Er deutet mit dem Fuß und den Augen nach der Leiter. Wer?
Dianora hebt die Achseln, läßt sie langsam wieder fallen.
BRACCIO. Ich weiß es!
Dianora hebt die Achseln, läßt sie langsam wieder fallen. Ihre Zähne sind aufeinandergepreßt.
BRACCIO indem er die Bewegung mit der Hand macht, streift seine Frau nur mit dem Blick, sieht dann wieder in den Garten. Palla degli Albizzi.
DIANORA zwischen den Zähnen hervor.
Wie häßlich auch der schönste Name wird,
Wenn ihn ein Mund ausspricht, dem es nicht ziemt!
Braccio sieht sie an, als ob er reden wollte, schweigt aber wieder. Pause.
BRACCIO. Wie alt bist du?
Dianora schweigt. Pause.
BRACCIO. Fünfzehn und fünf. Du bist zwanzig Jahre alt.
Dianora schweigt.
DIANORA fast schreiend. Meines Vaters Name war Bartholomeus Colleoni ... Du kannst mich ein Vaterunser und den Englischen Gruß sprechen lassen und mich dann töten, aber nicht so stehen lassen wie ein angebundenes Tier!
Braccio sieht sie an wie verwundert, gibt keine Antwort, sieht seine Hand an.
DIANORA fährt langsam rückwärts mit den Händen an ihr Haar, schließt vorne die Ellenbogen, starrt ihn an, läßt die Arme vorne fallen, scheint seinen Plan zu verstehen. Ihre Stimme ist nun völlig verändert, wie eine zum Reißen gespannte Saite. Ich möchte eine Dienerin, die mir Stockend, die Stimme droht ihr abzureißen. vorher die Haare flicht, sie sind verwirrt.
BRACCIO. Du hilfst dir öfter ohne Dienerin.
DIANORA beißt die Lippen zusammen, schweigt, streicht die Haare an den Schläfen zurück; faltet die Hände.
Ich habe keine Kinder. Meine Mutter
hab ich einmal gesehen, bevor sie starb;
der Vater führte mich und meine Schwester
hinein, es war ein strenges hochgewölbtes
Gemach, ich konnte nicht die Kranke sehn,
das Bette war zu hoch, nur eine Hand
hing mir entgegen, und die küßte ich.
Vom Vater weiß ich, daß er einen Harnisch
von grünem Gold mit dunklen Spangen trug
und daß ihm zweie halfen, wenn er morgens
zu Pferde stieg, denn er war schon sehr alt.
Meine Schwester Medea hab ich wenig
gekannt. Sie war kein frohes Kind.
Ihr Haar war dünn, und Stirn und Schläfen schienen
viel älter als der Mund und ihre Hände;
sie hatte immer Blumen in der Hand.
Sei diesen Seelen gnädig, wie der meinen,
und heiß sie freundlich mir entgegenkommen.
Ich kann nicht niederknien, es ist kein Raum.
Braccio steht auf, schiebt seinen Stuhl ins Zimmer, ihr Platz zu machen, sie beachtet ihn nicht.
DIANORA.
Noch eins; laß mich nachdenken: Bergamo,
wo ich geboren ward, das Haus zu Feltre,
wo die Oheime und die Vettern waren ...
Dann setzten sie mich auf ein schönes Pferd
mit einer reichen Decke, meine Vettern
und viele andre ritten neben mir,
und so kam ich hierher, von wo ich jetzt
hingehen soll ...
Sie hat sich zurückgelehnt und sieht über sich die flimmernden Sterne auf dem schwarzen Himmel; schaudert.
Ich wollte etwas andres ...
Sucht.
Von Bergamo, wo sie mich gehen lehrten,
bis hierher, wo ich stehe, hab ich mich
vielfach verschuldet, öfter als ich weiß,
am öftesten durch Hoffart, und ein Mal,
das ich noch weiß, sei für die vielen andern,
die schwerer sind, gebeichtet und bereut:
Als ich
Denkt nach.
drei Tage nach Sankt Magdalena
mit dem hier, meinem Mann, und vielen andern Herrn
nach Haus ritt von der Jagd, lag an der Brücke
ein alter Bettler mit gelähmten Füßen:
Ich wußte, daß er alt und elend war,
auch war etwas in seinen müden Augen,
das meinem toten Vater ähnlich sah ...
Trotzdem! nur weil der welcher neben mir ritt,
die Hand am Zaum von meinem Pferde hatte,
wich ich nicht aus und ließ den scharfen Staub
von meines Pferdes Füßen ihn verschlucken,
ja, ritt so dicht an ihn, daß mit den Händen
er sein gelähmtes Bein wegheben mußte:
dessen entsinn ich mich, und ich bereue es.
BRACCIO.
Der neben dir ritt, hielt dein Pferd am Zaume?
Sieht sie an.
DIANORA erwidert den Blick, versteht ihn, sehr hart.
Ja. Damals so wie öfter. Damals so
wie öfter. Und wie furchtbar selten doch!
Wie dünn ist alles Glück! ein seichtes Wasser:
Man muß sich niederknieen, daß es nur
Bis an die Schultern reichen soll.
BRACCIO.
