"Die
Willkür wissen wir besser zu beherrschen als ihr".
Die Einrichtung war gemacht, die Arbeit rasch angefangen, der
Hauptmann immer gegenwärtig und Charlotte nunmehr fast täglich Zeuge
seines ernsten und bestimmten Sinnes.
Auch er lernte sie näher kennen, und beiden wurde es leicht,
zusammenzuwirken und etwas zustande zu bringen.
Es ist mit den Geschäften wie mit dem Tanze: Personen, die gleichen
Schritt halten, müssen sich unentbehrlich werden, ein wechselseitiges
Wohlwollen muß notwendig daraus entspringen, und daß Charlotte dem
Hauptmann, seitdem sie ihn näher kennengelernt, wirklich wohlwollte,
davon war ein sicherer Beweis, daß sie ihn einen schönen Ruheplatz,
den sie bei ihren ersten Anlagen besonders ausgesucht und verziert
hatte, der aber seinem Plane entgegenstand, ganz gelassen zerstören
ließ, ohne auch nur die mindeste unangenehme Empfindung dabei zu haben.
Indem nun Charlotte mit dem Hauptmann eine gemeinsame Beschäftigung
fand, so war die Folge, daß sich Eduard mehr zu Ottilien gesellte.
Für sie sprach ohnehin seit einiger Zeit eine stille, freundliche
Neigung in seinem Herzen.
Gegen jedermann war sie dienstfertig und zuvorkommend; daß sie es
gegen ihn am meisten sei, das wollte seiner Selbstliebe scheinen.
Nun war keine Frage: was für Speisen und wie er sie liebte, hatte sie
schon genau bemerkt; wieviel er Zucker zum Tee zu nehmen pflegte und
was dergleichen mehr ist, entging ihr nicht.
Besonders war sie sorgfältig, alle Zugluft abzuwehren, gegen die er
eine übertriebene Empfindlichkeit zeigte und deshalb mit seiner Frau,
der es nicht luftig genug sein konnte, manchmal in Widerspruch geriet.
Ebenso wußte sie im Baum—und Blumengarten Bescheid.
Was er wünschte, suchte sie zu befördern, was ihn ungeduldig machen
konnte, zu verhüten, dergestalt daß sie in kurzem wie ein freundlicher
Schutzgeist ihm unentbehrlich ward und er anfing, ihre Abwesenheit
schon peinlich zu empfinden.
Hiezu kam noch, daß sie gesprächtiger und offener schien, sobald sie
sich allein trafen.
Eduard hatte bei zunehmenden Jahren immer etwas Kindliches behalten,
das der Jugend Ottiliens besonders zusagte.
Sie erinnerten sich gern früherer Zeiten, wo sie einander gesehen; es
stiegen diese Erinnerungen bis in die ersten Epochen der Neigung
Eduards zu Charlotten.
Ottilie wollte sich der beiden noch als des schönsten Hofpaares
erinnern; und wenn Eduard ihr ein solches Gedächtnis aus ganz früher
Jugend absprach, so behauptete sie doch, besonders einen Fall noch
vollkommen gegenwärtig zu haben, wie sie sich einmal bei seinem
Hereintreten in Charlottens Schoß versteckt, nicht aus Furcht, sondern
aus kindischer überraschung.
Sie hätte dazusetzen können: weil er so lebhaften Eindruck auf sie
gemacht, weil er ihr gar so wohl gefallen.
Bei solchen Verhältnissen waren manche Geschäfte, welche die beiden
Freunde zusammen früher vorgenommen, gewissermaßen in Stocken geraten,
sodaß sie für nötig fanden, sich wieder eine übersicht zu verschaffen,
einige Aufsätze zu entwerfen, Briefe zu schreiben.
Sie bestellten sich deshalb auf ihre Kanzlei, wo sie den alten
Kopisten müßig fanden.
Sie gingen an die Arbeit und gaben ihm bald zu tun, ohne zu bemerken,
daß sie ihm manches aufbürdeten, was sie sonst selbst zu verrichten
gewohnt waren.
Gleich der erste Aufsatz wollte dem Hauptmann, gleich der erste Brief
Eduarden nicht gelingen.
Sie quälten sich eine Zeitlang mit Konzipieren und Umschreiben, bis
endlich Eduard, dem es am wenigsten vonstatten ging, nach der Zeit
fragte.
Da zeigte sich denn, daß der Hauptmann vergessen hatte, seine
chronometrische Sekundenuhr aufzuziehen, das erstemal seit vielen
Jahren; und sie schienen, wo nicht zu empfinden, doch zu ahnen, daß
die Zeit anfange, ihnen gleichgültig zu werden.
Indem so die Männer einigermaßen in ihrer Geschäftigkeit nachließen,
wuchs vielmehr die Tätigkeit der Frauen.
überhaupt nimmt die gewöhnliche Lebensweise einer Familie, die aus den
gegebenen Personen und aus notwendigen Umständen entspringt, auch wohl
eine außerordentliche Neigung, eine werdende Leidenschaft in sich wie
ein Gefäß auf, und es kann eine ziemliche Zeit vergehen, ehe dieses
neue Ingrediens eine merkliche Gärung verursacht und schäumend über
den Rand schwillt.
Bei unsern Freunden waren die entstehenden wechselseitigen Neigungen
von der angenehmsten Wirkung.
Die Gemüter öffneten sich, und ein allgemeines Wohlwollen entsprang
aus dem besonderen.
Jeder Teil fühlte sich glücklich und gönnte dem andern sein Glück.
Ein solcher Zustand erhebt den Geist, indem er das Herz erweitert, und
alles, was man tut und vornimmt, hat eine Richtung gegen das
Unermeßliche.
So waren auch die Freunde nicht mehr in ihrer Wohnung befangen.
Ihre Spaziergänge dehnten sich weiter aus, und wenn dabei Eduard mit
Ottilien, die Pfade zu wählen, die Wege zu bahnen, vorauseilte, so
folgte der Hauptmann mit Charlotten in bedeutender Unterhaltung,
Teilnehmend an manchem neuentdeckten Plätzchen, an mancher
unerwarteten Aussicht, geruhig der Spur jener rascheren Vorgänger.
Eines Tages leitete sie ihr Spaziergang durch die Schloßpforte des
rechten Flügels hinunter nach dem Gasthofe, über die Brücke gegen die
Teiche zu, an denen sie hingingen, soweit man gewöhnlich das Wasser
verfolgte, dessen Ufer sodann, von einem buschigen Hügel und witerhin
von Felsen eingeschlossen, aufhörte, gangbar zu sein. Aber Eduard,
dem von seinen Jagdwanderungen her die Gegend bekannt war, drang mit
Ottilien auf einem bewachsenen Pfade weiter vor, wohl wissend, daß die
alte, zwischen Felsen versteckte Mühle nicht weit abliegen konnte.
Allein der wenig betretene Pfad verlor sich bald, und sie fanden sich
im dichten Gebüsch zwischen moosigen Gestein verirrt, doch nicht lange;
denn das Rauschen der Räder verkündigte ihnen sogleich die Nähe des
gesuchten Ortes.
Auf eine Klippe vorwärts tretend, sahen sie das alte, schwarze,
wunderliche Holzgebäude im Grunde vor sich, von steilen Felsen sowie
von hohen Bäumen umschattet.
Sie entschlossen sich kurz und gut, über Moos und Felstrümmer
hinabzusteigen, Eduard voran; und wenn er nun in die Höhe sah und
Ottilie leicht schreitend, ohne Furcht und ängstlichkeit, im schönsten
Gleichgewicht von Stein zu Stein ihm folgte, glaubte er ein
himmlisches Wesen zu sehen, das über ihm schwebte.
Und wenn sie nun manchmal an unsicherer Stelle seine ausgestreckte
Hand ergriff, ja sich auf seine Schulter stützte, dann konnte er sich
nicht verleugnen, daß es das zarteste weibliche Wesen sei, das ihn
berührte.
Fast hätte er gewünscht, sie möchte straucheln, gleiten, daß er sie in
seine Arme auffangen, sie an sein Herz drücken könnte.
Doch dies hätte er unter keiner Bedingung getan, aus mehr als einer
Ursache: er fürchtete sie zu beleidigen, sie zu beschädigen.
Wie dies gemeint sei, erfahren wir sogleich.
Denn als er nun herabgelangt, ihr unter den hohen Bäumen am ländlichen
Tische gegenübersaß, die freundliche Müllerin nach Milch, der
bewillkommende Müller Charlotten und dem Hauptmann entgegen gesandt
war, fing Eduard mit einigem Zaudern zu sprechen an: "ich habe eine
Bitte, liebe Ottilie; verzeihen Sie mir die, wenn Sie mir sie auch
versagen!
Sie machen kein Geheimnis daraus, und es braucht es auch nicht, daß
Sie unter Ihrem Gewand, auf Ihrer Brust ein Miniaturbild tragen.
Es ist das Bild Ihres Vaters, des braven Mannes, den Sie kaum gekannt
und der in jedem Sinne eine Stelle an Ihrem Herzen verdient.
Aber vergeben Sie mir: das Bild ist ungeschickt groß, und dieses
Metall, dieses Glas macht mir tausend ängste, wenn Sie ein Kind in die
Höhe heben, etwas vor sich hintragen, wenn die Kutsche schwankt, wenn
wir durchs Gebüsch dringen, eben jetzt, wie wir vom Felsen
herabstiegen.
Mir ist die Möglichkeit schrecklich, daß irgendein unvorgesehener Stoß,
ein Fall, eine Berührung Ihnen schädlich und verderblich sein könnte.
Tun Sie es mir zuliebe, entfernen Sie das Bild, nicht aus Ihrem
Andenken, nicht aus Ihrem Zimmer; ja geben Sie ihm den schönsten, den
heiligsten Ort Ihrer Wohnung; nur von Ihrer Brust entfernen Sie etwas,
dessen Nähe mir, vielleicht aus übertriebener ängstlichkeit, so
gefährlich scheint!" Ottilie schwieg und hatte, während er sprach,
vor sich hingesehen; dann, ohne übereilung und ohne Zaudern, mit einem
Blick mehr gen Himmel als auf Eduard gewendet, löste sie die Kette,
zog das Bild hervor, drückte es gegen ihre Stirn und reichte es dem
Freunde hin mit den Worten: "heben Sie mir es auf, bis wir nach Hause
kommen! Ich vermag Ihnen nicht besser zu bezeugen, wie sehr ich Ihre
freundliche Sorgfalt zu schätzen weiß".
Der Freund wagte nicht, das Bild an seine Lippen zu drücken, aber er
faßte ihre Hand und drückte sie an seine Augen.
Es waren vielleicht die zwei schönsten Hände, die sich jemals
zusammenschlossen.
Ihm war, als wenn ihm ein Stein vom Herzen gefallen wäre, als wenn
sich eine Scheidewand zwischen ihm und Ottilien niedergelegt hätte.
Vom Müller geführt, langten Charlotte und der Hauptmann auf einem
bequemeren Pfade herunter.
Man begrüßte sich, man erfreute und erquickte sich.
Zurück wollte man denselben Weg nicht kehren, und Eduard schlug einen
Felspfad auf der andern Seite des Baches vor, auf welchem die Teiche
wieder zu Gesicht kamen, indem man ihn mit einiger Anstrengung
zurücklegte.
Nun durchstrich man abwechselndes Gehölz und erblickte nach dem Lande
zu mancherlei Dörfer, Flecken, Meiereien mit ihren grünen und
fruchtbaren Umgebungen; zunächst ein Vorwerk, das an der Höhe mitten
im Holze gar vertraulich lag.
Am schönsten zeigte sich der größte Reichtum der Gegend, vor—und
rückwärts, auf der sanfterstiegenen Höhe, von da man zu einem lustigen
Wäldchen gelangte und beim Heraustreten aus demselben sich auf dem
Felsen dem Schlosse gegenüber befand.
Wie froh waren sie, als sie daselbst gewissermaßen unvermutet ankamen!
Sie hatten eine kleine Welt umgangen; sie standen auf dem Platze, wo
das neue Gebäude hinkommen sollte, und sahen wieder in die Fenster
ihrer Wohnung.
Man stieg zur Mooshütte hinunter und saß zum erstenmal darin zu vieren.
Nichts war natürlicher, als daß einstimmig der Wunsch ausgesprochen
wurde, dieser heutige Weg, den sie langsam und nicht ohne
Beschwerlichkeit gemacht, möchte dergestalt geführt und eingerichtet
werden, daß man ihn gesellig, schlendernd und mit Behaglichkeit
zurücklegen könnte.
Jedes tat Vorschläge, und man berechnete, daß der Weg, zu welchem sie
mehrere Stunden gebraucht hatten, wohlgebahnt in einer Stunde zum
Schloß zurückführen müßte.
Schon legte man in Gedanken unterhalb der Mühle, wo der Bach in die
Teiche fließt, eine wegverkürzende und die Landschaft zierende Brücke
an, als Charlotte der erfindenden Einbildungskraft einigen Stillstand
gebot, indem sie an die Kosten erinnerte, welche zu einem solchen
Unternehmen erforderlich sein würden.
"Hier ist auch zu helfen", versetzte Eduard.
"Jenes Vorwerk im Walde, das so schön zu liegen scheint und so wenig
einträgt, dürfen wir nur veräußern und das daraus Gelöste zu diesen
Anlagen verwenden, so genießen wir vergnüglich auf einem unschätzbaren
Spaziergange die Interessen eines wohlangelegten Kapitals, da wir
jetzt mit Mißmut, bei letzter Berechnung am Schlusse des Jahrs, eine
kümmerliche Einnahme davon ziehen".
Charlotte selbst konnte als gute Haushälterin nicht viel dagegen
erinnern.
Die Sache war schon früher zur Sprache gekommen.
Nun wollte der Hauptmann einen Plan zu Zerschlagung der Grundstücke
unter die Waldbauern machen; Eduard aber wollte kürzer und bequemer
verfahren wissen.
Der gegenwärtige Pachter, der schon Vorschläge getan hatte, sollte es
erhalten, terminweise zahlen, und so terminweise wollte man die
planmäßigen Anlagen von Strecke zu Strecke vornehmen.
So eine vernünftige, gemäßigte Einrichtung mußte durchaus Beifall
finden, und schon sah die ganze Gesellschaft im Geiste die neuen Wege
sich schlängeln, auf denen und in deren Nähe man noch die angenehmsten
Ruhe—und Aussichtsplätze zu entdecken hoffte.
Um sich alles mehr im einzelnen zu vergegenwärtigen, nahm man abends
zu Hause sogleich die neue Karte vor.
Man übersah den zurückgelegten Weg und wie er vielleicht an einigen
Stellen noch vorteilhafter zu führen wäre.
Alle früheren Vorsätze wurden nochmals durchgesprochen und mit den
neuesten Gedanken verbunden, der Platz des neuen Hauses gegen dem
Schloß über nochmals gebilligt und der Kreislauf der Wege bis dahin
abgeschlossen.
Ottilie hatte zu dem allen geschwiegen, als Eduard zuletzt den Plan,
der bisher vor Charlotten gelegen, vor sie hinwandte und sie zugleich
einlud, ihre Meinung zu sagen, und, als sie einen Augenblick anhielt,
sie liebevoll ermunterte, doch ja nicht zu schweigen; alles sei ja
noch gleichgültig, alles noch im Werden.
"Ich würde", sagte Ottilie, indem sie den Finger auf die höchste
Fläche der Anhöhe setzte, "das Haus hieher bauen.
Man sähe zwar das Schloß nicht, denn es wird von dem Wäldchen bedeckt;
aber man befände sich auch dafür wie in einer andern und neuen Welt,
indem zugleich das Dorf und alle Wohnungen verborgen wären.
Die Aussicht auf die Teiche, nach der Mühle, auf die Höhen, in die
Gebirge, nach dem Lande zu ist außerordentlich schön; ich habe es im
Vorbeigehen bemerkt".
"Sie hat recht!" rief Eduard.
"Wie konnte uns das nicht einfallen!
Nicht wahr, so ist es gemeint, Ottilie?"—er nahm einen Bleistift und
strich ein längliches Viereck recht stark und derb auf die Anhöhe.
Dem Hauptmann fuhr das durch die Seele, denn er sah einen sorgfältigen,
reinlich gezeichneten Plan ungern auf diese Weise verunstaltet; doch
faßte er sich nach einer leisen Mißbilligung und ging auf den Gedanken
ein.
"Ottilie hat recht", sagte er; "macht man nicht gern eine entfernte
Spazierfahrt, um einen Kaffee zu trinken, einen Fisch zu genießen, der
uns zu Hause nicht so gut geschmeckt hätte?
Wir verlangen Abwechselung und fremde Gegenstände.
Das Schloß haben die Alten mit Vernunft hieher gebaut, denn es liegt
geschützt vor den Winden und nah an allen täglichen Bedürfnissen; ein
Gebäude hingegen, mehr zum geselligen Aufenthalt als zur Wohnung, wird
sich dorthin recht wohl schicken und in der guten Jahrszeit die
angenehmsten Stunden gewähren".
Je mehr man die Sache durchsprach, desto günstiger erschien sie, und
Eduard konnte seinen Triumph nicht bergen, daß Ottilie den Gedanken
gehabt.
Er war so stolz darauf, als ob die Erfindung sein gewesen wäre.
Der Hauptmann untersuchte gleich am frühsten Morgen den Platz, entwarf
erst einen flüchtigen und, als die Gesellschaft an Ort und Stelle sich
nochmals entschieden hatte, einen genauen Riß nebst Anschlag und allem
Erforderlichen.
Es fehlte nicht an der nötigen Vorbereitung.
Jenes Geschäft wegen Verkauf des Vorwerks ward auch sogleich wieder
angegriffen.
Die Männer fanden zusammen neuen Anlaß zur Tätigkeit.
Der Hauptmann machte Eduarden bemerklich, daß es eine Artigkeit, ja
wohl gar eine Schuldigkeit sei, Charlottens Geburtstag durch Legung
des Grundsteins zu feiern.
Es bedurfte nicht viel, die alte Abneigung Eduards gegen solche Feste
zu überwinden; denn es kam ihm schnell in den Sinn, Ottiliens
Geburtstag, der später fiel, gleichfalls recht feierlich zu begehen.
Charlotte, der die neuen Anlagen, und was deshalb geschehen sollte,
bedeutend, ernstlich, ja fast bedenklich vorkamen, beschäftigte sich
damit, die Anschläge, Zeit—und Geldeinteilungen nochmals für sich
durchzugehen.
Man sah sich des Tages weniger, und mit desto mehr Verlangen suchte
man sich des Abends auf.
Ottilie war indessen schon völlig Herrin des Haushaltes, und wie
konnte es anders sein bei ihrem stillen und sichern Betragen.
Auch war ihre ganze Sinnesweise dem Hause und dem Häuslichen mehr als
der Welt, mehr als dem Leben im Freien zugewendet.
Eduard bemerkte bald, daß sie eigentlich nur aus Gefälligkeit in die
Gegend mitging, daß sie nur aus geselliger Pflicht abends länger
draußen verweilte, auch wohl manchmal einen Vorwand häuslicher
Tätigkeit suchte, um wieder hineinzugehen.
Sehr bald wußte er daher die gemeinschaftlichen Wanderungen so
einzurichten, daß man vor Sonnenuntergang wieder zu Hause war, und
fing an, was er lange unterlassen hatte, Gedichte vorzulesen, solche
besonders, in deren Vortrag der Ausdruck einer reinen, doch
leidenschaftlichen Liebe zu legen war.
Gewöhnlich saßen sie abends um einen kleinen Tisch auf hergebrachten
Plätzen: Charlotte auf dem Sofa, Ottilie auf einem Sessel gegen ihr
über, und die Männer nahmen die beiden andern Seiten ein.
Ottilie saß zu Eduarden zur Rechten, wohin er auch das Licht schob,
wenn er las.
Alsdann auch sie traute ihren eigenen Augen mehr als fremden Lippen;
und Eduard gleichfalls rückte zu, um es ihr auf alle Weise bequem zu
machen, ja er hielt oft längere Pausen als nötig, damit er nur nicht
eher umwendete, bis auch sie zu Ende der Seite gekommen.
Charlotte und der Hauptmann bemerkten es wohl und sahen manchmal
einander lächelnd an; doch wurden beide von einem andern Zeichen
überrascht, in welchem sich Ottiliens stille Neigung gelegentlich
offenbarte.
An einem Abende, welcher der kleinen Gesellschaft durch einen lästigen
Besuch zum Teil verloren gegangen, tat Eduard den Vorschlag, noch
beisammen zu bleiben.
Er fühlte sich aufgelegt, seine Flöte vorzunehmen, welche lange nicht
an die Tagesordnung gekommen war.
Charlotte suchte nach den Sonaten, die sie zusammen gewöhnlich
auszuführen pflegten, und da sie nicht zu finden waren, gestand
Ottilie nach einigem Zaudern, daß sie solche mit auf ihr Zimmer
genommen.
