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Haut und Haare Mene Tekel

Von der Stirne bis zur Zeh;

Mich durchschauert schon der Ekel,

Wenn ich deinen Schatten seh.

 

Aber wenn wir Nachts uns lausen

Und die Liebe schafft sich Bahn,

Preis ich mich als deines grausen

Reiches treusten Untertan.

 

 

Fata Morgana

So sei denn heute der Schwur getan:

Nicht leg ich der Seele mehr Fesseln an;

Nicht will ich mehr kriechen in Staub und Kot,

Nicht geistig verhungern um leiblich Brot!

Ich schwör es auf Leben und Sterben.

 

Seit die Sterne erloschen in ihrer Pracht,

Wie irrt ich rastlos durch Sturm und Nacht.

Der eigenen Augen mattschimmerndes Licht,

Wohl wies es den Pfad mir, es wärmte doch nicht,

Und die starren Glieder erlahmten.

 

Die Winde fegten, es blutet mein Weh

Eine rote Spur in den weißen Schnee.

In meinen Augen das Licht ging aus,

Das Ohr umtoste dumpfrollender Graus,

Dann tiefe schmeichelnde Stille.

 

Horch, horch, ein Klingen, so fern, so hold –

Dehnt dort sich das Tal nicht im Sonnengold?

Es leuchten die Berge, es glänzt der Strom,

Hoch lacht herein der kristallne Dom,

Darunter fächelnde Lüfte.

 

Von Blumen umduftet, im wärmenden Schein,

Auf breitem Gipfel steh ich allein;

Ich lehne mich lächelnd auf meinen Stab,

Mein Aug streift selig landauf, landab;

Und all mein Leiden vergessen. – – –

 

Und sei es der sinnberückende Tod,

Ich will nicht mehr hungern um leiblich Brot.

Ich will dich halten, du sonnig Bild,

Solang nur pochend das Herz noch schwillt –

Ich schwör es auf Leben und Sterben.

 

 

 

Winter

 

Der Tantenmörder

Ich hab meine Tante geschlachtet,

Meine Tante war alt und schwach;

Ich hatte bei ihr übernachtet

Und grub in den Kisten-Kasten nach.

 

Da fand ich goldene Haufen,

Fand auch an Papieren gar viel

Und hörte die alte Tante schnaufen

Ohn Mitleid und Zartgefühl.

 

Was nutzt es, daß sie sich noch härme –

Nacht war es rings um mich her –

Ich stieß ihr den Dolch in die Därme,

Die Tante schnaufte nicht mehr.

 

Das Geld war schwer zu tragen,

Viel schwerer die Tante noch.

Ich faßte sie bebend am Kragen

Und stieß sie ins tiefe Kellerloch. –

 

Ich hab meine Tante geschlachtet,

Meine Tante war alt und schwach;

Ihr aber, o Richter, ihr trachtet

Meiner blühenden Jugend-Jugend nach.

Auf dem Faulbett

 

Auf mein Faulbett hingestreckt

Überdenk ich so meine Tage,

Forschend, was wohl dahinter steckt,

Daß ich nur immer klage.

 

Ich habe zu essen, ich habe Tabak,

Ich lebe in jeder Sphäre,

Ich liebe je nach meinem Geschmack

Blaustrumpf oder Hetäre.

 

Die sexuelle Psychopathie,

Ich habe sie längst überwunden –

Und dennoch, ich vergeß es nie,

Es waren doch schöne Stunden.

 

 

Erholung

Sieh, wie die Erde wackelt,

Wie alles niederstürzt,

Die Sonne ängstlich fackelt

Und ihre Flammen kürzt,

Wenn ich dich halte Brust an Brust

Und du mit scharfen Zähnen

Verbissen dich in wilder Lust

In meine glühnden Venen.

Es wogt dein Leib, es dröhnt dein Herz,

Dein Odem züngelt höllenwärts,

Und aus der Tiefe steigen

Miasmen freud- und leidenschwer;

Dein Kichern tanzt darüber her

Den fahlen Elfenreigen.

Und zuckt die Flamme übers Haus,

Wie sinkt das All in Nacht und Graus;

Der Himmelslichter Glanz verblich,

Die Stürme heulen fürchterlich,

Es schmettern die Posaunen.

