Die linke Seite der Bühne bildet eine dichte Weinlaube, von Kastanienbäumen getragen; man sieht nur ihren Eingang, sie verläuft schief nach links rückwärts. Auch gegen den Zuschauer hin ist der Garten verlaufend zu denken. Hinter der rückwärtigen Mauer befindet sich (für den Zuschauer auf der Galerie) ein schmaler Weg, dahinter die Mauer des Nachbargartens, der zu keinem Haus zu gehören scheint. Und im Nachbargarten und weiter

rückwärts, so weit man sieht, nichts als die Wipfel unregelmäßig stehender Obstbäume, angefüllt mit Abendsonne.

 

MADONNA DIANORA am rückwärtigen Fenster.

Ein Winzer ists und noch der letzte nicht,

noch nicht der letzte, der vom Hügel steigt!

Da sind noch ihrer drei, und da, und dort ...

So hast du denn kein Ende, heller Tag?

Wie hab ich dir die Stunden aus den Händen

gewunden, aus den halbgeöffneten,

und sie zerbröckelt und die kleinen Stücke

hineingeworfen in ein treibend Wasser,

wie ich jetzt mit zerrißnen Blüten tu.

Wie hab ich diesen Morgen fortgeschmeichelt!

Ein jedes Armband, jedes Ohrgehäng

nun eingehängt, nun wieder abgelegt,

und wiederum genommen, oder dann

doch wieder abgelegt und ganz vertauscht.

Und einen schweren Schwall von klarem Wasser

im Bade durch mein Haar und langsam dann,

ganz langsam ausgewunden und dann langsam

mit stillen, steten Schritten auf und ab

den schmalen Mauerweg dort in der Sonne:

doch wars noch immer feucht: es ist so dicht.

Dann suchte ich im Laubengang nach Nestern

mit jungen Meisen: leiser als ein Lufthauch

bog ich die schwanken Reben auseinander

und saß im bebenden Gebüsch und fühlte

auf meinen Wangen, auf den Händen wandern,

unsäglich langsam wandern mit den Stunden

die kleinen Flecken von erwärmtem Licht

und schloß die Augen halb und konnt es fast

für Lippen nehmen, die so wanderten.

Doch kommen Stunden, wo all der Betrug

nichts fruchtet, wo ich nichts ertragen kann,

als in der Luft dem Rudern wilder Gänse

mit hartem Blick zu folgen oder mich

zu beugen auf ein wildes schnelles Wasser,

das meinen schwachen Schatten mit sich reißt.

Geduldig will ich sein, ich bin es ja:

Madonna! einen hohen steilen Berg

will ich hinaufgehn und bei jedem Schritt

mich niederknieen und den ganzen Berg

abmessen hier mit dieser Perlenschnur,

wenn dieser Tag nur schnell hinuntergeht!

Denn er ist gar zu lang, ich meß ihn schon

mit tausendfachen kleinen Ketten ab;

nun red ich wie im Fieber vor mich hin,

nur statt die Blätter wo am Baum zu zählen,

und bin schon wieder viel zu früh am End! ...

Ja, da! Der Alte ruft den Hund herein!

So liegt sein kleiner Garten schon im Schatten:

er fürchtet sich und sperrt sich ein, allein!

Für ihn ist jetzt schon Nacht, doch freuts ihn nicht.

Nun gehen auch die Mädchen nach dem Brunnen:

von jeder kenn ich jetzt schon ganz die Weise,

wie sie den Träger mit den leeren Eimern

abnimmt. – Die letzte ist die hübscheste ...

Was tut der Mensch, ein fremder Mensch, am Kreuzweg?

Der geht wohl heut noch weit; er hebt den Fuß

auf einen Stein und nimmt die Tücher ab,

in die der Fuß gewickelt ist, – ein Leben!

Ja, zieh dir aus der Sohle nur den Dorn,

denn du mußt eilen, eilen müssen alle;

hinunter muß der fieberhafte Tag

und dieser Flammenschein von unsern Wangen.

O was uns stört und was uns lastet, fort!

Fort wirf den Dorn, ins Feld, wo in den Brunnen

das Wasser bebt und Büschel großer Blumen

der Nacht entgegenglühn; ich streif die Ringe

von meiner Hand, und die entblößten Finger

sind froh wie nackte Kinder, die des Abends

zum Bach hinunter dürfen, um zu baden. –

Nun geben sie vom Brunnen, nur die letzte

verweilt sich noch ... Wie schönes Haar sie hat;

allein was weiß sie, was sie daran hat!

Sie ist wohl eitel drauf, doch Eitelkeit

ist nur ein armes Spiel der leeren Jahre:

Einmal, wenn sie hinkommt, wo ich jetzt bin,

wird sies liebhaben, wird es über sich

hinfallen fühlen, wie ein Saitenspiel

mit leisem Flüstern und dem Nachgefühl

geliebter Finger fiebernd angefüllt.

 

Sie löst ihr Haar auf und läßt es links und rechts nach vorne fallen.

 

Was wollt ihr hier bei mir? Hinab mit euch!

Ihr dürft entgegen! Wenn es dunkel ist

und seine Hand sich an der Leiter hält,

wird sie auf einmal statt der leeren Luft

und kühler fester Blätter hier vom Buchs

euch spüren, leiser als den leichten Regen,

der abends fällt aus dünnen goldnen Wolken.

