Aber ihr Gesicht
War wundervoll gemischt mich zu ergreifen:
Mit Lidern, die ich kenne, deren Anblick
In mir Erinnerungen löste, wie
Ein Licht in einem Abgrund, oder Lippen
So fein gezogen, doch so süß geschwellt
Wie ich sie nie gesehen und über alles
Verlangend wär zu sehn, auch nur zu sehen!
Ich konnte alles sehn, die Blitze kamen
So oft wie einer mit den Wimpern zuckt.
Mit dieser war ich nun allein, doch nicht
Allein, drei Schritte hinter meinem Rücken
Stand mit der Kette um die dicken Hörner,
Mit wilden Augen, ungeheurem Nacken
Ein Stier, die Kette hielt ein Knecht dreimal
Um seinen Arm gewunden. Dieser Knecht
War klein und stämmig und mit rotem Haar.
Und weiter vorne, wo die schwere Plätte
Mit unbehau'nen Platten roten Steins
Beladen war, saß noch ein andrer Gast:
Erinnerst du dich des blödsinnigen
Zerlumpten Hirten, der einmal beim Reiten
Mit gellendem Geschnatter aus der Hecke
Vorspringend uns die Pferde so erschreckte?
Der wars, nur noch viel größer und viel wilder,
Und von den Lippen floß ihm so wie jenem
Die wirre Rede wie ein wütend Wasser
In einer Sprache, deren Laute gurgelnd
Einander selbst erwürgten. Und ich wußte –
Ich wußte wieder! – Rätisch redet der,
Ist aus den Wäldern, wo sie Rätisch reden,
Und immerfort verstand ich was er meinte.
Er gab mir Rätsel auf, er schrie: Wo sind
Die tausend Jungfern, mehr als tausend Jungfern,
Weihwasser geben sie einander, wo?
Und sonderbar, in diesem Augenblick
Triebs uns am Ufer hin, dort hing ein Haus
Mit fahlen Mauern hart am jähen Ufer,
Von dessen steilem Schindeldach der Regen
Herunterschoß, da wußte ich sogleich:
Die Schindeln meinte er. Dann fing er an
Und sprach die Zaubersprüche, die sie haben
Ihr Vieh zu schützen, doch ich hörte ihm
Schon nicht mehr zu und könnt ihn auch nicht sehen.
Die Blitze hatten aufgehört, der Sturm
War nicht so laut, doch nunmehr trieben wir
Mit einer so entsetzlichen Gewalt,
Daß nicht mehr Stampfen, nur das dumpfe Schleifen
Durchs Wasser hin zu hören war, und plötzlich
Sah ich vor uns aus der pechschwarzen Nacht
Ein graues riesiges Gebild, ich wußte,
Es waren Wolken, aber gleich dahinter
Die Klippen, wußte, Wirbel sind zur Linken,
Die Spitze aber rechts, hier wendet sichs,
Weil sich der See verengt und in das Bette
Des Flusses wild hinunter will. Ich schrie:
Nach links! Die Knechte lachten, kam mir vor.
Ich warf den Dolch nach ihnen, pfeifend flog er
Und schnitt dem einen hart am Ohr vorbei,
Sie stemmten sich nach rechts, das Schiff ging links
Und fing zu drehen an, da hub der Stier
Zu stampfen an und schlug mit seinen Hufen
Den Rand des Schiffes und er brüllte dröhnend,
Indes der Hirt ein wunderliches Lied
Anfing mit einem Abzählreim, so wie's
Die Kinder machen, und der Reim ging aus
Auf mich. Indessen weiter trieben wir
Und es war heller, kam mir vor, wir trieben
In einem tiefen eingerißnen Tal,
Ich fühlte, daß es nur der Anfang war ...
Was jetzt kommt ging in einem, schneller als
Ich es erzählen kann, ging alles dies
Und tausend Dinge mehr noch durcheinander
Und dauerte doch endlos lang, begann
An jeder Klippe, jeder Biegung neu;
Ich wußte immerfort, das Gleiche war
Ja schon einmal, das hab ich schon erlebt
Und dennoch warfs der Abgrund immer neu
Und immerfort verändert wieder aus.