Die Jugend reißt die Ohren auf,

Das Alter hemmt den Tageslauf;

Sie schaudern und erstaunen.

Der Sieger nimmt ein Bad und blickt

Verächtlich nach dem Pfühle,

Die Seele frei, der Leib erquickt

Von frischer Morgenkühle.

Die ganze Welt ist Jubelsang,

Die Sonne lacht den Wald entlang;

Dann lacht auch der Verächter

Sein gellend Hohngelächter.

 

 

Trost

Der Tod kommt bald und sicher,

Hält stets sich in der Näh.

Er ist ein fürchterlicher

Tröster im Erdenweh.

 

Ich hasse ihn nicht aus Liebe,

Ich liebe ihn heiß aus Haß.

Wenn man unsterblich bliebe,

Wie grauenvoll wäre das!

 

Des Fressens und Weitergebens

Urewige Wiederkehr

Als höchsten Ertrag des Lebens

Ertrag ich nicht länger mehr.

 

 

Am Scheidewege

Der schwere Fluch, der auf dem Haupt mir lastet,

Drückt mich darnieder in den Straßenkot;

O Gott, o Welt, erbarmt euch meiner Not;

Ihr wißt, weswegen ich ihn angetastet.

 

Ihr wißt, ihr selber jagtet mich hinein,

Mit tausend Peitschenhieben ins Verderben;

Nehmt mich zur Sühne denn und laßt mich sterben,

Nur laßt mich nicht so schimpflich elend sein.

 

Ich war nicht schlecht; nun mag ich's freilich werden,

Gab ich mein Bestes doch zum Opfer hin.

Nehmt mich hinweg, solang ich Mensch noch bin!

Ein Tier, ein Teufel werd ich sonst auf Erden.

 

 

Wilhelmine

1.

Warum drängst du dich in meine Träume?

Warum hemmst du meiner Schritte Lauf?

Warum füllst du alle Himmelsräume,

Blick ich nächtens zu den Sternen auf?

 

Stör ich deiner Seele heil'gen Frieden,

Warum machst du, Mädchen, dich so breit?

Und »Nicht doch!« entgegnest du entschieden

Wie der Genius der Enthaltsamkeit.

 

Ach, so kann es nicht mehr lange dauern;

Ach, es wälzt sich drohend Ach auf Ach;

Laß dir deine Zimmertür vermauern,

Oder fürchte den Zusammenkrach.

2.

 

Und nun ist es doch gekommen,

Trotz des stolzen Sinns im Köpfchen;

Und wir haben von dem Töpfchen

Kühn den Deckel abgenommen.

 

Schwüler Paradieses-Brodem

Stieg mir schmeichelnd in die Nase,

Dennoch bangt ich wie ein Hase

Vor dem Pechgeruch von Sodom.

 

Zwei von heißer Glut erfüllte,

Mitternächtlich helle Sterne

Blinken träumend in die Ferne,

Die sich scheu in Nebel hüllte.

Waldweben

 

Zwischen duftigen Büschen

Stieß ich auf einen Quell;

Meinen Mund zu erfrischen,

Dünkt er mich rein und hell.

 

Als ich mich satt getrunken,

Träumend wankt ich zur Stadt,

Bin aufs Lager gesunken,

Fiebernd und todesmatt.

 

Hat kein Arzt sich gefunden,

Dessen Kunst mich geheilt;

Werd auch nimmer gesunden,

Bis mich der Tod ereilt. –

 

Ei du mein durstiger Knabe,

Streife nicht durchs Gebüsch;

Bleib bei der Mutter und labe

Fromm dich am Kaffeetisch.

 

 

Kapitulation

Was hilft mir der betrunkne Verstand!

Was helfen die schweren Glieder!

Sobald das Licht heruntergebrannt,

Kommen die Wanzen wieder!

 

Die Hypochondrie verendet im Wein

Wie Pharao im Roten Meere;

Doch welche Flut will mir Retter sein

Gegen die Wanzenheere?!

 

Ich mache Licht und ich wälze mich

Ächzend auf meiner Pritsche;

Das ist die Stimmung – der Stolz entwich –

Fluchend flücht ich zu Nietzsche ...

