»Zurück von dem Kinde!« gebot sie dem Schatten, der Palma fast erreicht hatte.

»Harte!« stöhnte dieser und wendete das bekümmerte Haupt. Dann aber, von dem warmen Atem Stemmas angezogen, schleppte er sich rascher gegen ihre Kniee, auf welche er die Ellbogen stützte, ohne daß sie nur die leiseste Berührung empfunden hätte. Dennoch belebte sich der Schatten, die schöne Stirn wölbte sich und ein sanftes Blau quoll in dem gehobenen Auge.

»Woher kommst du, Peregrin?« sagte die Richterin.

»Vom trägen Schilf und von der unbewegten Flut. Wir kauern am Ufer. Denke dir, Liebchen, neben welchem Nachbar ich zeither sitze, neben dem –« er suchte.

»Neben dem Comes Wulf?« fragte die Richterin neugierig.

»Gerade. Kein kurzweiliger Gesell. Er lehnt an seinen Spieß und brummt etwas, immer dasselbe, und kann nicht darüber wegkommen. Ob du ihm ein Leid antatest oder nicht. Ich bin mäuschenstille« – Peregrin kicherte, tat dann aber einen schweren Seufzer. Darauf schnüffelte er, als rieche er den verschütteten Safe, und suchte mit starrem Blicke unter Stemmas Gewand, wo das andere Fläschchen lag, so daß diese schnell den Busen mit der Hand bedeckte.

Da fühlte sie eine unbändige Lust, das kraftlose Wesen zu ihren Füßen zu überwältigen. »Peregrin«, sagte sie, »du machst dir etwas vor, du hast dir etwas zusammengefabelt. Palma geht dich nichts an, du hast kein Teil an ihr.«

Der Kleriker lächelte.

»Du bildest dir etwas Närrisches ein«, spottete die Richterin.

»Stemma, ich lasse mir mein Kindchen nicht ausreden.«

»Torheit! Wie wäre solches möglich? Was weißt du, Traum?«

»Ich weiß« – der flüchtig Beseelte schien eine Süßigkeit zu empfinden, in sein kurzes und grausames Los zurückzukehren – »wie mich dein Vater überfiel, da ich von meinem Lehrer dem Abte weg über das Gebirge zog. Der Judex litt an einer Wunde und hatte von meiner Wissenschaft vernommen. Da hob er mich auf und brachte mich dir mit. Du warest noch sehr jung und o wie schön! mit grausamen schwarzen Augen! Dabei herzlich unwissend. Ich lehrte dich Buchstaben und Verse bilden, doch diese da mochtest du nicht. Lieber regiertest du in den Dörfern, schiedest Händel und machtest die Ärztin bei deinen Eigenen.

Ich zeigte dir die Kräfte der Kräuter, lehrte dich allerlei brauen und du brachtest mir aus dem Schmuckkästchen zwei Kristalle –«

Die Richterin lauschte.

»Stemma, du bist noch jung, und auch ich bin jung geblieben, wenig alter als da wir uns liebten«, schluchzte Peregrin zärtlich.

»Wir liebten uns«, sagte Stemma.

»Du lagest in meinen Armen!«

»Wo dich der Judex überraschte und erwürgte«, sprach sie hart. Peregrin ächzte und Flecken wurden an seinem Halse sichtbar. »Er lud mich auf ein Maultier, zog mit mir davon und warf mich in den Abgrund.«

»Peregrin, ich habe geweint! Aber besinne dich: dein ist die Schuld! Bin ich nicht dreimal vor dich getreten, mein Bündel in der Hand? Habe ich dich nicht drohend beschworen, mit mir zu fliehen? Wer wollte Fuß neben Fuß in Armut und Elend wandern? Du aber erblaßest und erbleichtest, denn du hast ein feiges Herz. Ich liebte dich und, bei meinem Leben! – warest du ein Mann – Vater, Heimat, alles hätte ich niedergetreten und wäre dein eigen geworden.«

»Du wurdest es«, flüsterte der Schatten.

»Niemals!« sagte Stemma. »Sieh mich an: gleiche ich einer Sünderin? Blicke ich wie eine Leidenschaftliche und Leichtfertige? Bin ich nicht die Zucht und die Tugend? Und so war ich immer. Du hast mich nicht berührt, kaum daß du mir mit furchtsamen Küssen den Mund streiftest. Wo hättest du auch den Mut hergenommen?«

Da geriet der Schatten in Unruhe. »O ihr Gewalttätigen beide, der Vater und du! Er hat mich geraubt und erwürgt, du, Stemma, locktest mit dem Blutstropfen! Gib den Finger, da sitzt das Närbchen!«

Stemma hob die Achseln. »Es war einmal«, höhnte sie.

Da wiegte Peregrinus, der sich gleich wieder besänftigte, die Locken und sang mit gedämpfter Stimme:

 

»Es war einmal, es war einmal

Ein Fürst mit seinem Kinde,

Es war einmal ein junger Pfaff

In ihrem Burggesinde.

 

Am Mahle saßen alle drei,

Da riefen den Herrn die Leute

›Herr Judex, auf! Zu Roß! Zu Roß!

Im Tal zieht eine Beute!‹

 

Er gürtet sich das breite Schwert

Und wirft mit einem Gelächter

Den Hausdolch zwischen Maid und Pfaff

Als einen scharfen Wächter.

 

Den Judex hat das schnelle Roß

Im Sturm davongetragen,

Zweie halten still und bang

Die Augen niedergeschlagen.

 

Stemma hebt das Fingerlein,

Sie tut es ihm zu Leide,

Und fährt damit wohl auf und ab

Über die blanke Schneide.

 

Ein Tröpflein warmen Blutes quoll –«

 

»Stille, Schwächling!« zürnte die Richterin. »Das hast du dir in deinem Schlupfwinkel zusammengeträumt. Solche Schmach kennt die Sonne nicht! Stemma ist makellos! Und auch der Comes, er komme nur! ihm will ich Rede stehen!«

»Stemma, Stemma!« flehte Peregrin.

»Hinweg, du Nichts!« Sie entzog sich ihm mit einer starken Gebärde und seine Züge begannen zu schwimmen.

»Mein Weib, mein –« »Leben« wollte er sagen, doch das Wort war dem Ohnmächtigen entschwunden. »Hilf, Stemma«, hauchte er, »wie heißt es, das Atmende, Blühende? Hilf!« Die Richterin preßte die Lippen und Peregrinus zerfloß.

Erwacht stand sie vor dem Lager ihres Kindes. Sie küßte ihm die geschlossenen Augen. »Bleibet unwissend!« murmelte sie.