Die Strömung riß uns hin, zuweilen kam
Aus einem Seitental ein jäher Wind
Und immer schneller lief es zwischen Felsen.
Mit welchen Sinnen ich den Weg erriet,
Die Plätte in dem tiefen Streif zu halten,
Kaum breiter als sie selbst, das weiß ich nicht,
Denn alle Sinne waren überwach,
So überschwemmt vom Leben wie ichs nicht
Dir sagen kann ...
Ich konnte mit geschlossenen Augen fühlen
Den Weg im Wasser, den wir nehmen mußten.
Ich wußte, welchen feuchten Pfad die Aale
Hinglitten, wenn sie sich aus dem Getöse
Zu flüchten eine still geschloßne Bucht
Mit flachem Ufer suchen. Alle Schwärme
Der schattenhaft hingleitenden Forellen
Fühlt ich hinan die klaren Bäche steigen
Bis an die Falten des Gebirges, fühlen
Könnt ich ihr Gleiten über freigespültes
Hier rot hier weißlich schimmerndes Gestein ...
Die Lager wußt ich, tiefer als die Wurzeln
Der starken Eichen, wo im weichen Ton
Ein Glimmerndes mit funkelnden Granaten
Im tiefen Bette eingewühlt da liegt,
Wie schöne Mäntel eingesunkener Schläfer.
Dem Wind, wenn er mich anblies, fühlt ich an,
Ob er hervorgeflogen aus dem Dickicht
Der Lärchen war, ob von den leeren Halden
Und weißen Brüchen nackter harter Steine.
Und unaufhörlich, wenn bei mir im Schiff
Der Stier mit vorgestreckten Nüstern brüllte,
So spürte ich, wie auf den fernen Triften
Im dunkelsten Gebirg die jungen Kühe
Sich auf die Knie erhoben, völlig dann
Auf ihre Füße sprangen und durchs Dunkel
Hinliefen und die Luft der Nacht einsogen.
Indessen war der Fluß, auf dem wir fuhren,
Breiter geworden und ein Tag brach an
Von so ersticktem Halblicht wie der Tag
Aussehen mag am Grund von tiefem Wasser.
Am Ufer waren Bauten: starke Mauern
In breiten Stufen, welche Bäume trugen.
Von diesen wußt ich alles: jeden Stein,
Wie er gebrochen war und wie gefügt,
Und spürte, wie die andern auf ihm lagen,
Und wie du deine Hände spürst, wenn du sie
Ins Wasser hältst, so spürte ich die Schatten
Der Tausende von Händen, die einmal
Hier Steine schichteten und Mörtel trugen,
Von Tausenden von Männern und von Frauen
Die Hände, manche von ganz alten Männern,
Von Kindern manche, spürte wie sie schwer
Und müde wurden und wie eine sich
Schlafsüchtig öffnete und ihre Kelle
Zu Boden fallen ließ und dann erstarrte
Im letzten Schlaf. Und unter meinen Füßen
Die Fische und auf ihren feuchten Triften
Die jungen Kühe, die den Boden stampften,
Auf stundenweiten Triften, und der Wind,
Von dem ich wußte wie er kam und ging,
Und neben mir der Narr mit wildem Mund!
Er schwieg nicht einen Augenblick: Ja ja,
Schrie er einmal, die Frauen und die Pferde,
Die wissen nicht, wo sich die Grube heben,
Ein Mann der weiß sein Grab, der weiß sein Grab.
