- - Denkt nur, neulich hab' ich es sogar dem Philax ins Ohr gesagt: ich lieb' ihn von Herzen, von Herzen, von Herzen - - aber der Thrine darf ich es doch morgen sagen?«

»Wenn du mich liebst ....«

»Nein, ich sage ihr auch nichts. - - Wenn ihr nur nicht zu lange ausbleibt, werd ich es schon überdauern.«

»O, du schönes, naturgetreues Herz, wie werd' ich dich verdienen können?« sagte er nach einer Weile, in der er sich gesammelt hatte. Seine Stimme war gerührt, und wenn seine Augen nicht im Schatten gewesen wären, so hätte sie sehen können, wie zwei Thränen in dieselben getreten waren. Sie aber sah es nicht, und da sie wegen seines Schweigens meinte, es sei ein Schmerz in ihm, so nahm sie seine Hand in ihre beiden, und hielt sie fest und herzlich.

Und wie sie so saßen und schwiegen, und wie um sie auch die ganze glänzende Nacht schwieg - und Minute nach Minute verging, ohne daß das Herz es wußte: da krähte hell und klar der Hahn, die Trompete des Morgens, der Herold, der da sagt, daß Mitternacht vorüber und ein neuer Tag anbricht. - - Anna sprang auf: »Um Gotteswillen, seht, der Mond steht so tief, daß er in den Laubeneingang scheint, und die Luft wird heller - ich muß zurück ins Haus - haltet mich nicht auf - und lebt recht wohl.«

Er stand auch auf: »Nur noch eine Minute, Anna, noch eine Secunde - nur diesen Kuß - - so - - aber du sagst ja schon wieder: ihr.«

»Nun: du - so lebe wohl, lieber, theurer Mann, und komme doch recht bald, und sage das Wort zum Vater.«

»Und die Tage, die ich bleibe - kommst du noch einmal zur Laube, Anna?«

»Nein, Heinrich, es ist nicht recht; ich will euch unter Tags in dieser Zeit recht freundlich anblicken, wenn auch der Vater scheel sieht, aber kommen kann ich nicht mehr, es ist doch nicht recht. - - Sagt nur bald das Wort, dann bin ich ja immer bei euch, Tag und Nacht.«

Noch einmal, auf die Spitzen ihrer Zehen gestellt, empfing sie seinen Kuß.

»Lebe wohl,« sagte er, »du innig süßes Herz - gute Nacht.«

»Gute Nacht,« sagte sie, und verschwand im Schatten des Laubes.

Er war allein.

Frischer, gleichsam dem Morgen zu, rauschten die Wasser der Pernitz, und die Blätter der Zweige begannen, sich in einem kurzen Nachmitternachtlüftchen zu rühren. Der Wanderer ging aber tiefer in den Garten zurück, schwang sich über die Einfriedigung, und schritt über den mondhellen Wiesenhügel dem Walde zu, als sei es ihm nicht möglich, in diesem Augenblicke seine Schlafstelle zu suchen. Die glänzende Nachtstille blieb von nun an ungestört, und nichts rührte sich, als unten die emsig rieselnden Wasser, und oben die Spitzen der flimmernden Sterne.

 

 

 

2. Das graue Schloß

 

Es war ein Klingeln und Läuten und ein freudiges Brüllen und Meckern durcheinander, als am andern Tage die Morgensonne aufging, die Bergthäler rauchten, und die Heerde wieder zu den Triften hinanstieg. Aber der Hirt Gregor ging nicht mit, sondern er stand in steifem Sonntagsputze auf der Gasse, und sonnte sich; nur der graue Hund in seinem ewigen Werktagswamse und der Hirtensohn auch in dem seinigen begleiteten die Heerde - der eine freudig sein Halsband schüttelnd, der andere rüstig den Bündel Steigeisen und das Griesbeil*) [*)Alpenstock] schulternd, die einzigen zwei Wesen, welche heute arbeiten mußten; denn alles Andere ging der Feier und Ruhe nach. Auch der alte Boten-Simon stand schon mit einem glänzenden Gesichte, von dem er den zolllangen Wochenbart geschoren, und mit noch glänzenderer Jacke auf der Gasse da, und schaute herum, recht behaglich die Wonne des einzigen Ruhetages der Woche fühlend, an dem er sonst nirgends hin mußte, als in die Kirche, was er sehr gerne und immer mit vieler Salbung that. Die Pfeife dampfte bereits, und auf dem Hute hatte er ein ganzes Gebüsche von Gebirgsfedern stecken, nebst dem riesenhaften Fächer eines Gemsbartes. Die warme Sonntagssonne stand bereits am Himmel und warf eine freudenreiche Strahlenmenge in das Thal. An den Bergen blitzte der Thau, und die Pernitz rollte lauter Gold und Silber durch die Felsen. In allen Häusern rührte und rüstete es sich sonntäglich, und die Waldhöhen standen in einem wahren Lauffeuer von Singen und Schreien der Vögel.

