w. als die einzigen möglichen Ursachen ihrer Abänderung. In einem beschränkten Sinne mag dies, wie wir später sehen werden, wahr sein. Aber es wäre verkehrt, lediglich äußeren Ursachen z. B. die Organisation des Spechtes, die Bildung seines Fußes, seines Schwanzes, seines Schnabels und seiner Zunge zuschreiben zu wollen, welche ihn so vorzüglich befähigen, Insekten unter der Rinde der Bäume hervorzuholen. Ebenso wäre es verkehrt, bei der Mistelpflanze, welche ihre Nahrung aus gewissen Bäumen zieht und deren Samen von gewissen Vögeln ausgestreut werden müssen, mit ihren Blüten, welche getrennten Geschlechtes sind und die Tätigkeit gewisser Insekten zur Übertragung des Pollens von der männlichen auf die weibliche Blüte bedürfen, – es wäre verkehrt, die organische Einrichtung dieses Parasiten mit seinen Beziehungen zu mehreren verschiedenen organischen Wesen als eine Wirkung äußerer Ursachen oder der Gewohnheit oder des Willens der Pflanze selbst anzusehen.
Es ist nun aber von der größten Wichtigkeit eine klare Einsicht in die Mittel zu gewinnen, durch welche solche Umänderungen und Anpassungen bewirkt werden. Beim Beginne meiner Beobachtungen schien es mir wahrscheinlich, dass ein sorgfältiges Studium der Haustiere und Kulturpflanzen die beste Aussicht auf Lösung dieser schwierigen Aufgabe gewähren würde. Und ich habe mich nicht getäuscht, sondern habe in diesem wie in allen andern verwickelten Fällen immer gefunden, dass unsre wenn auch unvollkommene Kenntnis der Abänderungen der Lebensformen im Zustande der Domestikation immer den besten und sichersten Aufschluss gewähren. Ich stehe nicht an, meine Überzeugung von dem hohen Werte solcher von den Naturforschern gewöhnlich sehr vernachlässigten Studien auszudrücken.
Aus diesem Grunde widme ich denn auch das erste Kapitel dieses Auszugs der Abänderung im Zustande der Domestikation. Wir werden daraus ersehen, dass erbliche Abänderungen in großer Ausdehnung wenigstens möglich sind, und, was nicht minder wichtig oder noch wichtiger ist, dass das Vermögen des Menschen, geringe Abänderungen durch deren ausschließliche Auswahl zur Nachzucht, d. h. durch Zuchtwahl zu häufen, sehr beträchtlich ist. Ich werde dann zur Veränderlichkeit der Arten im Naturzustande übergehen; doch bin ich unglücklicher Weise genötigt diesen Gegenstand viel zu kurz abzutun, da er eingehend eigentlich nur durch Mitteilung langer Listen von Tatsachen behandelt werden kann. Wir werden demungeachtet im Stande sein zu erörtern, was für Umstände die Abänderung am meisten begünstigen. Im nächsten Abschnitte soll der Kampf um’s Dasein unter den organischen Wesen der ganzen Welt abgehandelt werden, welcher unvermeidlich aus dem hohen geometrischen Verhältnise ihrer Vermehrung hervorgeht. Es ist dies die Lehre von Malthus auf das ganze Tier- und Pflanzenreich angewendet. Da viel mehr Individuen jeder Art geboren werden, als möglicherweise fortleben können, und demzufolge das Ringen um Existenz beständig wiederkehren muss, so folgt daraus, dass ein Wesen, welches in irgend einer für dasselbe vorteilhaften Weise von den übrigen, so wenig es auch sei, abweicht, unter den zusammengesetzten und zuweilen abändernden Lebensbedingungen mehr Aussicht auf Fortdauer hat und demnach von der Natur zur Nachzucht gewählt werden wird. Eine solche zur Nachzucht ausgewählte Varietät strebt dann nach dem strengen Erblichkeitsgesetze jedesmal seine neue und abgeänderte Form fortzupflanzen.
