Die Hermannsschlacht

Kleist, Heinrich von

Die Hermannsschlacht

 

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Heinrich von Kleist

Die Hermannsschlacht

Ein Drama

Wehe, mein Vaterland, dir! Die Leier, zum Ruhm dir, zu schlagen,

Ist, getreu dir im Schoß, mir, deinem Dichter, verwehrt.

 

 

Personen.

Hermann, Fürst der Cherusker.

 

Thusnelda, seine Gemahlin.

 

Rinold,

Adelhart, , seine Knaben.

 

Eginhardt, sein Rat.

 

Luitgar,

Astolf,

Winfried, , dessen Söhne, seine Hauptleute.

 

Egbert, ein andrer cheruskischer Anführer.

 

Gertrud,

Bertha, , Frauen der Thusnelda.

 

Marbod, Fürst der Sueven, Verbündeter des Hermann.

 

Attarin, sein Rat.

 

Komar, ein suevischer Hauptmann.

 

Wolf, Fürst der Katten.

 

Thuiskomar, Fürst der Sicambrier,

Dagobert, Fürst der Marsen,

Selgar, Fürst der Brukterer, , Mißvergnügte.

 

Fust, Fürst der Cimbern,

Gueltar, Fürst der Nervier,

Aristan, Fürst der Ubier, , Verbündete des Varus.

 

Quintilius Varus, römischer Feldherr.

 

Ventidius, Legat von Rom.

 

Scäpio, sein Geheimschreiber.

 

Septimius.

 

Crassus, römische Anführer.

 

Teuthold, ein Waffenschmidt.

 

Childerich, ein Zwingerwärter.

 

Eine Alraune.

 

Zwei Ältesten von Teutoburg.

 

Drei Cheruskische Hauptleute.

 

Drei Cheruskische Boten.

 

Feldherrn, Hauptleute, Krieger, Volk.

 

 

Erster Akt

 

Szene: Gegend im Wald, mit einer Jagdhütte.

 

Erster Auftritt

Wolf, Fürst der Katten, Thuiskomar, Fürst der Sicambrier, Dagobert, Fürst der Marsen, Selgar, Fürst der Brukterer, und andere treten, mit Pfeil und Bogen, auf.

 

WOLF indem er sich auf den Boden wirft.

Es ist umsonst, Thuskar, wir sind verloren!

Rom, dieser Riese, der, das Mittelmeer beschreitend,

Gleich dem Koloß von Rhodus, trotzig,

Den Fuß auf Ost und Westen setzet,

Des Parthers mut'gen Nacken hier,

Und dort den tapfern Gallier niedertretend:

Er wirft auch jetzt uns Deutsche in den Staub.

Gueltar, der Nervier, und Fust, der Fürst der Cimbern,

Erlagen dem Augustus schon;

Holm auch, der Friese, wehrt sich nur noch sterbend;

Aristan hat, der Ubier,

Der ungroßmütigste von allen deutschen Fürsten,

In Varus' Arme treulos sich geworfen;

Und Hermann, der Cherusker, endlich,

Zu dem wir, als dem letzten Pfeiler, uns,

Im allgemeinen Sturz Germanias, geflüchtet,

Ihr seht es, Freunde, wie er uns verhöhnt:

Statt die Legionen mutig aufzusuchen,

In seine Forsten spielend führt er uns,

Und läßt den Hirsch uns und den Ur besiegen.

THUISKOMAR zu Dagobert und Selgar, die im Hintergrund auf und nieder gehen.

Er muß hier diese Briefe lesen!

– Ich bitt euch, meine Freunde, wanket nicht,

Bis die Verräterei des Varus ihm eröffnet.

Ein förmlicher Vertrag ward jüngst,

Geschlossen zwischen mir und ihm:

Wenn ich dem Fürsten mich der Friesen nicht verbände,

So solle dem August mein Erbland heilig sein;

Und hier, seht diesen Brief, ihr Herrn,

Mein Erbland ist von Römern überflutet.

Der Krieg, so schreibt der falsche Schelm,

In welchem er mit Holm, dem Friesen, liege,

Erfordere, daß ihm Sicambrien sich öffne:

Und meine Freundschaft für Augustus laß ihn hoffen,

Ich werd ihm diesen dreisten Schritt,

Den Not ihm dringend abgepreßt, verzeihn.

Laßt Hermann, wenn er kömmt, den Gaunerstreich uns melden:

So kommt gewiß, Freund Dagobert,

Freund Selgar, noch der Bund zustande,

Um dessenthalb wir hier bei ihm versammelt sind.

DAGOBERT.

Freund Thuiskomar! Ob ich dem Bündnis mich,

Das diese Fremdlinge aus Deutschland soll verjagen,

Anschließen werd, ob nicht: darüber, weißt du,

Entscheidet hier ein Wort aus Selgars Munde!

Augustus trägt, Roms Kaiser, mir,

Wenn ich mich seiner Sache will vermählen,

Das ganze, jüngst dem Ariovist entrißne,

Reich der Narisker an –

 

Wolf und Thuiskomar machen eine Bewegung.

 

Nichts! Nichts! Was fahrt ihr auf? Ich will es nicht!

Dem Vaterlande bleib ich treu,

Ich schlag es aus, ich bin bereit dazu.

