Nach andern Zitaten in Godron’s Werk ,Sur l’Espèce‘ scheint es, dass Bory St.-Vincent, Burdach, Poiret und Fries alle eine fortwährende Erzeugung neuer Arten angenommen haben. – Ich will noch hinzufügen, dass von den 34 Autoren, welche in dieser historischen Skizze als solche aufgezählt werden, die an eine Abänderung der Arten oder wenigstens nicht an getrennte Schöpfungsakte glauben, 27 über spezielle Zweige der Naturgeschichte oder Geologie geschrieben haben.
Über das Variieren organischer Wesen im Naturzustande; über die natürlichen Mittel der Zuchtwahl; über den Vergleich zwischen domestizierten Rassen und echten Arten
Teil eines Kapitels mit obiger Überschrift aus einem nicht veröffentlichten Werke über die Art (dem ersten Entwurf des vorliegenden skizziert 1839, ausgeführt 1844); vorgelesen Juni 1858 und mitgeteilt in: Journal of the Prozedings of the Linnean Society. Zoology, Vol. III, 1859. p. 45.
De Candolle hat einmal in beredter Weise erklärt, die ganze Natur sei im Kriege begriffen, ein Organismus kämpfe mit dem andern oder mit der umgebenden Natur. Wenn man das so zufrieden erscheinende Aussehen der Natur betrachtet, so möchte man dies zunächst bezweifeln; Überlegung indes weist es als unwiderleglich wahr nach. Doch ist dieser Krieg nicht fortwährend anhaltend, sondern tritt in kürzeren Zwischenräumen in geringerem Grade, in gelegentlich und nach längerer Zeit wiederkehrenden Perioden heftiger auf, seine Wirkungen werden daher leicht übersehen. Es ist die Lehre von Malthus in den meisten Fällen mit zehnfacher Kraft angewendet. Wie es in einem jeden Klima für alle seine Bewohner verschiedene Jahreszeiten von größerem und geringerem Reichtum an Nahrung gibt, so pflanzen sie sich auch sämtlich jährlich fort; und die moralische Zurückhaltung, welche in einem geringen Grade die Zunahme der Menschheit aufhält, geht gänzlich verloren. Selbst die langsam sich vermehrenden Menschen haben schon ihre Zahl in fünfundzwanzig Jahren verdoppelt, und wenn sie die Nahrung mit größerer Leichtigkeit vermehren könnten, so würden sie ihre Zahl in einer noch kürzeren Zeit verdoppeln. Bei Tieren aber, welche keine künstlichen Mittel, die Nahrung zu vermehren, besitzen, muss der Betrag an Nahrung für jede Spezies im Mittel konstant sein, während die Zahlenzunahme aller Organismen geometrisch zu werden neigt, in einer ungeheuern Majorität der Fälle sogar in einem enormen Verhältnis. Man nehme an, dass an einem bestimmten Orte acht Vogelpaare leben, und dass nur vier Paare davon jährlich (mit Einschluss doppelter Bruten) nur vier Junge aufziehen, und dass diese in demselben Verhältnise gleichfalls Junge aufziehen, dann werden nach Verlauf von sieben Jahren (ein kurzes Leben für jeden Vogel, aber mit Ausschluss gewaltsamer Todesursachen) 2048 Vögel anstatt der ursprünglichen sechzehn vorhanden sein. Da diese Zunahme völlig unmöglich ist, so müssen wir schließen, entweder dass Vögel auch nicht annähernd die Hälfte ihrer Jungen aufziehen oder dass die mittlere Lebensdauer eines Vogels, in Folge von Unglücksfällen, auch nicht annähernd sieben Jahre beträgt. Wahrscheinlich wirken beide Hemmnisse zusammen. Dieselbe Art von Berechnung auf alle Pflanzen und Tiere angewandt, ergibt mehr oder weniger auffallende Resultate, aber in sehr wenig Fällen auffallender als beim Menschen.