 

 

Die tiefe Richtung

Endlich ist der große Tag gekommen,

Schon ist das Vergangne schrecklich nah,

Doch die Zukunft ist bereits verschwommen;

Auch die Gegenwart ist nicht mehr da.

 

Gott und Mensch und Weltall sind verschwunden,

Was einst sein wird, glüht im Morgenrot;

Stille stehn die sonst so raschen Stunden,

Und gestorben ist nun auch der Tod.

 

Aus dem Nichts entwickelt sich ein Grausen,

Eine Donnerstimme ruft: »Ich bin!« ...

Plötzlich jagt es mit Gewittersausen

Durch den weiten öden Raum dahin.

 

Alles starrt beklommen rings im Kreise,

Niemand blickt dem andern ins Gesicht;

Aus den Tiefen stöhnet sterbend leise

Eine Geisterstimme: »Ich bin nicht!« ...

 

Einem Mädchen nur aus hohem Norden

Ist die Lösung wunderbar geglückt:

Der Poet war Philosoph geworden

Und der Philosoph verrückt.

Meningitis tuberculosa

 

Die Augen irren kreuz und quer,

Die Hände krabbeln hin und her,

Der dünne Atem zieht so schwer,

Nun schlägt auch bald das Herz nicht mehr.

 

Längst hat im Köpfchen tiefe Nacht

All Gram und Schmerz zur Ruh gebracht

Die schlaffe Lippe singt und lacht

Wie Abendwind ob Grabesschacht.

 

Die Hand in meiner brennt so heiß,

So aderblau, so kreideweiß;

In ihrem Innern perlt der Schweiß

Gleich Morgentau auf Blütenreis.

 

Das Auge glänzt, der Atem pfeift,

Die Schwester nach dem Doktor schweift,

Der Vater mit der Mutter keift,

Die Mutter in die Wolken greift.

 

Drei Klageweiber treten ein

Sie fangen gräßlich an zu schrein:

O Gott, o Gott, o Mägdelein,

Der Himmel muß barmherzig sein!

 

Gebrochen unter Ach und Weh,

Sie sinken auf das Kanapee;

Die Mutter kommt mit dem Kaffee,

Sie blicken schluchzend in die Höh.

 

Ein leiser heller Klageton –

Die Weiber hören nichts davon,

Sie plappern über Mägdelohn –

Das junge Leben ist entflohn.

 

 

Vergänglichkeit

Streck deine Beine, mein hübscher Genoß;

Deine schwarzen Strümpfe aus Fil d'Ecosse

Reichen dir weit bis über die Kniee,

Wenn ich sie dir nicht noch höher ziehe. –

 

Sie sind das Verfänglichste wohl an dir,

Deine schwarzen Strümpfe; ich sterbe dafür.

Hell schimmert die Haut durch die weiten Maschen,

Man möchte von außen schon daran naschen.

 

Dabei legst du deine Füße so friedlich

Übereinander, die blanken Lackschuhe appetitlich

Gestreckt – die Seligkeit, sie dir zu binden,

Kann im Himmel nicht ihresgleichen finden.

 

Dein schwarzer Lockenkopf, deine blassen Wangen,

Dein splitternackter Mund, deine bangen

Tiefschwarzen Augen sind eine Pracht,

Doch haben nicht sie mich verrückt gemacht.

 

Deine Unwiderstehlichkeit liegt in den Beinen.

Seh ich dich kommen, so möcht ich weinen.

Du hebst die Knie in einem Takt,

Der würgend mich an der Kehle packt.

 

Ich will dir zum ewigen Angedenken

Ein Paar Strumpfbänder in zartem Lila schenken

Mit goldenem Wappen, denn du bist in der Tat

Ein Mädchen und ein junger Aristokrat.

 

Ein Knabe, der in seiner Anmut nicht leidet,

Wenn er sich zuweilen als Mädchen verkleidet;

Aber deine Mutter sagt mir, du seist

Durchdrungen von ritterlichem Geist.

 

Du bestehest mit Glanz die schwierigsten Examen

Und schwärmest auch schon für die allerreizendsten Damen.

Niemand glaubt mir in dieser Welt,

Wie mir das an dir, meinem Schützling gefällt.