"Und Sie können, Sie wollen mich auf dem Flügel begleiten?" rief
Eduard, dem die Augen vor Freude glänzten.
"Ich glaube wohl", versetzte Ottilie, "daß es gehen wird".
Sie brachte die Noten herbei und setzte sich ans Klavier.
Die Zuhörenden waren aufmerksam und überrascht, wie vollkommen Ottilie
das Musikstück für sich selbst eingelernt hatte, aber noch mehr
überrascht, wie sie es der Spielart Eduards anzupassen wußte.
'Anzupassen wußte' ist nicht der rechte Ausdruck; denn wenn es von
Charlottens Geschicklichkeit und freiem Willen abhing, ihrem bald
zögernden, bald voreilenden Gatten zuliebe hier anzuhalten, dort
mitzugehen, so schien Ottilie, welche die Sonate von jenen enigemal
spielen sie gehört, nur in dem Sinne eingelernt zu haben, wie jener
sie begleitete.
Sie hatte seine Mängel so zu den ihrigen gemacht, daß daraus wieder
eine Art von lebendigem Ganzen entsprang, das sich zwar nicht
taktgemäß bewegte, aber doch höchst angenehm und gefällig lautete.
Der Komponist selbst hätte seine Freude daran gehabt, sein Werk auf
eine so liebevolle Weise entstellt zu sehen.
Auch diesem wundersamen, unerwarteten Begegnis sahen der Hauptmann und
Charlotte stillschweigend mit einer Empfindung zu, wie man oft
kindische Handlungen betrachtet, die man wegen ihrer besorglichen
Folgen gerade nicht billigt und doch nicht schelten kann, ja
vielleicht beneiden muß.
Denn eigentlich war die Neigung dieser beiden ebensogut im Wachsen als
jene, und vielleicht nur noch gefährlicher dadurch, daß beide ernster,
sicherer von sich selbst, sich zu halten fähiger waren.
Schon fing der Hauptmann an zu fühlen, daß eine unwiderstehliche
Gewohnheit ihn an Charlotten zu fesseln drohte.
Er gewann es über sich, den Stunden auszuweichen, in denen Charlotte
nach der Anlagen zu kommen pflegte, indem er schon am frühsten Morgen
aufstand, alles anordnete und sich dann zur Arbeit auf seinen Flügel
ins Schloß zurückzog.
Die ersten Tage hielt es Charlotte für zufällig; sie suchte ihn an
allen wahrscheinlichen Stellen; dann glaubte sie ihn zu verstehen und
achtete ihn nur um desto mehr.
Vermied nun der Hauptmann, mit Charlotten allein zu sein, so war er
desto emsiger, zur glänzenden Feier des herannahenden Geburtsfestes
die Anlagen zu betreiben und zu beschleunigen; denn indem er von unten
hinauf, hinter dem Dorfe her, den bequemen Weg führte, so ließ er,
vorgeblich um Steine zu brechen, auch von oben herunter arbeiten und
hatte alles so eingerichtet und berechnet, daß erst in der letzten
Nacht die beiden Teile des Weges sich begegnen sollten.
Zum neuen Hause oben war auch schon der Keller mehr gebrochen als
gegraben und ein schöner Grundstein mit Fächern und Deckplatten
zugehauen.
Die äußere Tätigkeit, diese kleinen, freundlichen, geheimnisvollen
Absichten bei innern, mehr oder weniger zurückgedrängten Empfindungen
ließen die Unterhaltung der Gesellschaft, wenn sie beisammen war,
nicht lebhaft werden, dergestalt daß Eduard, der etwas Lückenhaftes
empfand, den Hauptmann eines Abends aufrief, seine Violine
hervorzunehmen und Charlotten bei dem Klavier zu begleiten.
Der Hauptmann konnte dem allgemeinen Verlangen nicht widerstehen, und
so führten beide mit Empfindung, Behagen und Freiheit eins der
schwersten Musikstücke zusammen auf, daß es ihnen und dem zuhörenden
Paar zum größten Vergnügen gereichte.
Man versprach sich öftere Wiederholung und mehrere Zusammenübung.
"Sie machen es besser als wir, Ottilie!" sagte Eduard.
"Wir wollen sie bewundern, aber uns doch zusammen freuen".
Der Geburtstag war herbeigekommen und alles fertig geworden: die ganze
Mauer, die den Dorfweg gegen das Wasser zu einfaßte und erhöhte,
ebenso der Weg an der Kirche vorbei, wo er eine Zeitlang in dem von
Charlotten angelegten Pfade fortlief, sich dann die Felsen hinaufwärts
schlang, die Mooshütte links über sich, dann nach einer völligen
Wendung links unter sich ließ und so allmählich auf die Höhe gelangte.
Es hatte sich diesen Tag viel Gesellschaft eingefunden.
Man ging zur Kirche, wo man die Gemeinde im festlichen Schmuck
versammelt antraf.
Nach dem Gottesdienste zogen die Knaben, Jünglinge und Männer, wie es
angeordnet war, voraus; dann kam die Herrschaft mit ihrem Besuch und
Gefolge; Mädchen, Jungfrauen und Frauen machten den Beschluß.
Bei der Wendung des Weges war ein erhöhter Felsenplatz eingerichtet;
dort ließ der Hauptmann Charlotten und die Gäste ausruhen.
Hier übersahen sie den ganzen Weg, die hinaufgeschrittene Männrschar,
die nachwandelnden Frauen, welche nun vorbeizogen.
Es war bei dem herrlichen Wetter ein wunderschöner Anblick.
Charlotte fühlte sich überrascht, gerührt und drückte dem Hauptmann
herzlich die Hand.
Man folgte der sachte fortschreitenden Menge, die nun schon einen
Kreis um den künftigen Hausraum gebildet hatte.
Der Bauherr, die Seinigen und die vornehmsten Gäste wurden eingeladen,
in die Tiefe hinabzusteigen, wo der Grundstein, an einer Seite
unterstützt, eben zum Niederlassen bereit lag.
Ein wohlgeputzter Maurer, die Kelle in der einen, den Hammer in der
andern Hand, hielt in Reimen eine anmutige Rede, die wir in Prosa nur
unvollkommen wiedergeben können.
"Drei Dinge", fing er an, "sind bei einem Gebäude zu beachten: daß es
am rechten Fleck stehe, daß es wohl gegründet, daß es vollkommen
ausgeführt sei.
Das erste ist eigentlich die Sache des Bauherrn; denn wie in der Stadt
nur der Fürst und die Gemeine bestimmen können, wohin gebaut werden
soll, so ist es auf dem Lande das Vorrecht des Grundherrn, daß er sage:
hier soll meine Wohnung stehen und nirgends anders".
Eduard und Ottilie wagten nicht, bei diesen Worten einander anzusehen,
ob sie gleich nahe gegen einander über standen.
"Das dritte, die Vollendung, ist die Sorge gar vieler Gewerke; ja
wenige sind, die nicht dabei beschäftigt wären.
Aber das zweite, die Gründung, ist des Maurers Angelengenheit und, daß
wir es nur heraussagen, die Hauptangelegenheit des ganzen Unternehmens.
Es ist ein ernstes Geschäft, und unsre Einladung ist ernsthaft; denn
diese Feierlichkeit wird in der Tiefe begangen.
Hier innerhalb dieses engen, ausgegrabenen Raums erweisen Sie uns die
Ehre, als Zeugen unseres geheimnisvollen Geschäftes zu erscheinen.
Gleich werden wir diesen wohlzugehauenen Stein niederlegen, und bald
werden diese mit schönen und würdigen Personen gezierten Erdwände
nicht mehr zugänglich, sie werden ausgefüllt sein.
Diesen Grundstein, der mit seiner Ecke die rechte Ecke des Gebäudes,
mit seiner Rechtwinkligkeit die Regelmäßigkeit desselben, mit seiner
wasser—und senkrechten Lage Lot und Waage aller Mauern und Wände
bezeichnet, könnten wir ohne weiteres niederlegen; denn er ruhte wohl
auf seiner eignen Schwere.
Aber auch hier soll es am Kalk, am Bindungsmittel nicht fehlen; denn
so wie Menschen, die einander von Natur geneigt sind, noch besser
zusammenhalten, wenn das Gesetz sie verkittet, so werden auch Steine,
deren Form schon zusammenpaßt, noch besser durch diese bindenden
Kräfte vereinigt; und da es sich nicht ziemen will, unter den Tätigen
müßig zu sein, so werden Sie nicht verschmähen, auch hier Mitarbeiter
zu werden".
Er überreichte hierauf seine Kelle Charlotten, welche damit Kalk unter
den Stein warf.
Mehreren wurde ein Gleiches zu tun angesonnen und der Stein alsobald
niedergesenkt, worauf denn Charlotten und den übrigen sogleich der
Hammer gereicht wurde, um durch ein dreimaliges Pochen die Verbindung
des Steins mit dem Grunde ausdrücklich zu segnen.
"Des Maurers Arbeit", fuhr der Redner fort, "zwar jetzt unter freiem
Himmel, geschieht, wo nicht immer im Verborgnen, doch zum Verborgnen.
Der regelmäßig aufgeführte Grund wird verschüttet, und sogar bei den
Mauern, die wir am Tage aufführen, ist man unser am Ende kaum
eingedenk.
Die Arbeiten des Steinmetzen und Bildhauers fallen mehr in die Augen,
und wir müssen es sogar noch gutheißen, wenn der Tüncher die Spur
unserer Hände völlig auslöscht und sich unser Werk zueignet, indem er
es überzieht, glättet und färbt.
Wem muß also mehr daran gelegen sein, das, was er tut, sich selbst
recht zu machen, indem er es recht macht, als dem Maurer?
Wer hat mehr als er das Selbstbewußtsein zu nähren Ursach?
Wenn das Haus aufgeführt, der Boden geplattet und gepflastert, die
Außenseite mit Zieraten überdeckt ist, so sieht er durch alle Hüllen
immer noch hinein und erkennt noch jene regelmäßigen, sorgfältigen
Fugen, denen das Ganze sein Dasein und seinen Halt zu danken hat.
Aber wie jeder, der eine übeltat begangen, fürchten muß, daß,
ungeachtet alles Abwehrens, sie dennoch ans Licht kommen werde, so muß
derjenige erwarten, der insgeheim das Gute getan, daß auch dieses
wider seinen Willen an den Tag komme.
Deswegen machen wir diesen Grundstein zugleich zum Denkstein. Hier in
diese unterschiedlichen gehauenen Vertiefungen soll verschiedenes
eingesenkt werden zum Zeugnis für eine entfernte Nachwelt.
Diese metallnen zugelöteten Köcher enthalten schriftliche Nachrichten;
auf diese Metallplatten ist allerlei Merkwürdiges eingegraben; in
diesen schönen gläsernen Flaschen versenken wir den besten Wein, mit
Bezeichnung seines Geburtsjahrs; es fehlt nicht an Münzen
verschiedener Art, in diesem Jahre geprägt: alles dieses erhielten wir
durch die Freigebigkeit unseres Bauherrn.
Auch ist hier noch mancher Platz, wenn irgendein Gast und Zuschauer
etwas der Nachwelt zu übergeben Belieben trüge".
Nach einer kleinen Pause sah der Geselle sich um; aber wie es in
solchen Fällen zu gehen pflegt: niemand war vorbereitet, jedermann
überrascht, bis endlich ein junger, munterer Offizier anfing und sagte:
"wenn ich etwas beitragen soll, das in dieser Schatzkammer noch nicht
niedergelegt ist, so muß ich ein paar Knöpfe von der Uniform schneiden,
die doch wohl auch verdienen, auf die Nachwelt zu kommen".
Gesagt, getan!
Und nun hatte mancher einen ähnlichen Einfall.
Die Frauenzimmer säumten nicht, von ihren kleinen Haarkämmen
hineinzulegen; Riechenfläschchen und andre Zierden wurden nicht
geschont; nur Ottilie zauderte, bis Eduard sie durch ein freundliches
Wort aus der Betrachtung aller der beigesteuerten und eingelegten
Dinge herausriß.
Sie löste darauf die goldne Kette vom Halse, an der das Bild ihres
Vaters gehangen hatte, und legte sie mit leiser Hand über die anderen
Kleinode hin, worauf Eduard mit einiger Hast veranstaltete, daß der
wohlgefugte Deckel sogleich aufgestürzt und eingekittet wurde.
Der junge Gesell, der sich dabei am tätigsten erwiesen, nahm seine
Rednermiene wieder an und fuhr fort: "wir gründen diesen Stein für
ewig, zur Sicherung des längsten Genusses der gegenwärtigen und
künftigen Besitzer dieses Hauses.
Allein indem wir hier gleichsam einen Schatz vergraben, so denken wir
zugleich, bei dem gründlichsten aller Geschäfte, an die
Vergänglichkeit der menschlichen Dinge; wir denken uns eine
Möglichkeit, daß dieser festversiegelte Deckel wieder aufgehoben
werden könne, welches nicht anders geschehen dürfte, als wenn das
alles wieder zerstört wäre, was wir noch nicht einmal aufgeführt haben.
Aber eben, damit dieses aufgeführt werde: zurück mit den Gedanken aus
der Zukunft, zurück ins Gegenwärtige!
Laßt und nach begangenem heutigem Feste unsre Arbeit sogleich fördern,
damit keiner von den Gewerken, die auf unserm Grunde fortarbeiten, zu
feiern brauche, daß der Bau eilig in die Höhe steige und vollendet
werde und aus den Fenstern, die noch nicht sind, der Hausherr mit den
Seinigen und seinen Gästen sich fröhlich in der Gegend umschaue, deren
aller sowie sämtlicher Anwesenden Gesundheit hiermit getrunken sei!"
Und so leerte er ein wohlgeschliffenes Kelchglas auf einen Zug aus und
warf es in die Luft; denn es bezeichnet das übermaß einer Freude, das
Gefäß zu zerstören, dessen man sich in der Fröhlichkeit bedient.
Aber diesmal ereignete es sich anders: das Glas kam nicht wieder auf
den Boden, und zwar ohne Wunder.
Man hatte nämlich, um mit dem Bau vorwärtszukommen, bereits an der
entgegengesetzten Ecke den Grund völlig herausgeschlagen, ja schon
angefangen, die Mauern aufzuführen, und zu dem Endzweck das Gerüst
erbaut, so hoch, als es überhaupt nötig war.
Daß man es besonders zu dieser Feierlichkeit mit Brettern belegt und
eine Menge Zuschauer hinaufgelassen hatte, war zum Vorteil der
Arbeitsleute geschehen.
Dort hinauf flog das Glas und wurde von einem aufgefangen, der diesen
Zufall als ein glückliches Zeichen für sich ansah.
Er wies es zuletzt herum, ohne es aus der Hand zu lassen, und man sah
darauf die Buchstaben E und O in sehr zierlicher Verschlingung
eingeschnitten: es war eins der Gläser, die für Eduarden in seiner
Jugend verfertigt worden.
Die Gerüste standen wieder leer, und die leichtesten unter den Gästen
stiegen hinauf, sich umzusehen, und konnten die schöne Aussicht nach
allen Seiten nicht genugsam rühmen; denn was entdeckt der nicht alles,
der auf einem hohen Punkte nur um ein Geschoß höher steht! Nach dem
Innern des Landes zu kamen mehrere neue Dörfer zum Vorschein, den
silbernen Streifen des Flusses erblickte man deutlich, ja selbst die
Türme der Hauptstadt wollte einer gewahr werden.
An der Rückseite, hinter den waldigen Hügeln, erhoben sich die blauen
Gipfel eines fernen Gebirges, und die nächste Gegend übersah man im
ganzen.
"Nun sollten nur noch", rief einer, "die drei Teiche zu einem See
vereinigt werden; dann hätte der Anblick alles, was groß und
wünschenswert ist".
"Das ließe sich wohl machen", sagte der Hauptmann; "denn sie bildeten
schon vorzeiten einen Bergsee".
"Nur bitte ich, meine Platanen—und Pappelgruppe zu schonen", sagte
Eduard, "die so schön am mittelsten Teiche steht".
"Sehen Sie",—wandte er sich zu Ottilien, die er einige Schritte
vorführte, indem er hinabwies—"diese Bäume habe ich selbst gepflanzt".
"Wie lange stehen sie wohl schon?" fragte Ottilie.
"Etwa so lange", versetzte Eduard, "als Sie auf der Welt sind.
Ja, liebes Kind, ich pflanzte schon, da Sie noch in der Wiege lagen".
Die Gesellschaft begab sich wieder in das Schloß zurück.
Nach aufgehobener Tafel wurde sie zu einem Spaziergang durch das Dorf
eingeladen, um auch hier die neuen Anstalten in Augenschein zu nehmen.
Dort hatten sich auf des Hauptmanns Veranlassung die Bewohner vor
ihren Häusern versammelt; sie standen nicht in Reihen, sondern
familienweise natürlich gruppiert, teils, wie es der Abend forderte,
beschäftigt, teils auf neuen Bänken ausruhend.
Es ward ihnen angenehmen Pflicht gemacht, wenigstens jeden Sonntag und
Festtag diese Reinlichkeit, diese Ordnung zu erneuern.
Eine innere Geselligkeit mit Neigung, wie sie sich unter unseren
Freunden erzeugt hatte, wird durch eine größere Gesellschaft immer nur
unangenehm unterbrochen.
Alle vier waren zufrieden, sich wieder im großen Saale allein zu
finden; doch ward dieses häusliche Gefühl einigermaßen gestört, indem
ein Brief, der Eduarden überreicht wurde, neue Gäste auf morgen
ankündigte.
"Wie wir vermuteten", rief Eduard Charlotten zu; "der Graf wird nicht
ausbleiben, er kommt morgen".
"Da ist also auch die Baronesse nicht weit", versetzte Charlotte.
"Gewiß nicht!" antwortete Eduard;" sie wird auch morgen von ihrer
Seite anlangen.
Sie bitten um ein Nachtquartier und wollen übermorgen zusammen wieder
fortreisen".
"Da müssen wir unsere Anstalten beizeiten machen, Ottilie! " sagte
Charlotte.
"Wie befehlen Sie die Einrichtung?" fragte Ottilie.
Charlotte gab es im allgemeinen an, und Ottilie entfernte sich.
Der Hauptmann erkundigte sich nach dem Verhältnis dieser beiden
Personen, das er nur im allgemeinsten kannte.
Sie hatten früher, beide schon anderwärts verheiratet, sich
leidenschaftlich liebgewonnen.
Eine doppelte Ehe war nicht ohne Aufsehn gestört; man dachte an
Scheidung.
Bei der Baronesse war sie möglich geworden, bei dem Grafen nicht.
Sie mußten sich zum Scheine trennen, allein ihr Verhältnis blieb; und
wenn sie Winters in der Residenz nicht zusammen sein konnten, so
entschädigten sie sich Sommers auf Lustreisen und in Bädern.
Sie waren beide um etwas älter als Eduard und Charlotte und sämtlich
genaue Freunde aus früher Hofzeit her.
Man hatte immer ein gutes Verhältnis erhalten, ob man gleich nicht
alles an seinen Freunden billigte.
Nur diesmal war Charlotten ihre Ankunft gewissermaßen ganz ungelegen,
und wenn sie die Ursache genau untersucht hätte: es war eigentlich um
Ottiliens willen.
Das gute, reine Kind sollte ein solches Beispiel so früh nicht gewahr
werden.
"Sie hätten wohl noch ein paar Tage wegbleiben können", sagte Eduard,
als eben Ottilie wieder hereintrat, "bis wir den Vorwerksverkauf in
Ordnung gebracht.
Der Aufsatz ist fertig, die eine Abschrift habe ich hier; nun fehlt es
aber an der zweiten, und unser alter Kanzellist ist recht krank".
Der Hauptmann bot sich an, auch Charlotte; dagegen waren einige
Einwendungen zu machen.
"Geben Sie mirs nur!" rief Ottilie mit einiger Hast.
"Du wirst nicht damit fertig", sagte Charlotte.
"Freilich müßte ich es übermorgen früh haben, und es ist viel", sagte
Eduard.
"Es soll fertig sein", rief Ottilie und hatte das Blatt schon in den
Händen.
Des andern Morgens, als sie sich aus dem obern Stock nach den Gästen
umsahen, denen sie entgegenzugehen nicht verfehlen wollten, sagte
Eduard: "wer reitet denn so langsam dort die Straße her?" Der
Hauptmann beschrieb die Figur des Reiters genauer.
"So ist ers doch", sagte Eduard; "denn das Einzelne, das du besser
siehst als ich, paßt sehr gut zu dem Ganzen, das ich recht wohl sehe.
Es ist Mittler.
Wie kommt er aber dazu, langsam und so langsam zu reiten?" Die Figur
kam näher, und Mittler war es wirklich.
