Leone zog reizende Ketzerinnen häßlichen Katholikinnen bedeutend vor und tat auch außerdem alles mögliche, um das alte Sprichwort, welches in Italien von seiner Vaterstadt umgeht: Genua hat ein Meer ohne Fische, ein Land ohne Bäume, Männer ohne Treu und Glauben – nicht abkommen zu lassen.

In der Taverne Zum Goldenen Löwen hatte er, wie wir bereits aus Jan Norris' Erzählung wissen, mit Antonio Valani die letzten Verabredungen über den Entführungsplan getroffen. Gelang der Raub und kam dann der Andrea Doria von seiner Expedition glücklich zurück, wurde die schwarze Galeere genommen oder vernichtet; nun wer würde es dann wagen, gegen die Sieger als Ankläger aufzutreten? Kam die Galeone aber nicht zurück, dann – dann mochte die letzte Tat des Endes würdig sein. An das Eintreten eines dritten Falles, daß nämlich der Andrea Doria heimkehrte, ohne das feindliche Schiff gesehen zu haben, zu denken, hielt Leone della Rota durchaus unter seiner Würde. Der Kapitän ließ sich aber bereits von ihm führen, wie und wohin er wollte. –

An der Verfolgung des kühnen Wassergeusen hatten die beiden Genuesen nicht den mindesten Anteil genommen. Arm in Arm schlenderten sie durch die Gassen, in denen die aufgeregte Menge sich umtrieb, dem Kai zu.

»Wären wir doch Narren, dem Halunken nachzurennen!« lachte Leone. »Lassen wir die andern dem verwegenen Bettler nachlaufen. Bei den Tauben der Aphrodite, seit ich dem sonst so kalten Antonio Valani als Führer im Zauberreich der Liebe diene, schwebt meine Seele hoch über diesem Nebellande. O Amor, Herzensbändiger, deiner Sturmfahne folg ich; o Göttin von Cythere, nimm uns unter deinen himmlischen Schutz!«

»Ich bitte dich, Leone, sei vernünftig, sei kein Narr. Mir ist merkwürdig zumute. In meinem ganzen Leben hab ich nicht ein solch Gefühl im Busen getragen, Leone, mir ist – Leone, den ganzen Tag über, den ganzen Abend trage ich mich mit so seltsamen Gedanken – Leone, halt dich gut, vielleicht bist du bald an meiner Stelle Kapitän des Andrea Doria...«

»Und du Vizeadmiraglio Seiner Exzellenz, Don Federigo Spinolas –«

»Oder eine Leiche auf dem Meeresgrunde!« murmelte dumpf der Kapitän.

»Was? Todesgedanken? Todesgedanken unter dem Fenster des Mädchens deiner Liebe?!« lachte der Leutnant. »Nun bei allem, was in der Welt geschieht, das ist göttlich. O wär ich doch Francesco Petrarca, um sogleich ein Sonett auf diese vortreffliche Seelenstimmung zu machen! Da schau, du Träumer, hier sind wir grad unter den Fenstern deiner Innamorata; – ihr Lichtlein leuchtet noch; – holla, welch ein Gedanke! – Antonio Valani, Freund meiner Jugend, deine Todesahnungen zu verscheuchen, wollen wir – wollen wir jetzt, jetzt in diesem Augenblick dem süßen Kinde da oben einen Besuch machen, wollen –«

»Leone?!«

»Haussuchung bei ihr halten. Alle tollen Einfälle seien gepriesen! Vorwärts im Namen des Königs! Vorwärts im Namen der Lieb!«

»Leone, Leone!«

»Laß mich«, lachte der Leutnant. »Ich bitte dich, kann der Geuse, den die Tölpel dort suchen, nicht ebensogut sich in der Wohnung der Kleinen wie in irgendeinem der andern Häuser dieser Stadt verkrochen haben? Voran, ahnungsvoller Antonio, vorwärts, wir halten Haussuchung bei deinem holden Liebchen und lernen dabei desto besser die Hausgelegenheit kennen für die nächste Nacht.«

Ehe der Kapitän seinen wilden Freund zurückhalten konnte, war dieser hingesprungen zu der Tür Mygas, gegen welche er mit der Faust schlug, mit lauter Stimme rufend:

»Aufgemacht! Aufgemacht im Namen Seiner katholischen Majestät in Spanien! Aufgemacht! Verräter und Feinde haben Schutz gesucht in diesem Hause!«

