Alles, was sie im Meer erfassen konnten, umschlangen sie fest und ließen es nie wieder fahren. Die kleine Seejungfrau blieb ganz erschrocken stehen; ihr Herz pochte vor Furcht, fast wäre sie umgekehrt, aber da dachte sie an den Prinzen und an die Seele des Menschen, und da bekam sie Mut. Ihr langes, fliegendes Haar band sie fest um das Haupt, damit die Polypen sie nicht daran ergreifen möchten, beide Hände legte sie über ihre Brust zusammen, und schoß so davon, wie der Fisch durch das Wasser schießen kann, zwischen den häßlichen Polypen hindurch, die ihre geschmeidigen Arme und Finger hinter ihr herstreckten. Sie sah, wie jeder von ihnen etwas, was er ergriffen hatte, mit Hunderten von kleinen Armen, gleich starken Eisenbanden, hielt. Menschen, die auf der See umgekommen und tief hinunter gesunken waren, sahen als weiße Gerippe aus den Armen der Polypen hervor. Schiffsruder und Kisten hielten sie fest, Knochen von Landtieren und ein kleines Meerweib, welches sie gefangen und erstickt hatten, das war ihr fast das Schrecklichste.
Nun kam sie zu einem großen, sumpfigen Platz im Walde, wo große, fette Wasserschlangen sich wälzten und ihren häßlichen weißgelben Bauch zeigten. Mitten auf dem Platze war ein Haus, von weißen Knochen gestrandeter Menschen errichtet, da saß die Meerhexe und ließ eine Kröte aus ihrem Munde fressen, gerade wie die Menschen einem kleinen Kanarienvogel Zucker zu essen geben. Die häßlichen, fetten Wasserschlangen nannte sie ihre Küchlein und ließ sie sich auf ihrer schwammigen Brust wälzen.
»Ich weiß schon was Du willst!« sagte die Meerhexe; »es ist zwar dumm von Dir, doch sollst Du Deinen Willen haben, denn er wird Dich ins Unglück stürzen, meine schöne Prinzessin. Du willst gern Deinen Fischschwanz los sein und statt dessen zwei Stützen gleich wie die Menschen zum Gehen haben, damit der junge Prinz verliebt in Dich werden möge, und Du ihn und eine unsterbliche Seele erhalten kannst!« Dabei lachte die Hexe widerlich, sodaß die Kröte und die Schlange auf die Erde fielen, wo sie sich wälzten. »Du kommst gerade zur rechten Zeit,« sagte die Hexe, »morgen, wenn die Sonne aufgeht, könnte ich Dir nicht helfen, bis wieder ein Jahr vorüber wäre. Ich werde Dir einen Trank bereiten, mit dem mußt Du, bevor die Sonne aufgeht, nach dem Lande schwimmen, Dich dort an das Ufer setzen und ihn trinken, dann schwindet Dein Schweif und schrumpft zu dem, was die Menschen niedliche Beine nennen, ein; aber das thut wehe, es ist, als ob ein scharfes Schwert Dich durchdränge. Alle, die Dich sehen, werden sagen, Du seiest das schönste Menschenkind, was sie gesehen haben! Du behältst Deinen schwebenden Gang, keine Tänzerin kann schweben wie Du, aber bei jedem Schritt, den Du machst, ist Dir, als ob Du auf scharfe Messer trätest, als ob Dein Blut fließen müßte. Willst Du alles dies leiden, so werde ich Dir helfen!«
»Ja!« sagte die kleine Seejungfrau mit bebender Stimme, und gedachte des Prinzen und der unsterblichen Seele.
»Aber bedenke,« sagte die Hexe, »hast Du erst menschliche Gestalt bekommen, so kannst Du nie wieder eine Seejungfrau werden! Du kannst nie durch das Wasser zu Deinen Schwestern und zum Schlosse Deines Vaters zurückkehren, und gewinnst Du des Prinzen Liebe nicht, sodaß er für Dich Vater und Mutter vergißt, an Dir mit Leib und Seele hängt und den Prediger Eure Hände in einander legen läßt, daß Ihr Mann und Frau werdet, so bekommst Du keine unsterbliche Seele! Am ersten Morgen, nachdem er mit einer andern verheiratet ist, da wird Dein Herz brechen, und Du wirst zu Schaum auf dem Wasser.«
»Ich will es!« sagte die kleine Seejungfrau und ward bleich wie der Tod.
