Heule nicht, Junge; weißt, ich hab's nie leiden können. Ist Weibermode! Ich möchte dir aber noch etwas sagen, eh ich abmarschiere vom Anstand; kannst dann daraus machen, was du willst. Setze dich und höre zu! Schau, da hinten‹ – der Alte zeigte durch das offene Fenster, in welches grüne Zweige schlugen und die Abendsonne zitterte, während ein Buchfink davor sang –, ›da hinten hinter dem Walde kommst du in die große Ebene, wo du tagelang gehen kannst, ohne einen Berg zu sehen. Die Leute nennen's ein schönes Land; – mag sein, hab's aber nie leiden können und mag den Wald lieber. Einen Hügel aber gibt's doch da, mitten in dem flachen Lande und den Kornfeldern, mit einem Schloß, Seeburg geheißen, und am Fuße des Hügels ein Dorf desselbigen Namens. Daher stammt unsere Familie, da bin ich geboren, da ist auch Burchhard her.‹

Der Letzterwähnte nickte hier mit dem Kopfe und brummte vor sich hin: ›Beides 'ne gute Art, die Ralffs und Burchhards!‹

›Hast recht, Alter‹, fuhr mein Oheim fort, ›hoffe auch, der da‹ (er wies auf mich) ›soll nicht aus der Art schlagen, wenn er gleich unrecht Blut in den Adern hat. Höre weiter, Junge: War ein stolz Volk, die Grafen Seeburg, die da seit alter Zeit auf dem Neste saßen. Hab's gelesen in alten Chroniken, wie sie die Leute plagten und die Kaufleute fingen. Trieb's auch die neue Art, die damals in seidenen Strümpfen und Schuhen ging, nicht viel besser, wenn auch anders. Halt 's Maul, Burchhard, weiß, was du sagen willst. – Ich war damals ein schmucker Bursch, wußte trefflich mit der Büchse umzugehen, und war Andreas Ralff bekannt als Meisterschütze auf Kirchweihen und Vogelschießen weit und breit, wie deine Mutter, Franz, meine Schwester, als das schönste Mädchen im Lande. Sagte mir damals der junge Graf, der eben von Reisen zurückkam: "Hör, Andreas, tritt in meinen Dienst, will dich gut halten, und soll es dein Schaden nicht sein." Da faßte mich der Satan, daß ich's für mein Glück hielt und einschlug.‹

Der Alte stöhnte hier laut auf und barg den Kopf in den Kissen, während Burchhard aufstand und leise eine Jägerweise aus dem Fenster pfiff. Ich beschwor den Ohm, seine Erzählung abzubrechen und zu verschieben.

›Hab das nie getan‹, sagte der alte, eiserne Mann, ›ist nicht rechte Jägermanier, eine Kreatur angeschossen umherlaufen zu lassen. Reine Büchse, reiner Schuß. Schuf's der böse Feind, daß der Graf die Luise zu sehen kriegte, und – Burchhard, erzähl's dem Jungen weiter...‹

Dieser, der wieder neben dem Bette seines alten Freundes saß, nickte finster und fuhr fort in der unterbrochenen Erzählung, den Blick auf den Boden geheftet.

›Waren wir zusammen aufgewachsen, und hatte ich sie gar lieb, die Luise, mit ihren schwarzen Haaren und schwarzen Augen. Hatte aber nicht den Mut, ihr zu sagen: Herzlieb, wolltest du mich nicht zum Manne nehmen? Wollte dich auch auf 'n Händen tragen! Stand ich also immer und guckte ihr nach auf den Kirchwegen und allenthalben, wenn sie durch das Dorf hüpfte, lachend und schäkernd, flink wie ein Reh, lustig wie eine Amsel!...‹

Der Kranke seufzte tief auf, Burchhard legte ihm das Kopfkissen zurecht und schwieg dann, von seiner Erinnerung überwältigt, einige Minuten, während draußen die Vögel gar lustig zwitscherten und die Sonne immer glühender dem Untergange zusank.

Plötzlich fuhr der Erzähler fast barsch auf:

