- Wie seltsam die Schicksale der Menschen und der Geschlechter sind! Was mußte nicht geschehen, daß er heute hier stehe, und auf die zarte Stirne, und die großen freundlich lodernden Augen eines Knaben schaue, der vielleicht sein Ur-Ur--Großvater ist, jener Mann, von dem er so viel reden gehört, der gekommen sei, man wußte nicht, woher, der gewaltet, gewirthschaftet, und gelebt habe, so herrlich, wie kein Mensch, und den er sich nie anders, denn als schwachen verkommenen Greis vorstellen konnte, weil der Großvater erzählt hatte, wie er so schön im weißen Barte und schwarzen Sammtkleide auf dem Paradebette gelegen sei, als man gekommen, um ihn mit Gepränge zu begraben, weil er heimlich ein vornehmer Herr und Graf gewesen.

Robert stand neben dem Freunde - und ahnte nicht, was in demselben vorgehen mochte. Auch der Greis Ruprecht schaute so gleichgültig und blöde auf Alles, als verstände er nichts.

Indessen blickte dasselbe Schwärmerauge des Prokopus aus dem Bilde, dieselben guten sanften Blicke der Jungfrauen, und dieselben ungleichen Mienen der feindlichen Brüder.

Man ging endlich weiter.

Julianus war der letzte im Harnisch gewesen, aber auch dieser, ein leichtes vergoldetes Ding, war mehr Spielzeug, als Waffe. Nach ihm begannen die kleinen Degen und die Bordenkleider und Reifröcke, und - merkwürdig - war es nun Zufall, oder war es Zeichen jener Zeit, die sittenloser, als eine, auch ihren fahlen Fittig über diesen entlegenen Berg geschattet hatte - die bisherige Reihe bedeutungsvoller Köpfe brach hier ab, und es folgten einige von vollendeter Nichtigkeit, ein Gebäude von Borden und Locken und Angesichter voll Ceremonie und Leerheit. Erst gegen das Ende, bevor der ganze Bilderreigen überhaupt abbrach, gleichsam wie der letzte Glanzblitz einer erlöschenden Flamme, saß noch eine Gruppe, welche Auge und Ahnungsvermögen jedes Beschauers an sich riß; für unsere Freunde aber durch die aberwitzige Vermittelung des alten Mannes wahrhaft erschütternd wurde.

Die Zeit der Borden und Zöpfe nämlich hörte plötzlich bei einem Manne auf, der in ganz fremder Kleidung da saß, die gar keinem Jahrhunderte der Geschichte angehörte; einer Gattung weitfaltigen, rabenschwarzen Mantels mit rother Seide ausgeschlagen. Ein Kopf voll Schönheit und Bedeutung sah ernst, und doch sanft schwärmend daraus nieder: »Jodokus« stand unter dem Bilde. Die Männer sahen ihn neugierig an, den Menschen, von dem so abersinnige Gerüchte umgingen, und der doch so ruhig und @ gelassen-thatfähig aus dem Bilde sah, wie man es etwa von einem Epaminondas erwartet haben würde.

Auf einmal, da sie so hinsahen, ertönte hinter ihnen schüchtern, da er seit langem wieder zum ersten Male das Wort nahm, die Stimme Ruprechts, welcher sagte: »Er hat selbst den himmelblauen Vorhang im Testamente so verordnet, wie er ist, und daß er nur gehoben werde, wenn dringender Grund ist, das Bild zu sehen.«

Die Freunde blickten auf, und wirklich bemerkten sie, was sie im Augenblicke vorher nicht beachtet hatten, daß das Gemälde neben Jodokus mit blauer Seide verhängt war.

