Die Bilder, überlebensgroß und großer Meister Werk, stehen, Vergangenheit in Fülle und Ganzheit bezeugend, gegen die Schrift und gegen den Stein als Ruine.)
Ruprecht aber, der verrückte Vermittler von Gegenwart und Vergangenheit, ist wie Gregor im "Hochwald" eine Übergangsfigur; metonymische Verkörperung von Stein und – hier nicht Gebein, sondern: Schrift. Aber Schrift – und zwar: im Stein, eingelassen in den roten Stein – ist hier das Gebein, das bleibt, verbürgend und belastend. Gerade darum aber ist Ruprecht auch eine zutiefst unheimliche Figur, ein a-sozialer Abgrund an "Verrückung" – nämlich "jener Gesetze, auf deren Dasein im Haupte jedes andern man mit Zuversicht baut, als des einzigen, was er untrüglich mit uns gemein hat". (Was auch heißt: Heinrich teilt den Wahnsinn nicht, anders als, könnte man sagen, die in den Wald als Gregors Welt ihr Leben einräumenden Figuren des "Hochwald").
Und der Stein ist natürlich das Schloss, die Burg als Welt für sich. Als Scharnast-Welt, in die jeder sich einträgt mit einem eigenen Bau und eigenen Garten, eigenen Pflanzen und eigenen Häusern, "eine Sammlung von Schlössern, eine halbe Stadt von Schlössern". Eine genealogische Welt in vollständiger Un-Ordnung. Jeder richtet sich ein im eigenen Haus, fügt an im fremden Stil. Die "Narrenburg" ist, mit einem Wort: das Fremdeste. Christoph, der letzte Graf, ist in Afrika gestorben. Jodokus bringt aus Inden sich Chelion die Frau und mit ihr das Unglück mit, das seine und das ihre.
Adalbert Stifter
Die Narrenburg
Erzählung
1841
Sieh nur, welch düstere Geschichten diese Trümmer reden.
Altes Buch

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epub: 2009 © TUX
Autor
Adalbert Stifter wurde am 23.10.1805 in Oberplan (Böhmerwald) geboren. Er kam als Sohn eines Leinewebers und Flachshändlers aus einfachen Verhältnissen. Als er 12 Jahre alt war, starb der Vater, und er wurde von da ab von den Großeltern erzogen. Er besuchte von 1818 bis 1826 das Gymnasium und studierte anschließend bis 1830 in Wien zunächst Jura, dann Naturwissenschaften und Geschichte, machte aber keine Abschlußprüfung.
Stifter wollte gern Landschaftsmaler werden. Den Lebensunterhalt verdiente er sich als Privatlehrer in Wiener Adelshäusern. 1848 zog Stifter nach Linz und lebte dort die letzten Jahrzehnte seines Lebens. In seinen letzten Lebensjahren war er schwerkrank und litt unter Depressionen. Ob er Selbstmord beging, ist nicht sicher nachzuweisen. Er starb am 28.1.1868.
1. Die grüne Fichtau
Hanns von Scharnast hatte ein lächerliches Fideicommiß gestiftet. Seine Burg Rothenstein sammt Zugehör an Unterthanen, an Jagd-, Fisch- und Berggerechtigkeit solle sich in gerader Linie immer auf den ältesten Sohn forterben; ist kein Sohn da, auf Töchter, und in Ermanglung dieser auf die älteste Seitenlinie und so fort, bis etwa einmal der Fall eintritt, daß weder ein Cognat, noch ein Agnat von benanntem Hause übrig ist, wo sodann die Burg sammt Zugehör an den Fiscus fällt. Bis hieher wäre Alles richtig; aber eine Bedingung fügte er dem Fideicommisse bei, welche der ganzen Sache eine andere Wendung gibt. Jeder nämlich, dem die Burg als Erbschaft zufiel, mußte, ehe sie ihm ausgeantwortet würde, zweierlei Dinge leisten: erstens mußte er schwören, daß er getreu und ohne geringsten Abbruch der Wahrheit seine Lebensgeschichte aufschreiben wolle, und zwar von der Zeit seiner ersten Erinnerung an bis zu jener, da er nur noch die Feder zu halten im Stande war. Diese Lebensbeschreibung solle er dann Heft für Heft, wie sie fertig wird, in dem feuerfesten Gemache hinterlegen, das zu diesem Zwecke in den rothen Marmorfels gehauen war, der sich innerhalb der Burg erhebt; - zweitens mußte er schwören, daß er sämmtliche bereits in dem rothen Steine befindlichen Lebensbeschreibungen lesen wolle, wobei es ihm aber nicht gestattet ist, irgend eine von dem Gemache ihrer Aufbewahrung wegzutragen. Wer eine von diesen Bedingungen nicht erfüllen könne oder wolle, der wird betrachtet, als sei er im Augenblicke des Anfalles des Fideicommisses gestorben, und dasselbe geht auf seinen fideicommissarischen Nachfolger über. Für jeden minderjährigen Fideicommissar müsse das Erbe so lange vormundschaftlich verwaltet werden, bis er großjährig geworden, und sich erklären könne, ob er schwören wolle, ob nicht. Bei wessen Tode sich der Fall ereigne, daß man von ihm gar keine Lebensbeschreibung in dem rothen Steine finden könne, der wird als gar nicht geboren betrachtet, also ist auch seine ganze Nachkommenschaft nicht geboren, und das Fideicommiß geht an ihnen vorüber den Weg Rechtens weiter.