›Was ist da weiter zu berichten! War sie ein jung Blut, und hatte ihr der Pastor mehr Gutes als Böses von den Menschen erzählt... Wurde Andreas in den Wald geschickt auf Antrieb des Grafen; jubelte er mächtig, denn von je war's sein Wunsch gewesen, ein Jägersmann zu sein, und zog er sogleich fort von Seeburg, das alte verfallene Haus, so man ihm gab, instand zu setzen, daß die Luise nachfolgen könne. War ich damals nicht daheim, sondern im fremden Franzosenland, wo das Volk der Plackerei und Adelswirtschaft müde geworden war und reinen Tisch machte; schlug ich mich herum in der Champagne in dem Regiment Weimar-Kürassiere, bis der Herzog von Braunschweig und die Preußen und alle retirieren mußten durch Dreck und Regen. Kam ich zurück auf Urlaub, stellte mein Pferd ab im Goldenen Hirschen, putzte den Staub von den hohen Stiefeln, rieb den Harnisch so blank als möglich, setzte den Dreimaster verwegen aufs Ohr und faßte mir ein Herz – war ich nicht Wachtmeister in der sechsten Schwadron? –, meinen heimlichen Schatz zu bitten um seine hübsche, weiße Hand. Sahen mich die Leute so sonderbar an, als ich durch das Dorf schritt dem kleinen Häusel zu, wo mein Schatz wohnte, und begegnete mir auch der Kastellan vom Schloß, der mich nicht leiden konnte, und grinste er mich so höhnisch an, daß ich den Pallasch fester faßte und einen welschen Fluch brummte. Ahnte ich aber nichts und schob alles auf die Verwunderung über mein martialisch Ansehen und schritt mit einem Herzen, das halb freudig, halb furchtsam klopfte, der kleinen Türe in dem Zaune zu, der das Ralffsche Haus umgab. Hörte ich aus dem kleinen Stübchen eine Stimme singen, die mir gar fremd und doch gar bekannt vorkam. Sang die Stimme immer nur den Anfang eines alten Liedes:

 

Es trägt mein Lieb ein schwarzes Kleid,

Darunter trägt sie groß Herzenleid

In ihren jungen Tagen...

 

Nahm ich den Hut ab und trat in die Hausflur. Grüß Gott, Jungfer Lieschen, bin zurück aus Franzosenland – wollte ich sagen, sprach aber kein Wort, sondern fiel mir der Hut zur Erde, und mußte ich mich am Pfosten halten, um nicht selbst zu fallen. Da saß ein bleiches Wesen mit eingefallenen Wangen im Winkel, hatte die Hände im Schoß gefaltet und zitterte, als ob ein heftiger Frost es schüttle.

"Luise, Luise!" schrie ich auf, in die Knie vor ihr stürzend, in unmenschlicher Angst.

Die Gestalt erhob sich, kam schwankend auf mich zu und sagte, indem sie mit eiskalter Hand mir über die Stirn strich:

"Ei, mein schön's Lieb, bist zurück aus fremdem Land? Hab lange auf dich gewartet, mein blankes Herz!"

Schlug mir das Herz, daß mir der Harnisch zu springen drohte, den betastete sie, und über dessen Glanz schien sie sich zu freuen.

Was weiter vorging, weiß ich nicht; noch eine Zeitlang hörte ich den Gesang wie aus weiter Ferne:

 

Es trägt mein Lieb ein schwarzes Kleid,

Darunter trägt sie groß Herzenleid

 

– dann vergingen mir die Sinne; – das war meine Heimkehr aus dem Franzosenkrieg. Ich erwachte am Abend in meinem eigenen Häuschen, das ich vermietet hatte, und die alte Frau, die damals drinnen wohnte, saß neben mir. Glaubte ich geträumt zu haben – einen bösen, bösen Traum; besann mich erst allmählich wieder, und fügte es Gott, daß ich weinen konnte. Erzählte mir die gute Frau den Eingang und Ausgang des Leidens, und schaute ich nach meinen Pistolen, den bübischen Grafen hinzuschicken vor Gottes Richterstuhl, erfuhr ich aber, daß er auf und davon sei in ferne Länder; habe es ihn nicht mehr rasten und ruhen lassen, und sei er auf einmal spurlos verschwunden gewesen, ohne über sein Verbleiben etwas zu hinterlassen...‹

›Und hat ihn Gott davor behütet, uns vor die Augen zu kommen‹, fiel mein Oheim mit abgewandtem Gesicht ein.

›Schrieb ich dem Andreas am andern Morgen das Geschehene, denn er wußte noch nichts davon; es war ein feiges Volk, so ihm auf vier Meilen Weges nichts vermeldet hatte.‹

Der Kranke im Bett stöhnte, als ob ihm das Herz zerbreche, während ich schwindelnd und wortlos dasaß...

›Verkauften wir unsere Liegenschaften und brachten wir die Luise und die, Franz, ihr kleines Kind, hierher in den grünen Wald, allwo uns des Fürsten Durchlaucht einen Unterschlupf gab. Die Luise war immer still vor sich hin und ward immer stiller; sie sang nicht mehr ihre alten Liederverse und saß am liebsten in der Sonne und hielt ihre armen magern Finger gegen das Sonnenlicht. Dann lachte sie wohl und sagte:

"Noch immer – noch immer – wie es rinnt, rinnt!"

Und eines Morgens – – – Ja, wie war's denn, was ich einmal im Franzosenland von einem den Offizieren vorlesen hörte, als ich Wache vor dem Zelt stand.