Ich für mein Teil pfeife auf das Geld.«

Frau Chanteau zuckte ein zweites Mal mit den Schultern.

»Du tätest gut, etwas weniger darüber zu spotten und deine Zeit nicht mit Dummheiten zu verlieren.«

Doch war sie es, die ihm das Klavierspielen beigebracht hatte! Heute erbitterte sie bereits der bloße Anblick einer Partitur. Ihre letzte Hoffnung brach zusammen: dieser Sohn, den sie als Präfekten oder Gerichtspräsidenten sich geträumt hatte, sprach davon, Opern zu schreiben, und sie sah ihn bereits, wie ehedem sich selbst, später im Schmutz der Straßen dem Stundengeben nachlaufen.

»Hier ist übrigens eine Aufstellung über die drei letzten Monate, die Davoine mir mitgegeben hat«, begann sie abermals... »Wenn das in dieser Weise fortgeht, werden wir schließlich im Juli seine Schuldner sein.«

Sie hatte ihre Reisetasche auf den Tisch gestellt und zog ein Papier hervor, das sie Chanteau reichte. Er mußte es nehmen, drehte es herum und legte es schließlich vor sich hin, ohne es zu öffnen. Veronika brachte jetzt den Tee. Neben der Zuckerdose kniff Minouche, die ihre Pfoten eingezogen hatte, scheinheilig die Äuglein zusammen; Mathieu schnarchte wie ein Mensch vor dem Kaminfeuer. Die Stimme des Meeres grollte draußen weiter und begleitete wie ein fürchterlicher Baß die kleinen friedlichen Geräusche dieses schlaftrunkenen Zimmers.

»Wie wäre es, wenn du sie wecktest, Mama?« sagte Lazare, »sie schläft gewiß nicht sehr bequem.«

»Ja, ja«, flüsterte Frau Chanteau nachdenklich und richtete die Augen auf Pauline.

Alle drei betrachteten das schlummernde Kind. Sein Atem ging noch immer ruhig, seine bleichen Wangen und der rosige Mund nahmen in der Helle der Lampe die starre Lieblichkeit eines Blumenstraußes an. Nur ihre vom Winde zerzausten kastanienbraunen Haare warfen einen Schatten über ihre zarte Stirn. Die Gedanken der Frau Chanteau kehrten inmitten der gehabten Verdrießlichkeiten nach Paris zurück, und sie war selber erstaunt über die Wärme, mit der sie, von einer unbewußten Achtung für ein reiches Mündel erfaßt, die Vormundschaft annahm; im übrigen aber erfüllte sie eine strenge Rechtlichkeit, und sie war ohne jeden Hintergedanken betreffs des Vermögens, dessen Hüterin sie werden sollte.

»Als ich in den Laden trat,« begann sie langsam zu erzählen, »hatte sie ein kurzes, schwarzes Kleid an; sie umarmte mich heftig schluchzend... Es war ein sehr schöner Laden, ein Wurstgeschäft ganz von Marmor und Spiegelglas, gerade den Hallen gegenüber... Ich fand dort eine aufgeweckte Person, eine Magd, nicht größer als ein Stiefel, aber frisch und rot; sie hatte den Anwalt benachrichtigt, die Siegel anlegen lassen, und verkaufte die Blut- und Bratwürste ruhig weiter. Adele hat mir auch vom Tode unseres armen Vetters Quenu erzählt. Seit dem Verlust seiner Frau Lisa vor sechs Monaten würgte ihn das Blut; er führte stets die Hand an den Hals, als wolle er sich die Binde abreißen; eines Abends schließlich fand man ihn mit blauem Gesicht, die Nase in einer Schmalzschüssel. Sein Oheim Gardelle war auf diese Weise gestorben.«

Sie schwieg, und wieder war alles still. Über das schlafende Gesicht Paulines huschte im Traum der flüchtige Schimmer eines Lächelns.

»Mit der Vollmacht ist alles glatt gegangen?« fragte Chanteau.

»Sehr gut... Aber dein Anwalt hatte ganz recht, daß er den Namen des Bevollmächtigten unausgefüllt ließ, denn, wie es scheint, würde ich nicht an deine Stelle treten können: die Frauen sind von diesen Dingen ausgeschlossen... Wie ich dir schrieb, habe ich mich sofort nach meiner Ankunft mit dem Pariser Notar verständigt, der dir einen Auszug des Testaments geschickt hatte, laut welchem du zum Vormunde ernannt warst. Er hat sogleich die Vollmacht auf den Namen seines Bureauvorstehers ausgestellt, was, wie er mir sagte, häufig geschieht. So haben wir vorgehen können... Bei dem Friedensrichter habe ich als Familienrat drei Verwandte von Seiten Lisas, zwei junge Vettern, Octave Mouret, und Claude Lantier, ferner einen Vetter durch Verschwägerung, Herrn Rambaud, der in Marseille wohnt, angegeben; sodann nahm ich von unserer Seite, der Seite der Quenu, die Neffen Naudet, Liardin und Delorme. Der Familienrat ist, wie du siehst, sehr angemessen; wir werden mit ihm durchsetzen können, was wir wollen, um das Glück des Kindes zu sichern... In der ersten Sitzung ernannten sie dann den Gegenvormund, den ich gezwungenerweise unter den Verwandten Lisas gewählt hatte, Herrn Saccard...«

»Still! sie wacht auf« – unterbrach Lazare.

Pauline schlug in der Tat die Augen weit auf. Ohne sich zu rühren, sah sie erstaunt die plaudernden Menschen an; dann ließ sie mit einem schlaftrunkenen Lächeln die Augen wieder zufallen; und ihr unbewegliches Gesicht nahm von neuem die milchige Durchsichtigkeit der Kamelie an.

»Ist dieser Saccard nicht der Spekulant?« fragte Chanteau.

»Ja,« erwiderte seine Frau, »ich habe ihn gesehen, wir haben zusammen geplaudert. Ein reizender Mann... Er hat so viele Geschäfte im Kopfe, daß er mich gleich aufmerksam machte, auf seine Mithilfe sei nicht zu rechnen... Du begreifst, wir haben niemanden nötig. Wenn wir die Kleine zu uns nehmen, so nehmen wir sie ganz, nicht wahr? Ich liebe es nicht, daß man bei uns herumschnüffelt... Das übrige war schnell erledigt. Deine Vollmacht enthielt zum Glück alle notwendigen Befugnisse.