Er war nur neugierig, zu erfahren, in welche Gegend er geraten sei, und ob es von hier noch weit sei zu dem Gutsbesitzer Sobakewitsch; die Alte erwiderte darauf, sie habe einen solchen Namen nie gehört, und es gebe einen solchen Gutsbesitzer überhaupt nicht.
»Aber wenigstens kennen Sie doch Herrn Manilow?« fragte Tschitschikow.
»Was ist dieser Manilow?«
»Ein Gutsbesitzer, Mütterchen.«
»Nein, ich habe nicht von ihm gehört; so einen Gutsbesitzer gibt es nicht.«
»Was gibt es denn hier für welche?«
»Bobrow, Swinjin, Kanapatjew, Charpakin, Trepakin, Pleschakow.«
»Sind das reiche Leute oder nicht?«
»Nein, Väterchen, besonders reich sind sie nicht. Der eine hat zwanzig Seelen, der andere dreißig; aber solche, die hundert Seelen hätten, gibt es hier nicht.«
Tschitschikow merkte, daß er in eine gottverlassene Gegend gekommen war.
»Wenigstens werden Sie mir sagen können, ob es weit nach der Stadt ist?«
»Es werden etwa sechzig Werst sein. Wie leid tut es mir, daß ich Ihnen nichts zu essen geben kann! Wollen Sie nicht Tee trinken, Väterchen?«
»Ich danke, Mütterchen. Ich habe nichts nötig als ein Bett.«
»Allerdings, nach einer solchen Fahrt hat man Erholung nötig. Hier können Sie sich lagern, Väterchen, hier auf diesem Sofa. He, Fetinja, bring ein Federbett, ein paar Kissen und ein Laken! Was für ein Wetter hat uns Gott da gesandt: so ein Gewitter – ich habe die ganze Nacht ein Licht vor dem Heiligenbilde brennen lassen. Ach, Väterchen, Ihr ganzer Rücken und Ihre ganze eine Seite sind ja so schmutzig wie bei einem Schweine; wo haben Sie sich denn so vollgeschmiert?«
»Ich kann noch Gott danken, daß ich mich nur vollgeschmiert und mir nicht alle Rippen zerbrochen habe.«
»All ihr Heiligen, was für ein Unglück! Aber wollen Sie sich nicht den Rücken mit etwas einreiben?«
»Danke, danke! Machen Sie keine Umstände, sondern befehlen Sie nur Ihrem Mädchen, meine Kleider zu trocknen und zu reinigen!«
»Hörst du, Fetinja«, sagte die Hausherrin, sich zu derjenigen Frauensperson wendend, die mit dem Lichte auf die Freitreppe hinausgekommen war, jetzt schon ein Federbett angeschleppt brachte und dadurch, daß sie es mit den Armen von beiden Seiten zusammendrückte, eine wahre Überschwemmung des Zimmers mit Federn hervorrief. »Nimm den Rock des Herrn nebst den Beinkleidern und trockne sie zuerst am Feuer, wie du es bei dem seligen Herrn zu machen pflegtest, und dann reibe den Schmutz heraus und klopfe sie ordentlich!«
»Sehr wohl, gnädige Frau!« sagte Fetinja, die gerade ein Laken über das Federbett deckte und die Kissen zurechtlegte.