 

Noch bist du Cherub. Wenige Wochen,

Dann ist wohl die Knospe schon aufgebrochen;

Dann blickst du mit grimmem Schauder auf mich,

Der dir so zärtlich die Locken strich.

 

Wie schade, daß alles Schöne vergeht,

Auch deine Hoheit. Die Pubertät

Macht dich den übrigen Flegeln ähnlich.

Der Duft ist hin und du wirst gewöhnlich.

 

 

An das Leben

Wenn mir dereinst von dieser Seuche

Genesung wird im kühlen Grab,

Dann sei, daß jung und alt entfleuche,

Mein Denkmal eine Vogelscheuche:

Mein Hut auf meinem Wanderstab.

 

Der Hut war schwarz und breitgerändert,

Im Herbst von dunklem Grün umlaubt.

Wie hat der Winter ihn verändert!

Jetzt deckt er schmutzig, schlapp, entbändert

Mein müdes frühgebeugtes Haupt.

 

Den Stecken hielt ich friedlich nieder,

Bis ich der Unschuld heil'gen Schlaf

Gefährdet sah von gift'ger Hyder.

Ich schlug, daß ich die eignen Glieder

Mit grauenvollstem Fluche traf.

 

Zur Seuche, dran ich elend sieche

Ward mir des Ungeheuers Gift:

Der gräßlichste der Erdenflüche.

Ich taumle hin, ich wanke, krieche,

Bis mich im Tod Erlösung trifft.

 

Aufschrei

Was ich getan, das läßt sich nicht bessern,

Es läßt das Gewissen sich nicht verwässern.

Ich stehe schuldlos vor meinem Verstand

Und fühle des Schicksals zermalmende Hand.

 

Der Mut versiegt, es wachsen die Schmerzen,

Und öd und trostlos wird es im Herzen.

Ich bin verstoßen, ich bin verdammt,

Ringsher von Rachegluten umflammt.

 

Wenn jetzt mich Irrsinn lindernd umfinge,

Wenn ich verkappt in den Himmel ginge!

Verschlossen ward mir die Seligkeit,

Ich schliche mich ein im Schellenkleid.

 

Was ich begangen, läßt sich nicht sühnen.

Man schätzt den Klugen, man preist den Kühnen,

Allein das Herz, das Herz in der Brust

Ist sich unendlicher Schuld bewußt.

 

 

Das Goldstück

Hier an dieser öden Stätte

Will ich rasten, bis es tagt;

Welker Rasen ist ein Bette,

Wie's mir eben recht behagt.

Neben mir die Wogen brausen,

Über mir die Wolken sausen,

Keiner milden Stimme Klang

Tönt den düstren Hag entlang.

 

Alles habt ihr mir genommen,

Was ihr mir gegeben habt;

Nackend bin ich hergekommen,

Nackend bin ich hingetrabt,

Ohne Strümpfe, Stiefel, Hosen –

Meines Lebens lichte Rosen,

Meiner Jugend muntrer Sinn,

Alles, alles ist dahin.

 

Ob es schon ein Ziel mir setzte,

Zu erforschen vom Geschick,

Werf ich in die Luft dies letzte

Blanke goldgeprägte Stück,

Daß es, auf des Kopfes Seite

Fallend meinen Tod bedeute;

Wenn das Bild gen Himmel schaut,

Sei noch bessrer Zeit vertraut.

 

Und es steigt, es fällt, es klingelt,

Sieh, zum Himmel starrt die Zahl!

Mein erbebend Herz umzingelt

Todesangst zum letztenmal. –

Eingedenk der Abschiedsflasche

Steck ich's schweigend in die Tasche;

Ihre Dauer sei mein Maß,

Eins des andern Stundenglas.

 

Spät am Tage schlendr ich weiter

In der Sonne fahlem Glanz.

Such dir rüstigern Begleiter,

Wandrer du im Efeukranz!

Vieles möchtest du versäumen,

Ich darf rasten, ich darf träumen;

Was das Schicksal mir verspricht,

Jüngling, das enteilt mir nicht.

 

 

Perversität

Ein Waisenkind mit nassen, blassen Wangen,

Mit hohlen Augen und mit dünnen Armen

Huscht scheu hervor, inständig mein Erbarmen

Anflehend, stotternd, schlotternd, furchtbefangen.