Oben im Stockwerke der grünen Fichtau öffnete sich ein Fenster, und das Antlitz des Wanderers blickte heraus, die Haare von der freundlichen Stirne zurückstreifend, und die Augen nach Himmel und Wetter richtend. Beides ward genügend befunden, und er wollte eben wieder zurücktreten, als auch Vater Erasmus aus dem Hause schritt, zunächst an seinem Leibe schon die schimmernde Sonntagswäsche und die Sonntagskleider tragend, darüber aber noch die Werktagsjacke geworfen, und die Alltagskappe auf.

»Guten Morgen, Simon,« rief er, »guten Morgen! Ein schöner Tag das - das sind Tage zur Flachsblüthe.«

»Blüht bereits, wie ein blaues Meer, im Asang draußen,« sagte Simon.

»Ich habe ihm den handigen Fuchs in die Gabel zu spannen befohlen,« redete hierauf der Wirth durch die Thüre des Gassengärtchens hinein; »denn er ist gelassener, als der andere - aber ich sage dir, Anna, daß du dich nicht etwa verleiten lässest, wenn er dich einladet, mit ihm zu fahren; der Fabelhans würfe dich sammt sich in einen Graben. Fahre mit mir, wer weiß, wie bald ohnehin Einer kommt, der dich auf immer und ewig davonführt.«

Anna, die im Gärtchen Rosen und Anderes zum Sonntagsputze schnitt, wurde in diesem Augenblicke unter der Gartenthür sichtbar, und, die braunen Augen gegen den Vater hebend, sagte sie: »Ei, er wird mich nicht einladen, und der Andere wird auch nicht kommen, lieber Vater.«

Sie war in ihrem Morgenkleide wieder gar so schön. Wenn sie auch öffentlich immer im Landesschnitte ging, so trug sie doch zu Hause Kleider nach eigener fantastischer Erfindung, und Vater Erasmus, einst ein Kenner weiblicher Schönheit, und nicht der Letzte, der sie an seiner Tochter anerkannte, wurde nun vollends schalkhaft, indem er sagte: »Nun - nun, du Narre, er wird nicht ausbleiben, aber wenn er kommt - ein ganz auserlesener Bräutigam muß es sein, sonst lasse ich dich nicht von hinnen - ein ganz ungeheurer Prinz von einem Bräutigame muß es sein.«

»Wenn ich aber nicht gerne, nicht recht gerne fortgehe,« erwiederte sie treuherzig, - »nicht wahr, Vater, so soll mich keiner aus der schönen Fichtau fortbringen?«

Und wie sie hiebei so die bewußtlos schönen Augen gegen den Vater richtete, so rieselte es ihm, der ohnedieß närrisch über sie war, wie von lächerlichem Stolze und von lächerlicher Freude durch die Glieder und er platzte los: »Das soll er auch nicht - ja ich sage dir, wenn du nicht ein Glück machst, daß du ordentlich darnach zitterst, so darfst du nicht aus dem Hause - ein Glück mußt du machen, daß die ganze Fichtau die Hände zusammenschlägt.«

Ueber Anna's Angesicht floß bei diesen Worten ein Purpur, so tief und schön, wie der der Rosen in ihrer Hand; zwei reine zentnerschwere Augenlieder lagen tief herab gesenkt, und sie ging augenblicklich in den Garten zurück. Dort trat sie vor einen Fliederstrauch, schnitt aber nichts ab, sondern stand davor, und blickte ihn bloß an - oben im Gemache stand Einer, und drückte sich die Hand an seine Stirne - - nur die zwei arglosen alten Männer standen auf der Gasse, und plauderten fort.

»Ihr habt da eine gottlose hoffärtige Rede gethan, Erasmus,« sagte der Boten-Simon; »wenn ihr eurer Tochter ein so vermessenes Glück erzwingen wollet, daß es über alle Menschlichkeit hinausgeht, so seht zu, daß euch Gott nicht mit ihrem Unglücke strafe.«

»Nun es ist nicht so arg gemeint,« fiel ihm der Fichtauer Wirth in die Rede, »wenn es nur ein tüchtiger Mann ist, kein so Haselant, wie der Stadtschreiber, mit dem der Schmied prahlt, sondern ein franker Biedermann, der seine Geschäfte rasch weg thut, schön und jung und freundlich ist, und die Anna ein wenig hätschelt, weil sie's gewohnt ist. Ein paar Pfennige muß er haben, und dann legt sie das ihrige dazu; denn mein einziges Kind geht nicht leer aus der grünen Fichtau - und verdient sie es denn nicht? sagt, Simon, ist sie nicht ein Ding, daß es ordentlich eine Schande ist, daß ich ihr Vater bin? - Nur meinen Kopf hat sie nicht; sie geht zu viel auf Faselei und Zeugs - das hat sie von der Mutter.«

»Ja, ja,« sagte Simon, »sie ist absonderlich geworden; ich dutze sie schon seit einem Jahre nicht mehr, aber ich glaube immer, ihr habt sie vermessen über ihren Stand erzogen.«

»Das soll sie auch,« erwiederte der Wirth, »sie soll über ihren Stand, darum that sie noch keinen Schritt in die Schenkstube, und darf in der Wirthschaft nichts anrühren - und damit ist's gut. Ich muß jetzt zu dem Wagen schauen. Lebt wohl.«

»Der ist nunmehro auch ein Narr,« sagte der Boten-Simon, indem er dem Abtretenden nachsah, und seine Pfeife fortrauchte.

