JOHANNA.

O könnt ich mich

Verbergen in den tiefsten Schoß der Erde!

SOREL.

Was ist dir? Welche seltsame Bewegung!

Wer dürfte frei aufschaun an diesem Tage,

Wenn du die Blicke niederschlagen sollst!

Mich laß erröten, mich, die neben dir

So klein sich fühlt, zu deiner Heldenstärke sich,

Zu deiner Hoheit nicht erheben kann!

Denn soll ich meine ganze Schwäche dir

Gestehen? – Nicht der Ruhm des Vaterlandes,

Nicht der erneute Glanz des Thrones, nicht

Der Völker Hochgefühl und Siegesfreude

Beschäftigt dieses schwache Herz. Es ist

Nur einer, der es ganz erfüllt, es hat

Nur Raum für dieses einzige Gefühl:

Er ist der Angebetete, ihm jauchzt das Volk,

Ihn segnet es, ihm streut es diese Blumen,

Er ist der Meine, der Geliebte ists.

JOHANNA.

O du bist glücklich! Selig preise dich!

Du liebst, wo alles liebt! Du darfst dein Herz

Aufschließen, laut aussprechen dein Entzücken

Und offen tragen vor der Menschen Blicken!

Dies Fest des Reichs ist deiner Liebe Fest,

Die Völker alle, die unendlichen,

Die sich in diesen Mauren flutend drängen,

Sie teilen dein Gefühl, sie heilgen es,

Dir jauchzen sie, dir flechten sie den Kranz,

Eins bist du mit der allgemeinen Wonne,

Du liebst das Allerfreuende, die Sonne,

Und was du siehst, ist deiner Liebe Glanz!

SOREL ihr um den Hals fallend.

O du entzückst mich, du verstehst mich ganz!

Ja ich verkannte dich, du kennst die Liebe,

Und was ich fühle, sprichst du mächtig aus.

Von seiner Furcht und Scheue löst sich mir

Das Herz, es wallt vertrauend dir entgegen –

JOHANNA entreißt sich mit Heftigkeit ihren Armen.

Verlaß mich. Wende dich von mir! Beflecke

Dich nicht mit meiner pesterfüllten Nähe!

Sei glücklich, geh, mich laß in tiefster Nacht

Mein Unglück, meine Schande, mein Entsetzen

Verbergen –

SOREL.

Du erschreckst mich, ich begreife

Dich nicht, doch ich begriff dich nie – und stets

Verhüllt war mir dein dunkel tiefes Wesen.

Wer möcht es fassen, was dein heilig Herz,

Der reinen Seele Zartgefühl erschreckt!

JOHANNA.

Du bist die Heilige! Du bist die Reine!

Sähst du mein Innerstes, du stießest schaudernd

Die Feindin von dir, die Verräterin!

 

 

Dritter Auftritt

Die Vorigen. Dunois. Du Chatel und La Hire mit der Fahne der Johanna.

 

DUNOIS.

Dich suchen wir, Johanna. Alles ist

Bereit, der König sendet uns, er will,

Daß du vor ihm die heilge Fahne tragest,

Du sollst dich schließen an der Fürsten Reihn,

Die Nächste an ihm selber sollst du gehn,

Denn er verleugnets nicht und alle Welt

Soll es bezeugen, daß er dir allein

Die Ehre dieses Tages zuerkennt.

LA HIRE.

Hier ist die Fahne. Nimm sie, edle Jungfrau,

Die Fürsten warten und es harrt das Volk.

JOHANNA.

Ich vor ihm herziehn! Ich die Fahne tragen!

DUNOIS.

Wem anders ziemt' es! Welche andre Hand

Ist rein genug, das Heiligtum zu tragen!

Du schwangst sie im Gefechte, trage sie

Zur Zierde nun auf diesem Weg der Freude.

 

La Hire will ihr die Fahne überreichen, sie bebt schaudernd davor zurück.

 

JOHANNA.

Hinweg! Hinweg!

LA HIRE.

Was ist dir? Du erschrickst

Vor deiner eignen Fahne! – Sieh sie an!

 

Er rollt die Fahne auseinander.

 

Es ist dieselbe, die du siegend schwangst.

Die Himmelskönigin ist drauf gebildet,

Die über einer Erdenkugel schwebt,

Denn also lehrte dichs die heilge Mutter.

JOHANNA mit Entsetzen hinschauend.

Sie ists! Sie selbst! Ganz so erschien sie mir.

Seht, wie sie herblickt und die Stirne faltet,

Zornglühend aus den finstern Wimpern schaut!

SOREL.

O sie ist außer sich! Komm zu dir selbst!

Erkenne dich, du siehst nichts Wirkliches!

Das ist ihr irdisch nachgeahmtes Bild,

Sie selber wandelt in des Himmels Chören!

JOHANNA.

Furchtbare, kommst du dein Geschöpf zu strafen?