 

Eisig sein Körper, glühend sein Verlangen,

Müht sich's frostbebend, menschlich zu erwarmen.

Vergebne Qual; erschlafft in meinen Armen

Bewimmert es sein Hoffen und sein Bangen.

 

Beschämt schleicht sich's von hinnen, ächzend, siechend,

Nachts bettelnd und bei Tage sich verkriechend,

Heut in Verzweiflung, morgen in Verzücktheit;

 

Verfällt gemach schmerzstillender Verrücktheit,

Stutzt, lacht, jauchzt todesfroh, und, der Gewandung

Vom Gischt beraubt, zerschellt es in der Brandung.

 

 

Erdgeist

Greife wacker nach der Sünde;

Aus der Sünde wächst Genuß.

Ach, du gleichest einem Kinde,

Dem man alles zeigen muß.

 

Meide nicht die ird'schen Schätze:

Wo sie liegen, nimm sie mit.

Hat die Welt doch nur Gesetze,

Daß man sie mit Füßen tritt.

 

Glücklich, wer geschickt und heiter

Über frische Gräber hopst.

Tanzend auf der Galgenleiter

Hat sich keiner noch gemopst.

 

 

Abschied

Die Sinnlichkeit gibt mir Abschiedsfest;

Das sind kuriose Gestalten,

In Binden gewickelt, in Schienen gepreßt,

Und kaum mehr festzuhalten.

 

Die strahlende Nacktheit such ich so bang,

Es fehlt ihr wohl an Vertrauen.

Ich hab sie bei gellendem Becherklang

Zu häufig zusammen gehauen.

 

Und ist erst das Seelenleben entweibt,

Dann sind sämtliche Lampen erloschen.

Für das, was für mich dann noch übrigbleibt,

Dafür gebe ich nicht einen Groschen.

 

 

Das Sonntagskind

Stets naht das Glück in lichter Sonnenpracht,

Gleichgültig, kalt vorüber mir zu wandern.

Mein junges Morgenrot verschlingt die Nacht,

Indes ein heller Freudenschimmer lacht

In den verklärten Augen eines andern.

 

Ein Sonntagskind! – Mir war sie niemals hold,

Die blinde Dame mit den vollen Händen.

So manchen Opferdienst ich ihr gezollt,

Sie schwebt dahin, um Gold und Minnesold

An ihren Gunstbeglückten zu verschwenden.

 

O der verruchten Ungerechtigkeit!

Verzweifelnd reiß ich ihr vom Haupt die Binde:

»Sieh Göttin, sieh auch diesen dir geweiht!« –

Sie starrt mich schaudernd an, sie bebt, sie schreit

Und flieht entsetzt zu ihrem Sonntagskinde.

 

 

Spiritus familiaris

Eine schwarze Katze kauert vor meiner Tür,

Eine kleine, schwarze, kurzgeschorene Katze;

Ich komme nach Hause, und mit einem Satze,

Wie ich aufschließe, springt sie herein zu mir.

 

Was will die kleine, schwarze Katze bei mir?

Wär es ein Hündchen, ich wüßte es zu verstehen;

Ein Frauenhündchen, ich weiß damit umzugehen.

Die Katze ist mir ein völlig fremdes Tier

 

Sie ist die Seele von meinem Spiritus

Familiaris. Er hat sich umgebrungen.

Die schwarze Katze kommt zu mir hereingesprungen,

Weil sie doch irgendwo übernachten muß.

 

 

Münchner Zensurbeirat

Die Zensur wählt einen Beirat,

Und der Beirat rät genau,

Wie in einer Musterheirat

Die normale Ehefrau.

 

Dreimal »Ja« auf alle Fragen,

Wie der Zensor sie bespricht.

»Nein« darf nur der Zensor sagen,

Für den Beirat gibt's das nicht.

 

Sollte je ein Rat sich lohnen,

Weil ihr Leid die Menschheit klagt,

Dann, um sein Gehirn zu schonen,

Wird der Beirat nicht gefragt.

 

Und zu solchen Narrenspossen,

Aller Menschenwürde bar,

Bieten heut sich unverdrossen

Lauter Ehrenmänner dar.

