Die drei blieben noch eine halbe Stunde sitzen. Dann nahm Misard, der vorher seine Blicke einen Augenblick forschend auf eine Ecke des Gemaches gerichtet hatte, seine Mütze und schritt mit einem einfachen Guten Abend zur Thür hinaus. Er wilddiebte in den Bächen der Nachbarschaft, in denen es prächtige Aale gab, und er ging nie eher schlafen, bis er seine Netze gründlich visitirt hatte.
Kaum war er fort, sah Phasie ihren Pflegesohn bedeutsam an.
»Glaubst Du nun? Hast Du gesehen, wie sich sein Blick dort in die Ecke wühlte? … Es ist ihm nämlich gerade eingefallen, ich könnte meinen Schatz dort hinter dem Buttertopf verborgen haben … O, ich kenne ihn, ich weiß genau, daß er heute Nacht den Topf von der Stelle rücken wird.«
Ein plötzlicher Schweiß drang durch die Poren ihres Körpers und ein heftiges Zittern schüttelte ihre Glieder.
»Da, sieh her, auch das noch! Er wird mir zu viel eingegeben haben, ich habe einen bittern Geschmack im Munde, als ob ich alte Sousstücke verschluckt hätte. Gott weiß, warum ich durchaus nichts von ihm nehmen will. Man möchte am liebsten gleich in’s Wasser gehen. Heute Abend geht es leider nicht mehr, weil ich jetzt zu Bett muß. Also lebe wohl, mein Junge, da Du schon um sieben Uhr sechsundzwanzig Minuten abfährst, werde ich Dich nicht mehr sehen können. Und Du kommst bald wieder? Wir wollen hoffen, daß Du mich hier noch vorfindest.«
Er half ihr in ihr Zimmer, wo sie sich hinlegte und auch sofort zusammengekauert einschlief. Allein geblieben, zögerte er einen Augenblick und überlegte, ob er auch nach oben steigen und sich auf das Heu in der Vorratskammer strecken sollte. Die Uhr war aber jetzt erst dreiviertel auf acht, also es noch zu früh zum Schlafen. Er verließ das Gemach und ließ die kleine Petroleumlampe in dem leeren, träumenden Häuschen brennen, das von Zeit zu Zeit durch den jähen Donner eines vorüberfahrenden Zuges erschüttert wurde.
Draußen fühlte sich Jacques von der Milde der Luft angenehm überrascht, welche Regen zu verkünden schien. Eine gleichmäßige, milchartige Wolke hatte den ganzen Himmel überzogen und der hinter ihr verborgene unsichtbare Vollmond tauchte das Himmelsgewölbe in einen röthlichen Schimmer. Weit hinein sah er in das Land, dessen im friedlichen Schlummer ruhende Wiesen, Abhänge und Bäume sich in diesem gleichmäßigen todten Lichte dunkel abhoben. Er durchschritt den kleinen Küchengarten, dann wollte er nach Doinville zu spazieren gehen, weil die Straße nach jener Richtung weniger schroff aufstieg. Aber der Anblick des jenseits des Eisenbahndammes schräg aufsteigenden, einsamen Hauses zog ihn an; da die Barriere schon für die Nacht geschlossen war, überschritt er die Geleise bei dem Pförtchen. Er kannte dieses Haus sehr gut, denn er sah es ja auf jeder Fahrt beim Dröhnen seiner brummenden Maschine. Eine unklare Empfindung, die sein Anblick hervorrief, ärgerte ihn, er wußte selbst nicht, warum. Jedesmal fürchtete er, es könnte verschwunden sein, und erboste sich, wenn er es noch an derselben Stelle vorfand. Noch nie hatte er die Thüren oder Fenster offen gesehen. Er wußte nichts weiter, als daß es dem Präsidenten Grandmorin gehörte. An diesem Abend aber trieb ihn ein unstillbares Verlangen dorthin, um vielleicht mehr zu erfahren.
Lange stand Jacques auf der Landstraße vor der Pforte. Er trat einige Schritte zurück, reckte sich in die Höhe und versuchte, sich klar zu werden. Der den Garten theilende Bahndamm hatte vor dem Hause ein schmales, von Mauern umschlossenes Parterre übrig gelassen; weiter hinten dagegen weitete sich ein ziemlich ausgebreitetes Terrain, welches nur von einer lebenden Hecke eingefriedet war. Im röthlichen Wiederschein dieser nebligen Nacht machte das Haus in seiner Verlassenheit einen unsäglich traurigen Eindruck. Jacques überlief es kalt und er wollte eben weiter gehen, als er ein Loch in der Hecke bemerkte. Der Gedanke, daß es feige wäre, nicht hineinzugehen, trieb ihn durch die Lücke. Sein Herz schlug zum Brechen. Doch gerade, als er an einem zerfallenen kleinen Gewächshause vorüberschreiten wollte, bannte ihn ein an der Thür desselben kauernder Schatten.
»Wie, Du bist es?« rief er erstaunt, er hatte Flore erkannt. »Was thust Du hier?«
Auch sie war überrascht zusammen gefahren.
»Du siehst,« sagte sie jedoch gleich gefaßt, »ich hole mir Stricke. Es liegen hier so viele umher und faulen, ohne zu etwas zu nutzen.
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