So tastete er im Dunkel auf das Hausthor zu.
Die Dienerin blieb stehen und horchte. Sie hörte, wie der Hund dem Herrn entgegensprang und dann wieder auf das Thor zu mit demselben stürmischen Freudengewinsel. Dann hörte sie, wie Moses rief, wer draußen sei. Es blieb Alles still; nur der Hund bellte kurz auf. Moses rief noch einmal. Da kam eine Antwort von draußen. Die Dienerin verstand das Wort nicht; ihr klang es wie ein Weheruf. Der alte Mann mußte das Wort verstanden haben. Er öffnete das Thor, trat hinaus und schlug den Flügel hinter sich zu. Der Hund war wohl mit hinausgeschlüpft; die Dienerin hörte nun nur noch gedämpft sein durchdringendes Gebelle.
Dann ward Moses' Stimme hörbar; er sprach sehr laut und heftig. Wie ein Schelten klang es und dann wie eine feierliche Verwünschung oder Beschwörung. Aber den Sinn der Worte konnte die alte Frau nicht fassen ... Kein sterbliches Ohr hat die Worte vernommen, die Moses Freudenthal zu dem Wesen gesprochen, das in jener unheimlichen Nacht an seine Thüre gepocht.
Nach einer bangen Minute hörte die alte Frau den Thorflügel knarren, Moses kehrte zurück. Er kehrte allein zurück; auch der Hund war draußen geblieben. Dann war es einen Augenblick still, und darauf hörte die Dienerin einen schweren Fall. Sie ergriff eine Kerze – was kümmerte sie in ihrer Todesangst die fromme Satzung? – und eilte zum Thore. Da lag Moses Freudenthal, ohne Regung, bleich wie ein Toter. Als sie sein Haupt erhob, röchelte er leise auf.
Die alte Frau begann ein durchdringendes Jammergeschrei. Der Knecht, die anderen Diener des Hauses erwachten und kamen herbei. Sie halfen den Herrn emporheben und auf sein Lager betten. Dann eilte man zum Bezirksarzt, der ja in nächster Nähe wohnte, im ersten Stockwerk. Er ließ dem Kranken zur Ader und schüttelte bedenklich den Kopf. Den alten Mann hatte ein Schlaganfall getroffen.
Die Dienerin jammerte, die Knechte standen ratlos umher, der Arzt mühte sich um den Kranken; so vergingen die Stunden bis zum Morgen. An das fremde Wesen vor dem Thore dachte Niemand.
Als der Tag graute, wurde heftig an das Thor geklopft. Der Nachtwächter stand draußen und mehrere Leute, die schon so früh zu Markte gekommen. Sie hatten eine Tote vor dem Thore gefunden, ein ärmlich gekleidetes, abgezehrtes, junges Weib. Der schwarze Britan lag neben der Leiche und winselte und leckte ihr die Hände. Wenn sich ihr Jemand nähern wollte, knurrte er drohend auf.
Der Bezirksarzt trat heraus und beugte sich über die Tote. Er legte noch prüfend die Hand auf ihr Herz; es schlug nicht mehr. Dann blickte er in das starre, bleiche Antlitz.
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