 

 

Minona

Laß sie mich küssen, die knospende Blume, den Kelch meiner Trunkenheit!

Wenn meiner Lippen fiebernde Glut dir die Glieder durchzittert hat,

Dann erst wirst du mir Weib, und ein mächtig Erinnern

Schwellt meine Segel glückseligen Inseln entgegen.

 

 

An Bruno

Überkommt dich nun, mein holder Knabe,

Deines Erdendaseins höchste Gabe,

Wenn die Schenkel rosig frisch dir schwellen,

Wenn der Flaum dir um die Lippen keimt,

Wenn dein Sehnen trotz der Sturmeswellen

Spielend sich zu leichten Liedern reimt –

Präg dir dann für alle Zukunft ein:

Deines Erdendaseins höchste Gabe

Läßt dich eines nur von dreien sein,

Viechkerl, Schafskopf oder Prügelknabe;

Und du hast für eine der drei Freuden

In der ersten Nacht dich zu entscheiden!

 

 

Marasmus

Nicht einmal ein Gedicht gelingt mir mehr,

Geschweige denn ein Mensch. Mein Hirn ist leer,

Und meine Eingeweide sind so trocken,

Daß meine Dünste keine Kuh mehr locken.

 

's ist leichter, einen Menschen machen als

Ein Klappenhorn; der Mensch braucht jedenfalls

Weit wen'ger Zeit, damit er richtig sitze;

Jedoch erheischt ein Klapphornvers mehr Grütze.

 

Ein Seitenblick, des Bettes Planke kracht,

Das Weib seufzt auf, dann ist ein Mensch gemacht.

Um ein Gedicht auch kindlich nur zu stammeln,

Muß man oft stundenlang mit Muse rammeln.

 

Was besser ist? – Die Antwort wird mir schwer.

Ich mache weder Kind noch Klapphorn mehr.

Verzweifelt schlepp ich meines Lebens Bürde –

Es fehlte nur noch, daß ich schwanger würde.

 

 

Autographenjägern ins Stammbuch

Wer der Kunst sich weiht, gilt oft als Missetäter,

Und die Welt empfängt ihn vielfach mit Geheul.

Autographensammler aber sind Erfolgsanbeter,

Und Erfolgsanbeter sind der Kunst ein Greul!

 

 

Ein letztes Ende

Darf ich dir Glauben schenken, goldner Strahl

Erneuter Hoffnung, lichte Himmelsspende?

Nahst du, ein Gnadenengel meiner Qual?

Bist du ein Trugbild, wie so manches Mal?

Verkündest lächelnd du ein letztes Ende?

 

Ein letztes Ende! – meine Wimper sinkt,

Und Dunst und Nebel seh ich still zerrinnen.

Ein süß Geflüster mir zum Ohre dringt,

Des langen Winters letzte Spuren trinkt

Ein warmer milder Sonnenblick von hinnen.

 

Lenzfrohe Schauer wehn durch Wald und Feld,

Am Friedhoftor die ersten Veilchen sprießen,

Dort, wo ein schwarzbehangner Wagen hält

Mit einem Wandrer, der mit Gott und Welt

Versöhnt die müden Augen durfte schließen.

 

Den Pastor hör ich, fromm und wohlbeleibt,

Dem Hingeschiednen Komplimente lallen:

Er lebte unbescholten, unbeweibt –

Der Totengräber, etwas angekneipt,

Läßt seine Schaufel in die Grube fallen.

 

Gottlob, ich bin schon tot! Der Deckel kracht,

Ich habe mich nicht weiter drum zu kümmern.

Ich schlummre sanft. Gut Nacht denn, gute Nacht!

Die bösen Geister sind zur Ruh gebracht;

So geh nun die Behausung auch zu Trümmern!

 

 

Das tote Meer

Mein Herz ist leer wie eine taube Nuß,

Als Kobold spukt darin der Überdruß.

Wenn ich's bei Licht mir nah vors Auge halte,

Bleckt er mich hämisch an aus enger Spalte.

 

An hundert Weiber hatt ich wohl im Sold,

Mit denen ich mein Gut und Blut vertollt,

Die schönsten Nymphen im modernen Babel.