Doch der hier, Selgar, soll, der Fürst der Brukterer,

Den Strich mir, der mein Eigentum,

An dem Gestad der Lippe überlassen;

Wir lagen längst im Streit darum.

Und wenn er mir Gerechtigkeit verweigert,

Selbst jetzt noch, da er meiner Großmut braucht,

So werd ich mich in euren Krieg nicht mischen.

SELGAR.

Dein Eigentum! Sieh da! Mit welchem Rechte

Nennst du, was mir verpfändet, dein,

Bevor das Pfand, das Horst, mein Ahnherr, zahlte,

An seinen Enkel du zurückgezahlt?

Ist jetzt der würd'ge Augenblick,

Zur Sprache solche Zwistigkeit zu bringen?

Eh ich, Unedelmüt'gem, dir

Den Strich am Lippgestade überlasse,

Eh will an Augusts Heere ich

Mein ganzes Reich, mit Haus und Hof verlieren!

THUISKOMAR dazwischentretend.

O meine Freunde!

EIN FÜRST ebenso.

Selgar! Dagobert!

 

Man hört Hörner in der Ferne.

 

EIN CHERUSKER tritt auf.

Hermann, der Fürst, kommt!

THUISKOMAR.

Laßt den Strich, ich bitt euch,

Ruhn, an der Lippe, bis entschieden ist,

Wem das gesamte Reich Germaniens gehört!

WOLF indem er sich erhebt.

Da hast du recht! Es bricht der Wolf, o Deutschland,

In deine Hürde ein, und deine Hirten streiten

Um eine Handvoll Wolle sich.

 

 

Zweiter Auftritt

Thusnelda, den Ventidius aufführend. Ihr folgt Hermann, Scäpio, ein Gefolge von Jägern und ein leerer römischer Wagen mit vier breitgespannten weißen Rossen.

 

THUSNELDA.

Heil dem Ventidius Carbo! Römerritter!

Dem kühnen Sieger des gehörnten Urs!

DAS GEFOLGE.

Heil! Heil!

THUISKOMAR.

Was! Habt ihr ihn?

HERMANN.

Hier, seht, ihr Freunde!

Man schleppt ihn bei den Hörnern schon herbei!

 

Der erlegte Auerochs wird herangeschleppt.

 

VENTIDIUS.

Ihr deutschen Herrn, der Ruhm gehört nicht mir!

Er kommt Thusnelden, Hermanns Gattin,

Kommt der erhabenen Cheruskerfürstin zu!

Ihr Pfeil, auf mehr denn hundert Schritte,

Warf mit der Macht des Donnerkeils ihn nieder,

Und, Sieg! rief, wem ein Odem ward;

Der Ur hob plötzlich nur, mit pfeildurchbohrtem Nacken

Noch einmal sich vom Sand empor:

Da kreuzt ich seinen Nacken durch noch einen.

THUSNELDA.

Du häufst, Ventidius, Siegsruhm auf die Scheitel,

Die du davon entkleiden willst.

Das Tier schoß, von dem Pfeil gereizt, den ich entsendet,

Mit wuterfüllten Sätzen auf mich ein,

Und schon verloren glaubt ich mich;

Da half dein beßrer Schuß dem meinen nach,

Und warf es völlig leblos vor mir nieder.

SCÄPIO.

Bei allen Helden des Homers!

Dir ward ein Herz von par'schem Marmel, Fürstin!

Des Todes Nacht schlug über mich zusammen,

Als es gekrümmt, mit auf die Brust

Gesetzten Hörnern, auf dich ein,

Das rachentflammte Untier, wetterte:

Und du, du wichst, du wanktest nicht – was sag ich?

Sorg überflog, mit keiner Wolke,

Den heitern Himmel deines Angesichts!

THUSNELDA mutwillig.

Was sollt ich fürchten, Scäpio,

Solang Ventidius mir zur Seite stand.

VENTIDIUS.

Du warst des Todes gleichwohl, wenn ich fehlte.

WOLF finster.

– Stand sie im Freien, als sie schoß?

VENTIDIUS.

Die Fürstin?

SCÄPIO.

Nein – hier im Wald. Warum?

VENTIDIUS.

Ganz in der Nähe,

Wo kreuzend durch die Forst die Wildbahn bricht.

WOLF lachend.

Nun denn, beim Himmel –!

THUISKOMAR.

Wenn sie im Walde stand –

WOLF.

Ein Auerochs ist keine Katze,

Und geht, soviel bekannt mir, auf die Wipfel

Der Pinien und Eichen nicht.

HERMANN abbrechend.

Kurz, Heil ruf ich Ventidius noch einmal,

Des Urs, des hornbewehrten, Sieger,

Und der Thusnelda Retter obenein!

THUSNELDA zu Hermann.

Vergönnst du mein Gebieter mir,

Nach Teutoburg nunmehr zurückzukehren?

 

Sie gibt den Pfeil und Bogen weg.

 

HERMANN wendet sich.

Holla! Die Pferd!

VENTIDIUS halblaut, zu Thusnelden.

Wie, Göttliche, du willst –?

 

Sie sprechen heimlich zusammen.

 

THUISKOMAR die Pferde betrachtend.