»Na, sehen Sie, nun ist das Bett für Sie fertig«, sagte die Hausherrin. »Gute Nacht, Väterchen; schlafen Sie wohl! Wünschen Sie noch irgend etwas? Vielleicht sind Sie gewöhnt, Väterchen, daß Ihnen jemand zur Nacht die Fersen kratzt? Mein Seliger konnte ohne das nie einschlafen.«
Aber der Gast lehnte auch das Kratzen der Fersen ab. Die Hausherrin ging hinaus, und er beeilte sich sogleich, sich zu entkleiden, wobei er Fetinja die gesamten ausgezogenen Kleider, sowohl das Oberzeug wie das Unterzeug, hingab; diese wünschte ihm ebenfalls gute Nacht und nahm die nassen Sachen mit sich hinaus. Als er allein geblieben war, betrachtete er nicht ohne Vergnügen sein Bett, das fast bis an die Zimmerdecke reichte. Fetinja verstand sich offenbar meisterhaft auf die Herrichtung eines Bettes. Als er mittels eines herangestellten Stuhles auf das Bett hinaufgestiegen war, sank dieses unter der Last seines Körpers tief zusammen, und die aus ihrer Umhüllung herausgedrängten Federn flogen nach allen Ecken des Zimmers auseinander. Er löschte die Kerze aus, zog die baumwollene Bettdecke über sich, rollte sich unter ihr wie ein Kringel zusammen und schlief sofort ein. Er erwachte am anderen Morgen erst ziemlich spät. Die Sonne strahlte ihm durch das Fenster gerade in die Augen, und die Fliegen, die gestern ruhig an den Wänden und an der Decke geschlafen hatten, wendeten sich nun alle zu ihm: eine setzte sich ihm auf die Lippe, eine andere an das Ohr, eine dritte schien sich ihm geradezu auf das eine Auge setzen zu wollen; diejenige, die die Unvorsichtigkeit hatte, sich in der Nähe des einen Nasenloches hinzusetzen, zog er im Halbschlaf in die Nase hinein, was ihn veranlaßte, kräftig zu niesen, ein Vorgang, der die Ursache seines Aufwachens bildete. Als er seinen Blick durch das Zimmer schweifen ließ, bemerkte er jetzt, daß nicht auf allen Bildern Vögel dargestellt waren; es hing darunter auch ein Porträt Kutusows und das Ölgemälde eines alten Herrn in Uniform mit roten Aufschlägen, wie man sie unter der Regierung des Kaisers Pawel Petrowitsch getragen hatte. Die Uhr ließ wieder ihr Zischen hören und schlug dann zehn; durch die Tür blickte ein Frauengesicht herein, verschwand aber sofort wieder, weil Tschitschikow in dem Wunsche, möglichst gut zu schlafen, sich ganz nackt ausgezogen hatte. Das Gesicht, das hereingeblickt hatte, kam ihm einigermaßen bekannt vor. Er suchte in seinem Gedächtnisse nach, wer es wohl gewesen sein mochte, und erinnerte sich endlich, daß es die Hausfrau war. Er zog sich das Hemd an; die Kleider lagen, bereits getrocknet und gereinigt, neben dem Bette. Nachdem er sich angekleidet hatte, trat er an den Spiegel und nieste wieder so laut, daß ein Truthahn, der sich gerade in diesem Augenblick dem Fenster näherte (das Fenster war nur sehr wenig vom Boden entfernt), ihm plötzlich etwas in seiner sonderbaren Sprache zurief, was wahrscheinlich »Prosit!« bedeutete, worauf Tschitschikow zu ihm »Schafskopf!« sagte. Zum Fenster tretend, betrachtete er das vor ihm liegende Bild; das Fenster blickte beinah in einen Hühnerstall hinein; wenigstens war der vor demselben liegende kleine Hof ganz mit Hühnern und allerlei anderen Haustieren angefüllt. Die Puten und Hühner waren gar nicht zu zählen; unter ihnen schritt ein Hahn gemessenen Schrittes hin und her, schüttelte seinen Kamm und drehte den Kopf nach der Seite, wie wenn er nach etwas hinhorchte. Auch eine Sau mit ihrer Familie war da; in einem Misthaufen wühlend, verschlang sie so beiläufig ein Küchelchen und fuhr dann, ohne davon Aufheben zu machen, fort, ordnungsmäßig Melonenschalen zu fressen. Diesen kleinen Hof oder Hühnerstall umschloß ein Bretterzaun, jenseits dessen sich ein ausgedehnter Gemüsegarten hinzog mit Kohl, Zwiebeln, Kartoffeln, roten Rüben und anderen Küchengewächsen. In dem Gemüsegarten standen verstreut Apfel- und andere Obstbäume, mit Netzen bedeckt, zum Schutze gegen die Elstern und Sperlinge, welche letzteren in ganzen schrägen Wolken von einem Platze zum andern flogen. Aus demselben Grunde waren auf langen Stangen einige Vogelscheuchen mit ausgebreiteten Armen aufgestellt; eine von diesen trug auf dem Kopfe eine Haube der Hausfrau selbst. Hinter dem Gemüsegarten folgten die Bauernhäuser, die zwar verstreut lagen und keine regelmäßigen Straßen bildeten, aber, wie Tschitschikow bemerkte, den Wohlstand der Bewohner bekundeten, da sie so unterhalten waren, wie es sich gehört: schlecht gewordene Bretter auf den Dächern waren überall durch neue ersetzt; die Tore lagen nirgends schief, und in den ihm zugewendeten gedeckten Schuppen sah er einen, an manchen Stellen sogar zwei fast neue Reservewagen stehen. »Aber die hat ja ein ganz ansehnliches Dörfchen!« sagte er bei sich und nahm sich sofort vor, mit der Gutsherrin freundschaftliche Gespräche zu führen und möglichst gut bekannt zu werden.
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