Von hinten war das Viereck durch einen mächtig großen Marmorfels geschlossen.

Wenn ein Wald oder Garten auch eine Ruine sein könnte, so wäre es dieser gewesen. Eingesunkne Gartenbeete, blecherne Blumentäfelchen mitten im Grase, eine fröhliche Wildniß von Unkraut, ein verdorrter Obstbaum, ein anderer ein bloßer Pflock mit zwei grünen Wasserschößlingen, ein dritter mit herrlicher Frucht, eine zwecklose späte Gabe - die Pfirsichzweige an der Wand, einst die Liebe und der Stolz des Herrn, hingen seitwärts, unangebunden, unfruchtbar, wie schlechte Weidenruthen - eine Ulme war emporgeschossen, und streckte ihre Zweige lustig in den Säulengang hinein. Tausend Bienen und Käfer summten und arbeiteten in den üppigen Blüthen des Unkrautes.

Mitten hindurch aber ging ein breiter schöner Weg, als wäre täglich jemand darauf gewandelt, oder als wäre er gestern erst gemacht worden. Heinrich hatte auch bemerkt, daß in der Ruine von dem einen Thore bis zum andern über die Schutthügel ordentlich ein getretener Weg laufe. Sie gingen den Garten entlang. Wie sie immer näher kamen, so stieg ihnen der rothe Fels stets größer entgegen, und Heinrich bemerkte endlich, daß in denselben eine hohe Pforte gehauen war, mit einem eisernen Thore verschlossen, daran eiserne Schlösser hingen, mit dem gräflichen und den Gerichtssiegeln versiegelt. Es war dieser Felsen der sogenannte rothe Stein, in dem die Lebenserzählungen aufbewahrt waren, und dessen Bedeutung Heinrich von Robert aus den Gerichtspapieren erfahren hatte.

Seitwärts dem rothen Steine war der Kirchhof des Schlosses. Ein anderes Thor, nicht massiv, nicht versiegelt, sondern ein hohes breites Eisengitter, führte hinein. Es war auch ein Garten, aber statt der Blümlein war nur ein dunkler hingehender Rasen, statt des Obeliskes ein weißes Crucifix in Mitte von vier Linden, und statt des Gartenhauses eine Kapelle von den Eichen überschattet, die draußen in dem Walde des Julian standen.

»Die Bücher, so in dem Gewölbe dieses rothen Steines sind,« sagte Ruprecht, »reden nur zu Leuten, die aus dem Blute unsrer Grafen stammen, und jeder Tropfen ist aufgeschrieben, der seit siebenhundert Jahren aus einem ihrer Herzen rann, und keiner darf die Schrift lesen, der nicht ein Kind desselben Geschlechtes ist. Ihr seht, daß die Thore des Steines versiegelt sind, ihr könnt nicht hinein, aber zu dem andern habe ich die Schlüssel.«

