»Aber es ist nicht viel Verkehr in der Umgegend. Und wenn einmal ein Besuch kommt, der uns gute Gedanken zurückläßt, so sind wir dankbar und wir bewahren sie in treuem Herzen.«

»Die besten Gedanken sind doch, welche dem Menschen aus seiner eigenen Thätigkeit aufsteigen,« sagte der Professor rücksichtsvoll. »Das Wenige, was ich von dem Gute hier gesehen, mahnt, wie schön das Leben gedeihen kann, auch wenn es weit von dem lauten Geräusch des Tages abliegt.«

»Das war ein freundliches Wort,« rief Ilse. »Und einsam ist es hier auch nicht, und wir kümmern uns auch um die Landsleute draußen und um die große Welt. Wenn die Herren Landwirthe zum Besuch kommen, wird nicht immer von der Wirthschaft gesprochen, und es fällt wohl etwas für uns jüngere ab. Und dann ist unser lieber Herr Pastor, der uns auch zuweilen aus der Fremde erzählt und mit uns zusammen die Zeitungen liest, welche der Vater hält. Und wenn darin zu Beiträgen für einen guten Zweck aufgefordert wird, dann sind die Kinder am schnellsten bei der Hand und jedes gibt sein Scherflein vom Ersparten, der Vater aber reichlich. Und Hans als der älteste sammelt und hat das Recht solches Geld einzupacken, und in den Brief setzt er die Anfangsbuchstaben eines Jeden, der dazu gegeben hat. Kommt dann später im Gedruckten eine Quittung, so sucht jedes zuerst seinen Buchstaben. Mehrmals war einer falsch gedruckt, dann sind die Kinder ärgerlich.«

Aus der Ferne hörte man Ruf und Lachen der Kinder, welche mit dem Doctor von ihrem Ausflug zurückkehrten. Das Mädchen erhob sich, der Professor trat zu ihr und sagte mit warmer Empfindung: »Sooft mir einst die Bilder dieses Tages lebendig werden, wird mein Herz voll Dank dieser Stunde gedenken, wo Sie zu einem Fremden so ehrlich über Ihr glückliches Leben gesprochen haben.«

Ilse sah ihn mit unschuldigem Vertrauen an. »Sie sind mir nicht fremd, ich sah Sie ja am Grabe des Kindes.«

Der fröhliche Schwarm schloß beide in die Mitte und zog weiter das Thal hinauf.

Es war Abend, als sie zum Hause zurückkehrten, wo der Landwirth sie bereits erwartete. Nach dem Abendbrot saßen die Erwachsenen noch eine Stunde zusammen. Die Fremden erzählten von ihrer Stadt und Neuigkeiten aus der Welt, dann wurde, wie Männern ziemt, auch über Politik gesprochen, und Ilse freute sich, daß ihr Vater und die Fremden sich darin vortrefflich verstanden. Als der Kuckuck über der Hausuhr die zehnte Stunde ausrief, trennte man sich mit freundlichem Nachtgruß.

Das Hausmädchen hatte den Fremden zur Ruhe geleuchtet, Ilse saß auf dem Stuhl, die Hände im Schoß gefaltet, und sah schweigend vor sich hin. Der Gutsherr kam aus seinem Zimmer und nahm den Nachtleuchter vom Tisch. »Bist noch wach, Ilse? Nun, wie gefallen dir die Fremden?«

»Gut, Vater,« sagte das Mädchen leise.

»Sie sind nicht so dumm als sie aussehen,« sagte der Wirth auf und abgehend. »Das von dem großen Feuer war recht,« wiederholte er, »und das über unsere kleinen Regierungen war auch recht. Der Jüngere wäre ein guter Schullehrer geworden, und der Große, es ist beim Himmel schade, daß er nicht ein vier Jahr Wasserstiefeln getragen hat, er wäre ein gescheidter Inspektor. Gute Nacht, Ilse.«

»Gute Nacht, Vater.«

Die Tochter erhob sich und folgte dem Vater an die Thür. »Bleiben die Fremden morgen hier, Vater?«

»Hm,« sagte der Wirth nachdenkend. »Ueber Mittag bleiben sie jedenfalls, ich will ihnen doch das Vorwerk zeigen. Sorge für etwas Ordentliches zum Essen.«

»Vater, der Professor hat noch nie in seinem Leben ein Spanferkel gegessen,« sagte die Tochter.

»Ilse, wo denkst du hin, meine Ferkel wegen des Tacitus!« rief der Landwirth. »Nein, damit komm mir nicht, bleibe bei deinem Federvieh! Halt! noch eins, reiche mir den Band T aus dem Schranke, ich will doch einmal über den Burschen nachlesen.«

»Hier, Vater, ich weiß, wo es steht.«

»Sieh doch!« sagte der Vater, »Frau Oberamtmann Rollmaus! gute Nacht.«

Der Doctor sah durch das Fenster in den dunklen Hof. Schlaf und Frieden lag über dem weiten Raum, aus der Ferne klang der Schritt des Wächters, der die Hofstätte umkreiste, dann bellte halblaut der Hofhund. »Da stehen wir,« sagte er endlich, »zwei echte Abenteurer in der feindlichen Burg. Ob wir etwas daraus forttragen, ist sehr zweifelhaft,« fügte er hinzu, seinen Freund bedenklich anlächelnd.

»Es ist zweifelhaft,« sagte der Professor, mit großen Schritten die Stube durchmessend.

»Was hast du, Felix?« frug Fritz besorgt nach einer Pause, »du bist zerstreut, das ist sonst nicht deine Art.«

Der Professor blieb stehen. »Ich habe dir nichts zu sagen. Es sind starke, aber unklare Empfindungen, welche ich zu bewältigen suche. Ich fürchte, dieser Tag hat eine Bedeutung gewonnen, gegen welche ein vernünftiger Mann sich zu wehren hat.