Man empfing ihn freundlich, als er langsam die Treppe heraufstieg.
"Warum sind Sie nicht gestern gekommen?" rief ihm Eduard entgegen.
"Laute Feste lieb ich nicht", versetzte jener.
"Heute komm ich aber, den Geburtstag meiner Freundin mit euch im
stillen nachzufeiern".
"Wie können Sie denn soviel Zeit gewinnen?" fragte Eduard scherzend.
"Meinen Besuch, wenn er euch etwas wert ist, seid ihr einer
Betrachtung schuldig, die ich gestern gemacht habe.
Ich freute mich recht herzlich den halben Tag in einem Hause, wo ich
Frieden gestiftet hatte, und dann hörte ich, daß hier Geburtstag
gefeiert werde.
'Das kann man doch am Ende selbstisch nennen,' dachte ich bei mir,
'daß du dich nur mit denen freuen willst, die du zum Frieden bewogen
hast.
Warum freust du dich nicht auch einmal mit Freunden, die Frieden
halten und hegen?'
Gesagt, getan!
Hier bin ich, wie ich mir vorgenommen hatte".
"Gestern hätten Sie große Gesellschaft gefunden, heute finden Sie nur
kleine", sagte Charlotte.
"Sie finden den Grafen und die Baronesse, die Ihnen auch schon zu
schaffen gemacht haben".
Aus der Mitte der vier Hausgenossen, die den seltsamen, willkommenen
Mann umgeben hatten, fuhr er mit verdrießlicher Lebhaftigkeit heraus,
indem er sogleich nach Hut und Reitgerte suchte: "schwebt doch immer
ein Unstern über mir, sobald ich einmal ruhen und mir wohltun will!
Aber warum gehe ich aus meinem Charakter heraus!
Ich hätte nicht kommen sollen, und nun werd ich vertrieben.
Denn mit jenen will ich nicht unter einem Dache bleiben; und nehmt
euch in acht: sie bringen nichts als Unheil!
Ihr Wesen ist wie ein Sauerteig, der seine Ansteckung fortpflanzt".
Man suchte ihn zu begütigen, aber vergebens.
"Wer mir den Ehstand angreift", rief er aus, "wer mir durch Wort, ja
durch Tat diesen Grund aller sittlichen Gesellschaft untergräbt, der
hat es mit mir zu tun; oder wenn ich sein nicht Herr werden kann, habe
ich nichts mit ihm zu tun.
Die Ehe ist der Anfang und der Gipfel aller Kultur.
Sie macht den Rohen mild, und der Gebildetste hat keine bessere
Gelegenheit, seine Milde zu beweisen.
Unauflöslich muß sie sein; denn sie bringt so vieles Glück, daß alles
einzelne Unglück dagegen gar nicht zu rechnen ist.
Und was will man von Unglück reden?
Ungeduld ist es, die den Menschen von Zeit zu Zeit anfällt, und dann
beliebt er sich unglücklich zu finden.
Lasse man den Augenblick vorübergehen, und man wird sich glücklich
preisen, daß ein so lange Bestandenes noch besteht.
Sich zu trennen gibts gar keinen hinlänglichen Grund.
Der menschliche Zustand ist so hoch in Leiden und Freuden gesetzt, daß
gar nicht berechnet werden kann, was ein Paar Gatten einander schuldig
werden.
Es ist eine unendliche Schuld, die nur durch die Ewigkeit abgetragen
werden kann.
Unbequem mag es manchmal sein, das glaub ich wohl, und das ist eben
recht.
Sind wir nicht auch mit dem Gewissen verheiratet, das wir oft gerne
los sein möchten, weil es unbequemer ist, als uns je ein Mann oder
eine Frau werden könnte?" so sprach er lebhaft und hätte wohl noch
lange fortgesprochen, wenn nicht blasende Postillons die Ankunft der
Herrschaften verkündig hätten, welche wie abgemessen von beiden Seiten
zu gleicher Zeit in den Schloßhof hereinfuhren.
Als ihnen die Hausgenossen entgegeneilten, versteckte sich Mittler,
ließ sich das Pferd an den Gasthof bringen und ritt verdrießlich davon.
Die Gäste waren bewillkommt und eingeführt; sie freuten sich, das Haus,
die Zimmer wieder zu betreten, wo sie früher so manchen guten Tag
erlebt und die sie eine lange Zeit nicht gesehn hatten.
Höchst angenehm war auch den Freunden ihre Gegenwart.
Den Grafen sowie die Baronesse konnte man unter jene hohen, schönen
Gestalten zählen, die man in einem mittlern Alter fast lieber als in
der Jugend sieht; denn wenn ihnen auch etwas von der ersten Blüte
abgehn möchte, so erregen sie doch nun mit der Neigung ein
entschiedenes Zutrauen.
Auch dieses Paar zeigte sich höchst bequem in der Gegenwart.
Ihre freie Weise, die Zustände des Lebens zu nehmen und zu behandeln,
ihre Heiterkeit und scheinbare Unbefangenheit teilte sich sogleich mit,
und ein hoher Anstand begrenzte das Ganze, ohne daß man irgendeinen
Zwang bemerkt hätte.
Diese Wirkung ließ sich augenblicks in der Gesellschaft empfinden.
Die Neueintretenden, welche unmittelbar aus der Welt kamen, wie man
sogar an ihren Kleidern, Gerätschaften und allen Umgebungen sehen
konnte, machten gewissermaßen mit unsern Freunden, ihrem ländlichen
und heimlich leidenschaftlichen Zustande eine Art von Gegensatz, der
sich jedoch sehr bald verlor, indem alte Erinnerungen und gegenwärtige
Teilnahme sich vermischten und ein schnelles, lebhaftes Gespräch alle
geschwind zusammenverband.
Es währte indessen nicht lange, als schon eine Sonderung vorging.
Die Frauen zogen sich auf ihren Flügel zurück und fanden daselbst,
indem sie sich mancherlei vertrauten und zugleich die neuesten Formen
und Zuschnitte von Frühkleidern, Hüten und derglichen zu mustern
anfingen, genugsame Unterhaltung, während die Männer sich um die neuen
Reisewagen, mit vorgeführten Pferden, beschäftigten und gleich zu
handeln und zu tauschen anfingen.
Erst zu Tische kam man wieder zusammen.
Die Umkleidung war geschehen, und auch hier zeigte sich das
angekommene Paar zu seinem Vorteile.
Alles, was sie an sich trugen, war neu und gleichsam ungesehen und
doch schon durch den Gebrauch zur Gewohnheit und Bequemlichkeit
eingeweiht.
Das Gespräch war lebhaft und abwechselnd, wie denn in Gegenwart
solcher Personen alles und nichts zu interessieren scheint.
Man bediente sich der französischen Sprache, um die Aufwartenden von
dem Mitverständnis auszuschließen, und schweifte mit mutwilligem
Behagen über hohe und mittlere Weltverhältnisse hin.
Auf einem einzigen Punkt blieb die Unterhaltung länger als billig
haften, indem Charlotte nach einer Jugendfreundin sich erkundigte und
mit einiger Befremdung vernahm, daß sie ehstens geschieden werden
sollte.
"Es ist unerfreulich", sagte Charlotte, "wenn man seine abwesenden
Freunde irgend einmal geborgen, eine Freundin, die man liebt, versorgt
glaubt; eh man sichs versieht, muß man wieder hören, daß ihr Schicksal
im Schwanken ist, und daß sie erst wieder neue und vielleicht abermals
unsichre Pfade des Lebens betreten soll".
"Eigentlich, meine Beste", versetzte der Graf, "sind wir selbst schuld,
wenn wir auf solche Weise überrascht werden.
Wir mögen uns die irdischen Dinge und besonders auch die ehlichen
Verbindungen gern so recht dauerhaft vorstellen, und was den letzten
Punkt betrifft, so verführen uns die Lustspiele, die wir immer
wiederholen sehen, zu solchen Einbildungen, die mit dem Gange der Welt
nicht zusammentreffen.
In der Komödie sehen wir eine Heirat als das letzte Ziel eines durch
die Hindernisse mehrerer Akte verschobenen Wunsches, und im Augenblick,
da er erreicht ist, fällt der Vorhang, und die momentane Befriedigung
klingt bei uns nach.
In der Welt ist es anders; da wird hinten immer fortgespielt, und wenn
der Vorhang wieder aufgeht, mag man gern nichts weiter davon sehen
noch hören".
"Es muß doch so schlimm nicht sein", sagte Charlotte lächelnd, "da man
sieht, daß auch Personen, die von diesem Theater abgetreten sind, wohl
gern darauf wieder eine Rolle spielen mögen".
"Dagegen ist nichts einzuwenden", sagte der Graf.
"Eine neue Rolle mag man gern wieder übernehmen, und wenn man die Welt
kennt, so sieht man wohl: auch bei dem Ehestande ist es nur diese
entschiedene, ewige Dauer zwischen soviel Beweglichem in der Welt, die
etwas Ungeschicktes an sich trägt.
Einer von meinen Freunden, dessen gute Laune sich meist in Vorschlägen
zu neuen Gesetzen hervortat, behauptet: eine jede Ehe solle nur auf
fünf Jahre geschlossen werden.
Es sei, sagte er, dies eine schöne, ungrade, heilige Zahl und ein
solcher Zeitraum eben hinreichend, um sich kennenzulernen, einige
Kinder heranzubringen, sich zu entzweien und, was das Schönste sei,
sich wieder zu versöhnen.
Gewöhnlich rief er aus: ' wie glücklich würde die erste Zeit
verstreichen!
Zwei, drei Jahre wenigstens gingen vergnüglich hin.
Dann würde doch wohl dem einen Teil daran gelegen sein, das Verhältnis
länger dauern zu sehen, die Gefälligkeit würde wachsen, je mehr man
sich dem Termin der Aufkündigung näherte.
Der gleichgültige, ja selbst der unzufriedene Teil würde durch ein
solches Betragen begütigt und eingenommen.
Man vergäße, wie man in guter Gesellschaft die Stunden vergißt, daß
die Zeit verfließe, und fände sich aufs angenehmste überrascht, wenn
man nach verlaufenem Termin erst bemerkte, daß er schon
stillschweigend verlängert sei".
So artig und lustig dies klang und so gut man, wie Charlotte wohl
empfand, diesem Scherz eine tiefe moralische Deutung geben konnte, so
waren ihr dergleichen äußerungen, besonders um Ottiliens willen, nicht
angenehm.
Sie wußte recht gut, daß nichts gefährlicher sei als ein allzufreies
Gespräch, das einen strafbaren oder halbstrafbaren Zustand als einen
gewöhnlichen, gemeinen, ja löblichen bahandelt; und dahin gehört doch
gewiß alles, was die eheliche Verbindung antastet.
Sie suchte daher nach ihrer gewandten Weise das Gespräch abzulenken;
da sie es nicht vermochte, tat es ihr leid, daß Ottilie alles so gut
eingerichtet hatte, um nicht aufstehen zu dürfen.
Das ruhig aufmerksame Kind verstand sich mit dem Haushofmeister durch
Blick und Wink, daß alles auf das trefflichste geriet, obgleich ein
paar neue, ungeschickte Bedienten in der livree staken.
Und so fuhr der Graf, Charlottens Ablenken nicht empfindend, über
diesen Gegenstand sich zu äußern fort.
Ihm, der sonst nicht gewohnt war, im Gespräch irgend lästig zu sein,
lastete diese Sache zu sehr auf dem Herzen, und die Schwierigkeiten,
sich von seiner Gemahlin getrennt zu sehen, machten ihn bitter gegen
alles, was eheliche Verbindung betraf, die er doch selbst mit der
Baronesse so eifrig wünschte.
"Jener Freund", so fuhr er fort, "tat noch einen andern
Gesetzvorschlag: eine Ehe sollte nur alsdann für unauflöslich gehalten
werden, wenn entweder beide Teile oder wenigstens der eine Teil zum
drittenmal verheiratet wäre.
Denn was eine solche Person betreffe, so bekenne sie unwidersprechlich,
daß sie die Ehe für etwas Unentbehrliches halte.
Nun sei auch schon bekannt geworden, wie sie sich in ihren frühern
Verbindungen betragen, ob sie Eigenheiten habe, die oft mehr zur
Trennung Anlaß geben als üble Eigenschaften.
Man habe sich also wechselseitig zu erkundigen; man habe ebensogut auf
Verheiratete wie auf Unverheiratete achtzugeben, weil man nicht wisse,
wie die Fälle kommen können".
"Das würde freilich das Interesse der Gesellschaft sehr vermehren",
sagte Eduard; "denn in der Tat jetzt, wenn wir verheiratet sind, fragt
niemand weiter mehr nach unsern Tugenden noch unsern Mängeln".
"Bei einer solchen Einrichtung", fiel die Baronesse lächelnd ein,
"hätten unsere lieben Wirte schon zwei Stufen glücklich überstiegen
und könnten sich zu der dritten vorbereiten".
"Ihnen ists wohl geraten", sagte der Graf; "hier hat der Tod willig
getan, was die Konsistorien sonst nur ungern zu tun pflegen". "Lassen
wir die Toten ruhen", versetzte Charlotte mit einem halb ernsten
Blicke.
"Warum?" versetzte der Graf, "da man ihrer in Ehren gedenken kann.
Sie waren bescheiden genug, sich mit einigen Jahren zu begnügen für
mannigfaltiges Gute, das sie zurückließen".
"Wenn nur nicht gerade", sagte die Baronesse mit einem verhaltenen
Seufzer, "in solchen Fällen das Opfer der besten Jahre gebracht werden
müßte!" "Jawohl", versetzte der Graf, "man müßte darüber verzweifeln,
wenn nicht überhaupt in der Welt so weniges eine gehoffte Folge zeigte.
Kinder halten nicht, was sie versprechen, junge Leute sehr selten, und
wenn sie Wort halten, hält es ihnen die Welt nicht".
Charlotte, welche froh war, daß das Gespräch sich wendete, versetzte
heiter:" nun!
Wir müssen uns ja ohnehin bald genug gewöhnen, das Gute stück—und
teilweise zu genießen".
"Gewiß", versetzte der Graf, "Sie haben beide sehr schöner Zeiten
genossen.
Wenn ich mir die Jahre zurückerinnere, da Sie und Eduard das schönste
Paar bei Hof waren; weder von so glänzenden Zeiten noch von so
hervorleuchtenden Gestalten ist jetzt die Rede mehr.
Wenn Sie beide zusammen tanzten, aller Augen waren auf Sie gerichtet,
und wie umworben beide, indem Sie sich nur ineinander bespiegelten!"
"Da sich so manches verändert hat", sagte Charlotte, "können wir wohl
soviel Schönes mit Bescheidenheit anhören".
"Eduarden habe ich doch oft im stillen getadelt", sagte der Graf, "daß
er nicht beharrlicher war; denn am Ende hätten seine wunderlichen
Eltern wohl nachgegeben; und zehn frühe Jahre gewinnen ist keine
Kleinigkeit".
"Ich muß mich seiner anehmen", fiel die Baronesse ein.
"Charlotte war nicht ganz ohne Schuld, nicht ganz rein von allem
Umhersehen, und ob sie gleich Eduarden von Herzen liebte und sich ihn
auch heimlich zum Gatten bestimmte, so war ich doch Zeuge, wie sehr
sie ihn manchmal quälte, sodaß man ihn leicht zu dem unglücklichen
Entschluß drängen konnte, zu reisen, sich zu entfernen, sich von ihr
zu entwöhnen".
Eduard nickte der Baronesse zu und schien dankbar für ihre Fürsprache.
"Und dann muß ich eins", fuhr sie fort, "zu Charlottens Entschuldigung
beifügen: der Mann, der zu jener Zeit um sie warb, hatte sich schon
lange durch Neigung zu ihr ausgezeichnet und war, wenn man ihn näher
kannte, gewiß liebenswürdiger, als ihr andern gern zugestehen mögt".
"Liebe Freundin", versetzte der Graf etwas lebhaft, "bekennen wir nur,
daß er Ihnen nicht ganz gleichgültig war, und daß Charlotte von Ihnen
mehr zu befürchten hatte als von einer andern.
Ich finde das einen sehr hübschen Zug an den Frauen, daß sie ihre
Anhänglichkeit an irgendeinen Mann solange noch fortsetzen, ja durch
keine Art von Trennung stören oder aufheben lassen".
"Diese gute Eigenschaft besitzen vielleicht die Männer noch mehr",
versetzte die Baronesse; "wenigstens an Ihnen lieber Graf, habe ich
bemerkt, daß niemand mehr Gewalt über Sie hat als ein Frauenzimmer,
dem Sie früher geneigt waren.
So habe ich gesehen, daß Sie auf die Fürsprache einer solchen sich
mehr Mühe gaben, um etwas auszuwirken, als vielleicht die Freundin des
Augenblicks von Ihnen erlangt hätte".
"Einen solchen Vorwurf darf man sich wohl gefallen lassen", versetzte
der Graf; "doch was Charlottens ersten Gemahl betrifft, so konnte ich
ihn deshalb nicht leiden, weil er mir das schöne Paar
auseinandersprengte, ein wahrhaft prädestiniertes Paar, das, einmal
zusammengegeben, weder fünf Jahre zu scheuen, noch auf eine zweite
oder gar dritte Verbindung hinzusehen brauchte".
"Wir wollen versuchen", sagte Charlotte, "wieder einzubringen, was wir
versäumt haben".
"Da müssen Sie sich dazuhalten", sagte der Graf.
"Ihre ersten Heiraten", fuhr er mit einiger Heftigkeit fort, "waren
doch so eigentlich rechte Heiraten von der verhaßten Art, und leider
haben überhaupt die Heiraten—verzeihen Sie mir einen lebhafteren
Ausdruck—etwas Tölpelhaftes; sie verderben die zartesten Verhältnisse,
und es liegt doch eigentlich nur an der plumpen Sicherheit, auf die
sich wenigstens ein Teil etwas zugute tut.
Alles versteht sich von selbst, und man scheint sich nur verbunden zu
haben, damit eins wie das andere nunmehr seiner Wege gehe". In diesem
Augenblick machte Charlotte, die ein für allemal dies Gespräch
abbrechen wollte, von einer kühnen Wendung Gebrauch; es gelang ihr.
Die Unterhaltung ward allgemeiner, die beiden Gatten und der Hauptmann
konnten daran teilnehmen; selbst Ottilie ward veranlaßt sich zu äußern,
und der Nachtisch ward mit der besten Stimmung genossen, woran der in
zierlichen Fruchtkörben aufgestellte Obstreichtum, die bunteste, in
Prachtgefäßen schön verteilte Blumenfülle den vorzüglichsten Anteil
hatte.
Auch die neuen Parkanlagen kamen zur Sprache, die man sogleich nach
Tische besuchte.
Ottilie zog sich unter dem Vorwande häuslicher Beschäftigung zurück;
eigentlich aber setzte sie sich nieder zur Abschrift.
Der Graf wurde von dem Hauptmann unterhalten; später gesellte sich
Charlotte zu ihm.
Als sie oben auf die Höhe gelangt waren und der Hauptmann gefällig
hinuntereilte, um den Plan zu holen, sagte der Graf zu Charlotten:
"dieser Mann gefällt mir außerordentlich.
Er ist sehr wohl und im Zusammenhang unterrichtet.
Ebenso scheint seine Tätigkeit sehr ernst und folgerecht.
Was er hier leistet, würde in einem höhern Kreise von viel Bedeutung
sein".
Charlotte vernahm des Hauptmanns Lob mit innigem Behagen.
Sie faßte sich jedoch und bekräftigte das Gesagte mit Ruhe und
Klarheit.
Wie überrascht war sie aber, als der Graf fortfuhr: "diese
Bekanntschaft kommt mir sehr zu gelegener Zeit.
Ich weiß eine Stelle, an die der Mann vollkommen paßt, und ich kann
mir durch eine solche Empfehlung, indem ich ihn glücklich mache, einen
hohen Freund auf das allerbeste verbinden".
Es war wie ein Donnerschlag, der auf Charlotten herabfiel.
Der Graf bemerkte nichts; denn die Frauen, gewohnt, sich jederzeit zu
bändigen, behalten in den außerordentlichsten Fällen immer noch eine
Art von scheinbarer Fassung.
Doch hörte sie schon nicht mehr, was der Graf sagte, indem er fortfuhr:
"wenn ich von etwas überzeugt bin, geht es bei mir geschwind her.
Ich habe schon meinen Brief im Kopfe zusammengestellt, und mich
drängts, ihn zu schreiben.
Sie verschaffen mir einen reitenden Boten, den ich noch heute abend
wegschicken kann".
Charlotte war innerlich zerrissen.
Von diesen Vorschlägen sowie von sich selbst überrascht, konnte sie
kein Wort hervorbringen.
