Unter den wilden Haaren, die wie ein Schnurrbart über seine Augen hingen, war etwas aufgedämmert, er hatte ihr nachgeschielt, sich endlich aufgemacht und trottete jetzt schweigend hinter ihr her, ungerührt durch Sonnenstrahl, Fruchtkorb und das rothe Kopftuch seiner jungen Herrin. Mitten zwischen Stadt und Dorf stieg der Weg aus dem Thalgrunde und seinen Bäumen zu einer kahlen Ebene, auf welcher die Kriegsmacht der Stadt zuweilen ihre Uebungen hielt, in den friedlichen Stunden ein Schäfer die Herde weidete: der Pfad lief schräg über die offene Fläche dem Dorfe zu. Laura hielt auf der Höhe an und bewunderte die fernen Wollträger und den braunen Schäfer, der mit seinem großen Hut und Hakenstock sehr hübsch aussah. Schon war sie über die Herde hinausgekommen, da hörte sie hinter sich Gebell und drohendes Geschrei, sie wandte sich um und sah die friedliche Gemeinde in wildem Aufruhr. Die Schafe stoben auseinander, einige rannten kopflos in die Weite, andere lagen zusammengeballt in einem Quergraben, die Schäferhunde bellten, der Schäfer und sein Knabe liefen mit gehobenen Stöcken um den verstörten Haufen. Aber während Laura erstaunt in das Getümmel sah, wurde sie selbst davon umringt, der Schäfer und sein Junge sprangen auf sie zu, zwei große Schäferhunde folgten dem hetzenden Zuruf, sie fühlte sich von rauher Männerhand angepackt, das zornige Gesicht des Schäfers und sein Hakenstock bewegten sich dicht vor ihren Augen. »Ihr Hund hat mir die Herde auseinandergejagt, ich fordere Strafe und Zahlung.« Erstarrt und leichenblaß griff Laura nach ihrem Geldtäschchen, kaum vermochte sie zu bitten: »ich habe ja keinen Hund, lassen Sie mich los, lieber Schäfer.« Doch der Mann schüttelte wild ihren Arm, zwei riesige schwarze Thiere sprangen an ihr hinauf und schnappten nach ihrem Tuche. »Es ist Ihr Hund, und ich kenne das rothe Biest,« schrie der Schäfer.

Das war kein Irrthum. Speihahn hatte nämlich ebenfalls die Schafherde beobachtet und seinen ruchlosen Plan geschmiedet. Plötzlich war er mit heiserem Gekläff auf ein Schaf zugesprungen und hatte es heftig ins Bein gebissen. Darauf Flucht der Herde, Zusammenstürzen des Haufens, Speihahn mitten darunter, kläffend, kratzend, beißend, dann linksab einen trockenen Graben entlang, den Abhang zum Walde hinunter in das dichteste Gesträuch. Jetzt trabte er in Sicherheit nach Hause zurück, die Zähne fletschend, mit verworrenem Schnurrbart, und ließ sein Fräulein unter der Faust des Schäfers vergehen, der seinen Hakenstock noch immer über ihr schwenkte.

»Lassen Sie das Fräulein los!« rief die erzürnte Stimme eines Mannes. Fritz Hahn sprang herzu, stieß den Arm des Schäfers zurück und fing Laura, der die Sinne schwanden, in seinen Armen auf.

Das Dazwischentreten eines Dritten zwang den Schäfer zu neuer Anklage, deren Schluß war, daß er wieder in auflodernder Hitze das Mädchen anfassen wollte und daß seine Hunde gegen den Doctor heranfuhren. Aber tief empört gebot Fritz: »Sie halten die Hunde zurück und benehmen sich manierlicher, oder ich veranlasse, daß Sie selbst bestraft werden. Hat ein fremdes Thier Ihrer Herde Schaden gethan, so soll eine billige Entschädigung gezahlt werden, ich bin bereit, Ihnen oder dem Besitzer der Schafherde dafür zu bürgen.«

So rief er und hielt Laura fest im Arme, ihr Kopf lag auf seiner Schulter und das rothe Tuch hing über seine Weste bis auf das Herz hinab. »Fassen Sie sich, liebes Fräulein,« bat er herzlich besorgt. Laura erhob ihr Haupt, blickte furchsam auf das Angesicht, welches sich von Menschenliebe und Mitgefühl geröthet über sie beugte und erkannte mit Schrecken ihre Lage. Furchtbares Schicksal! Wieder er, zum dritten Male er, der unvermeidliche Beschützer und Retter! Sie entwand sich ihm und sagte mit schwacher Stimme: »Ich danke Ihnen, Herr Doctor, ich vermag allein zu gehen.«

»Nein, ich verlasse Sie nicht so,« rief Fritz und verhandelte mit dem Schäfer, der unterdeß die beiden Opfer des mörderischen Hundes herzugeholt und als Beweise der verübten Missethat niedergelegt hatte. Fritz griff in seine Tasche, reichte dem Schäfer ein Aufgeld zu der gebotenen Entschädigung, nannte seinen Namen und besprach mit dem Manne, der nach Anblick des Geldes ruhiger wurde, eine Zusammenkunft.

»Bitte geben Sie mir den Arm,« wandte er sich ritterlich zu Laura.

»Ich kann das nicht annehmen,« erwiederte das betäubte Mädchen, der großen Feindschaft eingedenk.

»Es ist nur Menschenpflicht,« begütigte Fritz, »Sie sind zu angegriffen, um allein zu gehen.«

»Dann bitte ich Sie, mich zu meiner Frau Pathe zu geleiten, es ist am nächsten dorthin.«

Fritz nahm ihr das Körbchen ab und las die herausgefallenen Früchte zusammen, darauf führte er sie dem Dorfe zu. »Vor dem Manne hätte ich mich nicht so sehr gefürchtet,« klagte Laura, »aber die schwarzen Thiere waren so furchtbar.« Dabei hielt sie ihren Arm schwebend in dem seinen, denn jetzt, wo der Schrecken verflog, fühlte sie das Peinliche ihrer Lage, ach, mit Gewissensbissen! Denn sie hatte erst heute früh die Reisetoilette des heimkehrenden Doctors unausstehlich gefunden. Nun war allerdings Fritz kein Mann, dessen Unausstehlichkeit lange vorhielt. Er war voll Zartgefühl und Sorge um sie, strebte ihr jede Unebenheit des Weges zu ersparen, streckte im Gehen seinen Fuß aus und stieß kleine Steine weg. Er begann ein gleichgültiges Gespräch über die Frau Pathe, wobei sie erzählen mußte und auf andere Gedanken kommen konnte. Darüber ergab sich, daß er selbst die Pathe recht hochschätzte, ja, sie hatte ihm einst, als er noch Schulknabe war, einen Kirschkuchen geschenkt und er dafür an ihrem Geburtstage ein Gedicht verfertigt. Ueber das Wort Gedicht erstaunte Laura. Also dort drüben konnte man das auch? Allein der Doctor sprach sehr rücksichtslos von den erhebenden Schöpfungen glücklicher Stunden. Und als sie ihn frug: »Sie haben auch gedichtet?« und er lachend erwiederte: »nur für's Haus, wie Jedermann,« da fühlte sie sich durch seine kalte Nichtachtung der Poesie recht gedrückt. Es war jedenfalls ein Unterschied zwischen Vers und Vers, bei Hahns thaten sie das um Kirschkuchen. Aber gleich darauf tadelte sie sich wegen unziemlicher Gedanken gegen ihren Wohlthäter. Und sie wandte sich freundlich zu ihm und sprach von ihrer Freude über das heutige Eichhorn im Walde.