Wollten die räudigen Hunde doch schon meine alte Ilse ein Mensch bei schier 50 Jahren angehen, hätte es ihnen ein alter Kornett nicht gewegert. Dankete dahero meinem Schöpfer, als die wilden Gäste wegkwaren, daß ich allermeist mein armes Kind vor ihren Klauen geborgen, wiewohl kein Stäublein Mehl, kein Körnlein Getreide noch ein Stücklein Fleisch bei eines Fingers Länge mehr fürhanden, und ich nit wußte wie ich mein und meines armen Kindes Leben weiter fristen söllte. Item dankete Gott, daß ich noch die vasa sacra geborgen, welche ich gleich mit den beiden Türstehern als, Hinrich Seden und Claus Bulken von Uekeritze in der Kirchen vor dem Altar vergrübe, Gott die Obhut empfehlend. Weil nun aber, wie bemeldet, ich bittern Hunger litte, so schrieb an Se. Gestrengen den Herrn Amtshauptmann Wittich von Appelmann auf Pudgla1 daß er umb Gotts und seines heiligen Evangeliums willen in sollich schwerer Noth und Trübsal mir zukommen ließe, was Se. Fürstliche Gnaden, Philippus Julius mir an Praestandis vom Kloster zu Pudgla beigeleget, als nämlich 30 Schffl. Gerste und 25 Mark Silbers, welche Sr. Gestrengen mir aber bis nunmehro gewegert. (Denn er war ein fast hart und unmenschlicher Mann sintemalen er das heilige Evangelium und die Predigt verachtete, auch öffentlich und sonder Scheue seinen Spott über die Diener Gottes hatte, nämblich, daß sie unnütze Brodtfresser wären, und Lutherus den Schweinestall der Kirchen nur halb gesäubert. Gott bessers! –) Aber er antwortete mir nit, und ich wäre schier verschmachtet, wenn Hinrich Seden nicht für mich im Kapsel2 gebetet. Gott lohn's dem ehrlichen Kerl in der Ewigkeit! Er wurde dazumalen auch schon alt und hatte viel Plage von seinem bösen Weibe, Lise Kollken. Dachte gleich, daß es nit sonderlich gehen würd, als ich sie traute; angesehen sie im gemeinen Geschrei war, daß sie lange mit Wittich Appelmann in Unzucht gelebet, welcher von jeher ein rechter Erzschalk und auch absonderlich ein hitziger – – – Jäger gewest, denn so etwas gesegnet der Herre nicht. Selbiger Seden nun brachte mir 5 Brodte, 2 Würste und eine Gans, so die alte Paalsche in Loddin ihm verehret, item eine Seite Speck von Hans Tewert dem Bauern. Müchte ihn aber vor seiner Frauen schützen, welche die Hälfte hätte vor ihr behalten wollen, und da er sich gewegert, hätte sie ihn vermaledeiet und die Kopfgicht angewünscht, so daß er gleich ein Ziehen in der rechten Wangen verspüret, welches jetzunder fast hart und schwer geworden. Für solcher erschröcklichen Nachricht entsetzte ich mich, wie einem guten Seelenhirten geziemet, fragende: ob er vielleicht gläubete, daß sie in bösem Verkehr mit dem leidigen Satan stünde, und hexen könnte? Aber er schwiege und zuckete mit den Achseln. Ließ mir also die alte Lise rufen welche ein lang, dürr Mensch, bei 60 Jahren war, mit Gluderaugen, so daß sie Niemand nit gerade ins Antlitz schauete, item mit eitel rothen Haaren wie sie ihr Kerl auch hatte. Aber obwol ich sie fleißig auf Gotts Wort vermahnete gab sie doch keine Stimme, und als ich endlich sagete: Willtu deinen Kerl wieder umböten3 (denn ich sahe ihn auf der Straßen vor das Fenster, allbereits als einen Unsinnigen rasen) oder willtu, daß ich's der Obrigkeit anzeige, gab sie endlich nach und verspräche, daß es bald sölle besser mit ihm werden; (was auch geschach) item bat sie, daß ich ihr wölle etwas Speck und Brod verehren, dieweil sie auch seit dreien Tagen kein ander Fleisch und Nahrung mehr zwischen den Zähnen gehabt, denn ihre Zunge. Gab ihr mein Töchterlein also ein halb Brod, und ein Stück Speck bei zweer Händen Länge, was ihr aber nicht genugsam bedünkete, sondern mummelte zwischen den Zähnen, worauf mein Töchterlein sagte: bistu nicht zufrieden, alter Hexensack, so packe dich und hilf erst deinem Kerl, schaue wie er das Haubt auf Zabels Zaun geleget und mit den Füßen vor Wehetage trampelt, worauf sie ginge, doch abermals zwischen den Zähnen mummelnde: »Ja, ich will ihm helfen und dir auch!«
Fußnoten
1 Schloß auf Usedom, früher ein berühmtes Kloster
2 Allmosen in der Gemeinde eingesammelt.
3 umzaubern.