Schau, die Quadriga, die August dir schenkte?

SELGAR.

Die Pferd aus Rom?

HERMANN zerstreut.

Aus Rom, beim Jupiter!

Ein Zug, wie der Pelid ihn nicht geführt!

VENTIDIUS zu Thusnelda.

Darf ich in Teutoburg –?

THUSNELDA.

Ich bitte dich.

HERMANN.

Ventidius Carbo! Willst du sie begleiten?

VENTIDIUS.

Mein Fürst! Du machst zum Sel'gen mich –

 

Er gibt Pfeil und Bogen gleichfalls weg; offiziös.

 

Wann wohl vergönnst du,

Vor deinem Thron, o Herr, in Ehrfurcht

Dir eine Botschaft des Augustus zu entdecken?

HERMANN.

Wenn du begehrst, Ventidius!

VENTIDIUS.

So werd ich

Dir mit der nächsten Sonne Strahl erscheinen.

HERMANN.

Auf denn! – Ein Roß dem Scäpio, ihr Jäger!

– Gib deine Hand, Thusnelda, mir!

 

Er hebt, mit Ventidius, Thusnelda in den Wagen; Ventidius folgt ihr.

 

THUSNELDA sich aus dem Wagen herausbeugend.

Ihr Herrn, wir sehn uns an der Tafel doch?

HERMANN zu den Fürsten.

Wolf! Selgar! Redet!

DIE FÜRSTEN.

Zu deinem Dienst, Erlauchte!

Wir werden gleich nach dem Gezelt dir folgen.

HERMANN.

Wohlauf, ihr Jäger! Laßt das Horn dann schmettern,

Und bringt sie im Triumph nach Teutoburg!

 

Der Wagen fährt ab; Hörnermusik.

 

 

Dritter Auftritt

Hermann, Wolf, Thuiskomar, Dagobert und Selgar lassen sich, auf eine Rasenbank, um einen steinernen Tisch nieder, der vor der Jagdhütte steht.

 

HERMANN.

Setzt euch, ihr Freunde! Laßt den Becher

Zur Letzung jetzt der müden Glieder kreisen!

Das Jagen selbst ist weniger das Fest,

Als dieser heitre Augenblick,

Mit welchem sich das Fest der Jagd beschließet!

 

Knaben bedienen ihn mit Wein.

 

WOLF.

O könnten wir, beim Mahle, bald

Ein andres größres Siegsfest selig feiern!

Wie durch den Hals des Urs Thusneldens sichre Hand

Den Pfeil gejagt: o Hermann! könnten wir

Des Krieges ehrnen Bogen spannen,

Und, mit vereinter Kraft, den Pfeil der Schlacht zerschmetternd

So durch den Nacken hin des Römerheeres jagen,

Das in den Feldern Deutschlands aufgepflanzt!

THUISKOMAR.

Hast du gehört, was mir geschehn?

Daß Varus treulos den Vertrag gebrochen,

Und mir Sicambrien mit Römern überschwemmt?

Sieh, Holm, der Friesen wackern Fürsten,

Der durch das engste Band der Freundschaft mir verbunden:

Als jüngst die Rach Augustus' auf ihn fiel,

Mir die Legionen fernzuhalten,

Gab ich der Rach ihn des Augustus preis.

Solang an dem Gestad der Ems der Krieg nun wütet,

Mit keinem Wort, ich schwör's, mit keinem Blick,

Bin ich zu Hülfe ihm geeilt;

Ich hütet, in Calpurns, des Römerboten, Nähe,

Die Mienen, Hermann, die sich traurend

Auf des verlornen Schwagers Seite stellten:

Und jetzt – noch um den Lohn seh ich

Mich der fluchwürdigen Feigherzigkeit betrogen:

Varus führt die Legionen mir ins Land,

Und gleich, als wär ich Augusts Feind,

Wird es jedwedem Greul des Krieges preisgegeben.

HERMANN.

Ich hab davon gehört, Thuiskar.

Ich sprach den Boten, der die Nachricht

Dir eben aus Sicambrien gebracht.

THUISKOMAR.

Was nun – was wird für dich davon die Folge sein?

Marbod, der herrschensgier'ge Suevenfürst,

Der, fern von den Sudeten kommend,

Die Oder rechts und links die Donau überschwemmt,

Und seinem Zepter (so erklärt er)

Ganz Deutschland siegreich unterwerfen will:

Am Weserstrom, im Osten deiner Staaten,

Mit einem Heere steht er da,

Und den Tribut hat er dir abgefordert.

Du weißt, wie oft dir Varus schon

Zu Hülfe schelmisch die Kohorten bot.

Nur allzuklar ließ er die Absicht sehn,

Den Adler auch im Land Cheruskas aufzupflanzen;

Den schlausten Wendungen der Staatskunst nur

Gelang es, bis auf diesen Tag,

Dir den bösart'gen Gast entfernt zu halten.

Nun ist er bis zur Lippe vorgerückt;

Nun steht er, mit drei Legionen,

In deines Landes Westen drohend da;

Nun mußt du, wenn er es in Augusts Namen fordert,

Ihm deiner Plätze Tore öffnen:

Du hast nicht mehr die Macht, es ihm zu wehren.

HERMANN.