Gleich strömten von allen Seiten Soldaten, Matrosen und Bürger von Antwerpen vor die Tür, die zu Mygas Wohnung hinaufführte, zusammen. Von Augenblick zu Augenblick wuchsen die Haufen. Halb in Verzweiflung suchte der Kapitän Valani dem Gelärm seines tollen Freundes Einhalt zu tun; aber schon war es zu spät. Die Haustür öffnete sich, und die Bewohner des Gebäudes, in welchem Myga wohnte, ein Zimmermann, ein Schuhmacher, ein Stadtschreiber mit ihren Familien und Gesellen, eine Witwe mit vielen Kindern, verkrochen sich ängstlich in ihren Winkeln, entsetzt vor dem Gedanken, daß einer der niederländischen Rebellen Zuflucht unter ihrem Dache gefunden haben sollte. Nur ein gebücktes, uraltes Mütterlein trat mutig mit einer Lampe in der zitternden Hand den Eindringlingen entgegen und behauptete mit kreischender Stimme, niemand sei in das Haus eingeschlüpft, am wenigsten ein seeländischer Wasserteufel. Gott solle sie bewahren – meinte sie –, einem Meergeusen Schutz zu geben; sei nicht ihr Mann, ihr armer seliger Mann von den wütenden Unholden von seinem Fischerkahn ins Wasser geworfen und elendiglich umgekommen? – Was halfen ihr ihre Versicherungen? Niemand hörte darauf, voll ward das Haus von spanischen Soldaten, italienischen Matrosen und dem Lumpengesindel der Gassen. Angst- und Wehschreie drangen bald hervor aus den verschiedenen Wohnungen: man prügelte und peinigte ein wenig, man plünderte ein wenig.

»Vorwärts, Antonio! Halt dich nicht auf!« rief Leone. »Vorwärts, treppauf ins Himmelreich!«

Er hielt das Mütterlein am Kragen und zwang es, vorzuleuchten mit seiner Lampe, unter den scherzhaftesten Drohungen.

»Lustig, lustig, Mütterlein! Die andern suchen unten, wir oben – vorwärts! Und tut nicht so zimperlich, ich gucke nicht nach Euern Waden. Heda, Antonio, bleib nicht zurück –«

»Leone, ich bitte dich!«

»Ach was, voran, voran, Madonna! Haha, Antonio, was für ein Hase bist du doch, solchem süßen Abenteuer gegenüber! Was sollte aus dir werden, wenn du mich nicht hättest? So – das scheint die letzte Staffel zu sein – Viktoria! Viktoria! Mille grazie, alte Sibylle. Hier, hier, Antonello – im Namen des Königs, öffnet, öffnet! Verräter und schöne Mädchen haben sich hier verborgen; öffnet, öffnet im Namen des Königs! Im Namen der katholischen Majestät von Spanien, heraus aus dem Nestchen, holdes Vögelchen, öffne und gib das süße, rebellische Herzlein heraus!«

Mit lachendem Munde faßte der Tolle den Kapitän an der Schulter und drängte ihn gegen die Tür, die er weit aufwarf – – – starr, zweifelnd standen die beiden Genuesen! –

Mit wachsender Besorgnis und Angst hatten Jan und Myga dem Lärm in den Gassen zugehört. Als nun gar das wilde Getöse in das Haus eindrang, hatte die Braut in Verzweiflung den Bräutigam angefleht, sich zu verbergen.

Aber was konnte zu beider Rettung geschehen?

Im nächsten Augenblick war alles zu spät. Allzuschnell drang Leone della Rota die Treppe hinauf.

Im linken Arm hielt Jan Norris die ohnmächtige Braut, krampfhaft faßte die rechte Hand die blanke Waffe. Er wußte nicht, was er beginnen sollte, alle Geistesgegenwart hatte ihn in diesen schrecklichen Sekunden verlassen. Was hätte auch alle Geistesgegenwart geholfen? Verloren waren Jan Norris und Myga van Bergen, soweit Menschenverstand es absehen konnte.

»Alle Teufel, was ist das?« rief der genuesische Leutnant. »Nun, das ist nicht übel! Das ist ja ein seltsam Zusammentreffen – das nenn ich zwei Fliegen mit einem Schlag treffen. Holla, Antonio Valani, jetzt gewinne dir dein holdes Täubchen! Solchen Nebenbuhler zu haben, hast du dir wohl nicht träumen lassen? Nieder mit dem Geusen! An den Galgen mit ihm!«

Aus der Scheide flogen die Degen der Genuesen.

»Schütze dich Gott, Myga!« schrie Jan Norris, seine Klinge schwingend.