»Nun, es ist dringender Grund,« sagte Robert lächelnd, »enthülle das Ding.«

Aber der Alte achtete nicht auf die Rede dieses, sondern mit einem düstern verzagten Seitenblicke Heinrich streifend, sagte er: »ja, ja, es ist dringender Grund - ein dringenderer kann gar nicht sein; aber ich warne euch - ihr werdet euch entsetzen.«

Einen Augenblick zauderte er noch, dann aber that er einen kurzen Zug an einer seidnen Schnur, der Vorhang rollte sich von selber empor, klappte in eine Feder, blieb stehen - und der alte Mann trat weit in den Saal zurück, als wäre er von tiefster Erschütterung ergriffen - aber, was sie sahen, war nicht zum Entsetzen, es war eher lieblich und schön: eine kleine weibliche Figur war auf dem Bilde gemalt, wie ein Kind in sanfter Trauer, und doch wie ein vermähltes glühendes Weib. Ueber dem schwarzen Seidenkleide hielt sie ein lichtes Antlitz, so seltsam und schön, wie eine Blume über dunklen Blättern. Die kleine weiße Hand lag auf Marmor, und spiegelte sich drinnen. Die Augen sahen fremd und erschreckt. Zu ihren Füßen, als friere er, schmiegte sich ein Goldfasan.

Unten im Serpentine stand: »Chelion.«

Die zwei Männer hatten lange und mit größtem Wohlgefallen den Schmelz dieses Bildes betrachtet, aber wie sie sich endlich zum Gehen wegwandten, sahen sie zu ihrem Erstaunen den greisen Kastellan mit äußerster Verzückung nach dem Gemälde starren. Er hatte sich nicht im Geringsten geregt, und war weit hinten im Saale gestanden. Die Freunde richteten bei dieser Erscheinung, gleichsam wie durch Verabredung, noch einmal ihren Blick auf das Bild, und als nach einer Weile Heinrich sagte: »Sie ist aber eigentlich auch wundervoll schön und seltsam,« hörte man den Alten schleichenden Trittes herzugehen, und wie er in die Nähe Heinrichs gekommen, streckte er tastend seine Hand gegen ihn, daß der dürre Arm weit aus dem Aermel des alten Rockes vorstand, und rief mit leiser heiserer Stimme: »Ja, das ist auch entsetzlich, das ist das Unglück, wie sie schön ist, wie sie über alle Beschreibung schön ist - - ich bitt' euch, wahrt eure Seele, Graf Sixtus! auf den Knieen bitt' ich euch, wahret euch vor Versuchung; denn die Hölle hängt nur an einem Haare - - Alles ist gut abgegangen; - er hat sie lieb gehabt, fort und fort, wie der Adler sein Junges, aber da war sie weiß, ehe sie gestorben ist, so weiß war sie, wie die Lilien, die unten im Sumpfe wachsen, und die Häupter auf das schwarze Wasser legen - - und mich hat er oft angeschaut mit den glänzenden Augen - und da er schon den langen, weißen Bart hatte, hat er mich angeschaut mit den schwarzen Augen, wie Nachts die Eule blicket; - aber ich habe die Zähne meines Mundes zusammengeschlossen wie Eisen, und kein Wort durch sie herausgelassen, - und dann hat er mich auch wieder lieb gehabt, und da er unten am Häuschen saß, und die Sonne schien, da hat er meine Hand genommen, und sie gestreichelt, und gesagt: »lieber Ruprecht, lieber Ruprecht!« denn seht - hiebei neigte sich der Greis gegen Heinrich's Ohr, und flüsterte mit bedeutsamem Lächeln - er war seine letzten Tage blöde und wahnsinnig.«