Der Grund, der Hannsen leitete, eine so seltsame Klausel an sein Fideicommiß zu hängen, war ein zweifacher. Erstens, obwohl er ein sehr frommer und tugendhafter Mann war, so hatte er doch in seinem Leben so viele Narrheiten und Uebereilungen begangen, und es war ihm daraus so viel Beschämung und Verdruß zugewachsen, daß er beschloß, alles haarklein aufzuschreiben, ja auch seinen Nachfolgern die Pflicht aufzulegen, daß sie ihr Leben beschreiben, damit sich Jeder, der nach ihnen käme, daran zu spiegeln und zu hüten vermöge.
Der zweite Grund war: daß sich jeder, der nur die entfernteste Anwartschaft auf Rothenstein hätte, gar wohl von Laster und Unsitte fern halten würde, damit er nicht dereinst in die Lage käme, sie beschreiben zu müssen, oder sie doch halbwegs einzugestehen, wenn er den Eid von sich schiebe.
Was nun den ersten Punkt anlangt, so hatte Hanns das Unglück, das schnurgerade Gegentheil von dem zu erreichen, was er erzielen wollte. Es mußte nämlich von ihrem Ahnherrn her so viel tolles Blut, und so viel Ansatz zur Narrheit in den Scharnasts gelegen haben, daß sie, statt durch die Lebensbeschreibungen abgeschreckt zu werden, sich ordentlich daran ein Exempel nahmen, und so viel verrücktes Zeugs thaten, als nur immer in eine Lebensbeschreibung hineingeht - ja selbst Die, welche bisher ein stilles und manierliches Leben geführt hatten, schlugen in dem Augenblicke um, als sie in den Besitz der verwetterten Burg kamen, und die Sache wurde immer ärger, je mehr Besitzer bereits gewesen waren, und mit je mehr Wust sich der neue den Kopf anfüllen mußte. Der Stifter würde sich im Grabe umgekehrt haben, wenn er durch die dicken Felsenwände in seine Gruft hineingehört hätte, was die Leute sagten; nicht anders nämlich, als die »Narrenburg« nannten sie den von ihm gerade in dieser Hinsicht so wohl verklausulirten Rothenstein.
In Bezug des zweiten Punktes, der Tugend nämlich, war es nicht recht klar, in wie weit der Gründer seinen Zweck erreicht habe; man sagte wohl den Scharnasts verschiedenes Böse nach, allein es kroch immer nur so im Dunkel herum: andrerseits stand aber auch die Thatsache fest, daß man sich nie einer Zeit erinnern konnte, wo einer von ihnen als ausnahmsweises Muster der Tugend wäre aufgestellt worden.
Heutzutage liegt die Burg beinahe in Trümmern, und seit der letzte Scharnast in Afrika erschossen worden ist, konnte man auch gar keinen Anwärter mehr auf den Rothenstein auftreiben, und ein Schalk warf bereits die lächerliche Rechtsfrage auf, ob nun auch der Fiscus seine Lebensbeschreibung werde schreiben müssen.
So standen actengemäß die Sachen, als sich das zutrug, was wir in den folgenden Blättern erzählen wollen.
Eines schönen Sommertages gegen Abend im Jahre 1836 schritt ein junger, leidlich schmucker Bursche das romantische Waldthal der Fichtau an dem Flusse Pernitz entlang.
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