Der Graf fuhr glücklicherweise fort, von seinen Planen für den
Hauptmann zu sprechen, deren Günstiges Charlotten nur allzusehr in die
Augen fiel.
Es war Zeit, daß der Hauptmann herauftrat und seine Rolle vor dem
Grafen entfaltete.
Aber mit wie andern Augen sah sie den Freund an, den sie verlieren
sollte!
Mit einer notdürftigen Verbeugung wandte sie sich weg und eilte
hinunter nach der Mooshütte.
Schon auf halbem Wege stürzten ihr die Tränen aus den Augen, und nun
warf sie sich in den engen Raum der kleinen Einsiedelei und überließ
sich ganz einem Schmerz, einer Leidenschaft, einer Verzweiflung, von
deren Möglichkeit sie wenig Augenblicke vorher auch nicht die leiseste
Ahnung gehabt hatte.
Auf der andern Seite war Eduard mit der Baronesse an den Teichen
hergegangen.
Die kluge Frau, die gern von allem unterrichtet sein mochte, bemerkte
bald in einem tastenden Gespräch, daß Eduard sich zu Ottiliens Lobe
weitläufig herausließ, und wußte ihn auf eine so natürliche Weise nach
und nach in den Gang zu bringen, daß ihr zuletzt kein Zweifel
übrigblieb, hier sei eine Leidenschaft nicht auf dem Wege, sondern
wirklich angelangt.
Verheiratete Frauen, wenn sie sich auch untereinander nicht lieben,
stehen doch stillschweigend miteinander, besonders gegen junge Mädchen,
im Bündnis.
Die Folgen einer solchen Zuneigung stellten sich ihrem weltgewandten
Geiste nur allzugeschwind dar.
Dazu kam noch, daß sie schon heute früh mit Charlotten über Ottilien
gesprochen und den Aufenthalt dieses Kindes auf dem Lande, besonders
bei seiner stillen Gemütsart, nicht gebilligt und den Vorschlag getan
hatte, Ottilien in die Stadt zu einer Freundin zu bringen, die sehr
viel an die Erziehung ihrer einzigen Tochter wende und sich nur nach
einer gutartigen Gespielin umsehe, die an die zweite Kindesstatt
eintreten und alle Vorteile mitgenießen solle.
Charlotte hatte sichs zur überlegung genommen.
Nun aber brachte der Blick in Eduards Gemüt diesen Vorschlag bei der
Baronesse ganz zur vorsätzlichen Festigkeit, und um so schneller
dieses in ihr vorging, um desto mehr schmeichelte sie äußerlich
Eduards Wünschen.
Denn niemand besaß sich mehr als diese Frau, und diese
Selbstbeherrschung in außerordentlichen Fällen gewöhnt uns, sogar
einen gemeinen Fall mit Verstellung zu behandeln, macht uns geneigt,
indem wir soviel Gewalt über uns selbst üben, unsre Herrschaft auch
über die andern zu verbreiten, um uns durch das, was wir äußerlich
gewinnen, für dasjenige, was wir innerlich entbehren, gewissermaßen
schadlos zu halten. An diese Gesinnung schließt sich meist eine Art
heimlicher Schadenfreude über die Dunkelheit der andern, über das
Bewußtlose, womit sie in eine Falle gehen.
Wir freuen uns nicht allein über das gegenwärtige Gelingen, sondern
zugleich auch auf die künftig überraschende Beschämung.
Und so war die Baronesse boshaft genug, Eduarden zur Weinlese auf ihre
Güter mit Charlotten einzuladen und die Frage Eduards, ob sie Ottilien
mitbringen dürften, auf eine Weise, die er beliebig zu seinen Gunsten
auslegen konnte, zu beantworten.
Eduard sprach schon mit Entzücken von der herrlichen Gegend, dem
großen Flusse, den Hügeln, Felsen und Weinbergen, von alen Schlössern,
von Wasserfahrten, von dem Jubel der Weinlese, des Kelterns und so
weiter, wobei er in der Unschuld seines Herzens sich schon zum voraus
laut über den Eindruck freute, den dergleichen Szenen auf das frische
Gemüt Ottiliens machen würden.
In diesem Augenblick sah man Ottilien herankommen, und die Baronesse
sagte schnell zu Eduard, er möchte von dieser vorhabenden Herbstreise
ja nichts reden; denn gewöhnlich geschähe das nicht, worauf man sich
so lange voraus freue.
Eduard versprach, nötigte sie aber, Ottilien entgegen geschwinder zu
gehen, und eilte ihr endlich, dem lieben Kinde zu, mehrere Schritte
voran.
Eine herzliche Freude drückte sich in seinem ganzen Wesen aus. Er
küßte ihr die Hand, in die er einen Strauß Feldblumen drückte, die er
unterwegs zusammengepflückt hatte.
Die Baronesse fühlte sich bei diesem Anblick in ihrem Innern fast
erbittert.
Denn wenn sie auch das, was an dieser Neigung strafbar sein mochte,
nicht billigen durfte, so konnte sie das, was daran liebenswürdig und
angenehm war, jenem unbedeutenden Neuling von Mädchen keineswegs
gönnen.
Als man sich zum Abendessen zusammengesetzt hatte, war eine völlig
andre Stimmung in der Gesellschaft verbreitet.
Der Graf, der schon vor Tische geschrieben und den Boten fortgeschickt
hatte, unterhielt sich mit dem Hauptmann, den er auf eine verständige
und bescheidene Weise immer mehr ausforschte, indem er ihn diesen
Abend an seine Seite gebracht hatte.
Die zur Rechten des Grafen sitzende Baronesse fand von daher wenig
Unterhaltung, ebensowenig an Eduard, der, erst durstig, dann aufgeregt,
des Weines nicht schonte und sich sehr lebhaft mit Ottilien
unterhielt, die er an sich gezogen hatte, wie von der andern Seite
neben dem Hauptmann Charlotte saß, der es schwer, ja beinahe unmöglich
ward, die Bewegungen ihres Innern zu verbergen.
Die Baronesse hatte Zeit genug, Beobachtungen anzustellen.
Sie bemerkte Charlottens Unbehagen, und weil sie nur Eduards
Verhältnis zu Ottilien im Sinn hatte, so überzeugte sie sich leicht,
auch Charlotte sei bedenklich und verdrießlich über ihres Gemahls
Benehmen, und überlegte, wie sie nunmehr am besten zu ihren Zwecken
gelangen könne.
Auch nach Tische fand sich ein Zwiespalt in der Gesellschaft. Der
Graf, der den Hauptmann recht ergründen wollte, brauchte bei einem so
ruhigen, keineswegs eitlen und überhaupt lakonischen Manne
verschiedene Wendungen, um zu erfahren, was er wünschte.
Sie gingen miteinander an der einen Seite des Saals auf und ab, indes
Eduard, aufgeregt von Wein und Hoffnung, mit Ottilien an einem Fenster
scherzte, Charlotte und die Baronesse aber stillschweigend an der
andern Seite des Saals nebeneinander hin und wider gingen.
Ihr Schweigen und müßiges Umherstehen brachte denn auch zuletzt eine
Stockung in die übrige Gesellschaft.
Die Frauen zogen sich zurück auf ihren Flügel, die Männer auf den
andern, und so schien dieser Tag abgeschlossen.
Eduard begleitete den Grafen auf sein Zimmer und ließ sich recht gern
durchs Gespräch verführen, noch eine Zeitlang bei ihm zu bleiben.
Der Graf verlor sich in vorige Zeiten, gedachte mit Lebhaftigkeit an
die Schönheit Charlottens, die er als ein Kenner mit vielem Feuer
entwickelte:" ein schöner Fuß ist eine große Gabe der Natur. Diese
Anmut ist unverwünstlich.
Ich habe sie heute im Gehen Beobachtet; noch immer möchte man ihren
Schuh küssen und die zwar etwas barbarische, aber doch tief gefühlte
Ehrenbezeugung der Aarmaten wiederholen, die sich nichts Besseres
kennen, als aus dem Schuh einer geliebten und verehrten Person ihre
Gesundheit zu trinken".
Die Spitze des Fußes blieb nicht allein der Gegenstand des Lobes unter
zwei vertrauten Männern.
Sie gingen von der Person auf alte Geschichten und Abenteuer zurück
und kamen auf die Hindernisse, die man ehemals den Zusammenkünften
dieser beiden Liebenden entgegengesetzt, welche Mühe sie sich gegeben,
welche Kunstgriffe sie erfunden, nur um sich sagen zu können, daß sie
sich liebten.
"Erinnerst du dich", fuhr der Graf fort, "welch Abenteuer ich dir
recht freundschaftlich und uneigennützig bestehen helfen, als unsre
höchsten Herrschaften ihren Oheim besuchten und auf dem weitläufigen
Schlosse zusammenkamen?
Der Tag war in Feierlichkeiten und Feierkleidern hingegangen; ein Teil
der Nacht sollte wenigstens unter freiem, liebevollem Gespräch
verstreichen".
"Den Hinweg zu dem Quartier der Hofdamen hatten Sie sich wohl gemerkt",
sagte Eduard.
"Wir gelangten glücklich zu meiner Geliebten".
"Die", versetzte der Graf, "mehr an den Anstand als an meine
Zufriedenheit gedacht und eine sehr häßliche Ehrenwächterin bei sich
behalten hatte; da mir denn, indessen ihr euch mit Blicken und Worten
sehr gut unterhieltet, ein höchst unerfreuliches Los zuteil ward".
"Ich habe mich noch gestern", versetzte Eduard, "als Sie sich anmelden
ließen, mit meiner Frau an die Geschichte erinnert, besonders an
unsern Rückzug.
Wir verfehlten den Weg und kamen an den Vorsaal der Garden.
Weil wir uns nun von da recht gut zu finden wußten, so glaubten wir
auch hier ganz ohne Bedenken hindurch und an dem Posten, wie an den
übrigen, vorbei gehen zu können.
Aber wie groß war beim Eröffnen der Türe unsere Verwunderung!
Der Weg war mit Matratzen verlegt, auf denen die Riesen in mehreren
Reihen ausgestreckt lagen und schliefen.
Der einzige Wachende auf dem Posten sah uns verwundert an; wir aber,
im jugendlichen Mut und Mutwillen, stiegen ganz gelassen über die
ausgestreckten Stiefel weg, ohne daß auch nur einer von diesen
schnarchenden Enakskindern erwacht wäre".
"Ich hatte große Lust zu stolpern", sagte der Graf, "damit es Lärm
gegeben hätte; denn welch eine seltsame Auferstehung würden wir
gesehen haben!" In diesem Augenblick schlug die Schloßglocke zwölf.
"Es ist hoch Mitternacht", sagte der Graf lächelnd, "und eben gerechte
Zeit.
Ich muß Sie, lieber Baron, um eine Gefälligkeit bitten: führen Sie
mich heute, wie ich Sie damals führte; ich habe der Baronesse das
Versprechen gegeben, sie noch zu besuchen.
Wir haben uns den ganzen Tag nicht allein gesprochen, wir haben uns
solange nicht gesehen, und nichts ist natürlicher, als daß man sich
nach einer vertraulichen Stunde sehnt.
Zeigen Sie mir den Hinweg, den Rückweg will ich schon finden, und auf
alle Fälle werde ich über keine Stiefel wegzustolpern haben".
"Ich will Ihnen recht gern diese gastliche Gefälligkeit erzeigen",
versetzte Eduard; "nur sind die drei Frauenzimmer drüben zusammen auf
dem Flügel.
Wer weiß, ob wir sie nicht noch beieinander finden, oder was wir sonst
für Händel anrichten, die irgendein wunderliches Ansehn gewinnen".
"Nur ohne Sorge!" sagte der Graf; "die Baronesse erwartet mich.
Sie ist um diese Zeit gewiß auf ihrem Zimmer und allein".
"Die Sache ist übringens leicht", versetzte Eduard und nahm ein Licht,
dem Grafen vorleuchtend eine geheime Treppe hinunter, die zu einem
langen Gang führte.
Am Ende desselben öffnete Eduard eine kleine Türe.
Sie erstiegen eine Wendeltreppe; oben auf einem engen Ruheplatz
deutete Eduard dem Grafen, dem er das Licht in die Hand gab, nach
einer Tapetentüre rechts, die beim ersten Versuch sogleich sich
öffnete, den Grafen aufnahm und Eduarden in dem dunklen Raum
zurückließ.
Eine andre Türe links ging in Charlottens Schlafzimmer.
Er hörte reden und horchte.
Charlotte sprach zu ihrem Kammermädchen: "ist Ottilie schon zu
Bette?"—"Nein", versetzte jene, "sie sitzt noch unten und schreibt".
-"So zünde Sie das Nachtlicht an", sagte Charlotte, "und gehe Sie nur
hin: es ist spät.
Die Kerze will ich selbst auslöschen und für mich zu Bette gehen".
Eduard hörte mit Entzücken, daß Ottilie noch schreibe.
'Sie beschäftigt sich für mich!' dachte er triumphierend.
Durch die Finsternis ganz in sich selbst geengt, sah er sie sitzen,
schreiben; er glaubte zu ihr zu treten, sie zu sehen, wie sie sich
nach ihm umkehrte; er fühlte ein unüberwindliches Verlangen, ihr noch
einmal nahe zu sein.
Von hier aber war kein Weg in das Halbgeschoß, wo sie wohnte. Nun
fand er sich unmittelbar an seiner Frauen Türe, eine sonderbare
Verwechselung ging in seiner Seele vor; er suchte die Türe aufzudrehen,
er fand sie verschlossen, er pochte leise an, Charlotte hörte nicht.
Sie ging in dem größeren Nebenzimmer lebhaft auf und ab.
Sie wiederholte sich aber—und abermals, was sie seit jenem
unerwarteten Vorschlag des Grafen oft genug bei sich um und um
gewendet hatte.
Der Hauptmann schien vor ihr zu stehen.
Er füllte noch das Haus, er belebte noch die Spaziergänge, und er
sollte fort, das alles sollte leer werden!
Sie sagte sich alles, was man sich sagen kann, ja sie antizipierte,
wie man gewöhnlich pflegt, den leidigen Trost, daß auch solche
Schmerzen durch die Zeit gelindert werden.
Sie verwünschte die Zeit, die es braucht, um sie zu lindern; sie
verwünschte die totenhafte Zeit, wo sie würden gelindert sein.
Da war denn zuletzt die Zuflucht zu den Tränen um so willkommner, als
sie bei ihr selten stattfand.
Sie warf sich auf den Sofa und überließ sich ganz ihrem Schmerz.
Eduard seinerseits konnte von der Türe nicht weg; er pochte nochmals,
und zum drittenmal etwas stärker, sodaß Charlotte durch die
Nachtstille es ganz deutlich vernahm und erschreckt auffuhr.
Der erste Gedanke war, es könne, es müsse der Hauptmann sein; der
zweite, das sei unmöglich.
Sie hielt es für Täuschung, aber sie hatte es gehört, sie wünschte,
sie fürchtete es gehört zu haben.
Sie ging ins Schlafzimmer, trat leise zu der verriegelten Tapetentür.
Sie schalt sich über ihre Furcht.
Wie leicht kann die Gräfin etwas bedürfen! sagte sie zu sich selbst
und rief gefaßt und gesetzt: "ist jemand da?" Eine leise Stimme
antwortete: "ich bins".
-"Wer?" entgegnete Charlotte, die den Ton nicht unterscheiden konnte.
Ihr stand des Hauptmanns Gestalt vor der Tür.
Etwas lauter klang es ihr entgegen:" Eduard!" Sie öffnete, und ihr
Gemahl stand vor ihr.
Er begrüßte sie mit einem Scherz.
Es ward ihr möglich, in diesem Tone fortzufahren.
Er verwickelte den rätselhaften Besuch in rätselhafte Erklärungen.
"Warum ich denn aber eigentlich komme", sagte er zuletzt, "muß ich dir
nur gestehen.
Ich habe ein Gelübde getan, heute abend noch deinen Schuh zu küssen".
"Das ist dir lange nicht eingefallen", sagte Charlotte.
"Desto schlimmer", versetzte Eduard," und desto besser!" Sie hatte
sich in einen Sessel gesetzt, um ihre leichte Nachtkleidung seinen
Blicken zu entziehen.
Er warf sich vor ihr nieder, und sie konnte sich nicht erwehren, daß
er nicht ihren Schuh küßte, und daß, als dieser ihm in der Hand blieb,
er den Fuß ergriff und ihn zärtlich an seine Brust drückte.
Charlotte war eine von den Frauen, die, von Natur mäßig, im Ehestande
ohne Vorsatz und Anstrengung die Art und Weise der Liebhaberinnen
fortführen.
Niemals reizte sie den Mann, ja seinem Verlangen kam sie kaum entgegen;
aber ohne Kälte und abstoßende Strenge glich sie immer einer
liebevollen Braut, die selbst vor dem Erlaubten noch innige Scheu
trägt.
Und so fand sie Eduard diesen Abend in doppeltem Sinne.
Wie sehnlich wünschte sie den Gatten weg; denn die Luftgestalt des
Freundes schien ihr Vorwürfe zu machen.
Aber das, was Eduarden hätte entfernen sollen, zog ihn nur mehr an.
Eine gewisse Bewegung war an ihr sichtbar.
Sie hatte geweint, und wenn weiche Personen dadurch meist an Anmut
verlieren, so gewinnen diejenigen dadurch unendlich, die wir
gewöhnlich als stark und gefaßt kennen.
Eduard war so liebenswürdig, so freundlich, so dringend; er bat sie,
bei ihr bleiben zu dürfen, er forderte nicht, bald ernst bald
scherzhaft suchte er sie zu bereden, er dachte nicht daran, daß er
Rechte habe, und löschte zuletzt mutwillig die Kerze aus.
In der Lampendämmerung sogleich behauptete die innre Neigung,
behauptete die Einbildungskraft ihre Rechte über das Wirkliche: Eduard
hielt nur Ottilien in seinen Armen, Charlotten schwebte der Hauptmann
näher oder ferner vor der Seele, und so verwebten, wundersam genug,
sich Abwesendes und Gegenwärtiges reizend und wonnevoll durcheinander.
Und doch läßt sich die Gegenwart ihr ungeheures Recht nicht rauben.
Sie brachten einen Teil der Nacht unter allerlei Gesprächen und
Scherzen zu, die um desto freier waren, als das Herz leider keinen
Teil daran nahm.
Aber als Eduard des andern Morgens an dem Busen seiner Frau erwachte,
schien ihm der Tag ahnungsvoll hereinzublicken, die Sonne schien ihm
ein Verbrechen zu beleuchten; er schlich sich leise von ihrer Seite,
und sie fand sich, seltsam genug, allein, als sie erwachte.
Als die Gesellschaft zum Frühstück wieder zusammenkam, hätte ein
aufmerksamer Beobachter an dem Betragen der einzelnen die
Verschiedenheit der innern Gesinnungen und Empfindungen abnehmen
können.
Der Graf und die Baronesse begegneten sich mit dem heitern Behagen,
das ein Paar Liebende empfinden, die sich nach erduldeter Trennung
ihrer wechselseitigen Neigung abermals versichert halten, dagegen
Charlotte und Eduard gleichsam beschämt und ruhig dem Hauptmann und
Ottilien entgegentraten.
Denn so ist die Liebe beschaffen, daß sie allein recht zu haben glaubt
und alle anderen Rechte vor ihr verschwinden.
Ottilie war kindlich heiter, nach ihrer Weise konnte man sie offen
nennen.
Ernst erschien der Hauptmann; ihm war bei der Unterredung mit dem
Grafen, indem dieser alles in ihm aufregte, was einige Zeit geruht und
geschlafen hatte, nur zu fühlbar geworden, daß er eigentlich hier
seine Bestimmung nicht erfülle und im Grunde bloß in einem halbtätigen
Müßiggang hinschlendere.
Kaum hatten sich die beiden Gäste entfernt, als schon wieder neuer
Besuch eintraf, Charlotten willkommen, die aus sich selbst
herauszugehen, sich zu zerstreuen wünschte; Eduarden ungelegen, der
eine doppelte Neigung fühlte, sich mit Ottilien zu beschäftigen;
Ottilien gleichfalls unerwünscht, die mit ihrer auf morgen früh so
nötigen Abschrift noch nicht fertig war.
Und so eilte sie auch, als die Fremden sich spät entfernten, sogleich
auf ihr Zimmer.
Es war Abend geworden.
Eduard, Charlotte und der Hauptmann, welche die Fremden, ehe sie sich
in den Wagen setzten, eine Strecke zu Fuß begleitet hatten, wurden
einig, noch einen Spaziergang nach den Teichen zu machen.
Ein Kahn war angekommen, den Eduard mit ansehnlichen Kosten aus der
Ferne verschrieben hatte.
Man wollte versuchen, ob er sich leicht bewegen und lenken lasse.