Gewiß. Da siehst du richtig. Meine Lage

Ist in der Tat bedrängter als jemals.

THUISKOMAR.

Beim Himmel, wenn du schnell nicht hilfst,

Die Lage eines ganz Verlornen!

– Daß ich, mein wackrer Freund, dich in dies Irrsal stürzte,

Durch Schritte, wenig klug und überlegt,

Gewiß, ich fühl's mit Schmerz, im Innersten der Brust.

Ich hätte nimmer, fühl ich, Frieden

Mit diesen Kindern des Betruges schließen,

Und diesen Varus, gleich dem Wolf der Wüste,

In einem ew'gen Streit, bekriegen sollen.

– Das aber ist geschehn, und wenig frommt, du weißt,

In das Vergangene sich reuig zu versenken.

Was wirst du, fragt sich, nun darauf beschließen?

HERMANN.

Ja! Freund! Davon kann kaum die Red noch sein. –

Nach allem, was geschehn, find ich

Läuft nun mein Vorteil ziemlich mit des Varus,

Und wenn er noch darauf besteht,

So nehm ich ihn in meinen Grenzen auf.

THUISKOMAR erstaunt.

Du nimmst ihn – was?

DAGOBERT.

In deines Landes Grenze? –

SELGAR.

Wenn Varus drauf besteht, du nimmst ihn auf?

THUISKOMAR.

Du Rasender! Hast du auch überlegt? –

DAGOBERT.

Warum?

SELGAR.

Weshalb, sag an?

DAGOBERT.

Zu welchem Zweck?

HERMANN.

– Mich gegen Marbod zu beschützen,

Der den Tribut mir trotzig abgefordert.

THUISKOMAR.

Dich gegen Marbod zu beschützen!

Und du weißt nicht, Unseliger, daß er

Den Marbod schelmisch gegen dich erregt,

Daß er mit Geld und Waffen heimlich

Ihn unterstützt, ja, daß er Feldherrn

Ihm zugesandt, die in der Kunst ihn tückisch,

Dich aus dem Feld zu schlagen, unterrichten?

HERMANN.

Ihr Freund', ich bitt euch, kümmert euch

Um meine Wohlfahrt nicht! Bei Wodan, meinem hohen Herrn!

So weit im Kreise mir der Welt

Das Heer der munteren Gedanken reichet,

Erstreb ich und bezweck ich nichts,

Als jenem Römerkaiser zu erliegen.

Das aber möcht ich gern mit Ruhm, ihr Brüder,

Wie's einem deutschen Fürsten ziemt:

Und daß ich das vermög, im ganzen vollen Maße,

Wie sich's die freie Seele glorreich denkt –

Will ich allein stehn, und mit euch mich –

– Die manch ein andrer Wunsch zur Seite lockend zieht, –

In dieser wicht'gen Sache nicht verbinden.

DAGOBERT.

Nun, bei den Nornen! Wenn du sonst nichts willst,

Als dem August erliegen –?!

 

Er lacht.

 

SELGAR.

– Man kann nicht sagen,

Daß hoch Arminius das Ziel sich stecket!

HERMANN.

So! –

Ihr würdet beide euren Witz vergebens

Zusammenlegen, dieses Ziel,

Das vor der Stirn euch dünket, zu erreichen.

Denn setzt einmal, ihr Herrn, ihr stündet

(Wohin ihr es im Lauf der Ewigkeit nicht bringt)

Dem Varus kampfverbunden gegenüber;

Im Grund morast'ger Täler er,

Auf Gipfeln waldbekränzter Felsen ihr:

So dürft er dir nur, Dagobert,

Selgar, dein Lippgestad verbindlich schenken:

Bei den fuchshaarigen Alraunen, seht,

Den Römer laßt ihr beid im Stich,

Und fallt euch, wie zwei Spinnen, selber an.

WOLF einlenkend.

Du hältst nicht eben hoch im Wert uns, Vetter!

Es scheint, das Bündnis nicht sowohl,

Als die Verbündeten mißfallen dir.

HERMANN.

Verzeiht! – Ich nenn euch meine wackern Freunde,

Und will mit diesem Wort, das glaubt mir, mehr, als euren

Verletzten Busen höflich bloß versöhnen.

Die Zeit stellt, heißen Drangs voll, die Gemüter

Auf eine schwere Prob; und manchen kenn ich besser,

Als er in diesem Augenblick sich zeigt.

Wollt ich auf Erden irgendwas erringen,

Ich würde glücklich sein, könnt ich mit Männern mich,

Wie hier um mich versammelt sind, verbinden;

Jedoch, weil alles zu verlieren bloß

Die Absicht ist – so läßt, begreift ihr,

Solch ein Entschluß nicht wohl ein Bündnis zu:

Allein muß ich, in solchem Kriege, stehn,

Verknüpft mit niemand, als nur meinem Gott.

THUISKOMAR.

Vergib mir, Freund, man sieht nicht ein,

Warum notwendig wir erliegen sollen;

Warum es soll unmöglich ganz,

Undenkbar sein (wenn es auch schwer gleich sein mag),

Falls wir nur sonst vereint, nach alter Sitte, wären,

Den Adler Roms, in einer muntern Schlacht,

Aus unserm deutschen Land hinwegzujagen.

