Hier kniete sie vor dem Ofen nieder und baute Holz
und Preßkohlen so kunstgerecht auf, daß es nur eines
einzigen Schwefelholzes, allerdings unter Zutat eines aus Zeitungspapier
zusammengedrehten Zopfes, bedurfte, den künstlichen Bau in
Brand zu setzen.
Keine halbe Minute verging, so begann es im Ofen auch wirklich
zu knacken und zu knistern, und als Friederike nun wußte,
daß es brennen würde, stand sie von ihrem Ofenplatz
wieder auf, um sich ihrer zweiten Morgenaufgabe, dem Staubabwischen,
zu unterziehen. Hierbei, weil das, was sie leistete, die drei
Fräuleins doch nie zufriedenstellte, verfuhr sie, so gewissenhaft
sie sonst war, ziemlich obenhin und beschränkte sich darauf,
eine über dem Sofa hängende Bilderreihe, die Leo, trotzdem
es Zeitgenossen waren, die »Ahnengalerie des Hauses Poggenpuhl«
zu nennen pflegte, leidlich blank zu putzen. Drei oder vier dieser
Bilder waren Photographien in Kabinettformat; die älteren
aber gehörten noch der Daguerreotypzeit an und waren so verblichen,
daß sie nur bei besonders günstiger Beleuchtung noch
auf ihren Kunstwert hin geprüft werden konnten.
Aber diese »Ahnengalerie« war doch nicht alles, was
hier hing. Unmittelbar über ihr präsentierte sich noch
ein Ölbild von einigem Umfang, eine Kunstschöpfung dritten
oder vierten Ranges, die den historisch bedeutendsten Moment aus
dem Leben der Familie darstellte. Das meiste, was man darauf sehen
konnte, war freilich nur Pulverqualm, aber inmitten desselben
erkannte man doch ziemlich deutlich noch eine Kirche samt Kirchhof,
auf welch letzterem ein verzweifelter Nachtkampf zu toben schien.
Es war der Überfall von Hochkirch, die Österreicher
bestens »ajustiert«, die armen Preußen in einem
pitoyablen Bekleidungszustande. Ganz in Front aber stand ein älterer
Offizier in Unterkleid und Weste, von Stiefeln keine Rede, dafür
ein Gewehr in der Hand. Dieser Alte war Major Balthasar von Poggenpuhl,
der den Kirchhof eine halbe Stunde hielt, bis er mit unter den
Toten lag. Eben dieses Bild, wohl in Würdigung seines Familienaffektionswertes,
war denn auch in einen breiten und stattlichen Barockrahmen gefaßt,
während die bloß unter Glas gebrachten Lichtbilder
nichts als eine Goldborte zeigten.
Alle Mitglieder der Familie, selbst der in Kunstsachen etwas skeptische
Leo mit einbegriffen, übertrugen ihre Pietät gegen den
»Hochkircher« - wie der Hochkirch-Major zur Unterscheidung
von vielen andern Majors der Familie genannt wurde - auch auf
die bildliche Darstellung seiner ruhmreichen Aktion, und nur Friederike,
sosehr sie den Familienkultus mitmachte, stand mit dem alten,
halb angekleideten Helden auf einer Art Kriegsfuß. Es hatte
dies einfach darin seinen Grund, daß ihr oblag, mit ihrem
alten, wie Spinnweb aussehenden Staublappen doch mindestens jeden
dritten Tag einmal über den überall Berg und Tal zeigenden
Barockrahmen hinzufahren, bei welcher Gelegenheit dann das Bild,
wenn auch nicht geradezu regelmäßig, so doch sehr,
sehr oft von der Wand herabglitt und über die Lehne weg auf
das Sofa fiel. Es wurde dann jedesmal beiseite gestellt und nach
dem Frühstück wieder eingegipst, was alles indessen
nicht recht half und auch nicht helfen konnte, Denn die ganze
Wandstelle war schon zu schadhaft, und über ein kleines,
so brach der eingegipste Nagel wieder aus, und das Bild glitt herab.
