Aber vor vielen Jahren hatte sich der 'Herr mit dem dicken Kopfe' samt seiner Frau und seinen Kindern niedergelassen. Es fielen ihm viele Menschen und Tiere zum Opfer, und alle Krieger und Jäger, welche auszogen, um ihn zu töten, kamen mit zerrissenen Gliedern zurück oder wurden gar von ihm gefressen. Allah verdamme seine Seele und die Seelen aller seiner Vorfahren und Nachkommen! Da kam ein fremder Mann aus Frankhistan, der wickelte ein Gift in ein Stück Fleisch und brachte es in die Nähe des Brunnens. Am andern Tage lag der Fresser tot am Wasser. Sein Weib war darüber so erschrocken, daß sie mit ihren Kindern davonzog, wohin, das erfuhr man nicht, doch Allah weiß es. Möge sie mit ihren Söhnen und Töchtern im Elende erstickt sein! Seit jener Zeit hat es nie wieder einen Löwen an diesem Brunnen gegeben, aber den Namen hat er behalten.«

Der arabische Bewohner der Wüste spricht in einem so schlechten Tone nur dann von einem Löwen, wenn dieser nicht mehr lebt und ihm also keinen Schaden mehr bereiten kann. Einem lebenden Löwen gegenüber aber hütet er sich, solche beleidigende Ausdrücke oder gar Verwünschungen zu gebrauchen. Er vermeidet es sogar, das Wort Saba, Löwe, zu gebrauchen, und wenn er sich desselben je bedient, so spricht er es nur flüsternd aus, damit das Raubtier es nicht hören könne. Er meint, der Löwe höre das Wort stundenweit und komme herbei, sobald es ausgesprochen wird.

Wie die Negervölker des Sudan, so sind auch viele Araber der Ansicht, daß im Löwen die Seele irgend eines verstorbenen Scheichs stecke. Darum dulden sie seine Räubereien lange Zeit, bis er zu große Opfer von ihnen fordert. Dann ziehen sie in Masse aus, um ihn zu vernichten, wobei sie den Kampf durch hochtrabende Rede, welche sie ihm halten, einleiten.

Während der kühne europäische Jäger sich nicht scheut, dem Löwen ganz allein gegenüber zu treten, während er das fürchterliche Raubtier sogar am liebsten des Nachts an der Tränke aufsucht, um es mit der sicheren Kugel zu erlegen, hält der Araber das nicht nur für eine außerordentliche Kühnheit, sondern geradezu für Wahnsinn. Hat der Löwe die Herden eines arabischen Duar so gelichtet, daß den Leuten endlich doch die Geduld vergeht, so machen sich alle wehrfähigen Individuen auf, ihn zu erlegen. Das geschieht natürlich am hellen Tage. Man rüstet sich mit allen möglichen Waffen, sogar mit Steinen, betet die heilige Fathha und rückt dem Löwen vor sein Lager, welches gewöhnlich sich zwischen Felsen befindet, die von dornigem Gestrüpp umgeben sind.

Nun beginnt einer, welcher sich durch besondere Sprachgewandtheit auszeichnet, dem Tiere in höflichen Ausdrücken mitzuteilen, daß man wünscht, er möge die Gegend verlassen und die Rinder, Kamele und Schafe eines andern Dorfes verspeisen. Das ist natürlich ohne Erfolg. Es wird ihm der Beschluß der Dorfältesten nun in dringenderer, ernsterer Weise zu Gehör gebracht – ebenso umsonst. Darauf erklärt der Sprecher, daß man jetzt gezwungen sei, gewaltsame Maßregeln zu ergreifen, und man beginnt, so lange mit Steinen nach dem Dickicht zu werfen, bis der aus seinem Tagesschlummer aufgescheuchte Löwe erscheint, indem er stolz und majestätisch hinter den Felsen und aus dem Gestrüppe hervortritt. In diesem Augenblicke schwirren alle Pfeile, sausen alle Wurfspeere und krachen alle Flinten. Dabei ertönt ein Schreien und Heulen, daß der Löwe, wenn er nur ein wenig musikalisches Gehör hätte, augenblicklich davonrennen würde.

Keiner hat sich Zeit genommen, richtig zu zielen. Die meisten Geschosse gehen an dem Tiere vorüber; nur einige treffen, indem sie ihn leicht verwunden. Da sprühen seine Augen Feuer – ein Sprung, und er hat einen der Jäger unter sich liegen. Wieder krachen die Schüsse. Der Löwe, jetzt schwerer verwundet, holt sich noch ein zweites, ein drittes Opfer, bis er von den Geschossen, von denen keins wirklich tödlich traf, ganz durchlöchert tot zusammenbricht.

Nun aber ist es aus mit dem Respekte, mit welchem er vorher angeredet wurde, denn er ist tot und kann keine Beleidigung mehr rächen. Man wirft sich auf ihn; man tritt ihn mit Füßen und schlägt ihn mit Fäusten; man speit ihn an und besudelt sein Andenken, seine Vorfahren und Verwandten mit Schimpfworten, von denen die arabische Sprache einen fast unerschöpflichen Schatz besitzt.

Der Fremde lächelte ein wenig über den Bericht des Schechs. Es war ein Lächeln, welches bekundete, daß er sich gewiß nicht von dem »Herrn mit dem dicken Kopfe« und seiner Familie hätte »auffressen« lassen.

Diese kurze Unterhaltung hatte stattgefunden während man aufbrach. Dies geschieht nicht so leicht, wie der Europäer denken mag. Hat man Pferde als Reittiere, nun, so steigt man einfach in den Sattel und reitet davon. Bei den Kamelen aber ist es anders, besonders bei den Lastkamelen. Diese sind keineswegs die geduldigen Tiere, als welche sie in zahlreichen Büchern beschrieben werden. Sie sind vielmehr faul, bösartig und heimtückisch, ganz abgesehen von ihrer natürlichen Häßlichkeit und dem unangenehmen Geruch, den sie verbreiten.