Er war am Ufer des mittelsten Teiches nicht weit von einigen alten
Eichbäumen angebunden, auf die man schon bei künftigen Anlagen
gerechnet hatte.
Hier sollte ein Landungsplatz angebracht, unter den Bäumen ein
architektonischer Ruhesitz aufgeführt werden, wonach diejenigen, die
über den See fahren, zu steuern hätten.
"Wo wird man denn nun drüben die Landung am besten anlegen?" fragte
Eduard.
"Ich sollte denken, bei meinen Platanen".
"Sie stehen ein wenig zu weit rechts", sagte der Hauptmann. "Landet
man weiter unten, so ist man dem Schlosse näher; doch muß man es
überlegen".
Der Hauptmann stand schon im Hinterteile des Kahns und hatte ein Ruder
ergriffen.
Charlotte stieg ein, Eduard gleichfalls und faßte das andre Ruder;
aber als er eben im Abstoßen begriffen war, gedachte er Ottiliens,
gedachte, daß ihn diese Wasserfahrt verspäten, wer weiß erst wann
zurückführen würde.
Er entschloß sich kurz und gut, sprang wieder ans Land, reichte dem
Hauptmann das andre Ruder und eilte, sich flüchtig entschuldigend,
nach Hause.
Dort vernahm er, Ottilie habe sich eingeschlossen, sie schreibe.
Bei dem angenehmen Gefühle, daß sie für ihn etwas tue, empfand er das
lebhafteste Mißbehagen, sie nicht gegenwärtig zu sehen.
Seine Ungeduld vermehrte sich mit jedem Augenblicke.
Er ging in dem großen Saale auf und ab, versuchte allerlei, und nichts
vermochte seine Aufmerksamkeit zu fesseln.
Sie wünschte er zu sehen, allein zu sehen, ehe noch Charlotte mit dem
Hauptmann zurückkäme.
Es ward Nacht, die Kerzen wurden angezündet.
Endlich trat sie herein, glänzend von Liebenswürdigkeit.
Das Gefühl, etwas für den Freund getan zu haben, hatte ihr ganzes
Wesen über sich selbst gehoben.
Sie legte das Original und die Abschrift vor Eduard auf den Tisch.
"Wollen wir kollationieren?" sagte sie lächelnd.
Eduard wußte nicht, was er erwidern sollte.
Er sah sie an, er besah die Abschrift.
Die ersten Blätter waren mit der größten Sorgfalt, mit einer zarten
weiblichen Hand geschrieben, dann schienen sich die Züge zu verändern,
leichter und freier zu werden; aber wie erstaunt war er, als er die
letzten Seiten mit den Augen überlief!
"Um Gottes willen!" rief er aus, "was ist das?
Das ist meine Hand!" Er sah Ottilien an und wieder auf die Blätter,
besonders der Schluß war ganz, als wenn er ihn selbst geschrieben
hätte.
Ottilie schwieg, aber sie blickte ihm mit der größten Zufriedenheit in
die Augen.
Eduard hob seine Arme empor: "du liebst mich!" rief er aus, "Ottilie,
du liebst mich" und sie hielten einander umfaßte.
Wer das andere zuerst ergriffen, wäre nicht zu unterscheiden gewesen.
Von diesem Augenblick an war die Welt für Eduarden umgewendet, er
nicht mehr, was er gewesen, die Welt nicht mehr, was sie gewesen.
Sie standen voreinander, er hielt ihre Hände, sie sahen einander in
die Augen, im Begriff, sich wieder zu umarmen.
Charlotte mit dem Hauptmann trat herein.
Zu den Entschuldigungen eines längeren Außenbleibens lächelte Eduard
heimlich.
'O wie viel zu früh kommt ihr!' sagte er zu sich selbst.
Sie setzten sich zum Abendessen.
Die Personen des heutigen Besuchs wurden beurteilt.
Eduard, liebevoll aufgeregt, sprach gut von einem jeden, immer
schonend, oft billigend.
Charlotte, die nicht durchaus seiner Meinung war, bemerkte diese
Stimmung und scherzte mit ihm, daß er, der sonst über die scheidende
Gesellschaft immer das strengste Zungengericht ergehen lasse, heute so
mild und nachsichtig sei.
Mit Feuer und herzlicher überzeugung rief Eduard: "man muß nur Ein
Wesen recht von Grund aus lieben, da kommen einem die übrigen alle
liebenswürdig vor!" Ottilie schlug die Augen nieder, und Charlotte
sah vor sich hin.
Der Hauptmann nahm das Wort und sagte:" mit den Gefühlen der
Hochachtung, der Verehrung ist es doch auch etwas ähnliches.
Man erkennt nur erst das Schätzenswerte in der Welt, wenn man solche
Gesinnungen an Einem Gegenstande zu üben Gelegenheit findet".
Charlotte suchte bald in ihr Schlafzimmer zu gelangen, um sich der
Erinnerung dessen zu überlassen, was diesen Abend zwischen ihr und dem
Hauptmann vorgegangen war.
Als Eduard ans Ufer springend den Kahn vom Lande stieß, Gattin und
Freund dem schwankenden Element selbst überantwortete, sah nunmehr
Charlotte den Mann, um den sie im stillen schon soviel gelitten hatte,
in der Dämmerung vor sich sitzen und durch die Führung zweier Ruder
das Fahrzeug in beliebiger Richtung fortbewegen.
Sie empfand eine tiefe, selten gefühlte Traurigkeit.
Das Kreisen des Kahns, das Plätschern der Ruder, der über den
Wasserspiegel hinschauernde Wildhauch, das Säuseln der Rohre, das
letzte Schweben der Vögel, das Blinken und Widerblinken der ersten
Sterne: alles hatte etwas Geisterhaftes in dieser allgemeinen Stille.
Es schien ihr, der Freund führe sie weit weg, um sie auszusetzen, sie
allein zu lassen.
Eine wunderbare Bewegung war in ihrem Innern, und sie konnte nicht
weinen.
Der Hauptmann beschrieb ihr unterdessen, wie nach seiner Absicht die
Anlagen werden sollten.
Er rühmte die guten Eigenschaften des Kahns, daß er sich leicht mit
zwei Rudern von einer Person bewegen und regieren lasse.
Sie werde das selbst lernen, es sei eine angenehme Empfindung,
manchmal allein auf dem Wasser hinzuschwimmen und sein eigner
Fähr—und Steuermann zu sein.
Bei diesen Worten fiel der Freundin die bevorstehende Trennung aufs
Herz.
'Sagt er das mit Vorsatz?' dachte sie bei sich selbst.
'Weiß er schon davon?
Vermutet ers?
Oder sagt er es zufällig, so daß er mir bewußtlos mein Schicksal
vorausverkündigt?' Es ergriff sie eine große Wehmut, eine Ungeduld;
sie bat ihn, baldmöglichst zu landen und mit ihr nach dem Schlosse
zurückzukehren. Es war das erstemal, daß der Hauptmann die Teiche
befuhr, und ob er gleich im allgemeinen ihre Tiefe untersucht hatte,
so waren ihm doch die einzelnen Stellen unbekannt.
Dunkel fing es an zu werden; er richtete seinen Lauf dahin, wo er
einen bequemen Ort zum Aussteigen vermutete und den Fußpfad nicht
entfernt wußte, der nach dem Schlosse führte.
Aber auch von dieser Bahn wurde er einigermaßen abgelenkt, als
Scharlotte mit einer Art von Angstlichkeit den Wunsch wiederholte,
bald am Lande zu sein.
Er näherte sich mit erneuten Anstrengungen dem Ufer, aber leider
fühlte er sich in einiger Entfernung davon angehalten; er hatte sich
festgefahren, und seine Bemühungen, wieder loszukommen, waren
vergebens.
Was war zu tun?
Ihm blieb nichts übrig, als in das Wasser zu steigen, das seicht
genug war, und die Freundin an das Land zu tragen.
Glücklich brachte er die liebe Bürde hinüber, stark genug, um nicht zu
schwanken oder ihr einige Sorgen zu geben; aber doch hatte sie
ängstlich ihre Arme um seinen Hals geschlungen.
Er hielt sie fest und drückte sie an sich.
Erst auf einem Rasenabhang ließ er sie nieder, nicht ohne Bewegung und
Verwirrung.
Sie lag noch an seinem Halse; er schloß sie aufs neue in seine Arme
und drückte einen lebhaften Kuß auf ihre Lippen; aber auch im
Augenblick lag er zu ihrem Füßen, drückte seinen Mund auf ihre Hand
und rief: "Charlotte, werden Sie mir vergeben?" Der Kuß, den der
Freund gewagt, den sie ihm beinahe zurückgegeben, brachte Charlotten
wieder zu sich selbst.
Sie drückte seine Hand, aber sie hob ihn nicht auf.
Doch indem sie sich zu ihm hinunterneigte und eine Hand auf seine
Schultern legte, rief sie aus: "daß dieser Augenblick in unserm Leben
Epoche mache, können wir nicht verhindern; aber daß sie unser wert sei,
hängt von uns ab.
Sie müssen scheiden, lieber Freund, und Sie werden scheiden. Der Graf
macht Anstalt, Ihr Schicksal zu verbessern; es freut und schmerzt mich.
Ich wollte es verschweigen, bis es gewiß wäre; der Augenblick nötigt
mich, dies Geheimnis zu entdecken.
Nur insofern kann ich Ihnen, kann ich mir verzeihen, wenn wir den Mut
haben, unsre Lage zu ändern, da es von uns nicht abhängt, unsre
Gesinnung zu ändern".
Sie hub ihn auf und ergriff seinen Arm, um sich darauf zu stützen, und
so kamen sie stillschweigend nach dem Schlosse.
Nun aber stand sie in ihrem Schlafzimmer, wo sie sich als Gattin
Eduards empfinden und betrachten mußte.
Ihr kam bei diesen Widersprüchen ihr tüchtiger und durchs Leben
mannigfaltig geübter Charakter zu Hülfe.
Immer gewohnt, sich ihrer selbst bewußt zu sein, sich selbst zu
gebieten, ward es ihr auch jetzt nicht schwer, durch ernste
Betrachtung sich dem erwünschten Gleichgewichte zu nähern; ja sie
mußte über sich selbst lächeln, indem sie des wunderlichen
Nachtbesuches gedachte.
Doch schnell ergriff sie eine seltsame Ahnung, ein freudig bängliches
Erzittern, das in fromme Wünsche und Hoffnungen sich auflöste.
Gerührt kniete sie nieder, sie wiederholte den Schwur, den sie
Eduarden vor dem Altar getan.
Freundschaft, Neigung, Entsagen gingen vor ihr in heitern Bildern
vorüber.
Sie fühlte sich innerlich wiederhergestellt.
Bald ergreift sie eine süße Müdigkeit und ruhig schläft sie ein.
Eduard von seiner Seite ist in einer ganz verschiedenen Stimmung.
Zu schlafen denkt er so wenig, daß es ihm nicht einmal einfällt, sich
auszuziehen.
Die Abschrift des Dokuments küßte er tausendmal, den Anfang von
Ottiliens kindlich schüchterner Hand; das Ende wagt er kaum zu küssen,
weil er seine eigene Hand zu sehen glaubt.
'O, daß es ein andres Dokument wäre!' sagt er sich im stillen; und
doch ist es ihm auch schon die schönste Versicherung, daß sein
höchster Wunsch erfüllt sei.
Bleibt es ja doch in seinen Händen!
Und wird er es nicht immerfort an sein Herz drücken, obgleich
entstellt durch die Unterschrift eines Dritten?
Der abnehmende Mond steigt über den Wald hervor.
Die warme Nacht lockt ins Freie; er schweift umher, er ist der
unruhigste und der glücklichste aller Sterblichen.
Er wandelt durch die Gärten; sie sind ihm zu enge; er eilt auf das
Feld, und es wird ihm zu weit.
Nach dem Schlosse zieht es ihn zurück; er findet sich unter Ottiliens
Fenstern.
Dort setzt er sich auf eine Terrassentreppe.
'Mauern und Riegel', sagt er zu sich selbst, 'trennen uns jetzt, aber
unsre Herzen sind nicht getrennt.
Stünde sie vor mir, in meine Arme würde sie fallen, ich in die ihrigen,
und was bedarf es weiter als diese Gewißheit!'
Alles war still um ihn her, kein Lüftchen regte sich; so still wars,
daß er das wühlende Arbeiten emsiger Tiere unter der Erde vernehmen
konnte, denen Tag und Nacht gleich sind.
Er hing ganz seinen glücklichen Träumen nach, schlief endlich ein und
erwachte nicht eher wieder, als bis die Sonne mit herrlichem Blick
heraufstieg und die frühsten Nebel gewältigte.
Nun fand er sich den ersten Wachenden in seinen Besitzungen.
Die Arbeiter schienen ihm zu lange auszubleiben.
Sie kamen; es schienen ihm ihrer zu wenig und die vorgesetzte
Tagesarbeit für seine Wünsche zu gering.
Er fragte nach mehreren Arbeitern; man versprach sie und stellte sie
im Laufe des Tages.
Aber auch diese sind ihm nicht genug, um seine Vorsätze schleunig
ausgeführt zu sehen.
Das Schaffen macht ihm keine Freude mehr; es soll schon alles fertig
sein, und für wen?
Die Wege sollen gebahnt sein, damit Ottilie bequem sie gehen, die
Sitze schon an Ort und Stelle, damit Ottilie dort ruhen könne.
Auch an dem neuen Hause treibt er, was er kann; es soll an Ottiliens
Geburtstage gerichtet werden.
In Eduards Gesinnungen wie in seinen Handlungen ist kein Maß mehr.
Das Bewußtsein, zu lieben und geliebt zu werden, treibt ihn ins
Unendliche.
Wie verändert ist ihm die Ansicht von allen Zimmern, von allen
Umgebungen!
Er findet sich in seinem eigenen Hause nicht mehr.
Ottiliens Gegenwart verschlingt ihm alles; er ist ganz in ihr
versunken, keine andre Betrachtung steigt vor ihm auf, kein Gewissen
spricht ihm zu; alles, was in seiner Natur gebändigt war, bricht los,
sein ganzes Wesen strömt gegen Ottilien.
Der Hauptmann beobachtet dieses leidenschaftliche Treiben und wünscht
den traurigen Folgen zuvorzukommen.
Alle diese Anlagen, die jetzt mit einem einseitigen Triebe, übermäßig
gefördert werden, hatte er auf ein ruhig freundliches Zusammenleben
berechnet.
Der Verkauf des Vorwerks war durch ihn zustande gebracht, die erste
Zahlung geschehen, Charlotte hatte sie der Abrede nach in ihre Kasse
genommen.
Aber sie muß gleich in der ersten Woche Ernst und Geduld und Ordnung
mehr als sonst üben und im Auge haben; denn nach der übereilten Weise
wird das Ausgesetzte nicht lange reichen.
Es war viel angefangen und viel zu tun.
Wie soll er Charlotten in dieser Lage lassen!
Sie beraten sich und kommen überein, man wolle die planmäßigen
Arbeiten lieber selbst beschleunigen, zu dem Ende Gelder aufnehmen und
zu deren Abtragung die Zahlungstermine anweisen, die vom
Vorwerksverkauf zurückgeblieben waren.
Es ließ sich fast ohne Verlust durch Zession der Gerechtsame tun; man
hatte freiere Hand; man leistete, da alles im Gange, Arbeiter genug
vorhanden waren, mehr auf einmal und gelangte gewiß und bald zum Zweck.
Eduard stimmte gern bei, weil es mit seinen Absichten übereintraf.
Im innern Herzen beharrt indessen Charlotte bei dem, was sie bedacht
und sich vorgesetzt, und männlich steht ihr der Freund mit gleichem
Sinn zur Seite.
Aber eben dadurch wird ihre Vertraulichkeit nur vermehrt.
Sie erklären sich wechselseitig über Eduards Leidenschaft, sie beraten
sich darüber.
Charotte schließt Ottilien näher an sich, beobachtet sie strenger, und
je mehr sie ihr eigen Herz gewahr worden, desto tiefer blickt sie in
das Herz des Mädchens.
Sie sieht keine Rettung, als sie muß das Kind entfernen.
Nun scheint es ihr eine glückliche Fügung, daß Luciane ein so
ausgezeichnetes Lob in der Pension erhalten; denn die Großtante, davon
unterrichtet, will sie nun ein für allemal zu sich nehmen, sie um sich
haben, sie in die Welt einführen.
Ottilie konnte in die Pension zurückkehren, der Hauptmann entfernte
sich wohlversorgt; und alles stand wie vor wenigen Monaten, ja um so
viel besser.
Ihr eigenes Verhältnis hoffte Charlotte zu Eduard bald
wiederherzustellen, und sie legte das alles so verständig bei sich
zurecht, daß sie sich nur immer mehr in dem Wahn bestärkte: in einen
frühern, beschränktern Zustand könne man zurückkehren, ein gewaltsam
Entbundenes lasse sich wieder ins Enge bringen.
Eduard empfand indessen die Hindernisse sehr hoch, die man ihm in den
Weg legte.
Er bemerkte gar bald, daß man ihn und Ottilien auseinanderhielt, daß
man ihm erschwerte, sie allein zu sprechen, ja sich ihr zu nähern,
außer in Gegenwart von mehreren; und indem er hierüber verdrießlich
war, ward er es über manches andere.
Konnte er Ottilien flüchtig sprechen, so war es nicht nur, sie seiner
Liebe zu versichern, sondern sich auch über seine Gattin, über den
Hauptmann zu beschweren.
Er fühlte nicht, daß er selbst durch sein heftiges Treiben die Kasse
zu erschöpfen auf dem Wege war; er tadelte bitter Charlotten und den
Hauptmann, daß sie bei dem Geschäft gegen die erste Abrede handelten,
und doch hatte er in die zweite Abrede gewilligt, ja er hatte sie
selbst veranlaßt und notwendig gemacht.
Der Haß ist parteiisch, aber die Liebe ist es noch mehr.
Auch Ottilie entfremdete sich einigermaßen von Charlotten und dem
Hauptmann.
Als Eduard sich einst gegen Ottilien über den letztern beklagte, daß
er als Freund und in einem solchen Verhältnisse nicht ganz aufrichtig
handle, versetzte Ottilie unbedachtsam: "es hat mir schon früher
mißfallen, daß er nicht ganz redlich gegen Sie ist.
Ich hörte ihn einmal zu Charlotten sagen: 'wenn uns nur Eduard mit
seiner Flötendudelei verschonte!
Es kann daraus nichts werden und ist für die Zuhörer so lästig.'
Sie können denken, wie mich das geschmerzt hat, da ich Sie so gern
akkompagniere".
Kaum hatte sie es gesagt, als ihr schon der Geist zuflüsterte, daß sie
hätte schweigen sollen; aber es war heraus.
Eduards Gesichtszüge verwandelten sich.
Nie hatte ihn etwas mehr verdrossen; er war in seinen liebsten
Forderungen angegriffen, er war sich eines kindlichen Strebens ohne
die mindeste Anmaßung bewußt.
Was ihn unterhielt, was ihn erfreute, sollte doch mit Schonung von
Freuden behandelt werden.
Er dachte nicht, wie schrecklich es für einen Dritten sei, sich die
Ohren durch ein unzulängliches Talent verletzen zu lassen.
Er war beleidigt, wütend, um nicht wieder zu vergeben.
Er fühlte sich von allen Pflichten losgesprochen.
Die Notwendigkeit, mit Ottilien zu sein, sie zu sehen, ihr etwas
zuzuflüstern, ihr zu vertrauen, wuchs mit jedem Tage.
Er entschloß sich, ihr zu schreiben, sie um einen geheimen
Briefwechsel zu bitten.
Das Streifchen Papier, worauf er dies lakonisch genug getan hatte, lag
auf dem Schreibtisch und ward vom Zugwind heruntergeführt, als der
Kammerdiener hereintrat, ihm die Haare zu kräuseln.
Gewöhnlich, um die Hitze des Eisens zu versuchen, bückte sich dieser
nach Papierschnitzeln auf der Erde; diesmal ergriff er das Billet,
zwickte es eilig, und es war versengt.
Eduard, den Mißgriff bemerkend, riß es ihm aus der Hand.
Bald darauf setzte er sich hin, es noch einmal zu schreiben; es wollte
nicht ganz so zum zweitenmal aus der Feder.
Er fühlte einiges Bedenken, einige Besorgnis, die er jedoch überwand.
Ottilien wurde das Blättchen in die Hand gedrückt, den ersten
Augenblick, wo er sich ihr nähern konnte.
Ottilie versäumte nicht, ihm zu antworten.
Ungelesen steckte er das Zettelchen in die Weste, die, modisch kurz,
es nicht gut verwahrte.
Es schob sich heraus und fiel, ohne von ihm bemerkt zu werden, auf den
Boden.
Charlotte sah es und hob es auf und reichte es ihm mit einem
flüchtigen überblick.