»Aber Du mußt mich auch bezahlen!« sagte die Hexe, »und es ist nicht wenig, was ich verlange. Du hast die schönste Stimme von allen hier auf dem Grunde des Meeres, damit glaubst Du wohl, ihn bezaubern zu können, aber diese Stimme mußt Du mir geben. Das Beste, was Du besitzest, will ich für mei nen köstlichen Trank haben! Mein eigen Blut muß ich Dir ja darin geben, damit der Trank scharf werde, wie ein zweischneidig Schwert!«
»Aber wenn Du meine Stimme nimmst,« sagte die kleine Seejungfrau, »was bleibt mir dann übrig?«
»Deine schöne Gestalt,« sagte die Hexe, »Dein schwebender Gang und Deine sprechenden Augen, damit kannst Du schon ein Menschenherz bethören. Nun, hast Du den Mut verloren? - Strecke Deine kleine Zunge hervor, dann schneide ich sie an Zahlungs Statt ab, und Du erhältst den kräftigen Trank!«
»Es geschehe!« sagte die kleine Seejungfrau und die Hexe setzte ihren Kessel auf, um den Zaubertrank zu kochen. »Reinlichkeit ist eine gute Sache!« sagte sie und scheuerte den Kessel mit den Schlangen ab, die sie in einen Knoten band; nun ritzte sie sich selbst in die Brust und ließ ihr schwarzes Blut dahinein tröpfeln; der Dampf bildete die sonderbarsten Gestalten, sodaß einem angst und bange werden mußte. Jeden Augenblick warf die alte Hexe neue Sachen in den Kessel, und als es recht kochte, klang es, als ob ein Krokodil weinte. Zuletzt war der Trank fertig, er sah aus wie das klarste Wasser.
»Da hast Du ihn!« sagte die Hexe und schnitt der kleinen Seejungfrau die Zunge ab, die nun stumm war, weder singen noch sprechen konnte.
»Sollten die Polypen Dich ergreifen, wenn Du durch meinen Wald zurückkehrst,« sagte die Hexe, »so wirf nur einen einzigen Tropfen dieses Getränkes auf sie, davon zerspringen ihre Arme und Finger in tausend Stücke!« Aber das brauchte die kleine Seejungfrau nicht zu thun, die Polypen zogen sich erschrocken von ihr zurück, als sie den glänzenden Trank erblickten, der in ihrer Hand leuchtete, als sei es ein funkelnder Stern. So kam sie schnell durch den Wald, den Moor und die brausenden Strudel.
Sie konnte ihres Vaters Schloß sehen, die Fackeln waren in dem großen Tanzsaal erloschen; sie schliefen sicher alle darin, aber sie wagte doch nicht, sie aufzusuchen, nun, da sie stumm war und sie auf immer verlassen wollte. Es war, als ob ihr Herz vor Trauer zerspringen sollte. Sie schlich in den Garten, nahm eine Blume von jedem Blumenbeet ihrer Schwestern, warf tausende von Kußfingern dem Schlosse zu und stieg durch die dunkelblaue See hinauf.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als sie des Prinzen Schloß erblickte und die prächtige Marmortreppe hinanstieg. Der Mond schien herrlich klar. Die kleine Seejungfrau trank den brennenden, scharfen Trank, und es war, als ginge ein zweischneidig Schwert durch ihren feinen Körper, sie fiel dabei in Ohnmacht und lag wie tot da. Als die Sonne über die See schien, erwachte sie und fühlte einen schneiden den Schmerz, aber vor ihr stand der schöne junge Prinz und heftete seine kohlschwarzen Augen auf sie, sodaß sie die ihrigen niederschlug. Da sah sie, daß ihr Fischschwanz fort war, und daß sie die niedlichsten, kleinen weißen Beine hatte, die nur ein Mädchen haben kann; aber sie war ganz nackt, deshalb hüllte sie sich in ihr großes, langes Haar ein. Der Prinz fragte, wer sie sei, und wie sie dahin gekommen sei, und sie sah ihn milde und doch betrübt mit ihren dunkelblauen Augen an, sprechen konnte sie ja nicht. Da nahm er sie bei der Hand und führte sie in das Schloß hinein. Bei jedem Schritt, den sie that, war ihr, wie die Hexe vorausgesagt hatte, als träte sie auf spitze Nadeln und scharfe Messer, aber das ertrug sie gern; an des Prinzen Hand stieg sie so leicht wie eine Seifenblase, und er sowie alle wunderten sich über ihren lieblichen, schwebenden Gang.
Köstliche Kleider von Seide und Musselin bekam sie nun anzuziehen, im Schlosse war sie die Schönste von allen, aber sie war stumm, konnte weder singen, noch sprechen. Herrliche Sklavinnen, in Seide und Gold gekleidet, kamen hervor und sangen vor dem Prinzen und seinen königlichen Eltern; eine sang schöner als alle die andern, und der Prinz klatschte in die Hände und lächelte sie an, da wurde die kleine Seejungfrau betrübt, sie wußte, daß sie selbst weit schöner gesungen hatte.
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