»Sie kennen vielleicht Ihre Slowenen«, sagte er, »aber ich kenne meine galizischen Juden. Der Vater heißt Manes und ist ein Fiaker, wie Sie mir eben erzählen. Der Sohn heißt Ephraim, und all dies genügt mir vollkommen. Ich bin von dem Talent des Jungen ganz überzeugt. Ich weiß so was, dank meinem sechsten Sinn. Meine galizischen Juden können alles. Vor zehn Jahren noch habe ich sie nicht gemocht. Jetzt sind sie mir lieb, weil diese Knödelhirne angefangen haben, Antisemiten zu sein. Ich muß mich nur erkundigen, welche Herren eigentlich an den zuständigen Stellen sitzen, und besonders, welche unter ihnen Antisemiten sind. Denn ich will sie mit dem kleinen Ephraim ärgern, und ich werde auch mit dem Alten zusammen hingehen. Hoffentlich sieht er recht jüdisch aus.«

»Er trägt einen halblangen Kaftan«, sagte ich. »Gut, gut«, rief Graf Chojnicki, »das ist mein Mann. Wissen Sie, ich bin kein Patriot, aber meine Landsleute liebe ich. Ein ganzes Land, ein Vaterland gar, ist etwas Abstraktes. Aber ein Landsmann ist etwas Konkretes. Ich kann nicht alle Weizen- und Kornfelder, alle Tannenwälder, alle Sümpfe lieben, alle polnischen Herren und Damen. Aber ein bestimmtes Feld, ein Wäldchen, einen Sumpf, einen Menschen: à la bonheur! Das sehe ich, das greife ich, das spricht in der Sprache, die mir vertraut ist, das ist just, weil es einzeln ist, der Inbegriff des Vertrauten. Und im übrigen gibt es auch Menschen, die ich Landsleute nenne, auch wenn sie in China, Persien, Afrika geboren sind. Manche sind mir auf den ersten Blick vertraut. Was ein richtiger ›Landsmann› ist, das fällt einem als Zeichen der Gnade vom Himmel in den Schoß. Ist er außerdem noch auf meiner Erde geboren: à la bonheur. Aber das zweite ist ein Zufall, und das erste ist ein Schicksal.«

Er hob das Glas und rief: »Es leben die Landsleute, meine Landsleute aus allen Weltgegenden!«

Zwei Tage später schon brachte ich ihm den Fiaker Manes Reisiger ins Hotel Kremser. Manes saß knapp auf dem Sesselrand, unbeweglich, ein kolossales schwarzes Wesen. Er sah aus, als hätte er sich nicht selbst, als hätte ihn irgendein anderer hingesetzt, zufällig, an den Rand, und als wäre er selbst außerstande, den ganzen Platz einzunehmen. Außer den zwei Sätzen, die er von Zeit zu Zeit und ohne Zusammenhang wiederholte – nämlich: »Ich bitte sehr, die Herren!« und: »Ich danke sehr, die Herren!« –, sagte er nichts, und er schien auch ziemlich wenig zu verstehen. Es war Chojnicki, der dem Fiaker Manes aus Zlotogrod erzählte, wie es in Zlotogrod aussehe; denn Chojnicki kannte alle Gegenden in Galizien.

»Also morgen elf Uhr gehn wir, die Geschichte ordnen«, sagte er.

»Ich danke sehr, die Herren!« sagte Manes. Er schwenkte mit der einen Hand die Ripsmütze und lüftete mit der anderen das Käppchen. Er verneigte sich noch einmal an der Tür, die ihm der Portier offenhielt und dem er dankbar und beglückt zulächelte.

 

In der Tat war ein paar Wochen später der junge Ephraim Reisiger im Konservatorium untergebracht. Der Junge kam zu Chojnicki, um sich zu bedanken. Auch ich war damals in Chojnickis Hotel.