HERMANN.

Nein, nein! Das eben ist's! Der Wahn, Thuiskar,

Der stürzt just rettungslos euch ins Verderben hin!

Ganz Deutschland ist verloren schon,

Dir der Sicambern Thron, der Thron der Katten dir,

Der Marsen dem, mir der Cherusker,

Und auch der Erb, bei Hertha! schon benannt:

Es gilt nur bloß noch jetzt, sie abzutreten.

Wie wollt ihr doch, ihr Herrn, mit diesem Heer des Varus

Euch messen – an eines Haufens Spitze,

Zusammen aus den Waldungen gelaufen,

Mit der Kohorte, der gegliederten,

Die, wo sie geht und steht, des Geistes sich erfreut?

Was habt ihr, sagt doch selbst, das Vaterland zu schirmen,

Als nur die nackte Brust allein,

Und euren Morgenstern; indessen jene dort

Gerüstet mit der ehrnen Waffe kommen,

Die ganze Kunst des Kriegs entfaltend,

In den vier Himmelsstrichen ausgelernt?

Nein, Freunde, so gewiß der Bär dem schlanken Löwen

Im Kampf erliegt, so sicherlich

Erliegt ihr, in der Feldschlacht, diesen Römern.

WOLF.

Es scheint, du hältst dies Volk des fruchtumblühten Latiens

Für ein Geschlecht von höhrer Art,

Bestimmt, uns roh're Kauze zu beherrschen?

HERMANN.

Hm! In gewissem Sinne sag ich: ja.

Ich glaub, der Deutsch' erfreut sich einer größern

Anlage, der Italier doch hat seine mindre

In diesem Augenblicke mehr entwickelt.

Wenn sich der Barden Lied erfüllt,

Und, unter einem Königszepter,

Jemals die ganze Menschheit sich vereint,

So läßt, daß es ein Deutscher führt, sich denken,

Ein Brit', ein Gallier, oder wer ihr wollt;

Doch nimmer jener Latier, beim Himmel!

Der keine andre Volksnatur

Verstehen kann und ehren, als nur seine.

Dazu am Schluß der Ding' auch kommt es noch;

Doch bis die Völker sich, die diese Erd umwogen,

Noch jetzt vom Sturm der Zeit gepeitscht,

Gleich einer See, ins Gleichgewicht gestellt,

Kann es leicht sein, der Habicht rupft

Die Brut des Aars, die, noch nicht flügg,

Im stillen Wipfel einer Eiche ruht.

WOLF.

Mithin ergibst du wirklich völlig dich

In das Verhängnis – beugst den Nacken

Dem Joch, das dieser Römer bringt,

Ohn auch ein Glied nur sträubend zu bewegen?

HERMANN.

Behüte Wodan mich! Ergeben! Seid ihr toll?

Mein Alles, Haus und Hof, die gänzliche

Gesamtheit dess', was mein sonst war,

Als ein verlornes Gut in meiner Hand noch ist,

Das, Freunde, setz ich dran, im Tod nur,

Wie König Porus, glorreich es zu lassen!

Ergeben! – Einen Krieg, bei Mana! will ich

Entflammen, der in Deutschland rasselnd,

Gleich einem dürren Walde, um sich greifen,

Und auf zum Himmel lodernd schlagen soll!

THUISKOMAR.

Und gleichwohl – unbegreiflich bist du, Vetter!

Gleichwohl nährst keine Hoffnung du,

In solchem tücht'gen Völkerstreit zu siegen?

HERMANN.

Wahrhaftig, nicht die mindeste,

Ihr Freunde. Meine ganze Sorge soll

Nur sein, wie ich, nach meinen Zwecken,

Geschlagen werd. – Welch ein wahnsinn'ger Tor

Müßt ich doch sein, wollt ich mir und der Heeresschar,

Die ich ins Feld des Todes führ, erlauben,

Das Aug, von dieser finstern Wahrheit ab,

Buntfarb'gen Siegesbildern zuzuwenden,

Und gleichwohl dann gezwungen sein,

In dem gefährlichen Momente der Entscheidung,

Die ungeheure Wahrheit anzuschaun?

Nein! Schritt vor Schritt will ich das Land der großen Väter

Verlieren – über jeden Waldstrom schon im voraus,

Mir eine goldne Brücke baun,

In jeder Mordschlacht denken, wie ich in

Den letzten Winkel nur mich des Cheruskerlands

Zurücke zieh: und triumphieren,

Wie nimmer Marius und Sylla triumphierten,

Wenn ich – nach einer runden Zahl von Jahren,

Versteht sich – im Schatten einer Wodanseiche,

Auf einem Grenzstein, mit den letzten Freunden,

Den schönen Tod der Helden sterben kann.

DAGOBERT.

Nun denn, beim Styxfluß –!

SELGAR.

Das gestehst du, Vetter,

Auf diesem Weg nicht kömmst du eben weit.

DAGOBERT.

Gleich einem Löwen grimmig steht er auf,

Warum? Um, wie ein Krebs, zurückzugehn.

HERMANN.

Nicht weit? Hm! – Seht, das möcht ich just nicht sagen.

Nach Rom – ihr Herren, Dagobert und Selgar!

