Ich hatte niemanden kommen sehen und fuhr zusammen, als plötzlich jemand nah bei mir stand. Es war ein schmächtiger Mann mit kurzem braunem Bart und kleinen, scharfblickenden blauen Augen. Ich erkannte in ihm den Inhaber einer Wohnung im obersten Stockwerk, wir hatten uns gelegentlich auf der Treppe gegrüßt.
»Kann ich Sie sprechen?« sagte er. »Darf ich einen Augenblick hereinkommen?« Es kostete ihn Mühe, mit ruhiger Stimme zu sprechen, und seine Hand griff nach meinem Arm.
Ich schloß meine Tür auf und bedeutete ihm, einzutreten. Er war kaum über die Schwelle, da rannte er schon in das hintere Zimmer, wo ich zu rauchen und Briefe zu schreiben pflegte. Dann kam er zurückgestürzt.
»Ist die Tür abgeschlossen?« fragte er aufgeregt und legte eigenhändig die Kette vor.
»Ich bitte tausendmal um Verzeihung«, sagte er zerknirscht. »Ich nehme mir allerhand heraus. Aber Sie sehen aus, als hätten Sie Verständnis. Ich habe schon die ganze Woche an Sie gedacht, wenn dicke Luft war. Würden Sie mir wohl einen Gefallen tun?«
»Ich will Sie anhören«, sagte ich. »Das ist alles, was ich versprechen kann.« Allmählich beunruhigte mich das sonderbare Benehmen des nervösen kleinen Burschen.
Ein Tablett mit Getränken stand auf dem Tisch neben ihm, und er mixte sich einen steifen Whisky-Soda. In drei Schlucken goß er ihn hinunter und zerbrach das Glas, als er es abstellte.
»Pardon«, sagte er. »Ich bin heute abend etwas durchgedreht. Wissen Sie, in diesem Augenblick bin ich nämlich schon tot.«
Ich setzte mich in einen Sessel und zündete meine Pfeife an.
»Wie fühlt man sich dabei?« fragte ich. Ich war ziemlich sicher, daß ich es mit einem Verrückten zu tun hatte.
Ein Lächeln flackerte über sein verzerrtes Gesicht. »Ich bin nicht verrückt - noch nicht. Hören Sie - ich habe Sie beobachtet, und ich glaube, Sie haben ziemlich gute Nerven. Ich glaube auch, daß Sie ein ehrlicher Mensch sind und keine Angst haben, etwas zu riskieren. Ich möchte Ihnen etwas anvertrauen. Ich brauche Hilfe, mehr, als je jemand Hilfe gebraucht hat, und ich möchte wissen, ob ich auf Sie zählen kann.«
»Erzählen Sie weiter«, antwortete ich, »dann werde ich's Ihnen schon sagen.«
Es war, als müsse er sich zu einer gewaltigen Anstrengung aufraffen, und dann begann er mit einer völlig verrückten Geschichte. Zuerst wurde ich aus nichts klug und mußte ihn mit Zwischenfragen unterbrechen. Aber sie lief etwa auf Folgendes hinaus:
Er war Amerikaner, aus Kentucky, und nach dem College hatte er sich, da er ziemlich wohlhabend war, aufgemacht, die Welt zu sehen. Er hatte ein bißchen geschriftstellert, war Kriegsberichterstatter für eine Zeitung in Chicago gewesen und hatte ein Jahr oder zwei im südöstlichen Europa zugebracht. Er schien recht sprachkundig zu sein und die Bevölkerung jener Länder sehr gut kennengelernt zu haben. Wie selbstverständlich erwähnte er mehrere Namen, deren ich mich aus den Zeitungen erinnerte.
Er habe sich auch mit der Politik eingelassen, erzählte er, zuerst, weil er sie interessant fand, und dann habe er nicht mehr zurück gekonnt. Ich hatte den Eindruck, daß er ein kluger, unruhiger Geist war, mit der Neigung, den Dingen auf den Grund zu gehen. Dabei war er etwas tiefer hineingeraten, als er beabsichtigt hatte.
Ich gebe wieder, was er mir erzählte, so wie ich es damals verstand. Weit im Hintergrund hinter allen Regierungen und Heeren war ein großes, unterirdisches Unternehmen im Gange, das von sehr gefährlichen Leuten gesteuert wurde. Er war zufällig darauf gestoßen; es faszinierte ihn; er ging der Sache nach, und dann hatte er sich darin verfangen. Es schien, daß die meisten daran beteiligten Leute vom Schlag des Anarchisten waren, der Revolutionen macht, daß aber außer ihnen noch Finanzleute dabei waren, denen es um Geld ging.
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