"Hier ist etwas von deiner Hand", sagte sie, "das du vielleicht ungern
verlörest".
Er war betroffen.
'Verstellt sie sich?' dachte er.
'Ist sie den Inhalt des Blättchens gewahr worden, oder irrt sie sich
an der ähnlichkeit der Hände?' Er hoffte, er dachte das letztre.
Er war gewarnt, doppelt gewarnt; aber diese sonderbaren, zufälligen
Zeichen, durch die ein höheres Wesen mit uns zu sprechen scheint,
waren seiner Leidenschaft unverständlich; vielmehr, indem sie ihn
immer weiter führte, empfand er die Beschränkung, in der man ihn zu
halten schien, immer unangenehmer.
Die freundliche Geselligkeit verlor sich.
Sein Herz war verschlossen, und wenn er mit Eduard und Frau
zusammenzusein genötigt war, so gelang es ihm nicht, seine frühere
Neigung zu ihnen in seinem Busen wieder aufzufinden, zu beleben.
Der stille Vorwurf, den er sich selbst hierüber machen mußte, war ihm
unbequem, und er suchte sich durch eine Art von Humor zu helfen, der
aber, weil er ohne Liebe war, auch der gewohnten Anmut ermangelte.
über alle diese Prüfungen half Charlotten ihr inneres Gefühl hinweg.
Sie war sich ihres ernsten Vorsatzes bewußt, auf eine so schöne, edle
Neigung Verzicht zu tun.
Wie sehr wünschte sie, jenen beiden auch zu Hülfe zu kommen!
Entfernung, fühlte sie wohl, wird nicht allein hinreichend sein, ein
solches übel zu heilen.
Sie nimmt sich vor, die Sache gegen das gute Kind zur Sprache zu
bringen; aber sie vermag es nicht; die Erinnerung ihres eignen
Schwankens steht ihr im Wege.
Sie sucht sich darüber im allgemeinen auszudrücken; das Allgemeine
paßt auch auf ihren eignen Zustand, den sie auszusprechen scheut.
Ein jeder Wink, den sie Ottilien geben will, deutet zurück in ihr
eignes Herz.
Sie will warnen und fühlt, daß sie wohl selbst noch einer Warnung
bedürfen könnte.
Schweigend hält sie daher die Liebenden noch immer auseinander, und
die Sache wird dadurch nicht besser.
Leise Andeutungen, die ihr manchmal entschlüpfen, wirken auf Ottilien
nicht; denn Eduard hatte diese von Charlottens Neigung zum Hauptmann
überzeugt, sie überzeugt, daß Charlotte selbst eine Scheidung wünsche,
die er nun auf eine anständige Weise zu bewirken denke.
Ottilie, getragen durch das Gefühl ihrer Unschuld, auf dem Wege zu dem
erwünschtesten Glück, lebt nur für Eduard.
Durch die Liebe zu ihm in allem Guten gestärkt, um seinetwillen
freudiger in ihrem Tun, aufgeschlossener gegen andre, findet sie sich
in einem Himmel auf Erden.
So setzen alle zusammen, jeder auf seine Weise, das tägliche Leben
fort, mit und ohne Nachdenken; alles scheint seinen gewöhnlichen Gang
zu gehen, wie man auch in ungeheuren Fällen, wo alles auf dem Spiele
steht, noch immer so fortlebt, als wenn von nichts die Rede wäre.
Von dem Grafen war indessen ein Brief an den Hauptmann angekommen, und
zwar ein doppelter, einer zum Vorzeigen, der sehr schöne Aussichten in
die Ferne darwies; der andre hingegen, der ein entschiedenes
Anerbieten für die Gegenwart enthielt, eine bedeutende Hof—und
Geschäftsstelle, den Charakter als Major, ansehnlichen Gehalt und
andre Vorteile, sollte wegen verschiedener Nebenumstände noch
geheimgehalten werden.
Auch unterrichtete der Hauptmann seine Freunde nur von jenen
Hoffnungen und verbarg, was so nahe bevorstand.
Indessen setzte er die gegenwärtigen Geschäfte lebhaft fort und machte
in der Stille Einrichtungen, wie alles in seiner Abwesenheit
ungehinderten Fortgang haben könnte.
Es ist ihm nun selbst daran gelegen, daß für manches ein Termin
bestimmt werde, daß Ottiliens Geburtstag manches beschleunige.
Nun wirken die beiden Freunde, obschon ohne ausdrückliches
Einverständnis, gern zusammen.
Eduard ist nun recht zufrieden, daß man durch das Vorauserheben der
Gelder die Kasse verstärkt hat; die ganze Anstalt rückt auf das
rascheste vorwärts.
Die drei Teiche in einen See zu verwandeln, hätte jetzt der Hauptmann
am liebsten ganz widerraten.
Der untere Damm war zu verstärken, die mittlern abzutragen und die
ganze Sache in mehr als einem Sinne wichtig und bedenklich.
Beide Arbeiten aber, wie sie ineinanderwirken konnten, waren schon
angefangen, und hier kam ein junger Architekt, ein ehemaliger Zögling
des Hauptmanns, sehr erwünscht, der teils mit Anstellung tüchtiger
Meister, teils mit Verdingen der Arbeit, wo sichs tun ließ, die Sache
förderte und dem Werke Sicherheit und Dauer versprach; wobei sich der
Hauptmann im stillen freute, daß man seine Entfernung nicht fühlen
würde.
Denn er hatte den Grundsatz, aus einem übernommenen unvollendeten
Geschäft nicht zu scheiden, bis er seine Stelle genugsam ersetzt sähe.
Ja er verachtete diejenigen, die, um ihren Abgang fühlbar zu machen,
erst noch Verwirrung in ihrem Kreise anrichten, indem sie als
ungebildete Selbstler das zu zerstören wünschen, wobei sie nicht mehr
fortwirken sollen.
So arbeitete man immer mit Anstrengung, um Ottiliens Geburtstag zu
verherrlichen, ohne daß man es aussprach oder sichs recht aufrichtig
bekannte.
Nach Charlottens obgleich neidlosen Gesinnungen konnte es doch kein
entschiedenes Fest werden.
Die Jugend Ottiliens, ihre Glücksumstände, das Verhältnis zur Familie
berechtigten sie nicht, als Königin eines Tages zu erscheinen. Und
Eduard wollte nicht davon gesprochen haben, weil alles wie von selbst
entspringen, überraschen und natürlich erfreuen sollte.
Alle kamen daher stillschweigend in dem Vorwande überein, als wenn an
diesem Tage, ohne weitere Beziehung, jenes Lusthaus gerichtet werden
sollte, und bei diesem Anlaß konnte man dem Volke sowie den Freunden
ein Fest ankündigen.
Eduards Neigung war aber grenzenlos.
Wie er sich Ottilien zuzueignen begehrte, so kannte er auch kein Maß
des Hingebens, Schenkens, Versprechens.
Zu einigen Gaben, die er Ottilien an diesem Tage verehren wollte,
hatte ihm Charlotte viel zu ärmliche Vorschläge getan.
Er sprach mit seinem Kammerdiener, der seine Garderobe besorgte und
mit Handelsleuten und Modehändlern in beständigem Verhältnis blieb;
dieser, nicht unbekannt sowohl mit den angenehmsten Gaben selbst als
mit der besten Art, sie zu überreichen, bestellte sogleich in der
Stadt den niedlichsten Koffer, mit rotem Saffian überzogen, mit
Stahlnägeln beschlagen und angefüllt mit Geschenken, einer solchen
Schale würdig.
Noch einen andern Vorschlag tat er Eduarden.
Es war ein kleines Feuerwerk vorhanden, das man immer abzubrennen
versäumt hatte.
Dies konnte man leicht verstärken und erweitern.
Eduard ergriff den Gedanken, und jener versprach, für die Ausführung
zu sorgen.
Die Sache sollte ein Geheimnis bleiben.
Der Hauptmann hatte unterdessen, je näher der Tag heranrückte, seine
polizeilichen Einrichtungen getroffen, die er für so nötig hielt, wenn
eine Masse Menschen zusammenberufen oder -gelockt wird. Ja sogar
hatte er wegen des Bettelns und andrer Unbequemlichkeiten, wodurch die
Anmut eines Festes gestört wird, durchaus Vorsorge genommen.
Eduard und sein Vertrauter dagegen beschäftigten sich vorzüglich mit
dem Feuerwerk.
Am mittelsten Teiche vor jenen großen Eichbäumen sollte es abgebrannt
werden; gegenüber unter den Platanen sollte die Gesellschaft sich
aufhalten, um die Wirkung aus gehöriger Ferne, die Abspiegelung im
Wasser, und was auf dem Wasser selbst brennend zu schwimmen bestimmt
war, mit Sicherheit und Bequemlichkeit anzuschauen.
Unter einem andern Vorwand ließ daher Eduard den Raum unter den
Platanen von Gesträuch, Gras und Moos säubern, und nun erschien erst
die Herrlichkeit des Baumwuchses sowohl an Höhe als Breite auf dem
gereinigten Boden.
Eduard empfand darüber die größte Freude.
'Es war ungefähr um diese Jahrszeit, als ich sie pflanzte. Wie lange
mag es her sein?' sagte er zu sich selbst.
Sobald er nach Hause kam, schlug er in alten Tagebüchern nach, die
sein Vater, besonders auf dem Lande, sehr ordentlich geführt hatte.
Zwar diese Pflanzung konnte nicht darin erwähnt sein, aber eine andre
häuslich wichtige Begebenheit an demselben Tage, deren sich Eduard
noch wohl erinnerte, mußte notwendig darin angemerkt stehen.
Er durchblättert einige Bände, der Umstand findet sich.
Aber wie erstaunt, wie erfreut ist Eduard, als er das wunderbarste
Zusammentreffen bemerkt!
Der Tag, das Jahr jener Baumpflanzung ist zugleich der Tag, das Jahr
von Ottiliens Geburt.
Endlich leuchtete Eduarden der sehnlich erwartete Morgen, und nach und
nach stellten viele Gäste sich ein; denn man hatte die Einladungen
weit umhergeschickt, und manche, die das Legen des Grundsteins
versäumt hatten, wovon man soviel Artiges erzählte, wollten diese
zweite Feierlichkeit um so weniger verfehlen.
Vor Tafel erschienen die Zimmerleute mit Musik im Schloßhofe, ihren
reichen Kranz tragend, der aus vielen stufenweise übereinander
schwankenden Laub—und Blumenreifen zusammengesetzt war.
Sie sprachen ihren Gruß und erbaten sich zur gewöhnlichen
Ausschmückung seidene Tücher und Bänder von dem schönen Geschlecht.
Indes die Herrschaft speiste, setzten sie ihren jauchzenden Zug weiter
fort, und nachdem sie sich eine Zeitlang im Dorfe aufgehalten und
daselbst Frauen und Mädchen gleichfalls um manches Band gebracht, so
kamen sie endlich, begleitet und erwartet von einer großen Menge, auf
die Höhe, wo das gerichtete Haus stand.
Charlotte hielt nach der Tafel die Gesellschaft einigermaßen zurück.
Sie wollte keinen feierlichen, förmlichen Zug, und man fand Sich daher
in einzelnen Partieen, ohne Rang und Ordnung, auf dem Platz gemächlich
ein.
Charlotte zögerte mit Ottilien und machte dadurch die Sache nicht
besser; denn weil Ottilie wirklich die letzte war, die herantrat, so
schien es, als wenn Trompeten und Pauken nur auf sie gewartet hätten,
als wenn die Feierlichkeit bei ihrer Ankunft nun gleich beginnen müßte.
Dem Hause das rohe Ansehn zu nehmen, hatte man es mit grünem Reisig
und Blumen, nach Angabe des Hauptmanns, architektonisch ausgeschmückt;
allein ohne dessen Mitwissen hatte Eduard den Architekten veranlaßt,
in dem Gesims das Datum mit Blumen zu bezeichnen.
Das mochte noch hingehen; allein zeitig genug langte der Hauptmann an,
um zu verhindern, daß nicht auch der Name Ottiliens im Giebelfelde
glänzte.
Er wußte dieses Beginnen auf eine geschickte Weise abzulehnen und die
schon fertigen Blumenbuchstaben beiseitezubringen.
Der Kranz war aufgesteckt und weit umher in der Gegend sichtbar.
Bunt flatterten die Bänder und Tücher in der Luft, und eine kurze Rede
verscholl zum größten Teil im Winde.
Die Feierlichkeit war zu Ende, der Tanz auf dem geebneten und mit
Lauben umkreiseten Platze vor dem Gebäude sollte nun angehen.
Ein schmucker Zimmergeselle führte Eduarden ein flinkes Bauermädchen
zu und forderte Ottilien auf, welche danebenstand.
Die beiden Paare fanden sogleich ihre Nachfolger, und bald genug
wechselte Eduard, indem er Ottilien ergriff und mit ihr die Runde
machte.
Die jüngere Gesellschaft mischte sich fröhlich in den Tanz des Volks,
indes die ältern beobachteten.
Sodann, ehe man sich auf den Spaziergängen zerstreute, ward abgeredet,
daß man sich mit Untergang der Sonne bei den Platanen wieder
versammeln wollte.
Eduard fand sich zuerst ein, ordnete alles und nahm Abrede mit dem
Kammerdiener, der auf der andern Seite in Gesellschaft des
Feuerwerkers die Lusterscheinungen zu besorgen hatte.
Der Hauptmann bemerkte die dazu getroffenen Vorrichtungen nicht mit
Vergnügen; er wollte wegen des zu erwartenden Andrangs der Zuschauer
mit Eduard sprechen, als ihn derselbe etwas hastig bat, er möge ihm
diesen Teil der Feierlichkeit doch allein überlassen.
Schon hatte sich das Volk auf die oberwärts abgestochenen und vom
Rasen entblößten Dämme gedrängt, wo das Erdreich uneben und unsicher
war.
Die Sonne ging unter, die Dämmerung trat ein, und in Erwartung
größerer Dunkelheit wurde die Gesellschaft unter den Platanen mit
Erfrischungen bedient.
Man fand den Ort unvergleichlich und freute sich in Gedanken, künftig
von hier die Aussicht auf einen weiten und so mannigfaltig begrenzten
See zu genießen.
Ein ruhiger Abend, eine vollkommene Windstille versprachen das
nächtliche Fest zu begünstigen, als auf einmal ein entsetzliches
Geschrei entstand.
Große Schollen hatten sich vom Damme losgetrennt, man sah mehrere
Menschen ins Wasser stürzen.
Das Erdreich hatte nachgegeben unter dem Drängen und Treten der immer
zunehmenden Menge.
Jeder wollte den besten Platz haben, und nun konnte niemand vorwärts
noch zurück.
Jedermann sprang auf und hinzu, mehr um zu schauen als zu tun; denn
was war da zu tun, wo niemand hinreichen konnte.
Nebst einigen Entschlossenen eilte der Hauptmann herbei, trieb
sogleich die Menge von dem Damm herunter nach den Ufern, um den
Hülfreichen freie Hand zu geben, welche die Versinkenden
herauszuziehen suchten.
Schon waren alle teils durch eignes, teils durch fremdes Bestreben
wieder auf dem Trochnen, bis auf einen Knaben, der durch allzu
ängstliches Bemühen, statt sich dem Damm zu nähern, sich davon
entfernt hatte.
Die Kräfte schienen ihn zu verlassen, nur einigemal kam noch eine Hand,
ein Fuß in die Höhe.
Unglücklicherweise war der Kahn auf der andern Seite, mit Feuerwerk
gefüllt, nur langsam konnte man ihn ausladen, und die Hülfe verzögerte
sich.
Des Hauptmanns Entschluß war gefaßt, er warf die Oberkleider weg,
aller Augen richteten sich auf ihn, und seine tüchtige, kräftige
Gestalt flößte jedermann Zutrauen ein; aber ein Schrei der
überraschung drang aus der Menge hervor, als er sich ins Wasser
stürzte, jedes Auge begleitete ihn, der als geschickter Schwimmer den
Knaben bald erreichte und ihn, jedoch für tot, an den Damm brachte.
Indessen ruderte der Kahn herbei, der Hauptmann bestieg ihn und
forschte genau von den Anwesenden, ob denn auch wirklich alle gerettet
seien.
Der Chirurgus kommt und übernimmt den totgeglaubten Knaben; Charlotte
tritt hinzu, sie bittet den Hauptmann, nur für sich zu sorgen, nach
dem Schlosse zurückzukehren und die Kleider zu wechseln.
Er zaudert, bis ihm gesetzte, verständige Leute, die ganz nahe
gegenwärtig gewesen, die selbst zur Rettung der einzelnen beigetragen,
auf das heiligste versichern, daß alle gerettet seien.
Charlotte sieht ihn nach Hause gehen, sie denkt, daß Wein und Tee und
was sonst nötig wäre, verschlossen ist, daß ein solchen Fällen die
Menschen gewöhnlich verkehrt handeln; sie eilt durch die zerstreute
Gesellschaft, die sich noch unter den Platanen befindet.
Eduard ist beschäftigt, jedermann zuzureden: man soll bleiben; in
kurzem gedenkt er das Zeichen zu geben, und das Feuerwerk soll
beginnen.
Charlotte tritt hinzu und bittet ihn, ein Vergnügen zu verschieben,
das jetzt nicht am Platze sei, das in dem gegenwärtigen Augenblick
nicht genossen werden könne; sie erinnert ihn, was man dem Geretteten
und dem Retter schuldig sei.
"Der Chirurgus wird schon seine Pflicht tun", versetzte Eduard.
"Er ist mit allem versehen, und unser Zudringen wäre nur eine
hinderliche Teilnahme".
Charlotte bestand auf ihrem Sinne und winkte Ottilien, die sich
sogleich zum Weggehen anschickte.
Eduard ergriff ihre Hand und rief: "wir wollen diesen Tag nicht im
Lazarett endigen!
Zur barmherzigen Schwester ist sie zu gut.
Auch ohne uns werden die Scheintoten erwachen und die Lebendigen sich
abtrocknen".
Charlotte schwieg und ging.
Einige folgten ihr, andere diesen; endlich wollte niemand der Letzte
sein, und so folgten alle.
Eduard und Ottilie fanden sich allein unter den Platanen.
Er bestand darauf, zu bleiben, so dringend, so ängstlich sie ihn auch
bat, mit ihr nach dem Schlosse zurückzukehren.
"Nein, Ottilie!" rief er, "das Außerordentliche geschieht nicht auf
glattem, gewöhnlichem Wege.
Dieser überraschende Vorfall von heute abend bringt uns schneller
zusammen.
Du bist die Meine!
Ich habe dirs schon so oft gesagt und geschworen; wir wollen es nicht
mehr sagen und schwören, nun soll es werden".
Der Kahn von der andern Seite schwamm herüber.
Es war der Kammerdiener, der verlegen anfragte, was nunmehr mit dem
Feuerwerk werden sollte.
"Brennt es ab!" rief er ihm entgegen.
"Für dich allein war es bestellt, Ottilie, und nun sollst du es auch
allein sehen!
Erlaube mir, an deiner Seite sitzend, es mitzugenießen".
Zärtlich bescheiden setzte er sich neben sie, ohne sie zu berühren.
Raketen rauschten auf, Kanonenschläge donnerten, Leuchtkugeln stiegen,
Schwärmer schlängelten und platzten, Räder gischten, jedes erst
einzeln, dann gepaart, dann alle zusammen und immer gewaltsamer
hintereinander und zusammen.
Eduard, dessen Busen brannte, verfolgte mit lebhaft zufriedenem Blick
diese feurigen Erscheinungen.
Ottiliens zartem, aufgeregtem Gemüt war dieses rauschende, blitzende
Entstehen und Verschwinden eher ängstlich als angenehm.
Sie lehnte sich schüchtern an Eduard, dem diese Annäherung, dieses
Zutrauen das volle Gefühl gab, daß sie ihm ganz angehöre.
Die Nacht war kaum in ihre Rechte wieder eingetreten, als der Mond
aufging und die Pfade der beiden Rückkehrenden beleuchtete.
Eine Figur, den Hut in der Hand, vertrat ihnen den Weg und sprach sie
um ein Almosen an, da er an diesem Festlichen Tage versäumt worden sei.
Der Mond schien ihm ins Gesicht, und Eduard erkannte die Züge jenes
zudringlichen Bettlers.
Aber so glücklich wie er war, konnte er nicht ungehalten sein, konnte
es ihm nicht einfallen, daß besonders für heute das Betteln höchlich
verpönt worden.
Er forschte nicht lange in der Tasche und gab ein Goldstück hin.
Er hätte jeden gern glücklich gemacht, da sein Glück ohne Grenzen
schien.
Zu Hause war indes alles erwünscht gelungen.
Die Tätigkeit des Chirurgen, die Bereitschaft alles Nötigen, der
Beistand Charlottens, alles wirkte zusammen, und der Knabe ward wieder
zum Leben hergestellt.