Wenn mir das Glück ein wenig günstig ist.

Und wenn nicht ich, wie ich fast zweifeln muß,

Der Enkel einer doch, wag ich zu hoffen,

Die hier in diesem Paar der Lenden ruhn!

WOLF umarmt ihn.

Du Lieber, Wackrer, Göttlicher –!

Wahrhaftig, du gefällst mir. – Kommt, stoßt an!

Hermann soll, der Befreier Deutschlands, leben!

HERMANN sich losmachend.

Kurz, wollt ihr, wie ich schon einmal euch sagte,

Zusammenraffen Weib und Kind,

Und auf der Weser rechtes Ufer bringen,

Geschirre, goldn' und silberne, die ihr

Besitzet, schmelzen, Perlen und Juwelen

Verkaufen oder sie verpfänden,

Verheeren eure Fluren, eure Herden

Erschlagen, eure Plätze niederbrennen,

So bin ich euer Mann –:

WOLF.

Wie? Was?

HERMANN.

Wo nicht –?

THUISKOMAR.

Die eignen Fluren sollen wir verheeren –?

DAGOBERT.

Die Herden töten –?

SELGAR.

Unsre Plätze niederbrennen –?

HERMANN.

Nicht? Nicht? Ihr wollt es nicht?

THUISKOMAR.

Das eben, Rasender, das ist es ja,

Was wir in diesem Krieg verteidigen wollen!

HERMANN abbrechend.

Nun denn, ich glaubte, eure Freiheit wär's.

 

Er steht auf.

 

THUISKOMAR.

Was? – Allerdings. Die Freiheit –

HERMANN.

Ihr vergebt mir!

THUISKOMAR.

Wohin, ich bitte dich?

SELGAR.

Was fällt dir ein?

HERMANN.

Ihr Herrn, ihr hört's; so kann ich euch nicht helfen.

DAGOBERT bricht auf.

Laß dir bedeuten, Hermann.

HERMANN in die Szene rufend.

Horst! Die Pferde!

SELGAR ebenso.

Ein Augenblick! Hör an! Du mißverstehst uns!

 

Die Fürsten brechen sämtlich auf.

 

HERMANN.

Ihr Herrn, zur Mittagstafel sehn wir uns.

 

Er geht ab; Hörnermusik.

 

WOLF.

O Deutschland! Vaterland! Wer rettet dich,

Wenn es ein Held, wie Siegmars Sohn nicht tut!

 

Alle ab.

 

 

Zweiter Akt

 

Szene: Teutoburg. Das Innere eines großen und prächtigen Fürstenzelts, mit einem Thron.

 

Erster Auftritt

Hermann auf dem Thron. Ihm zur Seite Eginhardt. Ventidius, der Legat von Rom, steht vor ihm.

 

HERMANN.

Ventidius! Deine Botschaft, in der Tat,

Erfreut zugleich mich und bestürzt mich.

– Augustus, sagst du, beut zum drittenmal,

Mir seine Hülfe gegen Marbod an.

VENTIDIUS.

Ja, mein erlauchter Herr. Die drei Legionen,

Die, in Sicambrien, am Strom der Lippe stehn,

Betrachte sie wie dein! Quintilius Varus harrt,

Ihr großer Feldherr, deines Winkes nur,

In die Cheruskerplätze einzurücken.

Drei Tage, mehr bedarf es nicht, so steht er

Dem Marbod schon, am Bord der Weser, gegenüber,

Und zahlt, vorn an der Pfeile Spitzen,

Ihm das Metall, das er gewagt,

Dir als Tribut, der Trotz'ge, abzufodern.

HERMANN.

Freund, dir ist selbst bekannt, wie manchem bittern Drangsal

Ein Land ist heillos preis gestellt,

Das einen Heereszug erdulden muß.

Da finden Raub und Mord und Brand sich,

Der höllentstiegene Geschwisterreigen, ein,

Und selbst das Beil oft hält sie nicht zurück.

Meinst du nicht, alles wohl erwogen,

Daß ich imstande wär, allein

Cheruska vor dem Marbod zu beschützen?

VENTIDIUS.

Nein, nein, mein Fürst! Den Wahn, ich bitte dich, entferne!

Gewiß, die Scharen, die du führst, sie bilden

Ein würdig kleines Heer, jedoch bedenke,

Mit welchem Feind du es zu tun!

Marbod, das Kind des Glücks, der Fürst der Sueven ist's,

Der, von den Riesenbergen niederrollend,

Stets siegreich, wie ein Ball von Schnee, sich groß gewälzt.

Wo ist der Wall, um solchem Sturz zu wehren?

Die Römer werden Mühe haben,

Die weltbesiegenden, wie mehr, o Herr, denn du,

Dein Reich vor der Verschüttung zu beschirmen.

HERMANN.

Freilich! Freilich! Du hast zu sehr nur recht.

Das Schicksal, das im Reich der Sterne waltet,

Ihn hat es, in der Luft des Kriegs,

Zu einem Helden rüstig großgezogen,

Dagegen mir, du weißt, das sanftre Ziel sich steckte:

Dem Weib, das mir vermählt, der Gatte,

Ein Vater meinen süßen Kindern,

Und meinem Volk ein guter Fürst zu sein.