Und er schloß das Gitter auf, und führte sie durch eine heitere Allee von Linden auf den Kirchhof. Es war der stillste Ort, den Heinrich noch auf dem Berge gesehen hatte, fast zum Frieden und Schlummer ladend; denn von drei Seiten war er durch den Eichenwald des Julian umgeben, so daß beinahe kein Lüftchen, ja kein Ton von außen zu dieser Insel dringen konnte: von der vierten Seite stand das alte Schloß und die Lindenallee, grau und grün gemischt - und von oben war die tiefe Bläue des Himmels und das niederfließende Gold der Sonne. Auch war jene wimmelnde Bevölkerung von Kreuzen und Zeichen nicht da, womit sonst so gerne die Erhabenheit eines Todtengartens zerstört wird, und womit der Mensch seine armen Flitter auch in dieses ernste Reich hinüber trägt, sondern auf dem gleichen Rasen waren nur einige unbedeutende Merkmale, die Ruhestelle treuer Diener des Hauses bezeichnend, und in der Mitte stand ein hohes Kreuz von weißem Marmor, als Zeichen des allgemeinen Friedens und der allgemeinen Gleichheit. Viele Mitglieder des Geschlechtes ruhten ohne Grabmerkmal, wie sie es verordnet, unter der allgemeinen einfachen Decke des Rasens; andere aber lagen mit Wappen, Zeichen, Zierden und Prunk in der weitläufigen Gruft unter der Kapelle. Heinrich und Robert stiegen in diese Gruft hinunter; Ruprecht, der sie ihnen aufgeschlossen hatte, blieb oben auf einem Marmorwürfel sitzen, der aussah, wie ein unfertiger Grabstein. Die Gruft hatte nichts anderes, als eben Grüfte zu haben pflegen: Särge, Wappen, Vergänglichkeit - alles bedeckt mit Pomp und Moder, nur ein einziger Sarg stand da, ganz einfach von Eichenholz gezimmert, ohne das geringste Zeichen, ja sogar ohne Namen. Sie stiegen nach einiger Betrachtung wieder hinauf, und wie sie aus dem dunklen Thore der Kapelle ins Freie traten, hörten sie ein plötzliches Rauschen, und sahen noch das Wegflattern des Gewandes, und den Sprung des Hundes. Das wilde, scheue Kind, Pia, war in ihrer Abwesenheit bei Ruprecht gewesen und hatte bei ihrer Ankunft die Flucht ergriffen; sie sahen nur noch, wie sie hinter einen Hollunderbusch, der an der Kirchhofmauer stand, verschwand, aber dort stehen blieb, und durch eine Oeffnung ihr schönes Gesichtchen herausbog und halb dreist, und halb geschreckt mit den übernatürlich glänzenden, schwarzen Augen die Fremden anstarrte - aber wie sich Robert nur regte, so zuckte sie weg, und wurde erst viel später wieder gesehen, wie sie mit Hüon auf einer rothen Felskuppe stand. Von da an sah man sie bis gegen Abend nicht wieder. Heinrich konnte sich eines unheimlichen Gedankens nicht erwehren, wenn er sich diese zwei Wesen als die einzigen Bewohner des Berges dachte; den märchenhaft alten, blödsinnigen Mann, und das verwahrloste zartgliedrige Wesen, das in seiner Gesellschaft zu einem Wüstenvogel aufwachsen muß, der entsetzt aufflattert, wenn ihm die schöne Bildung eines Menschenantlitzes sichtbar wird.

»Sie ist stille und gut,« sagte Ruprecht, nachdem er die Kirchthüre gesperrt, und den Schlüssel wieder zu den andern genestelt hatte, »sie saß die ganze Zeit, als ihr in dem Gewölbe unten waret, hier auf dem weißen Steine und athmete ihr Laufen aus, und von dem Händchen quoll ein Blutstropfen, weil ihr sie an den alten Mauern so erschreckt habt, und sie fragte, wer ihr seid, und warum ich euch denn nicht erschlüge, wie den Wolf, der auch im Winter in die Fichtenallee gekommen ist, und mit Hüon spielen wollte. - - Sie wußte nicht, auf welchem traurigen Steine sie saß, und die Worte von den Menschen und Wölfen redete. - - Sehet dieses Ding da sollte, als er ihren Tod erfuhr, nach dem Vorbilde gemeißelt werden, worunter Chelion liegt; aber als ihr das große Pergament brachtet, Herr Syndikus, und von seinem Begräbnisse erzähltet, da raffte der Werkmeister den Hammer und Meißel zusammen, und ging fort, daß nun der eichene Sarg ohne Namen unten stehen muß, und der Grabstein ohne Bedeutung hier oben liegen. Auch der Conterfeier ging fort, und ließ die schönen, grünen, seidnen Vorhänge hängen - und sie hängen noch dort; denn das Grüne hat er sehr geliebt - - und ihr müsset sie Beide züchtigen, Erlaucht, die ungetreuen Knechte. Ach Alles, Alles ist nicht fertig geworden.«

»Lasse uns um Gotteswillen das andere schnell abthun, - mir wird es unheimlich in der Gegenwart dieses alten Mannes,« flüsterte Heinrich seinem Begleiter zu.