»Gott«, sagte Friederike, »daß er da so gestanden
hat, nu ja, das war ja vielleicht ganz gut. Aber nu so gemalen
... es sitzt nich und sitzt nich.«
Und nachdem sie dies Selbstgespräch geführt und die
Ofentür, was immer das letzte war, wieder fest zugeschraubt
hatte, tat sie Handfeger und Wischtuch wieder in den Holzkorb
und trat leise durch die lange Schlafstube hin ihren Rückzug
in die Küche an. Es war aber nicht mehr nötig, dabei
so vorsichtig zu sein, denn alle vier Damen waren bereits wach,
und Manon hatte sogar den einen nach dem Hof hinausführenden
Fensterflügel halb aufgemacht, davon ausgehend, daß
vier Grad unter Null immer noch besser seien als eine vierschläfrige
Nacht- und Stubenluft.
Keine Viertelstunde mehr, so kam der Kaffee. Die Damen saßen
schon vorn in der warmen Stube, die Majorin auf dem Sofa, Therese
in ihrem Schaukelstuhl, während Manon, einen Handwerkszeugkasten
vor sich, eben diesen Kasten nach einem etwas längeren Nagel,
und zwar für den alten, wieder herabgefallenen »Hochkircher«,
durchsuchte.
»Friederike«, sagte die Majorin, »du solltest dich
mit dem Bilde doch etwas mehr in acht nehmen.«
»Ach, Frau Majorin, ich tu es ja, ich rühr ihn ja beinah
nich an; aber er sitzt immer so wacklig... Gott, Manonchen, wenn
Sie doch bloß mal einen recht langen fänden oder, noch
besser, wenn Sie mal so 'nen richtigen Haken einschlagen könnten.
In acht nehmen! Gott, ich denke ja immer dran, aber wenn er denn
so mit einmal rutscht, krieg ich doch immer wieder 'nen Schreck.
Un is mir immer, als ob er vielleicht seine Ruhe nich hätte.«
»Ach, Friederike, rede doch nicht solch dummes Zeug«,
sagte Therese halb ärgerlich. »Der, gerade der.
Als ob der seine Ruhe nicht hätte! Was das nur heißen
soll! Ich sage dir, der hat seine Ruhe. Wenn nur jeder
seine Ruhe so hätte. Gut Gewissen ist das beste Ruhekissen.
Das weißt du doch auch. Und das gute Gewissen, na, das hat
er... Aber wo hast du nur wieder die Semmeln her? Die sehen ja
wieder aus wie erschrocken, viel erschrockener als du. Ich mag
nicht die Budikersemmeln. Warum gehst du nicht zu dem jungen Karchow,
das ist doch ein richtiger Bäcker.«
Es war dies eine zwischen dem Mädchen und dem Fräulein
jeden dritten Tag wiederkehrende Meinungsverschiedenheit, und
Friederike, die vollkommene Redefreiheit hatte, würde auch
heute nicht geschwiegen und ihren alten Satz, »daß
man es mit den Kellerleuten nicht verderben dürfe«,
tapfer verteidigt haben, wenn es nicht in diesem Augenblick draußen
geklopft hätte. »Der Briefträger«, riefen
alle drei Schwestern, und gleich danach erschien auch Friederike
wieder im Zimmer und brachte die Postsachen: ein Zeitungsblatt
unter Kreuzband, eine Holz- und Torfanzeige und einen richtigen
Brief. Die Holz- und Torfanzeige flog gleich aufs Ofenblech, das
an Sophie adressierte Zeitungsblatt, das wahrscheinlich eine Rezension
einiger ihrer eben ausgestellten Aquarellbilder enthielt, wurde
beiseite geschoben, und nur der Brief erregte allgemeine Freude.
»Von Leo!« riefen die Schwestern und reichten den Brief
der Mutter. Diese gab ihn aber an Therese zurück und sagte:
»Lies du, Therese. Ein so guter Junge. Aber ich kriege immer
einen Schreck. Immer will er was. Und nun ist eben erst Weihnachten
gewesen und Neujahr und die Miete... «
»Ach, Mutter, du ängstigst dich immer gleich so.
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