Die zwei Männer schauderte es ins tiefste Mark der Seele und Heinrich trat einige Schritte weg, aber der wahnwitzige Kastellan folgte ihm sachte mit glänzenden Augen: »Er hätte euch über den Stein hinabgestürzt - ihr seid aber auch viel schöner, als er es je gewesen - ich habe ihn recht gut gesehen, wie er bei Prokopus Thurme stand, es war Nacht, und sein schwarzer Mantel war so finster, wie die Wolken, die draußen wehten und Blitze zogen - der Seidenmantel knisterte - und es war eine so heiße Nacht, wißt ihr? und sie dauerte so lange, als wie sonst drei, aber endlich wurde es Morgen und klar, ihr waret fort - - es ist sehr gut, daß ihr fort waret - - und es kamen so schwere, so schwere Zeiten - ich habe euch gesagt, daß sie wie eine Lilie weiß war, und noch kleiner, als sonst immer, und alle sind gestorben, die arme Chelion starb, mein Weib Bertha starb, ihr starbet, und wie er das Schloß angezündet hatte, und unten im Häuschen auch todt lag, lange gestreckt, den weißen Bart, wie ein zerfetztes Banner haltend, da kam ihr Sohn, der arme Christoph - seht ihr ihn daneben - aber er ist auch todt, und Narcissa - und Alle sind sie todt - - ...«

Unwillkührlich sahen die Freunde auf das Nebenbild der Chelion, und wirklich stand ein junger Mann darauf, ihr vollendetes Abbild - wie sie, so seltsam und schön, aber mit trüben, schwermuthsvollen Blicken. Dieser war also der letzte Besitzer des Berges gewesen.

Zu einer andern Zeit und in anderer Lage würden sie lange vor diesen merkwürdigen Bildern und Naturspielen gestanden sein, aber in diesem Augenblicke war es ihnen nicht möglich; denn der alte Mann neben ihnen war von einer so furchtbaren Erregung gefaßt, daß er bei seinen letzten Worten in ein krampfhaftes Weinen ausbrach, die Hände vor das Gesicht schlug, und die überreichlichen Tropfen zwischen den dürren, faltigen Fingern hervorquellen ließ, so daß sein ganzer Riesenbau vor Schmerz zitterte, wie der See schwankt, wenn ein ferner Sturm tobt. Das Herz der Freunde that einen Blick in die Schlucht einer verworrenen, vielleicht grausenhaften That - sie konnten nicht forschen, und wollten es nicht; denn bereits funkelte der Wahnsinn, wie ein düstres Nordlicht, an allen Punkten des unglücklichen Wesens vor ihnen, und sie mochten ihn nicht steigern, daß er nicht etwa überschlage und dem, wenn auch uralten, Körper Riesenkräfte gebe, und zu Entsetzlichem treibe - auch hat das Menschenherz eine natürliche Scheu, den dunklen Spuren eines Andern nachzugehen, auf denen es zu Schuld und Unglück wandelte. Deßhalb schwiegen sie Beide tief und ernst, selbst gegen einander, und blickten nur noch trübe auf die beiden Bilder: Mutter und Sohn. Chelion war schön, wie ein reiner Engel, und Christoph war es, wie ein gefallener. Neben ihm war kein Bild mehr, sondern die lange Reihe leerer Nischen für Alle noch Ungebornen, als hätte der Gründer auf eine Ewigkeit seines Geschlechtes gerechnet.

Die Freunde wandten sich nun zum Fortgehen. Ohnehin war ihnen die Luft dieses Saales drückend geworden. Sie wollten unbeachtet an Rupprecht vorübergehen, überzeugt, daß er ihnen, sich sänftigend, stille folgen würde. Aber wie er ihre Absicht errieth, ließ er plötzlich die Hände von seinem Gesichte fallen, und statt der vorigen Erregung sahen sie nun das äußerste Erstaunen darinnen, so, daß ihm sogar vor Schreck die Thränen stocken geblieben, und wie gefrorne Tropfen in dem weißen Reife seines Bartes standen: »Aber wie seid ihr denn?« rief er mit heftiger Stimme, »wozu habe ich euch denn hergeführt? wozu seid ihr denn zurückgekehrt? Ich habe den ganzen Tag die Geduld mit euch gehabt, ich habe ja die höchste Geduld gehabt, als ihr immer und immer die andern Dinge des Berges anschautet, und nicht ginget, wohin ich euch führen wollte, ich habe die Geduld gehabt, um euch endlich auch zu zeigen was ich gethan habe - warum wollt ihr denn nun fortgehen?!«