Seit jener Mordschlacht, die den Ariovist vernichtet,

Hab ich im Felde mich nicht mehr gezeigt;

Die Weisung werd ich nimmermehr vergessen:

Es war, im Augenblick der gräßlichen Verwirrung,

Als ob ein Geist erstünde und mir sagte,

Daß mir das Schicksal hier nicht günstig wäre. –

VENTIDIUS.

Gewiß! Die Weisheit, die du mir entfaltest,

Füllt mit Bewundrung mich. – Zudem muß ich dir sagen,

Daß so, wie nun die Sachen dringend stehn,

O Herr, dir keine Wahl mehr bleibt,

Daß du dich zwischen Marbod und Augustus

Notwendig jetzt entscheiden mußt;

Daß dieses Sueven Macht, im Reich Germaniens,

Zu ungeheuer anwuchs; daß Augustus

Die Oberherrschaft keinem gönnen kann,

Der, auf ein Heer, wie Marbod, trotzend,

Sich selbst sie nur verdanken will; ja, wenn

Er je ein Oberhaupt der Deutschen anerkennt,

Ein Fürst es sein muß, das begreifst du,

Den er, durch einen Schritt, verhängnisvoll wie diesen,

Auf immer seinem Thron verbinden kann.

HERMANN nach einer kurzen Pause.

Wenn du die Aussicht mir eröffnen könntest,

Ventidius, daß mir

Die höchste Herrschgewalt in Deutschland zugedacht:

So würd Augustus, das versichr ich dich,

Den wärmsten Freund würd er an mir erhalten. –

Denn dieses Ziel, das darf ich dir gestehn,

Reizt meinen Ehrgeiz, und mit Neid

Seh ich den Marbod ihm entgegeneilen.

VENTIDIUS.

Mein Fürst! Das ist kein Zweifel mehr.

Glaub nicht, was Meuterei hier ausgesprengt,

Ein Neffe werd Augusts, sobald es nur erobert,

In Deutschland, als Präfekt, sich niederlassen;

Und wenn gleich Scipio, Agricola, Licin,

Durch meinen großen Kaiser eingesetzt,

Nariska, Markoland und Nervien jetzt verwalten:

Ein Deutscher kann das Ganze nur beherrschen!

Der Grundsatz, das versichr ich dich,

Steht, wie ein Felsen, bei Senat und Volk!

Wenn aber, das entscheide selbst,

Ein Deutscher solch ein Amt verwalten soll:

Wer kann es sein, o Herr, als der allein,

Durch dessen Hülfe uns ersprießlich,

Sich solch ein Herrschamt allererst errichtet?

HERMANN vom Thron herabsteigend.

Nun denn, Legat der römischen Cäsaren,

So werf ich, was auch säum ich länger,

Mit Thron und Reich, in deine Arme mich!

Cheruskas ganze Macht leg ich,

Als ein Vasall, zu Augusts Füßen nieder.

Laß Varus kommen, mit den Legionen;

Ich will fortan, auf Schutz und Trutz

Mich wider König Marbod ihm verbinden!

VENTIDIUS.

Nun, bei den Uraniden! Dieser Tag,

Er ist der schönste meines Lebens!

Ich eile dem August, o Herr, dein Wort zu melden.

Man wird in Rom die Zirken öffnen,

Die Löwen kämpfen, die Athleten, lassen,

Und Freudenfeuer in die Nächte schicken!

– Wann darf Quintilius jezt die Lippe überschreiten?

HERMANN.

Wann es sein Vorteil will.

VENTIDIUS.

Wohlan, so wirst

Du morgen schon in Teutoburg ihn sehn.

– Vergönne, daß ich die Minute nütze.

 

Ab.

 

 

Zweiter Auftritt

Hermann und Eginhardt.

Pause.

 

HERMANN.

Ging er?

EGINHARDT.

Mich dünkte, ja. Er bog sich links.

HERMANN.

Mich dünkte, rechts.

EGINHARDT.

Still!

HERMANN.

Rechts! Der Vorhang rauschte.

Er bog sich in Thusneldens Zimmer hin.

 

 

Dritter Auftritt

Thusnelda tritt, einen Vorhang öffnend, zur Seite auf. Die Vorigen.

 

HERMANN.

Thuschen!

THUSNELDA.

Was gibt's?

HERMANN.

Geschwind! Ventidius sucht dich.

THUSNELDA.

Wo?

HERMANN.

Von dem äußern Gang.

THUSNELDA.

So? Desto besser.

So bin ich durch den mittlern ihm entflohn.

HERMANN.

Thuschen! Geschwind! Ich bitte dich!

THUSNELDA.

Was hast du?

HERMANN.

Zurück, mein Herzchen! Liebst du mich! Zurücke!

In deine Zimmer wieder! Rasch! Zurücke!

THUSNELDA lächelnd.

Ach, laß mich gehn.

HERMANN.

Was? Nicht? Du weigerst mir –?

THUSNELDA.

Laß mich mit diesem Römer aus dem Spiele.

HERMANN.

Dich aus dem Spiel? Wie! Was! Bist du bei Sinnen?

Warum? Weshalb?

THUSNELDA.

– Er tut mir leid, der Jüngling.