Die Gäste zerstreuten sich, sowohl um noch etwas vom Feuerwerk aus der
Ferne zu sehen, als auch um nach solchen verworrnen Szenen ihre ruhige
Heimat wieder zu betreten.
Auch hatte der Hauptmann, geschwind umgekleidet, an der nötigen
Vorsorge tätigen Anteil genommen; alles war beruhigt, und er fand sich
mit Charlotten allein.
Mit zutraulicher Freundlichkeit erklärte er nun, daß seine Abreise
nahe bevorstehe.
Sie hatte diesen Abend so viel erlebt, daß diese Entdeckung wenig
Eindruck auf sie machte; sie hatte gesehen, wie der Freund sich
aufopferte, wie er rettete und selbst gerettet war.
Diese wunderbaren Ereignisse schienen ihr eine bedeutende Zukunft,
aber keine unglückliche zu weissagen.
Eduarden, der mit Ottilien hereintrat, wurde die bevorstehende Abreise
des Hauptmanns gleichfalls angekündigt.
Er argwohnte, daß Charlotte früher um das Nähere gewußt habe, war aber
viel zu sehr mit sich und seinen Absichten beschäftigt, als daß er es
hätte übel empfinden sollen.
Im Gegenteil vernahm er aufmerksam und zufrieden die gute und
ehrenvolle Lage, in die der Hauptmann versetzt werden sollte.
Unbändig drangen seine geheimen Wünsche den Begebenheiten vor. Schon
sah er jenen mit Charlotten verbunden, sich mit Ottilien.
Man hätte ihm zu diesem Fest kein größeres Geschenk machen können.
Aber wie erstaunt war Ottilie, als sie auf ihr Zimmer trat und den
köstlichen kleinen Koffer auf ihrem Tische fand!
Sie säumte nicht, ihn zu eröffnen.
Da zeigte sich alles so schön gepackt und geordnet, daß sie es nicht
auseinanderzunehmen, ja kaum zu lüften wagte.
Musselin, Batist, Seide, Schals und Spitzen wetteiferten an Feinheit,
Zierlichkeit und Kostbarkeit.
Auch war der Schmuck nicht vergessen.
Sie begriff wohl die Absicht, sie mehr als einmal vom Kopf bis auf den
Fuß zu kleiden; es war aber alles so kostbar und fremd, daß sie sichs
in Gedanken nicht zuzueignen getraute.
Des andern Morgens war der Hauptmann verschwunden und ein dankbar
gefühltes Blatt an die Freunde von ihm zurückgeblieben.
Er und Charlotte hatten abends vorher schon halben und einsilbigen
Abschied genommen.
Sie empfand eine ewige Trennung und ergab sich darein; denn in dem
zweiten Briefe des Grafen, den ihr der Hauptmann zuletzt mitteilte,
war auch von einer Aussicht auf eine vorteilhafte Heirat die Rede, und
obgleich er diesem Punkt keine Aufmerksamkeit schenkte, so hielt sie
doch die Sache schon für gewiß und entsagte ihm rein und völlig.
Dagegen glaubte sie nun auch die Gewalt, die sie über sich selbst
ausgeübt, von andern fordern zu können.
Ihr war es nicht unmöglich gewesen, andern sollte das gleiche möglich
sein.
In diesem Sinne begann sie das Gespräch mit ihrem Gemahl, um so mehr
offen und zuversichtlich, als sie empfand, daß die Sache ein für
allemal abgetan werden müsse.
"Unser Freund hat uns verlassen", sagte sie; "wir sind nun wieder
gegeneinander über wie vormals, und es käme nun wohl auf uns an, ob
wir wieder völlig in den alten Zustand zurückkehren wollten".
Eduard, der nichts vernahm, als was seiner Leidenschaft schmeichelte,
glaubte, daß Charlotte durch diese Worte den früheren Witwenstand
bezeichnen und, obgleich auf unbestimmte Weise, zu einer Scheidung
Hoffnung machen wolle.
Er antwortete deshalb mit Lächeln: "warum nicht?
Es käme nur darauf an, daß man sich verständigte".
Er fand sich daher gar sehr betrogen, als Charlotte versetzte: "auch
Ottilien in eine andere Lage zu bringen, haben wir gegenwärtig nur zu
wählen; denn es findet sich eine doppelte Gelegenheit, ihr
Verhältnisse zu geben, die für sie wünschenswert sind.
Sie kann in die Pension zurückkehren, da meine Tochter zur Großtante
gezogen ist; sie kann in ein angesehenes Haus aufgenommen werden, um
mit einer einzigen Tochter alle Vorteile einer standesmäßigen
Erziehung zu genießen".
"Indessen", versetzte Eduard ziemlich gefaßt, "hat Ottilie sich in
unserer freundlichen Gesellschaft so verwöhnt, daß ihr eine andere
wohl schwerlich willkommen sein möchte".
"Wir haben uns alle verwöhnt", sagte Charlotte, "und du nicht zum
letzten.
Indessen ist es eine Epoche, die uns zur Besinnung auffordert, die uns
ernstlich ermahnt, an das Beste sämtlicher Mitglieder unseres kleinen
Zirkels zu denken und auch irgendeine Aufopferung nicht zu versagen".
"Wenigstens finde ich es nicht billig", versetzte Eduard, "daß Ottilie
aufgeopfert werde, und das geschähe doch, wenn man sie gegenwärtig
unter fremde Menschen hinunterstieße.
Den Hauptmann hat sein gutes Geschick hier aufgesucht; wir dürfen ihn
mit Ruhe, ja mit Behagen von uns wegscheiden lassen.
Wer weiß, was Ottilien bevorsteht; warum sollten wir uns übereilen?"
"Was uns bevorsteht, ist ziemlich klar", versetzte Charlotte mit
einiger Bewegung, und da sie die Absicht hatte, ein für allemal sich
auszusprechen, fuhr sie fort: "du liebst Ottilien, du gewöhnst dich an
sie.
Neigung und Leidenschaft entspringt und nährt sich auch von ihrer
Seite.
Warum sollen wir nicht mit Worten aussprechen, was uns jede Stunde
gesteht und bekennt?
Sollen wir nicht soviel Vorsicht haben, uns zu fragen, was das werden
wird?" "Wenn man auch sogleich nicht darauf antworten kann",
versetzte Eduard, der sich zusammennahm, "so läßt sich doch soviel
sagen, daß man eben alsdann sich am ersten entschließt abzuwarten, was
uns die Zukunft lehren wird, wenn man gerade nicht sagen kann, was aus
einer Sache werden soll".
"Hier vorauszusehen", versetzte Charlotte, "bedarf es wohl keiner
großen Weisheit, und soviel läßt sich auf alle Fälle gleich sagen, daß
wir beide nicht mehr jung genug sind, um blindlings dahin zu gehen,
wohin man nicht möchte oder nicht sollte.
Niemand kann mehr für uns sorgen; wir müssen unsre eigenen Freunde
sein, unsre eigenen Hofmeister.
Niemand erwartet von uns, daß wir uns in ein äußerstes verlieren
werden, niemand erwartet, uns tadelnswert oder gar lächerlich zu
finden".
"Kannst du mirs verdenken", versetzte Eduard, der die offne, reine
Sprache seiner Gattin nicht zu erwidern vermochte, "kannst du mich
schelten, wenn mir Ottiliens Glück am Herzen liegt?
Und nicht etwa ein künftiges, das immer nicht zu berechnen ist,
sondern ein gegenwärtiges?
Denke dir aufrichtig und ohne Selbstbetrug Ottilien aus unserer
Gesellschaft gerissen und fremden Menschen untergeben—ich wenigstens
fühle mich nicht grausam genug, ihr eine solche Veränderung zuzumuten".
Charlotte ward gar wohl die Entschlossenheit ihres Gemahls hinter
seiner Verstellung gewahr.
Erst jetzt fühlte sie, wie weit er sich von ihr entfernt hatte.
Mit einiger Bewegung rief sie aus: "kann Ottilie glücklich sein, wenn
sie uns entzweit, wenn sie mir einen Gatten, seinen Kindern einen
Vater entreißt?" "Für unsere Kinder, dächte ich, wäre gesorgt", sagte
Eduard lächelnd und kalt; etwas freundlicher aber fügte er hinzu: "wer
wird auch gleich das äußerste denken!" "Das äußerste liegt der
Leidenschaft zu allernächst", bemerkte Charlotte.
"Lehne, solange es noch Zeit ist, den guten Rat nicht ab, nicht die
Hülfe, die ich uns biete.
In trüben Fällen muß derjenige wirken und helfen, der am klarsten
sieht.
Diesmal bin ichs.
Lieber, liebster Eduard, laß mich gewähren!
Kannst du mir zumuten, daß ich auf mein wohlerworbenes Glück, auf die
schönsten Rechte, auf dich so geradehin Verzicht leisten soll?" "Wer
sagt das?" versetzte Eduard mit einiger Verlegenheit.
"Du selbst", versetzte Charlotte; "indem du Ottilien in der Nähe
behalten willst, gestehst du nicht alles zu, was daraus entspringen
muß?
Ich will nicht in dich dringen; aber wenn du dich nicht überwinden
kannst, so wirst du wenigstens dich nicht lange mehr betriegen können".
Eduard fühlte, wie recht sie hatte.
Ein ausgesprochenes Wort ist fürchterlich, wenn es das auf einmal
ausspricht, was das Herz lange sich erlaubt hat; und um nur für den
Augenblick auszuweichen, erwiderte Eduard: "es ist mir ja noch nicht
einmal klar, was du vorhast".
"Meine Absicht war", versetzte Charlotte, "mit dir die beiden
Vorschläge zu überlegen.
Beide haben viel Gutes.
Die Pension würde Ottilien am gemäßesten sein, wenn ich betrachte, wie
das Kind jetzt ist.
Jene größere und weitere Lage verspricht aber mehr, wenn ich bedenke,
was sie werden soll".
Sie legte darauf umständlich ihrem Gemahl die beiden Verhältnisse dar
und schloß mit den Worten: "was meine Meinung betrifft, so würde ich
das Haus jener Dame der Pension vorziehen aus mehreren Ursachen,
besonders aber auch, weil ich die Neigung, ja die Leidenschaft des
jungen Mannes, den Ottilie dort für sich gewonnen, nicht vermehren
will".
Eduard schien ihr Beifall zu geben, nur aber, um einigen Aufschub zu
suchen.
Charlotte, die darauf ausging, etwas Entscheidendes zu tun, ergriff
sogleich die Gelegenheit, als Eduard nicht unmittelbar widersprach,
die Abreise Ottiliens, zu der sie schon alles im stillen vorbereitet
hatte, auf die nächsten Tage festzusetzen.
Eduard schauderte, er hielt sich für verraten und die liebevolle
Sprache seiner Frau für ausgedacht, künstlich und planmäßig, um ihn
auf ewig von seinem Glücke zu trennen.
Er schien ihr die Sache ganz zu überlassen; allein schon war innerlich
sein Entschluß gefaßt.
Um nur zu Atem zu kommen, um das bevorstehende unabsehliche Unheil der
Entfernung Ottiliens abzuwenden, entschied er sich, sein Haus zu
verlassen, und zwar nicht ganz ohne Vorbewußt Charlottens, die er
jedoch durch die Einleitung zu täuschen verstand, daß er bei Ottiliens
Abreise nicht gegenwärtig sein, ja sie von diesem Augenblick an nicht
mehr sehen wolle.
Charlotte, die gewonnen zu haben glaubte, tat ihm allen Vorschub.
Er befahl seine Pferde, gab dem Kammerdiener die nötige Anweisung, was
er einpacken und wie er ihm folgen solle, und so, wie schon im
Stegreife, setzte er sich hin und schrieb.
"Das übel, meine Liebe, das uns befallen hat, mag heilbar sein oder
nicht, dies nur fühle ich: wenn ich im Augenblicke nicht verzweifeln
soll, so muß ich Aufschub finden für mich, für uns alle.
Indem ich mich aufopfre, kann ich fordern.
Ich verlasse mein Haus und kehre nur unter günstigern, ruhigern
Aussichten zurück.
Du sollst es indessen besitzen, aber mit Ottilien.
Bei dir will ich sie wissen, nicht unter fremden Menschen.
Sorge für sie, behandle sie wie sonst, wie bisher, ja nur immer
liebevoller, freundlicher und zarter.
Ich verspreche, kein heimliches Verhältnis zu Ottilien zu suchen.
Laßt mich lieber eine Zeitlang ganz unwissend, wie ihr lebt; ich will
mir das Beste denken.
Denkt auch so von mir.
Nur, was ich dich bitte, auf das innigste, auf das lebhafteste: mache
keinen Versuch, Ottilien sonst irgendwo unterzugeben, in neue
Verhältnisse zu bringen!
Außer dem Bezirk deines Schlosses, deines Parks, fremden Menschen
anvertraut, gehört sie mir, und ich werde mich ihrer bemächtigen.
Ehrst du aber meine Neigung, meine Wünsche, meine Schmerzen,
schmeichelst du meinem Wahn, meinen Hoffnungen, so will ich auch der
Genesung nicht widerstreben, wenn sie sich mir anbietet".
Diese letzte Wendung floß ihm aus der Feder, nicht aus dem Herzen.
Ja, wie er sie auf dem Papier sah, fing er bitterlich an zu weinen.
Er sollte auf irgendeine Weise dem Glück, ja dem Unglück, Ottilien zu
lieben, entsagen!
Jetzt fühlte er, was er tat.
Er entfernte sich, ohne zu wissen, was daraus entstehen konnte.
Er sollte sie wenigstens jetzt nicht wiedersehen; ob er sie je
widersähe, welche Sicherheit konnte er sich darüber versprechen?
Aber der Brief war geschrieben; die Pferde standen vor der Tür; jeden
Augenblick mußte er fürchten, Ottilien irgendwo zu erblicken und
zugleich seinen Entschluß vereitelt zu sehen.
Er faßte sich; er dachte, daß es ihm doch möglich sei, jeden
Augenblick zurückzukehren und durch die Entfernung gerade seinen
Wünschen näher zu kommen.
Im Gegenteil stellte er sich Ottilien vor, aus dem Hause gedrängt,
wenn er bliebe.
Er siegelte den Brief, eilte die Treppe hinab und schwang sich aufs
Pferd.
Als er beim Wirtshause vorbeitritt, sah er den Bettler in der Laube
sitzen, den er gestern nacht so reichlich beschenkt hatte.
Dieser saß behaglich an seinem Mittagsmahle, stand auf und neigte
sich ehrerbietig, ja anbetend vor Eduarden.
Eben diese Gestalt war ihm gestern erschienen, als er Ottilien am Arm
führte; nun erinnerte sie ihn schmerzlich an die glücklichste Stunde
seines Lebens.
Seine Leiden vermehrten sich; das Gefühl dessen, was er zurückließ,
war ihm unerträglich; nochmals blickte er nach dem Bettler: "o du
Beneidenswerter!" rief er aus; "du kannst noch am gestrigen Almosen
zehren und ich nicht mehr am gestrigen Glücke!" Ottilie trat ans
Fenster, als sie jemanden wegreiten hörte, und sah Eduarden noch im
Rücken.
Es kam ihr wunderbar vor, daß er das Haus verließ, ohne sie gesehen,
ohne ihr einen Morgengruß geboten zu haben.
Sie ward unruhig und immer nachdenklicher, als Charlotte sie auf einen
weiten Spaziergang mit sich zog und von mancherlei Gegenständen sprach,
aber des Gemahls, und wie es schien vorsätzlich, nicht erwähnte.
Doppelt betroffen war sie daher, bei ihrer Zurückkunft den Tisch nur
mit zwei Gedecken besetzt zu finden.
Wir vermissen ungern gering scheinende Gewohnheiten, aber schmerzlich
empfinden wir erst ein solches Entbehren in bedeutenden Fällen.
Eduard und der Hauptmann fehlten, Charlotte hatte seit langer Zeit zum
erstenmal den Tisch selbst angeordnet, und es wollte Ottilien scheinen,
als wenn sie abgesetzt wäre.
Die beiden Frauen saßen gegeneinander über; Charlotte sprach ganz
unbefangen von der Anstellung des Hauptmanns und von der wenigen
Hoffnung, ihn bald wiederzusehen.
Das einzige tröstete Ottilien in ihrer Lage, daß sie glauben konnte,
Eduard sei, um den Freund noch eine Strecke zu begleiten, ihm
nachgeritten.
Allein da sie von Tische aufstanden, sahen sie Eduards Reisewagen
unter dem Fenster, und als Charlotte einigermaßen unwillig fragte, wer
ihn hieher bestellt habe, so antwortete man ihr, es sei der
Kammerdiener, der hier noch einiges aufpacken wolle.
Ottilie brauchte ihre ganze Fassung, um ihre Verwunderung und ihren
Schmerz zu verbergen.
Der Kammerdiener trat herein und verlangte noch einiges.
Es war eine Mundtasse des Herrn, ein paar silberne Löffel und
mancherlei, was Ottilien auf eine weitere Reise, auf ein längeres
Außenbleiben zu deuten schien.
Charlotte verwies ihm sein Begehren ganz trocken: sie verstehe nicht,
was er damit sagen wolle; denn er habe ja alles, was sich auf den
Herrn beziehe, selbst im Beschluß.
Der gewandte Mann, dem es freilich nur darum zu tun war, Ottilien zu
sprechen und sie deswegen unter irgendeinem Vorwande aus dem Zimmer zu
locken, wußte sich zu entschuldigen und auf seinem Verlangen zu
beharren, das ihm Ottilie auch zu gewähren wünschte; allein Charlotte
lehnte es ab, der Kammerdiener mußte sich entfernen, und der Wagen
rollte fort.
Es war für Ottilien ein schrecklicher Augenblick.
Sie verstand es nicht, sie begriff es nicht; aber daß ihr Eduard auf
geraume Zeit entrissen war, konnte sie fühlen.
Charlotte fühlte den Zustand mit und ließ sie allein.
Wir wagen nicht, ihren Schmerz, ihre Tränen zu schildern.
Sie litt unendlich.
Sie bat nur Gott, daß er ihr nur über diesen Tag weghelfen möchte; sie
überstand den Tag und die Nacht, und als sie sich wiedergefunden,
glaubte sie, ein anderes Wesen anzutreffen.
Sie hatte sich nicht gefaßt, sich nicht ergeben, aber sie war nach so
großem Verluste noch da und hatte noch mehr zu befürchten.
Ihre nächste Sorge, nachdem das Bewußtsein wiedergekehrt, war sogleich,
sie möchte nun, nach Entfernung der Männer, gleichfalls entfernt
werden.
Sie ahnte nichts von Eduards Drohungen, wodurch ihr der Aufenthalt
neben Charlotten gesichert war; doch diente ihr das Betragen
Charlottens zu einiger Beruhigung.
Diese suchte das gute Kind zu beschäftigen und ließ sie nur selten,
nur ungern von sich; und ob sie gleich wohl wußte, daß man mit Worten
nicht viel gegen eine entschiedene Leidenschaft zu wirken vermag, so
kannte sie doch die Macht der Besonnenheit, des Bewußtseins, und
brachte daher manches zwischen sich und Ottilien zur Sprache.
So war es für diese ein großer Trost, als jene gelegentlich mit
Bedacht und Vorsatz die weise Betrachtung anstellte: "wie lebhaft ist",
sagte sie, "die Dankbarkeit derjenigen, denen wir mit Ruhe über
leidenschaftliche Verlegenheiten hinaushelfen!
Laß uns freudig und munter in das eingreifen, was die Männer
unvollendet zurückgelassen haben; so bereiten wir uns die schönste
Aussicht auf ihre Rückkehr, indem wir das, was ihr stürmendes,
ungeduldiges Wesen zerstören möchte, durch unsre Mäßigung erhalten und
fördern".
"Da Sie von Mäßigung sprechen, liebe Tante", versetzte Ottilie, "so
kann ich nicht bergen, daß mir dabei die Unmäßigkeit der Männer,
besonders was den Wein betrifft, einfällt.
Wie oft hat es mich betrübt und geängstigt, wenn ich bemerken mußte,
daß reiner Verstand, Klugheit, Schonung anderer, Anmut und
Liebenswürdigkeit selbst für mehrere Stunden verlorengingen und oft
statt alles des Guten, was ein trefflicher Mann hervorzubringen und zu
gewähren vermag, Unheil und Verwirrung hereinzubrechen drohte!
Wie oft mögen dadurch gewaltsame Entschließungen veranlaßt werden!"
Charlotte gab ihr recht, doch setzte sie das Gespräch nicht fort; denn
sie fühlte nur zu wohl, daß auch hier Ottilie bloß Eduarden wieder im
Sinne hatte, der zwar nicht gewöhnlich, aber doch öfter, als es
wünschenswert war, sein Vergnügen, seine Gesprächigkeit, seine
Tätigkeit durch einen gelegentlichen Weingenuß zu steigern pflegte.