»Lasse ihn nur,« versetzte dieser, »er ist ja übrigens ganz harmlos.«

»Ich werde euch nun zum glatten Hause führen,« sagte Ruprecht, »und die Clausur der Frau Hermenegild aufschließen; aber es sind jetzt die Bienen drin - sie thun nichts, und sind nicht wild; denn ich habe ihnen nie Honig genommen, sie tragen viel aus den Linden der Gräber herüber, und der ist süß und duftig - - ich werde euch auch den Wein zeigen - folgt mir nur.«

Und er führte sie durch den Eichenwald dem sogenannten Sixtusbaue entgegen. Sie betraten ihn von der Hinterseite, und fanden wirklich hier den seltsamsten Haushalt: es lief ein langer schmaler Glasgang mit erblindeten regenbogigen Scheiben längs des Gebäudes, und aus einigen zerbrochenen Scheiben desselben wogte es von Bienen aus und ein, und so viel man durch das trübe Glas erkennen mochte, war der Gang, insbesondere die Nischen abenteuerlich mit riesenhaften Waben bebaut, und die allergrößte Thätigkeit herrschte fort, daß es einem ordentlich im Kopfe wirrte und schwirrte, je länger man dem Treiben dieses Knäuels von Republiken zusah, an einem zu solchem Haushalte so unpassenden und ungewöhnlichen Orte.

»Die Nonnen hatten sonst den Gang zum Lustwandeln gehabt,« sagte Ruprecht, »aber das ist nun nicht mehr möglich, weil sie todt sind, und wir können auch nicht dort gehen, wegen der Bienen; ich werde aber öffnen, wo wir durch die Zellen der heiligen Frauen kommen. - Im Winter gebe ich dem kleinen Geflügel immer Stroh; Graf Christoph nahm ihnen noch Honig, denn er war ihr Herr; aber ich lasse sie fortbauen, und es sind schon manche Schwärme in die Fichtau hinausgeflogen, weil sie meinten, es sei hier zu enge, oder weil sie thaten, wie die Jugend überhaupt zu thun pflegt. Da die Frau Gräfin Hermenegild, als ihr Herr, Ubaldus, im heiligen Kriege gefallen war, die Zellen eingerichtet, und die heiligen Frauen zur Anbetung Gottes berufen hat, dachte sie nicht, daß in den schönen Glasgang diese Bewohner kommen würden - - ja damals sind sie gewandelt, und haben kunstreiche Arbeiten gemacht, die noch alle im rothen Saale aufbewahrt sind; aber weil die Zellen nicht von dem heiligen Vater geweiht waren, so wurde es nach dem Tode der Frau Gräfin untersagt, daß sie weiter bestehen; und die letzte der Nonnen starb, da mein Urgroßvater ein Kind war. Er ist auch Castellan gewesen.«

Und bei diesen Worten hatte er ein Thor am Ende des Glasganges geöffnet, und führte sie nun durch Zellen und Gemächer, durch Refectorium und Sprechsaal - und sie sahen all das dumpfe bestaubte Geräthe, die schwarzen Bilder, die blinden Fenster, und die zerfetzten Tapeten der Nonnen.

Gegen Ende dieser Dinge, wo wieder die andern Gemächer des Hauses beginnen, war Einiges in Schutt, und allerlei Gänge öffneten ihre Höhlen. Hier sagte Ruprecht heimlich zu Heinrich, er sollte mit ihm gehen; denn er müsse ihm allein etwas zeigen. Heinrich zauderte Anfangs ein wenig, aber durch Robert ermuthigt folgte er dem Alten. Dieser gab in Miene und Bewegung alle Zeichen der höchsten Freude zu erkennen, führte ihn Trepp' auf Trepp' ab, sperrte Thüren auf und zu, machte endlich am Ende eines verfallenen Ganges Licht, und stieg mit ihm eine Wendelstiege hinab.