Und ich blieb leer, vom Scheitel bis zum Nabel.

 

Kein Funke mehr, kein Stern aus früherer Welt;

Kein Flämmchen, das den Busen sanft erhellt.

Nur Pharus ragt noch stets mit glühnden Kohlen

Hoch in die Nacht. Der Teufel soll ihn holen!

 

 

Tänze

Gruß

Ich weiß ein allerliebstes Kind,

Ein Kind, wie selten Kinder sind,

Mit schwarzem Auge, schwarzem Haar,

An Wuchs und Haltung wunderbar!

's ist nicht zu groß und nicht zu klein,

's ist nicht zu dick und nicht zu fein,

Es singt und springt und tanzt und lacht,

Hat manchen schon verrückt gemacht.

 

 

Junges Blut

Tanz, mein Liebchen, so wild du

Tanzen kannst, tanzen kannst!

Hurtig tummle dich, wie kein

Satan tanzt, Satan tanzt!

Wirf dir übern Kopf die Schuh,

Wirf dein Röckchen auch dazu!

Schlenkre Fuß und

Waden ohne Ruh!

 

Bis es knackt, schwing exakt

Auch im tollsten Takt

Hurtig, wie vorher nie,

Deine weißen Knie!

Lustbeflügelt derweil

Zucht dein Hinterteil.

Frisch fang an, heißer dann,

Als dein erster Tanz begann!

 

 

Modernes Mädchen

Das ist einfach wundervoll

In unsern Tagen,

Daß man wieder tanzen soll,

Nicht nur sich plagen!

 

Früher bei der Handarbeit

Die schweren Glieder;

Heut streckt man sich immer wieder

Recht lang und breit.

 

Ging sonst ein Mädchen schwärmen,

Was gab's für ein Geschrei,

Ein Härmen, ein Lärmen,

Als wär's mit ihr vorbei.

 

Wenn heut die Pauken dröhnen,

Dann tanzt das Mädchen nackt.

Die Schönen gewöhnen

Sich dran in jedem Takt.

 

Weil kein Weib edlere Waffen hat

Im Kampf um irdisches Glück,

Als wie sie der Himmel geschaffen hat

Als höchstes Meisterstück.

 

Wenn's der Teufel auch streng betreibt,

Daß man zimperlich zu Hause bleibt,

Rastlos stürmen doch Weib und Welt

Immer vorwärts, wie's Gott gefällt.

 

Denn die Welt wie das Weib zeigt ganz

Die gleiche höchste Präponderanz

Zum Tanz.

 

 

Auf eigenen Füßen – Donnerwetter!

In der Jugend frühster Pracht

Tritt sie einher – Donnerwetter!

Nur von Eitelkeit erfüllt,

Das Herz noch leer – Donnerwetter!

 

Ganz mit frühlingsfrischen Reizen

Angetan – Donnerwetter!

Und erblickt in allen Männern

Nur den Mann – Donnerwetter!

 

Donnerwetter, zeigt der Gang,

Donnerwetter, Überschwang!

Donnerwetter, diese Glieder,

Donnerwetter, welch ein Fang!

 

Donnerwetter, erst im Traum,

Donnerwetter, gibt sie kaum

Ihrer Neigung hin und wieder

Etwas Raum – Donnerwetter!

 

Donnerwetter, aber plötzlich

Drängt die Leidenschaft zum Ziel,

Donnerwetter, hochergötzlich,

Donnerwetter, wird das Spiel!

 

Donnerwetter, sinkt zurück,

Donnerwetter, voller Glück

Sie zum ersten Male nieder,

Welch ein Blick – Donnerwetter!

 

Juchhei, Hallo,

Wie fühlt die Maid sich froh!

Hallo, Juchhei,

In ihres Lebens Mai!

 

Wenn auch der Mai mit Sturm begann,

Lustig geht's fortan:

Heute mit den Fürstenkindern,

Morgen mit den Bürstenbindern.

 

Wild saust sie durchs Leben dann,

Donnerwetter, unter Jubel und Geschrei –

Juchhei!

Wie kühn sie's ersann,

Wie klug sie's gewann,

Voller Grauen erzählt's so mancher Mann –

Donnerwetter!

 

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