Wer hat
von meinen Leuten, deinen Dienerinnen
gewußt um diese Dinge?
Dianora schweigt.
Braccio, wegwerfende Handbewegung.
DIANORA.
Falsch, sehr falsch
verstehst du jetzt mein Schweigen. Was weiß ich,
wer darum wußte? Ich habs nicht verhehlt.
Doch meinst du, ich bin eine von den Frauen,
die hinter Kupplerinnen und Bedienten
ihr Glück versteckt, dann kennst du mich sehr schlecht.
Merk auf, merk auf! Einmal darf eine Frau
so sein, wie ich jetzt war, zwölf Wochen lang,
einmal darf sie so sein! Wenn sie vorher
des Schleiers nie bedurfte, ganz gedeckt
vom eignen Stolz, so wie von einem Schild,
darf sie den Schleier einmal auch wegreißen
und Wangen haben, brennend wie die Sonne.
Die's zweimal könnte, wäre fürchterlich;
mich trifft das nicht, du weißts, du mußt es wissen!
Wer es erraten, fragst du mich um das?
Dein Bruder muß es wissen. So wie du,
dein Bruder! so wie du! Frag den, frag den!
Ihre Stimme hat jetzt etwas Sonderbares, fast kindlich Hohes.
Im Juli am Sankt Magdalenentag,
da war Francesco Chieregatis Hochzeit:
das garstige Ding an deiner rechten Hand
ist von dem Tag, und ich weiß auch den Tag.
Wir aßen in den Lauben, die sie haben,
den schönen Lauben an dem schönen Teich:
da saß er neben mir, und gegenüber saß
dein Bruder. Wie sie nun die Früchte gaben
und Palla mir die schwere goldne Schüssel
voll schöner Pfirsiche hinhielt, daß ich
mir nehmen sollte, hingen meine Augen
an seinen Händen und ich sehnte mich,
demütig ihm vor allen Leuten hier
die beiden Hände überm Tisch zu küssen.
Dein Bruder aber, der lang nicht so dumm
wie tückisch ist, fing diesen Blick mit seinem
und muß erraten haben, was ich dachte,
und wurde blaß vor Zorn: da kam ein Hund,
ein großes dunkles Windspiel hergegangen
und rieb den feinen Kopf an meiner Hand,
der linken, die hinunterhing: da stieß
dein dummer Bruder mit gestrecktem Fuß
in Wut mit aller Kraft nach diesem Hund,
nur weil er nicht mit einem harten Dolch
nach mir und meinem Liebsten stoßen konnte.
Ich aber sah ihn an und lachte laut
und streichelte den Hund und mußte lachen.
Sie lacht ein übermäßig helles Lachen, das jeden Augenblick in Weinen oder Schreien übergehen könnte.
Braccio scheint zu horchen.
DIANORA horcht auch, ihr Gesicht hat den Ausdruck der entsetzlichsten Spannung. Bald kann sie es aber nicht ertragen und fängt wieder zu reden an, in einem fast deliranten Ton.
Wer mich nur gehen sah, der mußt es wissen!
Ging ich nicht anders? saß ich nicht zu Pferd
wie eine Selige? ich konnte dich
und deinen Bruder und dies schwere Haus
ansehn, und mir war leicht, als schwebte ich ...
Die vielen Bäume kamen mir entgegen,
mit Sonne drin entgegen mir getanzt ...
Die Wege alle offen in der Luft,
die schattenlosen Wege, überall
ein Weg zu ihm ... Erschrecken war so süß!
Aus jedem dunklen Vorhang konnte er,
aus dem Gebüsch, Gebüsch ...
Die Sprache verwirrt sich ihr vor Grauen, weil sie sieht, daß Braccio den Vorhang hinter sich völlig zuzieht. Ihre Augen sind übermäßig offen, ihre Lippen bewegen sich unaufhörlich.
MESSER BRACCIO in einem Ton, den der Schauspieler finden muß; weder laut noch leise, weder stark noch schwach, aber undurchdringlich.
Kam ich, dein Mann, nun nicht zu dieser Zeit
in dein Gemach, um eine Salbe mir
für meine wunde Hand zu holen – was,
mit Vorsatz, hättest du sodann getan?
DIANORA sieht ihn wirr an, begreift die neuerliche Frage nicht, greift sich mit der rechten Hand an die Stirne, hält ihm mit der linken die Strickleiter hin, schüttelt sie vor seinen Augen, läßt sie ihm vor die Füße fallen (ein Ende bleibt angebunden), schreiend.
Getan? gewartet! so! gewartet, so!
Sie schwingt wie eine Trunkene ihre offenen Arme vor seinem Gesicht, wirft sich dann herum, mit dem Oberleib über die Brüstung, streckt die Arme gegen den Boden; ihr Haar fällt vornüber.
Messer Braccio hat mit einer hastigen Bewegung ein Stück seines Unterärmels abgerissen und um die rechte Hand gewunden. Mit der Sicherheit eines wilden Tieres auf der Jagd faßt er die Leiter, die daliegt wie ein dünner dunkler Strick, mit beiden Händen, macht eine Schlinge, wirft sie seiner Frau über den Kopf und zieht den Leib gegen sich nach oben.
Indessen ist der Vorhang schnell gefallen.
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