Sie führen schon mit dem Schnellzuge um sechs Uhr dreißig nach Havre zurück. Urlaub, damit käme er schön an! Ja, wenn sie Einem den Stuhl vor die Thür setzen wollen, da sind sie gleich bei der Hand!

Die beiden Männer nickten mit dem Kopf und blickten sich verständnißinnig an. Aber sie hörten sich nicht mehr, denn ein verteufeltes Piano setzte alle Register ein. Die beiden Schwestern paukten gemeinsam auf die Tasten, ihr Lachen aber übertönte das Instrument, wahrscheinlich wollten sie die Vögel im Käfige in noch größere Aufregung versetzen. Der junge Mann erheiterte sich ebenfalls, er grüßte und ging in das Zimmer hinein. Die Augen des allein gelassenen Unterinspectors hafteten eine Minute an dem Balkone, von welchem diese jugendliche Fröhlichkeit herauftönte. Dann erhob er die Blicke und sah, daß die Lokomotive ihre Ventile geschlossen hatte und der Weichensteller sie auf den Zug nach Caen dirigirte. Die letzten Flöckchen des weißen Rauches verflüchtigten sich unter den dicken Wirbeln des schwarzen Qualms, der den Himmel besudelte. Und nun trat auch er in das Zimmer zurück.

Vor der Kukuksuhr angelangt, die auf drei Uhr zwanzig Minuten zeigte, machte Roubaud eine Bewegung verzweifelter Ungeduld. Wie, zum Teufel, konnte sich Séverine nur so lange aufhalten lassen? Wenn sie einmal in einem Laden war, konnte man sie garnicht wieder herausbringen. Um sich selbst über den Hunger hinwegzutäuschen, der seinen Magen marterte, kam er auf den Einfall, den Tisch zu decken. Er war in dem mächtigen, zweifenstrigen Zimmer, das mit seinen Nußbaummöbeln, dem Bett mit den rothkattunenen Bezügen, dem Anrichteschrank und runden Tische, seinem normandiesischen Geschirrschrank gleichzeitig als Schlaf-, Speisezimmer und Küche diente, wie zu Hause. Er entnahm den Schränken Servietten, Teller, Gabeln und Messer und zwei Gläser. Das ganze Geschirr war von einer peinlichen Sauberkeit. Seine wirthschaftlichen Sorgen belustigten ihn und er fühlte sich glücklich über das Weiß des Leinens, bis über die Ohren verliebt in seine Frau. Er mußte selbst laut lachen, dachte er an das schöne, frische Lachen, in das sie ausbrechen würde, wenn sie zur Thür hereinkäme. Als er die Fleischpastete auf den Teller gelegt und die Flasche Weißwein daneben gestellt hatte, suchten seine Augen etwas. Dann zog er hastig zwei vergessene Päckchen aus der Tasche, eine kleine Büchse Sardinen und etwas Schweizerkäse.

Es schlug halb. Roubaud marschirte abwechselnd durch die Länge und Breite des Zimmers und lauschte bei dem geringsten Geräusch auf der Treppe. Als er während seines müßigen Wartens beim Spiegel vorüberkam, blieb er stehen, um sich zu betrachten. Er alterte nicht, er war schon der Vierzig nahe, ohne daß das brennende Roth seiner krausen Haare zu bleichen begonnen hätte. Sein sonnenblonder Bart blieb dicht. Seine Figur war nur mittelgroß, aber ließ außerordentliche Körperkräfte ahnen. Er gefiel sich, er schien von seinem ein wenig flachen Haupte, der niedrigen Stirn, dem Stiernacken und seinem runden, blutvollen Gesicht, welches zwei große, lebhafte Augen erhellten, sehr befriedigt. Seine Augenbrauen liefen ineinander.

Er hatte eine um fünfzehn Jahre jüngere Frau geheirathet. Es war ihm daher ein Bedürfniß, öfter den Spiegel zu Rathe zu ziehen, und was er dort erblickte, gab ihm die Ruhe wieder zurück.

Man hörte das Geräusch nahender Schritte. Roubaud öffnete eilig die Thür etwas. Es war eine Zeitungsverkäuferin des Bahnhofs, die ihr nebenan gelegenes Zimmer aufsuchte. Er wandte sich in das Zimmer zurück und interessirte sich zunächst für eine auf dem Anrichteschrank stehende Muschelschachtel. Er kannte sie sehr gut, denn es war ein Geschenk von Séverine an die Mutter Victoire, ihre Amme.