Ich kaufte auch die Morgenzeitungen, sie brachten die Liste der Pferde fürs Derby und Nachrichten über die beginnende Cricket-Saison, ferner ein paar Spalten über die Entwicklung der Dinge auf dem Balkan und daß ein britisches Geschwader nach Kiel unterwegs sei.

Als ich damit fertig war, holte ich Scudders kleines schwarzes Taschenbuch hervor und studierte es. Es war fast voll von Notizen, meist Zahlen, aber hier und da stand ein Name in Druckbuchstaben. Zum Beispiel fand ich die Worte >Hofgaard<, >Luneville< und >Avocado< ziemlich häufig und hauptsächlich das Wort >Pavia<.

Ich war mir völlig klar darüber, daß Scudder niemals etwas getan hatte, ohne einen ganz bestimmten Grund dafür zu haben, und ich war ziemlich sicher, daß hinter alledem ein Code steckte. Solche Dinge sind mir immer interessant gewesen, und als Offizier des Geheimdiensts in der Delagoa-Bai während des Burenkrieges hatte ich mich selbst darin versucht. Auch für Schach und Rätsel hatte ich einen Riecher, und im Entziffern von Codes war ich nicht unbegabt. Dieser hier sah aus wie ein Zahlencode, in dem gewisse Zahlengruppen gewissen Buchstaben des Alphabets entsprechen; jeder einigermaßen intelligente Mensch kann den Schlüssel zu einem solchen Code in ein oder zwei Stunden Arbeit herausfinden, und es schien mir unwahrscheinlich, daß Scudder sich mit etwas so Einfachem begnügt hätte. Darum hielt ich mich an die Wörter in Druckschrift, denn man kann einen recht guten Zahlencode ausarbeiten, wenn man ein Schlüsselwort hat, das einem die Buchstabenfolge angibt.

Ich probierte stundenlang herum, aber keines der Wörter paßte. Dann schlief ich ein und wachte in Dumfries wieder auf, gerade noch rechtzeitig, um aus dem Abteil zu springen und den Bummelzug nach Galloway zu erwischen. Auf dem Bahnsteig lungerte ein Mann herum, dessen Aussehen mir nicht gefiel, aber er blickte nicht einmal nach mir hin, und als ich mich im Spiegel eines Automaten sah, wunderte mich das nicht: mit meinem sonnenbraunen Gesicht, dem alten Tweedanzug und dem schlurfenden Gang war ich von den Bergbauern, die sich in die Dritter-Klasse-Wagen drängten, nicht zu unterscheiden.

In meinem Wagen saß ein halbes Dutzend dieser Leute, und die Luft war dick vom Rauch des Shag-Tabaks aus ihren Pfeifen. Sie sprachen darüber, wie das Lammen oben am Cairn und am Deuch und an einem Dutzend weiterer obskurer Wasserläufe vor sich gegangen war. Mehr als die Hälfte der Männer hatte tüchtig zu Mittag gegessen und roch stark nach Whisky. Darum nahmen sie mich nicht zur Kenntnis. Langsam rumpelten wir in eine Landschaft voll kleiner, waldiger Schluchten hinein und dann auf eine weite, moorige Ebene hinauf, wo die Moorteiche blitzten und im Norden hohe, blaue Berge sich türmten.

Gegen fünf Uhr leerte sich der Wagen, und ich blieb allein, wie ich gehofft hatte. An der nächsten Station stieg ich aus, bei einer kleinen Ortschaft, deren Namen ich kaum zur Kenntnis nahm, sie lag mitten im Moor. Sie erinnerte mich an einen der kleinen, weltvergessenen Orte in der Karru. Ein alter Stationsvorsteher grub in seinem Garten, mit geschultertem Spaten kam er an den Zug geschlendert, nahm ein Paket entgegen und ging wieder zu seinen Kartoffeln. Ein Kind von zehn Jahren nahm meine Fahrkarte in Empfang, und ich trat auf eine weiße Straße hinaus, die sich übers braune Moor hinzog.

Es war ein herrlicher Frühlingsabend, jeder Berg stand so klar da wie ein geschliffener Amethyst. Die Luft hatte den eigentümlichen Wurzelgeruch der Hochmoore, aber sie war so frisch wie auf hoher See und wirkte höchst sonderbar auf mein Gemüt. Ich fühlte buchstäblich mein Herz leicht werden, als sei ich ein Junge auf einer Ferienwanderung im Frühling und nicht ein Mann von siebenunddreißig, hinter dem die Polizei her war. Ich fühlte mich genau wie früher, wenn ich an einem frostigen Morgen zu einem langen Treck übers Hochveld aufbrach. Man sollte es nicht glauben: lustig pfeifend marschierte ich die Straße entlang. Ich hatte noch keinen Schlachtplan im Kopf, ich wollte nur weiter und weiter in dieses herrliche, ehrlich riechende Bergland hineinwandern, denn mit jeder Meile wurde ich zufriedener und glücklicher.

In einer Schonung am Weg schnitt ich mir einen Haselstock, und dann bog ich von der großen Straße ab auf einen Seitenpfad, der dem Bett eines rauschenden Baches folgte. Ich nahm an, daß ich noch einen großen Vorsprung vor meinen Verfolgern hatte und diese Nacht nicht übervorsichtig zu sein brauchte.

Es war ein paar Stunden her, seit ich gegessen hatte, und ich wurde langsam sehr hungrig, als ich zu der Hütte eines Hirten kam, die in einem geschützten Winkel bei einem Wasserfall stand. Eine Frau mit braunem Gesicht stand in der Tür und grüßte mich mit der freundlichen Schüchternheit der Moorbewohner. Als ich um Unterkunft für die Nacht bat, sagte sie, ich könne gern >das Bett auf dem Speicher< haben, und bald darauf setzte sie mir ein herzhaftes Mahl vor, Schinken und Eier, frischgebackene Gerstenküchlein und dicke, sahnige Milch.

Bei Einbruch der Dunkelheit kam ihr Mann von den Bergen heim, ein hagerer Riese, der mit einem Schritt so weit kam wie gewöhnliche Sterbliche mit dreien. Sie stellten keine Fragen, denn sie besaßen das vollendete Taktgefühl aller Bewohner der Wildnis; aber ich merkte, daß sie mich für eine Art Händler hielten, und gab mir Mühe, diesen Eindruck zu bestätigen. Ich redete viel über Rindvieh, wovon mein Gastgeber wenig verstand, und erfuhr eine Menge von ihm über die Märkte in Galloway, was ich mir zum gelegentlichen Gebrauch merkte. Um zehn Uhr nickte ich auf meinem Stuhl ein, und das >Bett auf dem Speicher< empfing einen todmüden Mann, der die Augen nicht mehr aufmachte, bis um fünf Uhr früh der neue Tag für die kleine Heimstatt begann.

Sie weigerten sich, Bezahlung anzunehmen, und um sechs hatte ich gefrühstückt und schritt aus, südwärts. Ich hatte den Plan, eine oder zwei Stationen weiter als dort, wo ich gestern ausgestiegen war, wieder auf die Eisenbahnlinie zu stoßen und zurückzufahren. Das schien mir am sichersten zu sein, denn die Polizei würde natürlich annehmen, daß ich immer weiter von London fortstrebte und auf einen westlichen Hafen zuhielt.