Verderbe, strafe mich, nimm deine Blitze,

Und laß sie fallen auf mein schuldig Haupt.

Gebrochen hab ich meinen Bund, entweiht,

Gelästert hab ich deinen heilgen Namen!

DUNOIS.

Weh uns! Was ist das! Welch unselge Reden!

LA HIRE erstaunt zu Du Chatel.

Begreift Ihr diese seltsame Bewegung?

DU CHATEL.

Ich sehe, was ich seh. Ich hab es längst

Gefürchtet.

DUNOIS.

Wie? Was sagt Ihr?

DU CHATEL.

Was ich denke,

Darf ich nicht sagen. Wollte Gott, es wäre

Vorüber und der König wär gekrönt!

LA HIRE.

Wie? Hat der Schrecken, der von dieser Fahne

Ausging, sich auf dich selbst zurückgewendet?

Den Briten laß vor diesem Zeichen zittern,

Den Feinden Frankreichs ist es fürchterlich,

Doch seinen treuen Bürgern ist es gnädig.

JOHANNA.

Ja du sagst recht! Den Freunden ist es hold

Und auf die Feinde sendet es Entsetzen!

 

Man hört den Krönungsmarsch.

 

DUNOIS.

So nimm die Fahne! Nimm sie! Sie beginnen

Den Zug, kein Augenblick ist zu verlieren!

 

Sie dringen ihr die Fahne auf, sie ergreift sie mit heftigem Widerstreben und geht ab, die andern folgen.

Die Szene verwandelt sich in einen freien Platz vor der Kathedralkirche.

 

 

Vierter Auftritt

Zuschauer erfüllen den Hintergrund, aus ihnen heraus treten Bertrand, Claude Marie und Etienne und kommen vorwärts. Der Krönungsmarsch erschallt gedämpft aus der Ferne.

 

BERTRAND.

Hört die Musik! Sie sinds! Sie nahen schon!

Was ist das Beste? Steigen wir hinauf

Auf die Platforme, oder drängen uns

Durchs Volk, daß wir vom Aufzug nichts verlieren?

ETIENNE.

Es ist nicht durchzukommen. Alle Straßen sind

Von Menschen vollgedrängt, zu Roß und Wagen.

Laßt uns hieher an diese Häuser treten,

Hier können wir den Zug gemächlich sehen,

Wenn er vorüberkommt!

CLAUDE MARIE.

Ists doch, als ob

Halb Frankreich sich zusammen hier gefunden!

So allgewaltig ist die Flut, daß sie

Auch uns im fernen lothringischen Land

Hat aufgehoben und hieher gespült!

BERTRAND.

Wer wird

In seinem Winkel müßig sitzen, wenn

Das Große sich begibt im Vaterland!

Es hat auch Schweiß und Blut genug gekostet,

Bis daß die Krone kam aufs rechte Haupt!

Und unser König, der der wahre ist,

Dem wir die Kron itzt geben, soll nicht schlechter

Begleitet sein, als der Pariser ihrer,

Den sie zu Saint Denis gekrönt! Der ist

Kein Wohlgesinnter, der von diesem Fest

Wegbleibt, und nicht mit ruft: es lebe der König!

 

 

Fünfter Auftritt

Margot und Louison treten zu ihnen.

 

LOUISON.

Wir werden unsre Schwester sehen, Margot!

Mir pocht das Herz.

MARGOT.

Wir werden sie im Glanz

Und in der Hoheit sehn, und zu uns sagen:

Es ist Johanna, es ist unsre Schwester!

LOUISON.

Ich kanns nicht glauben, bis ich sie mit Augen

Gesehn, daß diese Mächtige, die man

Die Jungfrau nennt von Orleans, unsre Schwester

Johanna ist, die uns verlorenging.

 

Der Marsch kommt immer näher.

 

MARGOT.

Du zweifelst noch! Du wirsts mit Augen sehn!

BERTRAND.

Gebt acht! Sie kommen!

 

 

Sechster Auftritt

Flötenspieler und Hoboisten eröffnen den Zug. Kinder folgen, weiß gekleidet, mit Zweigen in der Hand, hinter diesen zwei Herolde. Darauf ein Zug von Hellebardierern. Magistratspersonen in der Robe folgen. Hierauf zwei Marschälle mit dem Stabe, Herzog von Burgund das Schwert tragend, Dunois mit dem Szepter, andere Große mit der Krone, dem Reichsapfel und dem Gerichtsstabe, andere mit Opfergaben; hinter diesen Ritter in ihrem Ordensschmuck, Chorknaben mit dem Rauchfaß, dann zwei Bischöfe mit der Sainte Ampoule. Erzbischof mit dem Kruzifix; ihm folgt Johanna mit der Fahne. Sie geht mit gesenktem Haupt und ungewissen Schritten, die Schwestern geben bei ihrem Anblick Zeichen des Erstaunens und der Freude. Hinter ihr kommt der König, unter einem Thronhimmel, welchen vier Barone tragen, Hofleute folgen, Soldaten schließen. Wenn der Zug in die Kirche hinein ist, schweigt der Marsch.