»So zeige uns nur, alter Mann, was du gethan hast,« sagte Heinrich freundlich, »zeige es nur, wir freuen uns ja darauf.«

»Sehet,« rief der Greis besänftigter, »Alle sind sie da, Alle, die je lebten und athmeten auf dem rothen Steine« - sie sind versammelt in dem grünen Saale; nur einer war verworfen, - ich habe ihn immer sehr geliebt, und dachte, es soll nicht so sein - seht nun: ich war es, der es machte, daß ihr schon im Saale standet, als er noch lebte, aber er wußte es nicht, er ging hinüber, und wußte es nicht. - - Wartet nur, ich will zuerst den blauen Vorhang herablassen, weil er nicht offen stehen bleiben darf ..... «

Diese letzten Worte hatte er beschwichtigend und vertraulich gesagt, und dann lief er gegen Chelions Bild: »Hüll' dich ein,« sagte er murmelnd, »du schöne Sünde, hüll' dich ein, du Apfel des Paradieses« - - und er zog wieder an der Schnur, und freiwillig, wie hinauf, rollte sich nun der Vorhang herunter, Stück um Stück den Schimmer des Bildes deckend, bis nichts mehr sichtbar war, als die unschuldige Seide, straff gespannt, und matt erglänzend. Dann zu heller unheimlicher Freude übergehend, sprang der Greis zu der leeren Nische neben Christoph, drückte gegen eine Feder, und zum Erstaunen der Männer sprang der Serpentin los - und in das Krachen mischte sich das triumphirende Kichern und Lachen des Greises. Sie sahen nun, daß der Stein bloß auf eine Kupfertafel gemalt war, daß sich diese völlig umlege, und noch ein Bild entblöße, das sie vorher gedeckt hatte. Es war ein Männerbild, und im Serpentine unten stand: »Sixtus II.«

Allein das Bild war das Heinrichs Zug für Zug, nur in fremden Kleidern.

Der Alte rieb frohlockend und herausfordernd die Hände, als wollte er sagen: »Nun?! nun?!«

Robert war zum Aeußersten betroffen. Er hatte bisher die zwei Andern begleitet, wie Einer, der bloß Merkwürdigkeiten anschaut, nun aber wußte er plötzlich nicht mehr, woran er sei - - zwar ein Gedanke, blitzschnell und abenteuerlich, schoß durch sein Gehirn, aber er war zu lächerlich, als daß er ihn nicht sogleich hätte verwerfen sollen - nur fragend blickte er gegen den Freund. Dieser aber, der ebenfalls die Sache zu fassen begann, war Anfangs todtenblaß, dann allmälich flammend roth geworden; - der stummen Frage des Andern aber konnte er eben so wenig eine Antwort geben. Bloß der wahnwitzige Greis war der einzige, der völlig klar war; mit einer Freude und Geschäftigkeit, die man an ihm gar nicht zu ahnen vermocht hätte, ging er sofort an das Werk der Erklärung, und in dem listigen Lächeln seines Angesichtes schwamm die gänzliche Beruhigung, die er über seine Anstalten empfand.

»Ich habe euch bloß,« begann er, »nach dem kleinen runden Bilde machen lassen, das im Deckel eures feinen Reisekästchens war - wißt ihr? - ich hab' es nach jener Nacht herausgestohlen, und aufbewahret. Ein alter, alter Mann hat euch conterfeit, ihr müsset ihn erst belohnen; denn er hat euch sehr geliebt. Des ganzen lieben Tages Länge saß er oben im Julianusschlosse, über die sinkende Stiege hinauf, wo ich ihn versteckt hielt, und wohin ich ihm Essen und Trinken brachte.