Seine Augen wurden naß vor Grauen und mit seinem Hinkbein lief er, so schnell es ging, in die Häuser der Juden und schrie mit halberstickter Stimme, daß Gott ein Zeichen gegeben habe. Viel Volk sammelte sich schweigend an den Ufern der Regnitz und Pegnitz, und Christen und Juden standen in gleicher Furcht, in gleicher mystischer Andacht Schulter an Schulter. Zacharias Naar tauchte auf, fiel am Schilf des Flusses nieder und wandte sein gelbes Gesicht mit den weiten Augen dem himmlischen Feuer zu. Er begann ein flehendes Gebet zu singen, eine klagenvolle Anrufung des Gottessohnes zu Smyrna und die Gemeinde fiel im Chorus beim letzten Vers mit ein. Einsilbig rauschte der Fluß durchs Land und die erblassende Röte des Firmaments beleuchtete unsicher die dunklen Talare der in süßer Verzückung heimkehrenden Juden.
In derselben Nacht erhob sich ein gewaltiger Sturm, riß das heilige Kreuz von der katholischen Kirche herab, und als die Juden in der Morgenfrühe zum Gebet gingen, sahen sie über dem niederen Portal der Synagoge die Anfangsbuchstaben vom Namen des Sabbatai Zewi in goldenen Lettern stehen.
Nun lebte ein Mann in Fürth, den man Maier Knöcker nannte; er hieß auch Maier Nathan und bei den Christen Maier Satan. Er hatte einen offenen Mund und eine häßliche Nase und war wegen seines Schacherns verhaßt. Knöckern heißt bei den Juden stammeln und ein Stammler war Maier Knöcker, der Nathan. Er sah mit scheelen Augen in das erregte Treiben seiner Glaubensbrüder, und inmitten des allgemeinen Rausches blieb er nüchtern und kalt. Er war nur besorgt, daß er von seinem Geld nichts verliere und beriet sich oft mit seiner Frau, wie man die Kasse am besten verwahren solle. Er wohnte in einem alten Haus mit vielen Löchern und Winkeln und jeden Tag in der Woche brachte er sein Geld in ein anderes Versteck. Sobald eine Nachricht von auswärts kam über irgend einen bedeutsamen Vorfall, irgend ein unerklärliches Ereignis, begann Maier Knöcker zu zittern und lief in sein Haus, um seine Schätze nachzusehen. Und als die Flut der Ereignisse schwoll und sich ausbreitete und die Länder bedeckte, wuchs auch in der Seele des Knöckers die Furcht vor dem Verluste seines Vermögens, und er konnte keinen ruhigen Schlaf mehr finden und mußte seine Bissen bei den Mahlzeiten in Unfrieden hinunterwürgen. Er betete sogar weniger, um seinem Hab und Gut ein besserer Wächter sein zu können. Er verdammte diese unruhigen Zeiten und es gab Tage, wo er sich nicht mehr über die Gasse wagte und die Türen versperrte, um einen geheimnisvollen Feind abzuhalten.
Aber es war noch eine andere Furcht in diesem schiefen und winkelreichen Haus, das in jeder Stunde einzufallen schien und das beim hellen Mondschein der Herbstnächte einer Ruine glich. Der Maier Knöcker hatte eine Tochter. Sie war nicht gerade schön, aber sie hatte die üppigen Formen und die äußerliche Leidenschaft der jüdischen Weiber, und in ihren Augen war etwas dumpf Sinnliches, das die Männer zu ihr trieb. Rahel hatte nun vor langem ein Liebesverhältnis mit einem christlichen Studiosus aus Erlangen angeknüpft und war in dessen Armen gefallen. Seit Monaten fühlte sie ein junges Leben in ihrem Leib, und so oft sie daran dachte, was Vater und Mutter sagen würden, wenn sie es entdeckten, wurde ihr das Herz wund. Ratlosigkeit und Traurigkeit verdunkelten ihr Dasein und machten ihre Jugend finster und bereuenswert. Aber als die Woge der Messiasbegeisterung in den stillen Hofmarkt stürzte, sah das gequälte Mädchen darin eine Art Erlösung. Sie fand es leichter als sonst, ihren leiblichen und seelischen Zustand geheim zu halten, denn die Erregung der Gemüter wandte sich nichts Einzelnem mehr zu. Trotzdem rückte die Zeit immer näher, wo nichts mehr zu verbergen war, wo sie, ohne zu reden, ihr Geheimnis offenbar werden lassen mußte. Sie sann und sann in schlaflosen Nächten und endlich fand sie durch angeborene Schlauheit einen verwegenen Ausweg aus ihrer Bedrängnis, und sie beschloß, ihren Geliebten um Hilfe zu bitten.
Maier Knöcker war von der Abendschul nach Hause gekommen und erzählte finster, daß er mit vier andern unverrichteter Sache wieder gegangen sei. Die Juden vergäßen, sich zum Gebet zu versammeln; er sah darin ein schreckliches Zeichen. Beklommenen Herzens lugte er hinaus auf die Straße, als erwarte er Stunde für Stunde den unerbittlichen Gegner des häuslichen Friedens von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Da läutete die Hausglocke und Itzig Gänßhenker kam und berichtete atemlos, daß sich ein wahrhaftes Gotteswunder begeben habe. An der Küste von Nordschottland habe sich nämlich ein Schiff gezeigt mit seidenen Segeln und seidenen Tauen und die Schiffsleute, die es führten, hätten hebräisch gesprochen und die Flagge habe die Inschrift getragen: die zwölf Stämme oder die Geschlechter Israels. Dies Schiff sei für die Braut des Messias bestimmt.
Sie sprachen nun von vielen Dingen, auch Thelsela, das Weib des Knöckers, mischte sich in die Unterhaltung, bis Boruchs Klöß kam und man im Talmud lesen wollte. Auch Klöß wußte von dem geheimnisvollen Schiff und alle, alle draußen wußten es schon. Es kam nicht zum Studium des Talmuds, da Boruchs Klöß manche neue Seltsamkeiten zu berichten wußte: wie ein jüdischer Schneider zu Mailand in einen Zustand der Raserei gefallen sei und sich seitdem in prophetischen Verzückungen winde; stundenlang liege er am Boden und spreche bald lachend, bald weinend von der nahen Erlösung und von Sabbatais Macht im Himmel und auf Erden.
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