Dann kam viel vor vom Volk und Zorn des Volkes
Und tausend andres und ich wußte alles,
Und immerfort bei allen seinen Reden,
Dem fremden wirren Zeug, war mir, als ob sichs
Auf mich bezöge und mein Leben. Und
Auch jene namenlosen andern Dinge
Im Wasser, an den Ufern, in der Luft
Bezogen sich auf mich und diese Frau,
Die mir zu Füßen schlief, und wie ihr Anblick
Mir durch den Leib schnitt gleich sehnsüchtger Lust,
So griffen unaufhörlich diese Reden
Des Narren, ja die Fische, die sich schnellten,
Die schattenhaften Hände, die dort bauten,
Die Tiere, die verlangend brüllten, in mich
Hinein und lösten dunkle Teile los
In meinem Innern und entbanden Schauer
Völlig vergessener Tage, schwankende
Durchblicke, namenlose Möglichkeiten. –
Dich schwindelt schon, und doch, indem ich rede,
Fühl ich als rieselte es ab von mir,
Und wenig ist es, unaufhörlich gehts
Verloren, ist fast nichts, was ich erzähle!
Wie wenn sich einer, aus den stärksten Wellen
Des wilden Bades tauchend, einen Zweig
Umklammernd schnell ans Ufer hebt und steht
In Wind und Sonne, so ist es mit dem
Verglichen, was ich träumte.
Wie lang dies dauerte, das weiß ich nicht;
Nur unaufhörlich wars, wie aus dem Berge
Ein Wasserfall. Wir legten dann einmal
An einem öden Ufer an und dort
So gegen Abend stieg der mit dem Stier
Hinaus und trieb sein Tier hinein ins Land,
Doch weiß ich nicht, war dies am ersten Abend,
Denn eine zweite Nacht kam jedenfalls
Noch wunderbarer als die erste, denn
Der Wind fing wieder an, doch zwischen Wolken,
Seltsamen Wolken, hingen da und dort
Die Sterne, und durch dies Gewebe bebte
Ein sanftes Blitzen von grüngoldnem Licht.
Auch der verrückte Hirte muß uns dann
Verlassen haben, denn am Ende, weiß ich,
War er nicht da und auch die Knechte nicht,
Das Schiff glitt lautlos hin, ich hatte leicht
Die eine Hand am Steuerruder liegen,
So trieben wir noch einen solchen Tag
Mit halbem fahlem Licht wie unterm Wasser,
Und immer bebten meine Pulse voll
Mit allem Lebenden der ganzen Landschaft.
Dann kam ein Abend ... oder wars ein Morgen?
Rings lag ein Nebel, doch ein lichter Nebel,
Ein Morgen muß es doch gewesen sein,
Da bog der Fluß sich um und eine Mulde
Lag an dem einen Ufer und ein Gitter
Von einem Garten lief bis an das Wasser,
Und ungewiß im Nebel wie der Eingang
Zu einer Höhle tat der runde Mund
Von einem großen Laubengang sich auf.
Im Nebel gingen Menschen hin und her,
Ein Diener lief herab und schrie: Er ists!
Die andern kamen, Freunde, alle Freunde,
Auch du, auftauchend aus dem dichten Nebel
Wie Schwimmer und dahinter liebe Bäume,
Die Bäume meines Hauses und der Gang,
Der offne Bogengang von meinem Haus,
Und wie sich alle diese lieben Hände
Vom Ufer auf den Rand der Plätte legten,
Da dehnte sich die liebliche Gestalt,
Die mir zu Füßen lag, so wie ein Kind
Vor dem Erwachen; ja sie hatte sich
Die letzte Nacht gewendet, daß sie jetzt
Mit dem Gesicht auf beiden Händen lag.
Nun fühlte ich mit einem grenzenlosen
Entzücken, wie der starre Schlaf sie ließ,
Das Leben fühlte ich durch zarte Schultern
Zum Nacken hin und in die Kehle fließen
Und wie es nach den Hüften niederlief:
Und wiederum war alles dies zugleich: –
Dies Fühlen, das mir ihren jungen Leib
In mich hinein so legte wie in eine
Bewußte fühlende belebte Gruft,
Und wundervolles anderes Bewußtsein
Von eurer Nähe, aller meiner Freunde.