Es hatten sich mittlerweile mehrere jener Gebirgswagen auf der Gasse der grünen Fichtau eingefunden, in denen die wohlhabendere Klasse an Sonn- und Feiertagen zur Kirche zu fahren pflegt. Auch von Fußgängern hatte sich Einiges hingesellt.

Da die Gebirgsbewohner zerstreut mit ihren Gehöften in den Bergen sitzen, da die Gebirgskirchwege oft meilenlang sind, so hat sich die Sitte gebildet, ein wenig bei der grünen Fichtau anzuhalten, um sich zu sehen, zu besprechen, und etwa ein kleines zweites Frühstück zu halten.

So war es auch heute. Sowohl auf der Gasse als auch in der Stube waren Gespräche, und Boten-Simon war bald von mehreren Gruppen umstanden, wo er bald mit Diesem bald mit Jenem ein Weniges redete.

Das Zimmer des Naturforschers im oberen Stockwerke erglänzte indeß freundlich von den Strahlen des Morgens, und sein Schimmer fiel auf die allerlei Stufen und Steine, die umherlagen und traurig funkelten, oder auf Kräuterleichen, deren dürre und spröde Gerippe die wohlthuende Helle und Wärme nicht mehr empfanden, die durch die Fenster herein wallte, und die ihnen einst auf ihren freien Bergen so herrlich war; der Mann aber ging zwischen diesen Sachen auf und nieder, und sann nach.

Da war er vor wenig Wochen in ein schönes Thal voll grüner Pflanzen und freundlichen Gesteins gekommen - auch ein schmuckes Mädchen hatte er gefunden - - und wie war denn nun Alles? Die Tage waren so linde, so schmeichlerisch, und so unschuldig über seinem Haupte weggegangen. Keiner brachte etwas neues, in keinem ist etwas geworden - sie heischte nicht, sie forderte nicht, sie hoffte nicht - - und wenn er sie nun so stille, so sinnend, so brütend stehen sah: da war in ihm ein solches Uebermaß von Neigung und Erbarmen, daß er sich nicht zu helfen wußte. Er hätte sich alle Adern öffnen lassen, wenn es nur ihr, nur ihr Linderung und Glück zu bringen vermocht hätte. Er wäre gerne an das Fenster getreten, um hinabzusehen, aber er getraute sich nicht; denn er fürchtete sich, daß sie noch immer am Flieder stehen und sinnen möchte.

Nachdenklich blieb er vor seinen Pflanzen und Steinen stille stehen, und dachte: »O du süßes, unerforschtes Mährchen der Natur, wie habe ich dich immer und so lange in Steinen und Blumen gesucht, und zuletzt in einem Menschenherzen gefunden! O du schönes, dunkles, unbewußtes Herz, wie will ich dich lieben! Und ihr Blüthen dieses Herzens, ihr unschuldigen, beschämten, hülflosen Blicke, mit welcher Freude drück' ich euch in meine Seele!«

So dachte er oben; unten aber rief die Stimme des wieder auf die Gasse gekommenen Vaters: »Ei, da hast du ja einen gewaltigen Pack von Blumen und Kraut aus dem Garten geplündert, und trägst dich damit, wie unser Pflanzenmann, wenn er das Gras von unsern Bergen schleppt.«

Der Wanderer trat ans Fenster.

»Es ist nur, Vater,« sagte Anna, »weil ich Thrinen einen recht vollen Strauß mit in die Stadt bringen will, weil, sie in dem großen, widerwärtigen steinernen Hause keine Blumen haben. Und wie man sie in einen Strauß ordnet, daß es schön sei, habe ich von unserm Gaste gelernt, der mehr von Blumen versteht, als wir alle zusammen im ganzen Fichtauer Thale. Es ist auch ein wunderbares Leben in ihnen, hat er gesagt, und ich glaube es - und gewiß haben sie noch recht liebe, kleine Seelen dazu. Er weiß schon, warum er sich so mit ihnen abgibt.«

»Ja, ja, ja, ja, Leben und Seelen und Katzen,« erwiederte der Wirth, »sieh nur zu, daß du einmal mit deinem Kirchenanzuge fertig wirst; pünktlich nach einer halben Stunde wird abgefahren.«

Anna ging ins Haus, und nur dem feinen Ohre Heinrichs war ihr leichter Tritt auf der Treppe vernehmlich, wie sie die Blumen auf ihr Zimmer trug.

Nach einer halben Stunde waren wirklich, wie vorausgesagt, die schlanken glänzenden Füchse des Fichtauer Wirthes jeder an seinen Wagen gespannt, aber auch die Weiber, wie voraus zu sehen, nicht fertig.