Diese natürliche Zuchtwahl ist ein Hauptgegenstand, welcher im vierten Kapitel ausführlicher abgehandelt werden soll; und wir werden dann finden, wie die natürliche Zuchtwahl gewöhnlich die unvermeidliche Veranlassung zum Erlöschen minder geeigneter Lebensformen wird und das herbeiführt, was ich Divergenz des Charakters genannt habe. Im nächsten Abschnitte werden die zusammengesetzten und wenig bekannten Gesetze der Abänderung besprochen. In den fünf folgenden Kapiteln sollen die auffälligsten und bedeutendsten Schwierigkeiten, welche der Annahme der Theorie entgegenstehen, angegeben werden, und zwar erstens die Schwierigkeiten der Übergänge, oder wie es zu begreifen ist, dass ein einfaches Wesen oder ein einfaches Organ verwandelt und in ein höher entwickeltes Wesen oder ein höher ausgebildetes Organ umgestaltet werden kann; zweitens der Instinkt oder die geistigen Fähigkeiten der Tiere; drittens die Bastardbildung oder die Unfruchtbarkeit der gekreuzten Spezies und die Fruchtbarkeit der gekreuzten Varietäten; und viertens die Unvollkommenheit der geologischen Urkunden. Im nächsten Kapitel werde ich die geologische Aufeinanderfolge der Organismen in der Zeit betrachten; im zwölften und dreizehnten deren geographische Verbreitung im Raume; im vierzehnten ihre Klassification oder ihre gegenseitigen Verwandtschaften im reifen wie im Embryonal-Zustande. Im letzten Abschnitte endlich werde ich eine kurze Zusammenfassung des Inhaltes des ganzen Werkes mit einigen Schlussbemerkungen geben.
Darüber, dass noch so vieles über den Ursprung der Arten und Varietäten unerklärt bleibt, wird sich niemand wundern, wenn er unsre tiefe Unwissenheit hinsichtlich der Wechselbeziehungen der vielen um uns her lebenden Wesen in Betracht zieht. Wer kann erklären, warum eine Art in großer Anzahl und weiter Verbreitung vorkommt, während eine andre ihr nahe verwandte Art selten und auf engen Raum beschränkt ist? Und doch sind diese Beziehungen von der höchsten Wichtigkeit, insofern sie die gegenwärtige Wohlfahrt und, wie ich glaube, das künftige Gedeihen und die Modifikationen eines jeden Bewohners der Welt bedingen. Aber noch viel weniger wissen wir von den Wechselbeziehungen der unzähligen Bewohner dieser Erde während der zahlreichen Perioden ihrer einstigen Bildungsgeschichte. Wenn daher auch noch so Vieles dunkel ist und noch lange dunkel bleiben wird, so zweifle ich nach den sorgfältigsten Studien und dem unbefangensten Urteile, dessen ich fähig bin, doch nicht daran, dass die Meinung, welche die meisten Naturforscher hegen und auch ich lange gehegt habe, als wäre nämlich jede Spezies unabhängig von den übrigen erschaffen worden, eine irrthümliche ist. Ich bin vollkommen überzeugt, dass die Arten nicht unveränderlich sind; dass die zu einer sogenannten Gattung zusammengehörigen Arten in direkter Linie von einer anderen gewöhnlich erloschenen Art abstammen in der nämlichen Weise, wie die anerkannten Varietäten irgend einer Art Abkömmlinge dieser Art sind. Endlich bin ich überzeugt, dass die natürliche Zuchtwahl das wichtigste wenn auch nicht das ausschließliche Mittel zur Abänderung der Lebensformen gewesen ist.
Erstes Kapitel – Abänderung im Zustande der Domestikation
Ursachen der Veränderlichkeit. – Wirkungen der Gewohnheit und des Gebrauchs und Nichtgebrauchs der Teile. – Correlative Abänderung.
1 comment