Den einen erkannte sie als den jungen, schmächtigen Grafen, der zweite hatte eine gedrungene, untersetzte Gestalt. Sein rotes, volles Gesicht zeugte von seiner Vorliebe für gutes Leben. Wenn er lächelte, was er häufig tat, blitzten seine weißen Zähne auf, die Lois irgendwie an das Gebiß eines Tigers erinnerten, obwohl sicherlich nichts Raubtierartiges an diesem Mann mit dem plumpen Körper und den gelockerten, rötlichen Haaren war. Das einzige Interessante war seine hohe Stirn.

»Mr. Chesney Praye«, stellte ihn die Gräfin vor.

Lois' Finger wurden von einer dicken, großen Hand umschlossen.

»Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, Miss Reddle.« Seine Stimme klang angenehm, obwohl er etwas heiser sprach. Mit unverhohlener Bewunderung lag sein zudringlicher Blick auf ihr.

»Lord Moron ist Ihnen ja schon bekannt.«

Der junge Graf nickte und murmelte etwas Unverständliches.

»Miss Reddle ist meine neue Sekretärin«, erklärte die Gräfin. Sie sprach die vier Silben des letzten Wortes aus, als ob sie getrennt wären. »Sie werden sie häufig bei mir sehen, Chesney - Mr. Praye ist nämlich mein Berater in finanziellen Angelegenheiten.«

Chesney Praye machte durchaus nicht den Eindruck, als ob er zu dieser Stellung irgendwie befähigt wäre. Er hätte eher einen Rat über den korrekten Schnitt eines Anzugs oder den richtigen Sitz einer Krawatte geben können. Er war tadellos gekleidet. Lois hatte die Redensart geschniegelt und gestriegelt‹ oft gelesen, aber jetzt erlebte sie zum erstenmal, was das bedeutete.

»Sie haben hier eine hübsche Stellung, Miss Reddle«, sagte Praye. »Sicher werden Sie mit der Gräfin gut auskommen. Waren Sie schon einmal bei der Bühne?«

»Nein«, sagte sie mit einem schwachen Lächeln, als sie sich an die Warnung des alten Mackenzie erinnerte.

»Schade. Sie müßten sich prächtig auf der Bühne ausnehmen«, plauderte er weiter. »Sie haben die Haltung, die Gestalt, die Stimme und alles, was man sonst noch braucht. Ich bin ein paar Jahre an einem Lustspieltheater gewesen - es ist ein Hundeleben für einen Mann und nicht viel besser für eine Frau.«

Er lachte laut, als ob irgendein Witz in seinen Worten stecke. Lois war erstaunt, daß die Gräfin sein freies und vorlautes Wesen nicht rügte, da es kaum mit seiner Stellung vereinbar schien.

»Ich würde gern zur Bühne gehen.«

Der schweigsame Lord Moron hatte das gesagt, und seine Stimme hatte einen mürrischen Unterton. Es war, als ob ein kleiner Junge nach etwas fragte, das ihm schon versagt worden war.

Die Gräfin wandte ihre dunklen, unfreundlichen Augen ihrem Sohn zu. »Du wirst niemals zur Bühne gehen, Selwyn«, sagte sie bestimmt. »Bitte, schlage dir diesen Unsinn aus dem Kopf.«

Lord Moron spielte mit seiner Uhrkette und bewegte die Füße unbehaglich hin und her. Lois schätzte ihn auf fünfundzwanzig bis dreißig Jahre und vermutete, daß er nicht verheiratet war. Sie hatte den Verdacht, daß er vielleicht an Geistesschwäche litt. Später erfuhr sie, daß er nur ein Mensch mit wenig Energie war, der ganz unter der Herrschaft seiner Mutter stand. Er hatte einen ruhigen, harmlosen und einfachen Charakter.

»Das ist nichts für dich, Junge«, sagte Mr. Chesney Praye und klopfte ihm so stark auf die Schulter, daß Lord Moron stöhnte. »Es gibt eine ganze Menge anderer Beschäftigungen für dich, nicht wahr, Gräfin?«

Sie antwortete ihm nicht. Sie stand an dem großen Schiebefenster und schaute auf den Platz hinunter. Jetzt wandte sie sich um, nahm ihre Lorgnette und hob sie an die Augen. »Wer ist dieser Herr?« fragte sie.

Chesney Praye blickte hinunter, und Lois bemerkte, daß sein Mund zuckte und sein Gesicht blaß wurde.

»Verdammt!« sagte er leise.