Wären wir nicht in der Dunkelheit gekommen, so hätten wir wohl die Spuren seiner Tatzen gesehen. Der Bir ist seine Tränke, denn es gibt von hier bis zum Flusse kein andres Wasser.«

»So kampiert er auf der offenen Ebene?«

»O nein, Herr. Dreiviertel Stunden von hier gibt es ein Felsgewirr, welches er sich zur Wohnung ausersehen hat, denn seine Stimme erklang genau aus jener Gegend. Ich habe schon viele Löwen beobachtet und weiß, in welcher Weise sie sich nahen. Dieser kommt sehr langsam herbei, denn das Feuer macht ihn bedenklich; aber in einer halben Stunde wird er in der Nähe sein und unser Lager umkreisen.«

»Um den Raub auch wirklich auszuführen?«

»Ganz gewiß, Effendi. Er hat es uns laut gesagt und wird sein Wort halten. Beladen wir also schnell unsre Tiere, um diesen bösen Ort augenblicklich zu verlassen!«

»Fliehen sollen wir?«

»Ja, und zwar so schnell wie möglich.«

»Vierzehn Männer? Vor dieser Katze?«

»Effendi, es ist keine Katze!«

»Es ist eine, wenn auch eine sehr große. Wer fliehen will, der mag es thun. Aber die Kamele bleiben hier, denn ich habe sie gemietet.«

»Er wird mir eins zerreißen!«

»So bezahle ich es dir!«

»Er kann auch gar mich selbst zerreißen!«

»In diesem Falle kommst du noch heute in Allahs Paradies; also freue dich darauf.«

»Ich gehe. Ich will noch leben!«

»So mache dich von dannen; aber indem du dich von den Feuern entfernst, die auch der Löwe scheut, begibst du dich in eine noch viel größere Gefahr. In der Dunkelheit draußen vermagst du das Tier nicht zu erkennen, und es fällt über dich her, ohne daß du es geahnt hast.«

»Allah, Allah! Also sollen wir hier bleiben und ruhig warten, wen von uns er sich holen werde?«

»Nein, denn ich werde ihn töten.«

»Du? Niemand wird dir beistehen.«

»Das fordere ich gar nicht.«

»Also du allein willst dich ihm entgegenstellen? Effendi, bist du toll?«

»Nein. Ich habe Tiere erlegt, welche ebenso gefährlich wie der Löwe sind. Mit ihm habe ich zwar noch nie gesprochen, aber er wird mit sich reden lassen. Dabei werde ich dafür sorgen, daß er euch nichts thun kann.«

Jetzt erhob der Löwe seine Stimme wieder. Es war kein Grollen oder Knurren mehr, sondern ein wenn auch nur kurzer, aber doch fürchterlicher Ton, welcher auf die Hörer ganz den Eindruck machte, als ob er ihnen die Kopfhaut empor ziehen wolle.

»Er ist wieder näher!« jammerte der Schech. »Er hat schon die Hälfte seines Weges zurückgelegt. In einer Viertelstunde ist er da. Meine Kamele, meine schönen Kamele!«

»Du selbst Kamel! Treffen wir schnell die nötigen Anstalten! Wir müssen ihn zwingen, sich nach der Stelle zu wenden, an welcher ich ihn erwarten werde. Durch das Wasser kommt er nicht, also muß er entweder von rechts oder von links zu uns, weil wir uns mit den Tieren zwischen der Quelle und dem Felsen befinden. Macht hier das Feuer breiter und facht es höher an, so wird er es vermeiden, hier herein zu brechen. Bindet die Tiere fest an die Zweige, daß sie nicht fliehen können. Und dann könnt ihr euch meinetwegen hinter das Gepäck verstecken.«

»Und du, was wirst du thun, Herr?« fragte der Slowak.

»Ich gehe auf die andre Seite, lösche dort das Feuer aus, so daß er nicht abgeschreckt wird, und warte, bis er kommt.«

»Du wirklich ganz allein?«

»Ja, ich bedarf wahrscheinlich der Unterstützung andrer nicht.«

Er gab diese Befehle und Antworten mit der Ruhe und Kaltblütigkeit eines Unteroffiziers, welcher auf dem Kasernenhofe seine Leute instruiert.

Die Araber und auch die Dschelabi hatten sich sehr beeilt, das Feuer zu vergrößern und die Tiere anzubinden. Nun drängten sie sich alle mit Ausnahme des Ungarn und Alis zwischen den Gepäckstücken und der Felswand zusammen. Die beiden Genannten aber waren bei Schwarz geblieben; sie halfen ihm das andre Feuer auszulöschen. Eben, als sie damit fertig waren, ließ sich der Löwe wieder hören, aber dieses Mal in ganz andrer Weise als bisher.

Ja, das war ein wirkliches Gebrüll, erst dumpf rollend wie ein unter den Füßen hingehendes Erdbeben, dann anschwellend bis zum mächtigen, in der stillen Nacht wohl meilenweit hörbaren Brusttone, welcher in einen durch Mark und Bein schneidenden, wahrhaft satanischen Kehllaut überging, um in einem langgezogenen und nach und nach ersterbenden Donner, unter welchem die Erde zu erzittern schien, wie in weiter Ferne zu verhallen.

Das war der wirkliche Macht- und Kampfesruf des Königs der Tiere gewesen, und Schwarz erkannte nun, warum die Araber ihm so oft den Namen Abu Rad, Vater des Donners, geben.

»Er ist höchstens nur noch tausend Schritte entfernt,« hörte man den Schech sagen. »Allah il Allah we Muhammed rassuhl Allah! Betet leise die heilige Fatha und dann laut die Sure der 'Zerreißung', welche die vierundachtzigste des Korans ist! Das Verderben wird nur noch fünf oder sechs Minuten lang das Lager umschleichen und dann über uns hereinbrechen.«

Die Kamele zitterten und stöhnten vor Angst. Sie lagen eng nebeneinander auf der Erde, die Hälse lang und fest an den Boden geschmiegt. Die Esel schlugen um sich und versuchten, sich loszureißen.

Schwarz hatte seinen größeren Hinterlader zur Hand genommen, der Ungar seine Riesenbüchse und Ali einen langen, starken, eisenbeschlagenen Spieß, welcher seine einzige Waffe bildete.

»Zieht euch jetzt zurück!« flüsterte der erstere den beiden andern zu.

»Herr, du allein vermagst es nicht,« antwortete der Slowak.

»Sorge dich nicht um mich! Zu deiner Beruhigung will ich dir sagen, daß ich auf den Jagdgefilden Nordamerikas noch größere Gefahren glücklich überstanden habe.«

»Das mag sein; aber ich habe dich liebgewonnen und werde dich nicht verlassen.«

»Du wirst mir mit deinem Feuerprügel nur Schaden machen!«

»O nein, Herr. Es ist mein Katil elfil, dessen Kugel dem Löwen durch den ganzen Körper gehen wird. Sag, was du willst, ich bleibe bei dir!«

Sein Ton war ein so entschlossener, daß Schwarz einsah, der treue, mutige kleine Kerl lasse sich gewiß nicht abweisen.