 

Läßt das Haar über die Brüstung hinabfallen.

 

Seid ihr so lang und reicht doch nicht ein Drittel

des Weges, rührt mit euren Spitzen kaum

dem Löwen an die kalten Marmornüstern!

 

Sie lacht, hebt sich wieder.

 

Ah! eine Spinne! Nein, ich schleudre dich

nicht weg, ich leg die Hand nun wieder still

hier aufs Geländer, und du findest weiter

den Weg, den du so eifrig laufen willst.

Wie sehr bin ich verwandelt, wie verzaubert!

Sonst hätt ich nicht die Frucht berührt im Korb,

war nur am Rand des Korbes dies gelaufen:

nun nimmst du deinen Weg auf meiner Hand,

und mich in meiner Trunkenheit erfreuts.

Ich könnte gehn am schmalen Rand der Mauer

und würd so wenig schwindlig als im Garten.

Fiel' ich ins Wasser, mir wär wohl darin:

mit weichen, kühlen Armen fing's mich auf,

und zwischen schönen Lauben glitt' ich hin

mit halbem Licht und dunkelblauem Boden

und spielte mit den wunderlichen Tieren,

goldflossig und mit dumpfen guten Augen.

Ja, müßt ich meine Tage eingesperrt

in einem halbverfallenen Gemäuer

im dicken Wald verbringen, war mir doch

die Seele nicht beengt, es kämen da

des Waldes Tiere, viele kleine Vögel,

und kleine Wiesel rührten mit der Schnauze

und mit den Wimpern ihrer klugen Augen

die Zehen meiner nackten Füße an,

indessen ich im Moos die Beeren äße!

... Was raschelt dort? Der Igel ists, der Igel

vom ersten Abend! Bist du wieder da,

trittst aus dem Dunkel, gehst auf deine Jagd?

Ja! Igel, käm nur auch mein Jäger bald!

 

Aufschauend.

 

Nun sind die Schatten fort, die Schatten alle:

die von den Pinien, die von den Mauern,

die von den kleinen Häusern dort am Hügel,

die großen von den Weingerüsten, der

vom Feigenbaum am Kreuzweg, alle fort,

wie aufgesogen von der stillen Erde!

Nun ist es wirklich Nacht, nun stellen sie

die Lampe auf den Tisch, nun drängen sich

im Pferch die Schafe fester aneinander,

und in den dunklen Ecken der Gerüste,

wo sich die dichten Weingewinde treffen,

da hocken Kobolde mit einem Leib

wie hübsche Kinder, doch boshaften Seelen,

und auf den Hügeln treten aus der Lichtung

vom Wald die guten Heiligen heraus

und schauen hin, wo ihre Kirchen stehen,

und freun sich an den vielen Kapellen.

Nun, süßes Spielzeug, darfst du auch heraus,

feiner als Spinnweb, fester als ein Panzer!

 

Sie befestigt ein Ende der seidenen Strickleiter an einem Eisenhaken innen am Boden des Balkons.

 

Nun tu ich so als wär es höchste Zeit,

und lasse dich hinab in meinen Brunnen,

mir einen schönen Eimer aufzuziehn!

 

Sie zieht die Strickleiter wieder herauf.

 

Nun ist es Nacht: und kann so lange noch,

so endlos lang noch dauern, bis er kommt!

 

Ringt die Finger.

 

Kann!

 

Mit leuchtenden Augen.

 

Aber muß nicht! aber freilich kann ...

 

Sie macht in ihre Haare einen Knoten. Währenddem ist die Amme an das vordere Fenster getreten und gießt die roten Blumen, die dort stehen.

 

DIANORA sehr heftig erschreckend.

Wer ist da, wer? ach Amme, du bist es!

So spät hab ich dich hier noch nie gesehen ...

Ist denn etwas geschehn? ...

AMME.

Nichts, gnädige Frau!

Siehst du denn nicht, ich habe meine Blumen

vergessen zu begießen, und am Weg

vom Segen heim fällts mir auf einmal ein,

und da bin ich noch schnell heraufgegangen.

DIANORA.

So gieß nur deine Blumen. Aber, Amme,

wie sonderbar du aussiehst! Deine Wangen

sind rot, und deine Augen glänzen so ...

 

Amme gibt keine Antwort.

 

DIANORA.

Sag, predigt immer noch der Bruder, der ...

AMME kurz.

Ja, gnädige Frau.

DIANORA.

Aus Spanien ist er, sag?

 

Amme gibt keine Antwort. Pause.

 

DIANORA verfolgt ihren eigenen Gedankengang. Sag, Amme, wie war ich als Kind?

AMME. Stolz, gnädige Frau, ein stolzes Kind, nichts als stolz.

DIANORA sehr leise. Wie sonderbar, und Demut ist so süß ... Wie?

AMME. Ich habe nichts gesagt, gnädige Frau ...

DIANORA. Ach so. Sag, mit wem hat er Ähnlichkeit, der spanische Geistliche.

AMME. Er ist anders als die anderen Leute.

DIANORA. Nein, nur so im Aussehen ... Mit meinem Mann, mit dem gnädigen Herrn?

AMME. Nein, gnädige Frau.

DIANORA. Mit meinem Schwager?

AMME. Nein.

DIANORA. Mit Ser Antonio Melzi?

AMME. Nein.

DIANORA. Messer Galeazzo Suardi?

AMME. Nein.

DIANORA.