Menschengedenken. Die Wölfe heulen auf der Walstatt, und die Raben fliegen über das Gebein der Alemannen, denen unser Gott den Sieg versagt hat. Die Franken haben dem Römer die Schlacht gewonnen, die Könige der Alemannen Hnodomar und Athanarich sind gefangen, mit ihnen viele Königskinder; die Heerscharen des Cäsar brennen in den Tälern des Schwarzwaldes bis an den Main und treiben die Gefangenen zu Hauf. Der Cäsar ist mächtig geworden über das Grenzland, man sagt, daß die Katten Gesandte in sein Lager geschickt haben, um ein Bündnis zu bieten.«

Ein tiefes Schweigen folgte diesen aufregenden Worten. Fürst Answald sah finster vor sich nieder, auch Hildebrand hatte Mühe, seine Bewegung zu verbergen.

»Wir haben Frieden mit Römern und Alemannen«, sagte er endlich vorsichtig; »und der Thüring fürchtet nicht die Macht des Cäsar. Du selbst aber warst, wie ich erkenne, in der Nähe, als die Schlacht geschlagen wurde, und du hast seitdem die Dörfer der Katten gemieden, die doch, wie du sagst, den Römern wohlgeneigt sind. Ich frage dich nicht, wem du den Sieg gewünscht hast.«

»Ich gebe Bescheid ohne Frage«, rief der Fremde stolz, »ich habe nicht Römersold genommen.«

Ein Strahl von Wohlwollen brach aus den Augen des Häuptlings. »Du bist kein Alemanne«, sagte er, »du bist nach deiner Sprache von den Kindern unseres Gottes, die fern im Osten wohnen.«

»Ein Vandale von der Oder«, versetzte der Fremde rasch.

»Es ist ein weiter Weg von deinem Heimatland bis zu der Walstatt am Rhein, Wanderer. Hat auch dein Volk seine Krieger in den Streit gesendet?«

»Ich kam an den Rhein ohne meine Landgenossen, ein schweres Geschick trieb mich aus meiner Heimat Flur.«

»Ein schweres Geschick bereitet ein Gott oder des Mannes trotziger Mut. Möge dein Herz nicht bedrücken, was dich aus der Heimat gescheucht hat.«

Der Fremde neigte dankend das Haupt. »Des Gastes Sorge ist, daß er seinem Wirt gefalle; verzeih, wenn ich suche, was dir den Fremden vertraulich macht. Ich habe in meiner Heimat ein Lied des Sängers gehört, daß zu der Väter Zeit ein Held aus Thüringeland unter den Kriegern meines Volks gegen die Römer kämpfte, weit südwärts an der Donau.