Sie senkten sich jetzt, als die Reiter hielten, langsam weiter nieder, indem sie hintereinander eine regelmäßige Spirale beschrieben. Der Fremde setzte die Brille zurecht, stellte sich mit dem Rücken gegen die Sonne, um nicht geblendet zu werden, zielte einige Sekunden lang, mit der Mündung des Hinterladers dem Fluge der Vögel folgend, und drückte dann ab.

Das voran fliegende Männchen zuckte, legte die Flügel zusammen, spannte sie wieder auf, aber nur für wenige Augenblicke, dann konnte er sich nicht mehr in der Luft erhalten; er stürzte zur Erde nieder. Der Fremde eilte der Stelle zu, an welcher der Vogel lag, hob ihn auf und betrachtete ihn. Die Araber kamen herbei, nahmen ihm den Hedj aus der Hand und untersuchten denselben.

»Allah akbar – Gott ist groß!« rief der Schech erstaunt, »du hattest eine Kugel geladen?«

»Ja, eine kleine Kugel, keinen Schrot.«

»Und ihn doch getroffen!«

»Wie du siehst!« nickte der gute Schütze. »Das Geschoß ist ihm in die Brust gedrungen, mitten in das Leben, was freilich nur Zufall ist; aber auf den Leib hatte ich doch gezielt. Es freut mich, daß der Schuß so gut gelungen ist, denn so ist der Balg ganz unverletzt.«

»Einen Hedj zu schießen, mit einer Kugel, aus solcher Höhe! Und ihn auch an dieser Stelle zu treffen! Effendi, du bist ein ausgezeichneter Schütze, bei uns verstehen die Lehrer an den Medressen nicht zu schießen. Wo hast du das gelernt?«

»Auf der Jagd.«

»So hast du schon früher solche Vögel gejagt?«

»Vögel, Bären, wilde Pferde, wilde Büffel und viele andre Tiere.«

»Gibt es die in deinem Vaterlande?«

»Nur die ersteren. Die letzteren schoß ich in einem andern Weltteile, welcher Amerika heißt.«

»Von diesem Lande habe ich noch nichts gehört. Sollen wir den Hedj in das Gepäck stecken?«

»Ja. Ich werde ihn heute abend am Lagerfeuer abbalgen, wenn es überhaupt ein Feuer geben wird.«

»Es gibt eins, denn an dem Bir Aslan wachsen viele und dichte Sträucher.«

»So hebt ihn bis dahin auf! Es ist das Männchen, welches wertvoller als das Weibchen ist.«

»Ja, es ist das Männchen; auch ich kenne es. Seine Witwe ist davon geflogen und wird um ihn trauern und klagen, bis ein andrer Hedj sie tröstet. Allah sorgt für alle Geschöpfe, selbst für den kleinsten Vogel, am allerbesten aber für die Dijur ed djiane, welche er jährlich in sein Paradies aufnimmt, wenn sie von uns gehen.«

Dieser Glaube ist in Ägypten viel verbreitet. Der gewöhnliche Mann weiß nicht, daß die Schwalben, welche er eigentlich »Snunut« nennt, ihre wirkliche Heimat in Europa haben und nur während unsrer Winterszeit nach Süden gehen. Da sie im Frühling verschwinden, ohne daß er erfährt, wohin, so erklärt er sich, wohl meist auch infolge ihres traulichen, menschenfreundlichen Wesens, diese Erscheinung in der Weise, daß er annimmt, sie fliegen nach dem Paradiese, um bei Allah zu nisten und ihm die Gebete der Gläubigen vorzuzwitschern.

Nachdem der unterbrochene Ritt fortgesetzt worden war, sah man nach einiger Zeit einzelne kahle Berge, welche sich im Süden und Norden der eingeschlagenen Richtung erhoben. Dies gab dem Fremden Veranlassung, auch nach rückwärts zu blicken. Sein Auge blieb an einigen winzig kleinen Punkten hangen, welche dort scheinbar unbeweglich in der Luft schwebten. Er zog sein Fernrohr aus der Satteltasche und beobachtete dieselben einige Zeit. Dann schob er das Rohr wieder in die Tasche zurück und fragte:

»Ist der Weg, den wir reiten, ein vielbesuchter Handelsweg?«

»Nein,« antwortete der Schech. »Wenn wir den Karawanenweg hätten einschlagen wollen, so hätten wir einen Bogen reiten müssen, auf welchem uns zwei Tage verloren gegangen wären.«

»Hier ist also keine Karawane zu erwarten?«

»Nein, weil es in der trockenen Jahreszeit auf dem Pfade, den wir ritten, kein Wasser gibt. Das unsrige ist auch bereits zur Neige gegangen. Die Schläuche sind leer.«

»Aber am Bir Aslan werden wir sicher welches finden?«

»Ganz gewiß, Effendi.«

»Hm! Sonderbar!«

Er machte dabei ein so bedenkliches Gesicht, daß der Schech ihn fragte:

»Woran denkst du, Herr? Gibt es etwas, was dir nicht gefällt?«

»Ja.«

»Was?«

»Du behauptest, daß wir uns auf keinem Karawanenwege befinden, und doch reiten hinter uns Leute.«

»Hinter uns? Unmöglich! Dann müßten wir sie ja sehen!«

»Das ist nicht notwendig.«

»Wie kannst du es dann für so gewiß behaupten?«

»Weil ich zwar nicht sie, aber doch ihre Spur sehe.«

»Effendi, du scherzest!« meinte der Schech in überlegenem Tone.

»O nein. Es ist im Gegenteil mein vollständiger Ernst.«

»Wie ist es einem Menschen möglich, die Spuren von Personen, die Darb und Ethar von Personen zu sehen, welche hinter ihm reiten!«

»Du denkst nur an die Spuren, welche durch die Füße der Menschen und die Hufe der Tiere dem Sande eingedrückt werden. Aber es gibt auch Spuren, welche sich in der Luft befinden.«

»In der Luft? Allah akbar – Gott ist groß; er kann alles, denn ihm ist alles möglich. Aber daß er es uns erlaubt hat, Spuren in der Luft zurückzulassen, davon habe ich noch nichts gehört.«

Er musterte den Fremden mit einem Blicke, als ob er ihn nicht für ganz zurechnungsfähig halte.

»Und doch ist es so. Die Spuren sind da. Man muß nur Augen für sie haben. Denk an den Hedj, welchen ich geschossen habe!«

»Was hat er mit den Darb und Ethar zu thun?«

»Sehr viel, denn er selbst konnte unter Umständen die Ethar von uns sein. Hast du ihn schon bemerkt, bevor ich ihn schoß?«

»Ja. Das Pärchen folgte uns seit dem Morgen. Und als wir am Steine ruhten, schwebte es immer über uns.