Viele praktische Beispiele dieser Tendenz zu einer rapiden Vermehrung sind beschrieben worden; unter diesen findet sich die außerordentliche Menge gewisser Tiere während gewisser Jahre; als z. B. während der Jahre 1826 bis 1828 in La Plata in Folge einer Dürre einige Millionen Rinder umkamen, wimmelte faktisch das ganze Land von Mäusen. Ich glaube nun, es lässt sich nicht bezweifeln, dass während der Brut-Zeit sämtliche Mäuse (mit Ausnahme einiger weniger im Überschuß vorhandener Männchen und Weibchen) sich gewöhnlich paaren; diese erstaunliche Zunahme während dreier Jahre muss daher dem Umstande zugeschrieben werden, dass eine größere Zahl als gewöhnlich das erste Jahr überlebt und sich dann fortpflanzt, und so fort bis zum dritten Jahr, wo dann ihre Zahl durch den Wiedereintritt nassen Wetters in ihre gewöhnlichen Grenzen gebracht wurde. Wo der Mensch Pflanzen und Tiere in ein neues und günstiges Land eingeführt hat, da ist häufig, wie viele Schilderungen es ergeben, in überraschend wenig Jahren das ganze Land von ihnen bevölkert worden. Diese Zunahme würde natürlich aufhören, sobald das Land vollständig bevölkert wäre; und doch haben wir allen Grund zur Annahme, dass nach dem, was wir von wilden Tieren wissen, sich sämtliche Arten im Frühjahr paaren würden. In der Mehrzahl der Fälle ist es äußerst schwierig, sich vorzustellen, in welche Zeit die Hemmnisse fallen, – obschon dies ohne Zweifel meist die Samen, Eier und Junge trifft; wenn wir uns aber erinnern, wie unmöglich es selbst beim Menschen (der doch so viel besser gekannt ist, als irgend ein anderes Tier) ist, aus wiederholten zufälligen Beobachtungen zu schließen, welches die mittlere Lebensdauer ist oder den verschiedenen Prozentsatz der Todesfälle und Geburten in verschiedenen Ländern aufzufinden, so darf uns das nicht überraschen, dass wir nicht im Stande sind, aufzufinden, wo bei jedem Tier und bei jeder Pflanze die Hemmnisse eintreten. Man muss sich beständig daran erinnern, dass in den meisten Fällen die Hemmnisse in einem geringen, regelmäßigen Grade jährlich und in äußerst starkem Grade, im Verhältnis zur Constitution des in Frage stehenden Wesens, während ungewöhnlich warmer, kalter, trockner oder feuchter Jahre wiederkehren. Man vermindere irgend ein Hemmnis im allergeringsten Grade und die geometrischen Zunahmeverhältnise von jedem Organismus werden beinahe augenblicklich die Durchschnittszahl der begünstigten Spezies vergrößern. Die Natur kann mit einer Fläche verglichen werden, auf welcher zehntausend scharfe, sich einander berührende Keile liegen, welche durch beständige Schläge nach innen getrieben werden. Um sich diese Ansicht vollständig zu vergegenwärtigen, ist viel Nachdenken erforderlich. Malthus ,über den Menschen‘ sollte studiert und alle solche Fälle wie von den Mäusen in La Plata, von den Rindern und Pferden bei ihrer ersten Verwilderung in Süd-Amerika, von den Vögeln nach der oben angestellten Berechnung u. s. w. sollten eingehend betrachtet werden. Man überlege sich nur das enorme Vervielfältigungsvermögen, was bei allen Tieren angeboren und jährlich in Tätigkeit ist; man bedenke die zahllosen Samen, welche durch hundert sinnreiche Einrichtungen Jahr auf Jahr über die ganze Oberfläche des Landes zerstreut werden; und doch haben wir allen Grund zu vermuten, dass der durchschnittliche Prozentsatz aller der Bewohner einer Gegend gewöhnlich konstant bleibt. Man erinnere sich endlich noch daran, dass diese mittlere Zahl von Individuen (so lange die äußeren Lebensbedingungen dieselben bleiben) in jedem Lande durch immer wiederkehrende Kämpfe gegen andere Arten oder gegen die umgebende Natur erhalten wird (wie z. B. an den Grenzen der arktischen Regionen, wo die Kälte die Verbreitung des Lebens hemmt), und dass gewöhnlich jedes Individuum jeder Spezies entweder durch sein eigenes Kämpfen und die Fähigkeit, auf irgend eine Periode seines Lebens vom Eie an aufwärts sich Nahrung zu verschaffen, oder durch das Kämpfen seiner Eltern (bei kurzlebigen Organismen, wo ein größeres Hemmnis erst nach längeren Intervallen wiederkehrt) mit andern Individuen derselben oder verschiedener Spezies seinen Platz behauptet.
Wir wollen aber nun annehmen, dass die äußern Bedingungen in einer Gegend sich ändern.
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