Und wie mein alter Diener neben dir
Mit einer Stimme, die von Regung bebte,
Dies flüsterte: Nach zweiundsiebzig Stunden
Ist er zurück! da fühlte ich das Beben
In meiner eigenen Kehle, und im Innern
Empfand ich dein Gefühl, mit dem dus hörtest,
Und bückte mich mit mehr als trunkenen Händen,
Die Schultern der Erwachenden empor
Zu ziehn, da werd ich selber an den Schultern
Emporgezogen und – bin wach! um mich
Die Freunde, denen ich das Stück gelesen,
Du nicht natürlich, und sie hielten mich,
Denn ich war vorgesunken auf dem Stuhl,
Wie einer, der sich bückt, was aufzuheben.
In meinen Augen war noch zu viel Traum,
In meinen Ohren hatt ich noch das Wort
Von meinem Diener: Zweiundsiebzig Stunden,
Und fragte nur: So seid ihr schon zurück?
Sie waren noch nicht fortgewesen, nur
Im Nebenzimmer wieder umgekehrt,
Mich mitzunehmen. Nicht so viele Zeit
Als einen Krug zu füllen unterm Brunnen,
Und diese Fahrt! Ich nahm es für ein Zeichen,
Für eine dumpfe Widerspiegelung
Des andern traumerfüllten Einsamseins,
Das wirklich zweiundsiebzig Stunden währte.
Zwar wirklich? haben wir ein Maß für wirklich? ...
Du meinst, es war auch ein Bild im Einzelnen?
Ein großes Gleichnis? Nun, kann sein, auch nicht!
Gleichviel, bei solchem Treiben der Natur
Ist eine tiefre Bildlichkeit im Spiel,
Denn ihr ist alles Bild und alles Wesen.
Allein es war ein Wink: sie gibt das Leben
Von tausend Tagen wenn sie will zurück,
Indessen du dich bückst um eine Frucht.
Nun müssen wir wohl gehn, ich hör schon rückwärts,
Wie sie zusammenstellen Haus und Garten
Aus Holz und Leinwand, Schatten eines Traumes! –
Es war mir beinah lieber, wenn nicht Menschen
Dies spielen würden, sondern große Puppen,
Von einem ders versteht gelenkt an Drähten.
Sie haben eine grenzenlose Anmut
In ihren aufgelösten leichten Gliedern
Und mehr als Menschen dürfen sie der Lust
Und der Verzweiflung selber sich hingeben
Und bleiben schön dabei. Da müßte freilich
Ein dünner Schleier hängen vor der Bühne.
Auch anderes Licht. Doch komm, wir müssen gehen.
Personen.
Messer Braccio.
Madonna Dianora.
Die Amme.
Die Gartenseite eines ernsten lombardischen Palastes. Rechts die Wand des Hauses, welche einen stumpfen Winkel mit der den Hintergrund bildenden mäßig hohen Gartenmauer umschließt. Das Haus besteht bis zur anderthalbfachen Manneshöhe aus unbehauenen Quadern. Dann kommt ein kahler Streif, dann ein Marmorsims, der sich unter jedem Fenster zu einer Medaille mit dem halberhabenen Gesicht eines ruhigen Löwen erweitert. Man sieht zwei Fenster, jedes hat einen kleinen eckigen Balkon, dessen Steingeländer nach vorne Spalten hat, so daß man die Füße der Menschen sieht, die in diesen Erkern stehen. In beiden Fenstern ist ein Vorhang gegen das dahinterliegende Zimmer. Der Garten ist nur ein Rasenplatz mit ungeordneten Obstbäumen. Die Ecke zwischen Mauer und Haus ist mit dunklem Buchsgesträuch angefüllt. Die linke Seite der Bühne bildet eine dichte Weinlaube, von Kastanienbäumen getragen; man sieht nur ihren Eingang, sie verläuft schief nach links rückwärts. Auch gegen den Zuschauer hin ist der Garten verlaufend zu denken. Hinter der rückwärtigen Mauer befindet sich (für den Zuschauer auf der Galerie) ein schmaler Weg, dahinter die Mauer des Nachbargartens, der zu keinem Haus zu gehören scheint. Und im Nachbargarten und weiter
rückwärts, so weit man sieht, nichts als die Wipfel unregelmäßig stehender Obstbäume, angefüllt mit Abendsonne.