 

 

Siebenter Auftritt

Louison. Margot. Claude Marie. Etienne. Bertrand.

 

MARGOT.

Sahst du die Schwester?

CLAUDE MARIE.

Die im goldnen Harnisch,

Die vor dem König herging mit der Fahne!

MARGOT.

Sie wars. Es war Johanna, unsre Schwester!

LOUISON.

Und sie erkannt uns nicht! Sie ahndete

Die Nähe nicht der schwesterlichen Brust.

Sie sah zur Erde und erschien so blaß,

Und unter ihrer Fahne ging sie zitternd –

Ich konnte mich nicht freun, da ich sie sah.

MARGOT.

So hab ich unsre Schwester nun im Glanz

Und in der Herrlichkeit gesehn. – Wer hätte

Auch nur im Traum geahndet und gedacht,

Da sie die Herde trieb auf unsern Bergen,

Daß wir in solcher Pracht sie würden schauen.

LOUISON.

Der Traum des Vaters ist erfüllt, daß wir

Zu Reims uns vor der Schwester würden neigen.

Das ist die Kirche, die der Vater sah

Im Traum, und alles hat sich nun erfüllt.

Doch der Vater sah auch traurige Gesichte,

Ach, mich bekümmerts, sie so groß zu sehn!

BERTRAND.

Was stehn wir müßig hier? Kommt in die Kirche,

Die heilge Handlung anzusehn!

MARGOT.

Ja kommt!

Vielleicht, daß wir der Schwester dort begegnen.

LOUISON.

Wir haben sie gesehen, kehren wir

In unser Dorf zurück.

MARGOT.

Was? Eh wir sie

Begrüßt und angeredet?

LOUISON.

Sie gehört

Uns nicht mehr an, bei Fürsten ist ihr Platz

Und Königen – Wer sind wir, daß wir uns

Zu ihrem Glanze rühmend eitel drängen?

Sie war uns fremd, da sie noch unser war!

MARGOT.

Wird sie sich unser schämen, uns verachten?

BERTRAND.

Der König selber schämt sich unser nicht,

Er grüßte freundlich auch den Niedrigsten.

Sei sie so hoch gestiegen als sie will,

Der König ist doch größer!

 

Trompeten und Pauken erschallen aus der Kirche.

 

CLAUDE MARIE.

Kommt zur Kirche!

 

Sie eilen nach dem Hintergrund, wo sie sich unter dem Volke verlieren.

 

 

Achter Auftritt

Thibaut kommt, schwarz gekleidet, Raimond folgt ihm und will ihn zurückehalten.

 

RAIMOND.

Bleibt, Vater Thibaut! Bleibt aus dem Gedränge

Zurück! Hier seht Ihr lauter frohe Menschen,

Und Euer Gram beleidigt dieses Fest.

Kommt! Fliehn wir aus der Stadt mit eilgen Schritten.

THIBAUT.

Sahst du mein unglückselig Kind? Hast du

Sie recht betrachtet?

RAIMOND.

O ich bitt Euch, flieht!

THIBAUT.

Bemerktest du, wie ihre Schritte wankten,

Wie bleich und wie verstört ihr Antlitz war!

Die Unglückselige fühlt ihren Zustand,

Das ist der Augenblick, mein Kind zu retten,

Ich will ihn nutzen.

 

Er will gehen.

 

RAIMOND.

Bleibt! Was wollt Ihr tun?

THIBAUT.

Ich will sie überraschen, will sie stürzen

Von ihrem eiteln Glück, ja mit Gewalt

Will ich zu ihrem Gott, dem sie entsagt,

Zurück sie führen.

RAIMOND.

Ach! Erwägt es wohl!

Stürzt Euer eigen Kind nicht ins Verderben!

THIBAUT.

Lebt ihre Seele nur, ihr Leib mag sterben.

 

Johanna stürzt aus der Kirche heraus, ohne ihre Fahne, Volk dringt zu ihr, adoriert sie und küßt ihre Kleider, sie wird durch das Gedränge im Hintergrunde aufgehalten.

 

Sie kommt! Sie ists! Bleich stürzt sie aus der Kirche,

Es treibt die Angst sie aus dem Heiligtum,

Das ist das göttliche Gericht, das sich

An ihr verkündiget! –

RAIMOND.

Lebt wohl!

Verlangt nicht, daß ich länger Euch begleite!

Ich kam voll Hoffnung und ich geh voll Schmerz.

Ich habe Eure Tochter wieder gesehn,

Und fühle, daß ich sie aufs neu verliere!

 

Er geht ab, Thibaut entfernt sich auf der entgegengesetzten Seite.

 

Neunter Auftritt

Johanna.