Den Becher gab einem Wölfling ein Elb oder eine Elbin von denen im Hinterrhein. Solang eines Wolfes Weib ihn ihrem Wolfe kredenzt und den darein gegrabenen Spruch ohne Anstoß hersagt, einmal vorwärts und einmal rückwärts, gefällt und mundet sie dem Wolfe. Über das Hifthorn sind die Meinungen geteilt. Nach den einen ist es gleichfalls ein elbisches Geschenk, und vor dem Burgtor bei der Rückkehr geblasen, zwingt es die Wölfin zu bekennen, was immer sie in Abwesenheit des Gatten gesündigt hat. Andere dagegen behaupten, daß ein Wolf im Gelobten Lande das Horn mit seinem Schwert aus dem erstarrten Pech und Schwefel des Toten Meeres grub. So ist es ein im Getümmel zur Erde gestürztes Harschhorn, von denen welche die himmlischen Haufen bliesen zum Gericht über Sodom und Gomorrha.« Wulfrin blickte dem Räter ins Gesicht, der ihm – Schlauheit oder Einfalt – zwei gläubige Augen entgegenhielt.

Eben wurde vom Winde ein Bruchstück der Seelenmesse aus Ara Coeli hergetragen. Zornig und drohend sangen sie dort: »Dies irae, dies illa, dies magna et amara valde!«

»Schöne Bässe«, lobte Wulfrin. »Um wieder auf den Becher zu kommen, so glaube ich nicht an seine Kraft. Sicherlich hat die Mutter nicht unterlassen, seinen Spruch herzubeten, vorwärts und rückwärts. Es hat nichts gefruchtet. Sie welkte und der Vater verstieß sie.« Er tat einen Seufzer.

»Und das Horn?« fragte Schelm Graciosus.

Der Höfling wog es in den Händen und lächelte. Graciosus lächelte gleichfalls.

»Übrigens ist es das beste Hifthorn im Heere. Das ruft! Höre nur!« und er setzte es an den Mund.

»Um aller Heiligen willen, Wulfrin, laß ab!« schrie Graciosus ängstlich. »Willst du die Stadt Rom in Aufruhr bringen?«

»Du hast recht, ich dachte nicht daran.« Wulfrin ließ das Horn in die tragende Kette zurückfallen.

»Dieses Hifthorn«, sagte jetzt Graciosus bedächtig, »wurde mir beschrieben. Auch hat es der Knecht Arbogast in Stein gemeißelt auf dem Grabmal im Hofe von Malmort, wo er den Comes deinen Vater abbildete und die Wittib daneben.«

»So?« grollte Wulfrin. »Konnte der Vater nicht allein liegen?«

Graciosus ließ sich nicht einschüchtern. »An den Herrn des Hifthorns habe ich einen Auftrag«, sagte er.

»Du bist voller Aufträge. Von wem hast du diesen?«

»Von der Richterin.«

»Welche Richterin?« Entweder war Wulfrin von harten Begriffen oder seine Laune verschlechterte sich zusehends.

»Nun, die Judicatrix Stemma, deine Stiefmutter.«

»Was hab ich mit der Alten zu schaffen! Warum lächelst du, Männchen?«

»Weil du so mit ihr umgehst, die noch schön und jung ist.«

»Ein altes Weib, sage ich dir.«

»Ich bitte dich, Wulfrin! Dein Vater freite sie als eine Sechzehnjährige. Dein Geschwister ist nicht älter. Zähle zusammen! Doch jung oder alt, sie gab mir den Auftrag und ich darf ihn nicht unausgerichtet heimbringen.«

Der Höfling verschluckte einen Fluch. »Du verdirbst mir den Krätzer, er schmeckt wie Galle.« Erbost stieß er den Becher von der Bank und setzte den Fuß darauf. »So sprich!«

»Frau Stemma«, begann Gnadenreich in bildlicher Rede, »will sich vor dir die Hände in ihrer Unschuld waschen.«

»Ein Becken her!« spottete Wulfrin, als riefe er in die Gasse hinaus nach einem Bader.

»Wulfrin, stünde sie vor dir, du straftest deine Lippen! Keine in Rätien hat edlere Sitte. Was sie verlangt, ist gebührlich. Auf der Schwelle ihres Kastells, vor ihrem Angesichte, jählings ist dein Vater erblichen. Das ist schrecklich und fragwürdig. Frau Stemma läßt dir sagen, sie wundere sich, daß sie dich rufen müsse, sie habe dich längst, täglich, stündlich erwartet, seit du zu deinen mündigen Jahren gekommen bist. Nur ein Sorgloser, ein Fahrlässiger, ein Pflichtvergessener – nicht meine Worte, die ihrigen – verschiebe und versäume es, sie zur Rechenschaft zu ziehen.«

Wulfrin blickte finster. »Das Weib tritt mir zu nahe«, sagte er. »Ich wußte, was man einem Vater schuldig ist. Er hat an meiner Mutter gefrevelt und sein Gedächtnis – die Kriegstaten ausgenommen – ist mir unlieb: dennoch habe ich mir seine Todesgebärde vergegenwärtigt, den Augenzeugen Arbogast, der das Lügen nicht kannte, habe ich scharf ins Verhör genommen.