Capitel 7.
Wie die Kaiserlichen mir alles Uebrige geraubet, auch die Kirchen erbrochen und die vasa Sacra entwendet; item was sonsten fürgefallen.
Nach etzlichen Tagen, als unsere Nothdurft fast verzehret, fiel mir auch meine letzte Kuh umb (die andern hatten die Wülfe, wie oben bemeldet, allbereits zurissen) nicht ohne sonderlichen Verdacht, daß die Lise ihr etwas angethan, angesehen sie den Tag vorhero noch wacker gefressen. Doch lasse ich das in seinen Würden, dieweil ich Niemand nit verleumbden mag; kann auch geschehen sein durch die Schikkung des gerechten Gottes, deßen Zorn ich wohl verdienet hab' – Summa:
ich war wiederumb in großen Nöthen und mein Töchterlein Maria zuriß mir noch mehr das Herze durch ihr Seufzen, als das Geschreie anhub: daß abermals ein Trupp Kaiserlicher nach Uekeritze gekommen, und noch gräulicher denn die ersten gemarodiret, auch das halbe Dorf in Brand gestecket. Derohalben hielt ich mich nicht mehr sicher in meiner Hütten, sondern nachdem in einem brünstigen Gebet Alles dem Herrn empfohlen, machte mich mit meinem Töchterlein und der alten Ilsen auf, in den Streckelberg 1 wo ich allbereits ein Loch, einer Höhlen gleich, und trefflich von Brommelbeeren verrancket uns ausersehen, wenn die Noth uns verscheuchen söllte. Nahmen daher mit, was uns an Nothdurft des Leibes geblieben, und rannten mit Seufzen und Weinen in den Wald, wohin uns aber bald die alten Greisen und das Weibsvolk mit den Kindern folgten, welche ein groß Hungergeschrei erhoben. Denn sie sahen, daß sich mein Töchterlein auf einen Stubben satzte, um ein Stück Fleisch und Brod verzehrete, kamen also die kleinen Würmer mit ausgereckten Händeleins angelaufen und schrieen: uck hebben, uck hebben2. Wannenhero da mich solch groß Leid billig jammerte, meinem Töchterlein nit wehrete, daß sie alles Brod und Fleisch so vorräthig unter die hungrigen Kindlein vertheilete. Erst mußten sie aber dafür »Aller Augen«3 beten, über welche Wort ich dann eine tröstliche Ansprach an das Volk hielte, daß der Herr, welcher jetzunder ihre Kindlein gespeiset auch Rath wissen würde ihren eigenen Bauch zu füllen, möchten nur nit müde werden ihm zu vertrauen.
Aber sollich Trost währete nicht lange. Denn nachdeme wir wohl an die zween Stunden in und um der Höhlen uns gelagert, huben die Glocken im Dorfe so kläglich an zu gehen, daß es einem Jeglichen schier das Herze brach, angesehen auch dazwischen ein laut Schießen, item das Geschrei der Menschen und das Bellen der Hunde erschallete, so daß männiglich gießen kunnte, der Feind sei mitten im Dorfe. Hatte dannenhero genug mit den Weibern zu tüschen4 daß sie nicht durch ihr unverständig Lamentiren dem grimmigen Feind unsern Schlupfwinkel verrathen möchten, zumalen als es anfing schmockig zu riechen, und alsobald auch die helle Flamme durch die Bäume glitzerte. Schickete derohalben den alten Paassch oben auf den Berg daß er umbherlugen sollt, wie es stünde, hätte sich aber wohl zu wahren, daß man ihn nicht vom Dorfe erschaue, anerwogen, es erst zu schummern begunte. Solliches versprach er und kam alsbald auch mit der Bothschaft zurücke, daß gegen 20 Reuter aus dem Dorfe gen die Damerow gejagt wären aber das halbe Dorf in rothen Flammen stünd. Item erzählete er, daß durch seltsame Schickung Gottes sich sehr viel Gevögel in den Knirkbüschen5 und anderswo sehen ließ, und meinete, wenn man sie nur fangen künnte, daß sie eine treffliche Speiß vor uns abgeben würden. Stieg also selbsten auf den Berg, und nachdem ich alles so befunden, auch gewahr worden daß durch des barmherzigen Gottes Hülf das Feuer im Dorfe nachgelassen, item daß auch mein Hüttlein wider mein Verdienst und Würdigkeit annoch stünde, stieg ich alsbald herunter, tröstete das Volk und sprach: der Herr hat uns ein Zeichen gegeben und will uns speisen, wie einst das Volk Israel in der Wüsten, denn er hat uns eine treffliche Schaar von Krammetsvögeln über die wüste Sehe gesendet, welche aus jedem Büschlein burren, so man ihm nahet.
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