HERMANN.

Dir leid? Gewiß, beim Styx, weil er das Untier gestern –?

THUSNELDA.

Gewiß! Bei Braga! Bei der sanften Freya:

Er war so rüstig bei der Hand!

Er wähnte doch, mich durch den Schuß zu retten,

Und wir verhöhnen ihn!

HERMANN.

Ich glaub, beim Himmel,

Die römische Tarantel hat –?

Er wähnt ja auch, du Törin, du,

Daß wir den Wahn der Tat ihm danken!

Fort, Herzchen, fort!

EGINHARDT.

Da ist er selber schon!

HERMANN.

Er riecht die Fährt ihr ab, ich wußt es wohl.

– Du sei mir klug, ich rat es dir!

Komm, Eginhardt, ich hab dir was zu sagen.

 

Ab.

 

 

Vierter Auftritt

Thusnelda nimmt eine Laute und setzt sich nieder. Ventidius und Scäpio treten auf.

 

VENTIDIUS noch unter dem Eingang.

Scäpio! Hast du gehört?

SCÄPIO.

Du sagst, der Bote –?

VENTIDIUS flüchtig.

Der Bote, der nach Rom geht, an Augustus,

Soll zwei Minuten warten; ein Geschäft

Für Livia liegt, die Kaiserin, mir noch ob.

SCÄPIO.

Genug! Es soll geschehn.

 

Ab.

 

VENTIDIUS.

Harr meiner draußen.

 

 

Fünfter Auftritt

Thusnelda und Ventidius.

 

VENTIDIUS.

Vergib, erlauchte Frau, dem Freund des Hauses,

Wenn er den Fuß, unaufgerufen,

In deine göttergleiche Nähe setzt.

Von deiner Lippe hört ich gern,

Wie du die Nacht, nach jenem Schreck, der gestern

Dein junges Herz erschütterte, geschlummert?

THUSNELDA.

Nicht eben gut, Ventidius. Mein Gemüt

War von der Jagd noch ganz des wilden Urs erfüllt.

Vom Bogen sandt ich tausendmal den Pfeil,

Und immerfort sah ich das Tier,

Mit eingestemmten Hörnern, auf mich stürzen.

Ein fürchterlicher Tod, Ventidius,

Solch einem Ungeheur erliegen!

Arminius sagte scherzend heut,

Ich hätte durch die ganze Nacht,

Ventidius! Ventidius! gerufen.

VENTIDIUS läßt sich leidenschaftlich vor ihr nieder, und ergreift ihre Hand.

Wie selig bin ich, Königin,

Dir ein Gefühl entlockt zu haben!

Was für ein Strahl der Wonne strömt,

Mir unerträglich, alle Glieder lähmend,

Durch den entzückten Busen hin,

Sagt mir dein süßer Mund, daß du, bei dem Gedanken

An mich, empfindest – wär's auch die unscheinbare

Empfindung nur des Danks, verehrte Frau,

Die jedem Glücklichen geworden wäre,

Der, als ein Retter, dir zur Seite stand!

THUSNELDA.

Ventidius! Was willst du mir? Steh auf!

VENTIDIUS.

Nicht eh'r, Vergötterte, als bis du meiner Brust

Ein Zeichen, gleichviel welches, des

Gefühls, das ich in dir entflammt, verehrt!

Sei es das Mindeste, was Sinne greifen mögen,

Das Herz gestaltet es zum Größesten.

Laß es den Strauß hier sein, der deinen Busen ziert,

Hier diese Schleife, diese goldne Locke –

Ja, Kön'gin, eine Locke laß es sein!

THUSNELDA.

Ich glaub, du schwärmst. Du weißt nicht, wo du bist.

VENTIDIUS.

Gib eine Locke, Abgott meiner Seelen,

Von diesem Haupthaar mir, das von der Juno Scheiteln

In üpp'gern Wogen nicht zur Ferse wallt!

Sieh, dem Arminius gönn ich alles:

Das ganze duftende Gefäß von Seligkeiten,

Das ich in meinen Armen zitternd halte,

Sein ist's; ich gönn es ihm: es möge sein verbleiben.

Die einz'ge Locke fleh ich nur für mich,

Die, in dem Hain, beim Schein des Monds,

An meine Lippe heiß gedrückt,

Mir deines Daseins Traum ergänzen soll!

Die kannst du mir, geliebtes Weib, nicht weigern,

Wenn du nicht grausam mich verhöhnen willst.

THUSNELDA.

Ventidius, soll ich meine Frauen rufen?

VENTIDIUS.

Und müßt ich so, in Anbetung gestreckt,

Zu deinen Füßen flehend liegen,

Bis das Giganten-Jahr des Platon abgerollt,

Bis die graubärt'ge Zeit ein Kind geworden,

Und der verliebten Schäfer Paare wieder

An Milch- und Honigströmen zärtlich wandeln:

Von diesem Platz entweichen werd ich nicht,

Bis jener Wunsch, den meine Seele

Gewagt hat dir zu nennen, mir erfüllt.

 

Thusnelda steht auf und sieht ihn an. Ventidius läßt sie betreten los und erhebt sich. Thusnelda geht und klingelt.

 

Sechster Auftritt

Gertrud und Bertha treten auf.