MADONNA DIANORA am rückwärtigen Fenster.
Ein Winzer ists und noch der letzte nicht,
noch nicht der letzte, der vom Hügel steigt!
Da sind noch ihrer drei, und da, und dort ...
So hast du denn kein Ende, heller Tag?
Wie hab ich dir die Stunden aus den Händen
gewunden, aus den halbgeöffneten,
und sie zerbröckelt und die kleinen Stücke
hineingeworfen in ein treibend Wasser,
wie ich jetzt mit zerrißnen Blüten tu.
Wie hab ich diesen Morgen fortgeschmeichelt!
Ein jedes Armband, jedes Ohrgehäng
nun eingehängt, nun wieder abgelegt,
und wiederum genommen, oder dann
doch wieder abgelegt und ganz vertauscht.
Und einen schweren Schwall von klarem Wasser
im Bade durch mein Haar und langsam dann,
ganz langsam ausgewunden und dann langsam
mit stillen, steten Schritten auf und ab
den schmalen Mauerweg dort in der Sonne:
doch wars noch immer feucht: es ist so dicht.
Dann suchte ich im Laubengang nach Nestern
mit jungen Meisen: leiser als ein Lufthauch
bog ich die schwanken Reben auseinander
und saß im bebenden Gebüsch und fühlte
auf meinen Wangen, auf den Händen wandern,
unsäglich langsam wandern mit den Stunden
die kleinen Flecken von erwärmtem Licht
und schloß die Augen halb und konnt es fast
für Lippen nehmen, die so wanderten.
Doch kommen Stunden, wo all der Betrug
nichts fruchtet, wo ich nichts ertragen kann,
als in der Luft dem Rudern wilder Gänse
mit hartem Blick zu folgen oder mich
zu beugen auf ein wildes schnelles Wasser,
das meinen schwachen Schatten mit sich reißt.
Geduldig will ich sein, ich bin es ja:
Madonna! einen hohen steilen Berg
will ich hinaufgehn und bei jedem Schritt
mich niederknieen und den ganzen Berg
abmessen hier mit dieser Perlenschnur,
wenn dieser Tag nur schnell hinuntergeht!
Denn er ist gar zu lang, ich meß ihn schon
mit tausendfachen kleinen Ketten ab;
nun red ich wie im Fieber vor mich hin,
nur statt die Blätter wo am Baum zu zählen,
und bin schon wieder viel zu früh am End! ...
Ja, da! Der Alte ruft den Hund herein!
So liegt sein kleiner Garten schon im Schatten:
er fürchtet sich und sperrt sich ein, allein!
Für ihn ist jetzt schon Nacht, doch freuts ihn nicht.
Nun gehen auch die Mädchen nach dem Brunnen:
von jeder kenn ich jetzt schon ganz die Weise,
wie sie den Träger mit den leeren Eimern
abnimmt. – Die letzte ist die hübscheste ...
Was tut der Mensch, ein fremder Mensch, am Kreuzweg?
Der geht wohl heut noch weit; er hebt den Fuß
auf einen Stein und nimmt die Tücher ab,
in die der Fuß gewickelt ist, – ein Leben!
Ja, zieh dir aus der Sohle nur den Dorn,
denn du mußt eilen, eilen müssen alle;
hinunter muß der fieberhafte Tag
und dieser Flammenschein von unsern Wangen.
O was uns stört und was uns lastet, fort!
Fort wirf den Dorn, ins Feld, wo in den Brunnen
das Wasser bebt und Büschel großer Blumen
der Nacht entgegenglühn; ich streif die Ringe
von meiner Hand, und die entblößten Finger
sind froh wie nackte Kinder, die des Abends
zum Bach hinunter dürfen, um zu baden. –
Nun geben sie vom Brunnen, nur die letzte
verweilt sich noch ... Wie schönes Haar sie hat;
allein was weiß sie, was sie daran hat!
Sie ist wohl eitel drauf, doch Eitelkeit
ist nur ein armes Spiel der leeren Jahre:
Einmal, wenn sie hinkommt, wo ich jetzt bin,
wird sies liebhaben, wird es über sich
hinfallen fühlen, wie ein Saitenspiel
mit leisem Flüstern und dem Nachgefühl
geliebter Finger fiebernd angefüllt.
Sie löst ihr Haar auf und läßt es links und rechts nach vorne fallen.
Was wollt ihr hier bei mir? Hinab mit euch!
Ihr dürft entgegen! Wenn es dunkel ist
und seine Hand sich an der Leiter hält,
wird sie auf einmal statt der leeren Luft
und kühler fester Blätter hier vom Buchs
euch spüren, leiser als den leichten Regen,
der abends fällt aus dünnen goldnen Wolken.
Läßt das Haar über die Brüstung hinabfallen.
Seid ihr so lang und reicht doch nicht ein Drittel
des Weges, rührt mit euren Spitzen kaum
dem Löwen an die kalten Marmornüstern!
Sie lacht, hebt sich wieder.
Ah! eine Spinne! Nein, ich schleudre dich
nicht weg, ich leg die Hand nun wieder still
hier aufs Geländer, und du findest weiter
den Weg, den du so eifrig laufen willst.
Wie sehr bin ich verwandelt, wie verzaubert!
Sonst hätt ich nicht die Frucht berührt im Korb,
war nur am Rand des Korbes dies gelaufen:
nun nimmst du deinen Weg auf meiner Hand,
und mich in meiner Trunkenheit erfreuts.
Ich könnte gehn am schmalen Rand der Mauer
und würd so wenig schwindlig als im Garten.
Fiel' ich ins Wasser, mir wär wohl darin:
mit weichen, kühlen Armen fing's mich auf,
und zwischen schönen Lauben glitt' ich hin
mit halbem Licht und dunkelblauem Boden
und spielte mit den wunderlichen Tieren,
goldflossig und mit dumpfen guten Augen.
Ja, müßt ich meine Tage eingesperrt
in einem halbverfallenen Gemäuer
im dicken Wald verbringen, war mir doch
die Seele nicht beengt, es kämen da
des Waldes Tiere, viele kleine Vögel,
und kleine Wiesel rührten mit der Schnauze
und mit den Wimpern ihrer klugen Augen
die Zehen meiner nackten Füße an,
indessen ich im Moos die Beeren äße!
... Was raschelt dort? Der Igel ists, der Igel
vom ersten Abend! Bist du wieder da,
trittst aus dem Dunkel, gehst auf deine Jagd?
Ja! Igel, käm nur auch mein Jäger bald!
Aufschauend.
Nun sind die Schatten fort, die Schatten alle:
die von den Pinien, die von den Mauern,
die von den kleinen Häusern dort am Hügel,
die großen von den Weingerüsten, der
vom Feigenbaum am Kreuzweg, alle fort,
wie aufgesogen von der stillen Erde!
Nun ist es wirklich Nacht, nun stellen sie
die Lampe auf den Tisch, nun drängen sich
im Pferch die Schafe fester aneinander,
und in den dunklen Ecken der Gerüste,
wo sich die dichten Weingewinde treffen,
da hocken Kobolde mit einem Leib
wie hübsche Kinder, doch boshaften Seelen,
und auf den Hügeln treten aus der Lichtung
vom Wald die guten Heiligen heraus
und schauen hin, wo ihre Kirchen stehen,
und freun sich an den vielen Kapellen.
Nun, süßes Spielzeug, darfst du auch heraus,
feiner als Spinnweb, fester als ein Panzer!
Sie befestigt ein Ende der seidenen Strickleiter an einem Eisenhaken innen am Boden des Balkons.
Nun tu ich so als wär es höchste Zeit,
und lasse dich hinab in meinen Brunnen,
mir einen schönen Eimer aufzuziehn!
Sie zieht die Strickleiter wieder herauf.
Nun ist es Nacht: und kann so lange noch,
so endlos lang noch dauern, bis er kommt!
Ringt die Finger.
Kann!
Mit leuchtenden Augen.
Aber muß nicht! aber freilich kann ...
Sie macht in ihre Haare einen Knoten.
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