Hatte bei jener äußerung Charlottens sich Ottilie die Männer,
besonders Eduarden, wieder herandenken können, so war es ihr um desto
auffallender, als Charlotte von einer bevorstehenden Heirat des
Hauptmanns wie von einer ganz bekannten und gewissen Sache sprach,
wodurch denn alles ein andres Ansehn gewann, als sie nach Eduards
frühern Versicherungen sich vorstellen mochte.
Durch alles dies vermehrte sich die Aufmerksamkeit Ottiliens auf jede
äußerung, jeden Wink, jede Handlung, jeden Schritt Charlottens.
Ottilie war klug, scharfsinnig, argwöhnisch geworden, ohne es zu
wissen.
Charlotte durchdrang indessen das einzelne ihrer ganzen Umgebung mit
scharfem Blick und wirkte darin mit ihrer klaren Gewandtheit, wobei
sie Ottilien beständig teilzunehmen nötigte.
Sie zog ihren Haushalt ohne Bänglichkeit ins Enge; ja, wenn sie alles
genau betrachtete, so hielt sie den leidenschaftlichen Vorfall für
eine Art von glücklicher Schickung.
Denn auf den bisherigen Wege wäre man leicht ins Grenzenlose geraten
und hätte den schönen Zustand reichlicher Glücksgüter, ohne sich
zeitig genug zu besinnen, durch ein vordringliches Leben und Treiben,
wo nicht zerstört, doch erschüttert.
Was von Parkanlagen im Gange war, störte sie nicht.
Sie ließ vielmehr dasjenige fortsetzen, was zum Grunde künftiger
Ausbildung liegen mußte; aber dabei hatte es auch sein Bewenden. Ihr
zurückkehrender Gemahl sollte noch genug erfreuliche Beschäftigung
finden.
Bei diesen Arbeiten und Vorsätzen konnte sie nicht genug das
Verfahren des Architekten loben.
Der See lag in kurzer Zeit ausgebreitet vor ihren Augen und die
neuentstandenen Ufer zierlich und mannigfaltig bepflanzt und beraset.
An dem neuen Hause ward alle rauhe Arbeit vollbracht, was zur
Erhaltung nötig war, besorgt, und dann machte sie einen Abschluß da,
wo man mit Vergnügen wieder von vorn anfangen konnte.
Dabei war sie ruhig und heiter; Ottilie schien es nur; denn in allem
beobachtete sie nichts als Symptome, ob Eduard wohl bald erwartet
werde oder nicht.
Nichts interessierte sie an allem als diese Betrachtung.
Willkommen war ihr daher eine Anstalt, zu der man die Bauerknaben
versammelte und die darauf abzielte, den weitläufig gewordenen Park
immer rein zu erhalten.
Eduard hatte schon den Gedanken gehegt.
Man ließ den Knaben eine Art von heiterer Montierung machen, die sie
in den Abendstunden anzogen, nachdem sie sich durchaus gereinigt und
gesäubert hatten.
Die Garderobe war im Schloß; dem verständigsten, genausten Knaben
vertraute man die Aufsicht an; der Architekt leitete das Ganze, und
ehe man sichs versah, so hatten die Knaben alle ein gewisses Geschick.
Man fand an ihnen eine bequeme Dressur, und sie verrichteten ihr
Geschäft nicht ohne eine Art von Manöver.
Gewiß, wenn sie mit ihren Scharreisen, gestielten Messerklingen,
Rechen, kleinen Spaten und Hacken und wedelartigen Besen einherzogen,
wenn andre mit Körben hinterdrein kamen, um Unkraut und Steine
beiseitezuschaffen, andre das hohe, große, eiserne Walzenrad hinter
sich herzogen, so gab es einen hübschen, erfreulichen Aufzug, in
welchem der Architekt eine artige Folge von Stellungen und Tätigkeiten
für den Fries eines Gartenhauses sich anmerkte; Ottilie hingegen sah
darin nur eine Art von Parade, welche den rückkehrenden Hausherrn bald
begrüßen sollte.
Dies gab ihr Mut und Lust, ihn mit etwas ähnlichem zu empfangen.
Man hatte zeither die Mädchen des Dorfes im Nähen, Stricken, Spinnen
und andern weiblichen Arbeiten zu ermuntern gesucht.
Auch diese Tugenden hatten zugenommen seit jenen Anstalten zu
Reinlichkeit und Schönheit des Dorfes.
Ottilie wirkte stets mit ein, aber mehr zufällig, nach Gelegenheit und
Neigung.
Nun gedachte sie es vollständiger und folgerechter zu machen. Aber
aus einer Anzahl Mädchen läßt sich kein Chor bilden wie aus einer
Anzahl Knaben.
Sie folgte ihrem guten Sinne, und ohne sichs ganz deutlich zu machen,
suchte sie nichts, als einem jeden Mädchen Anhänglichkeit an sein Haus,
seine Eltern und seine Geschwister einzuflößen.
Das gelang ihr mit vielen.
Nur über ein kleines, lebhaftes Mädchen wurde immer geklagt, daß sie
ohne Geschick sei und im Hause nun ein für allemal nichts tun wolle.
Ottilie konnte dem Mädchen nicht feind sein, denn ihr war es besonders
freundlich.
Zu ihr zog es sich, mit ihr ging und lief es, wenn sie es erlaubte.
Da war es tätig, munter und unermüdet.
Die Anhänglichkeit an eine schöne Herrin schien dem Kinde Bedürfnis zu
sein.
Anfänglich duldete Ottilie die Begleitung des Kindes; dann faßte sie
selbst Neigung zu ihm; endlich trennten sie sich nicht mehr, und Nanny
begleitete ihre Herrin überallhin.
Diese nahm öfters den Weg nach dem Garten und freute sich über das
schöne Gedeihen.
Die Beeren—und Kirschenzeit ging zu Ende, deren Spätlinge jedoch
Nanny sich besonders schmecken ließ.
Bei dem übrigen Obste, das für den Herbst eine so reichliche Ernte
versprach, gedachte der Gärtner beständig des Herrn und niemals, ohne
ihn herbeizuwünschen.
Ottilie hörte dem guten alten Manne so gern zu.
Er verstand sein Handwerk vollkommen und hörte nicht auf, ihr von
Eduard vorzusprechen.
Als Ottilie sich freute, daß die Pfropfreiser dieses Frühjahrs alle so
gar schön gekommen, erwiderte der Gärtner bedenklich: "ich wünsche nur,
daß der gute Herr viel Freude daran erleben möge.
Wäre er diesen Herbst hier, so würde er sehen, was für köstliche
Sorten noch von seinem Herrn Vater her im alten Schloßgarten stehen.
Die jetzigen Herren Obstgärtner sind nicht so zuverlässig, als sonst
die Kartäuser waren.
In den Katalogen findet man wohl lauter honette Namen.
Man pfropft und erzieht und endlich, wenn sie Fürchte tragen, so ist
es nicht der Mühe wert, daß solche Bäume im Garten stehen".
Am wiederholtesten aber fragte der treue Diener, fast so oft er
Ottilien sah, nach der Rückkunft des Herrn und nach dem Termin
derselben.
Und wenn Ottilie ihn nicht angeben konnte, so ließ ihr der gute Mann
nicht ohne stille Betrübnis merken, daß er glaube, sie vertraue ihm
nicht, und peinlich war ihr das Gefühl der Unwissenheit, das ihr auf
diese Weise recht aufgedrungen ward.
Doch konnte sie sich von diesen Rabatten und Beeten nicht trennen.
Was sie zusammen zum Teil gesäet, alles gepflanzt hatten, stand nur im
völligen Flor; kaum bedurfte es noch einer Pflege, außer daß Nanny
immer zum Gießen bereit war.
Mit welchen Empfindungen betrachtete Ottilie die späteren Blumen, die
sich erst anzeigten, deren Glanz und Fülle dereinst an Eduards
Geburtstag, dessen Feier sie sich manchmal versprach, prangen, ihre
Neigung und Dankbarkeit ausdrücken sollten!
Doch war die Hoffnung, dieses Fest zu sehen, nicht immer gleich
lebendig.
Zweifel und Sorgen umflüsterten stets die Seele des guten Mädchens.
Zu einer eigentlichen, offnen übereinstimmung mit Charlotten konnte es
auch wohl nicht wieder gebracht werden.
Denn freilich war der Zustand beider Frauen sehr verschieden. Wenn
alles beim alten blieb, wenn man in das Gleis des gesetzmäßigen Lebens
zurückkehrte, gewann Charlotte an gegenwärtigem Glück, und eine frohe
Aussicht in die Zukunft öffnete sich ihr; Ottilie hingegen verlor
alles, man kann wohl sagen alles; denn sie hatte zuerst Leben und
Freude in Eduard gefunden, und in dem gegenwärtigen Zustande fühlte
sie eine unendliche Leere, wovon sie früher kaum etwas geahnet hatte.
Denn ein Herz, das sucht, fühlt wohl, daß ihm etwas mangle; ein Herz,
das verloren hat, fühlt, daß es entbehre.
Sehnsucht verwandelt sich in Unmut und Ungeduld, und ein weibliches
Gemüt, zum Erwarten und Abwarten gewöhnt, möchte nun aus seinem Kreise
herausschreiten, tätig werden, unternehmen und auch etwas für sein
Glück tun.
Ottilie hatte Eduarden nicht entsagt.
Wie konnte sie es auch, obgleich Charlotte klug genug, gegen ihre
eigne überzeugung die Sache für bekannt annahm und als entschieden
voraussetzte, daß ein freundschaftliches, ruhiges Verhältnis zwischen
ihrem Gatten und Ottilien möglich sei.
Wie oft aber lag diese nachts, wenn sie sich eingeschlossen, auf den
Knieen vor dem eröffneten Koffer und betrachtete die
Geburtstagsgeschenke, von denen sie noch nichts gebraucht, nichts
zerschnitten, nichts gefertigt.
Wie oft eilte das gute Mädchen mit Sonnenaufgang aus dem Hause, in dem
sie sonst alle ihre Glückseligkeit gefunden hatte, ins Freie hinaus,
in die Gegend, die sie sonst nicht ansprach.
Auch auf dem Boden mochte sie nicht verweilen.
Sie sprang in den Kahn und ruderte sich bis mitten in den See; dann
zog sie eine Reisebeschreibung hervor, ließ sich von den bewegten
Wellen schaukeln, las, träumte sich in die Fremde, und immer fand sie
dort ihren Freund; seinem Herzen war sie noch immer nahe geblieben, er
dem ihrigen.
Daß jener wunderlich tätige Mann, den wir bereits kennengelernt, daß
Mittler, nachdem er von dem Unheil, das unter diesen Freunden
ausgebrochen, Nachricht erhalten, obgleich kein Teil noch seine Hülfe
angerufen, in diesem Falle seine Freundschaft, seine Geschicklichkeit
zu beweisen, zu üben geneigt war, läßt sich denken.
Doch schien es ihm rätlich, erst eine Weile zu zaudern; denn er wußte
nur zu wohl, daß es schwerer sei, gebildeten Menschen bei sittlichen
Verworrenheiten zu Hülfe zu kommen als ungebildeten.
Er überließ sie deshalb eine Zeitlang sich selbst; allein zuletzt
konnte er es nicht mehr aushalten und eilte, Eduarden aufzusuchen, dem
er schon auf die Spur gekommen war.
Sein Weg führte ihn zu einem angenehmen Tal, dessen anmutig grünen,
baumreichen Wiesengrund die Wasserfülle eines immer lebendigen Baches
bald durchschlängelte, bald durchrauschte.
Auf den sanften Anhöhen zogen sich fruchtbare Felder und
wohlbestandene Obstpflanzungen hin.
Die Dörfer lagen nicht zu nah aneinander, das Ganze hatte einen
friedlichen Charakter, und die einzelnen Partieen, wenn auch nicht zum
Malen, schienen doch zum Leben vorzüglich geeignet zu sein.
Ein wohlerhaltenes Vorwerk mit einem reinlichen, bescheidenen
Wohnhause, von Gärten umgeben, fiel ihm endlich in die Augen.
Er vermutete, hier sei Eduards gegenwärtiger Aufenthalt, und er irrte
nicht.
Von diesem einsamen Freunde können wir soviel sagen, daß er sich im
stillen dem Gefühl seiner Leidenschaft ganz überließ und dabei
mancherlei Plane sich ausdachte, mancherlei Hoffnungen nährte.
Er konnte sich nicht leugnen, daß er Ottilien hier zu sehen wünsche,
daß er wünsche, sie hieher zu führen, zu locken, und was er sich sonst
noch Erlaubtes und Unerlaubtes zu denken nicht verwehrte.
Dann schwankte seine Einbildungskraft in allen Möglichkeiten herum.
Sollte er sie hier nicht besitzen, nicht rechtmäßig besitzen können,
so wollte er ihr den Besitz des Gutes zueignen.
Hier sollte sie still für sich, unabhängig leben; sie sollte glücklich
sein und, wenn ihn eine selbstquälerische Einbildungskraft noch weiter
führte, vielleicht mit einem andern glücklich sein.
So verflossen ihm seine Tage in einem ewigen Schwanken zwischen
Hoffnung und Schmerz, zwischen Tränen und Heiterkeit, zwischen
Vorsätzen, Vorbereitungen und Verzweiflung.
Der Anblick Mittlers überraschte ihn nicht.
Er hatte dessen Ankunft längst erwartet, und so war er ihm auch halb
willkommen.
Glaubte er ihn von Charlotten gesendet, so hatte er sich schon auf
allerlei Entschuldigungen und Verzögerungen und sodann auf
entscheidendere Vorschläge bereitet; hoffte er nun aber von Ottilien
wieder etwas zu vernehmen, so war ihm Mittler so lieb als ein
himmlischer Bote.
Verdrießlich daher und verstimmt war Eduard, als er vernahm, Mittler
komme nicht von dorther, sondern aus eignem Antriebe.
Sein Herz verschloß sich, und das Gespräch wollte sich anfangs nicht
einleiten.
Doch wußte Mittler nur zu gut, daß ein liebevoll beschäftigtes Gemüt
das dringende Bedürfnis hat, sich zu äußern, das, was in ihm vorgeht,
vor einem Freunde auszuschütten, und ließ sich daher gefallen, nach
einigem Hin—und Widerreden diesmal aus seiner Rolle herauszugehen und
statt des Vermittlers den Vertrauten zu spielen.
Als er hiernach auf eine freundliche Weise Eduarden wegen seines
einsamen Lebens tadelte, erwiderte dieser: "o, ich wüßte nicht, wie
ich meine Zeit angenehmer zubringen sollte!
Immer bin ich mit ihr beschäftigt, immer in ihrer Nähe.
Ich habe den unschätzbaren Vorteil, mir denken zu können, wo sich
Ottilie befindet, wo sie geht, wo sie steht, wo sie ausruht.
Ich sehe sie vor mir tun und handeln wie gewöhnlich, schaffen und
vornehmen, freilich immer das, was mir am meisten schmeichelt.
Dabei bleibt es aber nicht; denn wie kann ich fern von ihr glücklich
sein!
Nun arbeitet meine Phantasie durch, was Ottilie tun sollte, sich mir
zu nähern.
Ich schreibe süße, zutrauliche Briefe in ihrem Namen an mich, ich
antworte ihr und verwahre die Blätter zusammen.
Ich habe versprochen, keinen Schritt gegen sie zu tun, und das will
ich halten.
Aber was bindet sie, daß sie sich nicht zu mir wendet?
Hat etwa Charlotte die Grausamkeit gehabt, Versprechen und Schwur von
ihr zu fordern, daß sie mir nicht schreiben, keine Nachricht von sich
geben wolle?
Es ist natürlich, es ist wahrscheinlich, und doch finde ich es
unerhört, unerträglich.
Wenn sie mich liebt, wie ich glaube, wie ich weiß, warum entschließt
sie sich nicht, warum wagt sie es nicht, zu fliehen und sich in meine
Arme zu werfen?
Sie sollte das, denke ich manchmal, sie könnte das.
Wenn sich etwas auf dem Vorsaale regt, sehe ich gegen die Türe.
Sie soll hereintreten!
Denk ich, hoff ich.
Ach!
Und da das Mögliche unmöglich ist, bilde ich mir ein, das Unmögliche
müsse möglich werden.
Nachts, wenn ich aufwache, die Lampe einen unsichern Schein durch das
Schlafzimmer wirft, da sollte ihre Gestalt, ihr Geist, eine Ahnung von
ihr vorüberschweben, herantreten, mich ergreifen, nur einen Augenblick,
daß ich eine Art von Versicherung hätte, sie denke mein, sie sei mein.
Eine einzige Freude bleibt mir noch.
Da ich ihr nahe war, träumte ich nie von ihr; jetzt aber, in der Ferne,
sind wir im Traume zusammen, und sonderbar genug: seit ich andre
liebenswürdige Personen hier in der Nachbarschaft kennengelernt, jetzt
erst erscheint mir ihr Bild im Traum, als wenn sie mir sagen wollte:
'siehe nur hin und her! Du findest doch nichts Schöneres und Lieberes
als mich.'
Und so mischt sich ihr Bild in jeden meiner Träume.
Alles, was mir mit ihr begegnet, schiebt sich durch—und übereinander.
Bald unterschreiben wir einen Kontrakt; da ist ihre Hand und die
meinige, ihr Name und der meinige; beide löschen einander aus, beide
verschlingen sich.
Auch nicht ohne Schmerz sind diese wonnevollen Gaukeleien der
Phantasie.
Manchmal tut sie etwas, das die reine Idee beleidigt, die ich von ihr
habe, dann füh ich erst, wie sehr ich sie liebe, indem ich über alle
Beschreibung geängstet bin.
Manchmal neckt sie mich ganz gegen ihre Art und quält mich; aber
sogleich verändert sich ihr Bild, ihr schönes, rundes, himmlisches
Gesichtchen verlängert sich: es ist eine andre.
Aber ich bin doch gequält, unbefriedigt und zerrüttet.
Lächeln Sie nicht, lieber Mittler, oder lächeln Sie auch! O ich
schäme mich nicht dieser Anhänglichkeit, dieser, wenn Sie wollen,
törigen, rasenden Neigung.
Nein, ich habe noch nie geliebt; jetzt erfahre ich erst, was das heißt.
Bisher war alles in meinem Leben nur ein Vorspiel, nur Hinhalten, nur
Zeitvertreib, nur Zeitverderb, bis ich sie kennenlernte, bis ich sie
liebte und ganz und eigentlich liebte.
Man hat mir mir nicht gerade ins Gesicht, aber doch wohl im Rücken den
Vorwurf gemacht: ich pfusche, ich stümpere nur in den meisten Dingen.
Es mag sein; aber ich hatte das noch nicht gefunden, worin ich mich
als Meister zeigen kann.
Ich will den sehen, der mich im Talent des Liebens übertrifft.
Zwar ist es ein jammervolles, ein schmerzen-, ein tränenreiches; aber
ich finde es mir so natürlich, so eigen, daß ich es wohl schwerlich je
wieder aufgebe".
Durch diese lebhaften, herzlichen äußerungen hatte sich Eduard wohl
erleichtert; aber es war ihm auch auf einmal jeder einzelne Zug seines
wunderlichen Zustandes deutlich vor die Augen getreten, daß er, vom
schmerzlichen Widerstreit überwältigt, in Tränen ausbrach, die um so
reichlicher flossen, als sein Herz durch Mitteilung weich geworden war.
Mittler, der sein rasches Naturell, seinen unerbittlichen Verstand
um so weniger verleugnen konnte, als er sich durch diesen
schmerzlichen Ausbruch der Leidenschaft Eduards weit von dem Ziel
seiner Reise verschlagen sah, äußerte aufrichtig und derb seine
Mibilligung.
Eduard—hieß es—solle sich ermannen, solle bedenken, was er seiner
Manneswürde schuldig sei, solle nicht vergessen, daß dem Menschen zur
höchsten Ehre gereiche, im Unglück sich zu fassen, den Schmerz mit
Gleichmut und Anstand zu ertragen, um höchlich geschätzt, verehrt und
als Muster aufgestellt zu werden.
Aufgeregt, durchdrungen von den peinlichsten Gefühlen, wie Eduard war,
mußten ihm diese Worte hohl und nichtig vorkommen.
"Der Glückliche, der Behagliche hat gut reden", fuhr Eduard auf; "aber
schämen würde er sich, wenn er einsähe, wie unerträglich er dem
Leidenden wird.
Eine unendliche Geduld soll es geben, einen unendlichen Schmerz will
der starre Behagliche nicht anerkennen.
Es gibt Fälle, ja, es gibt deren!
Wo jeder Trost niederträchtig und Verzweiflung Pflicht ist.
Verschmäht doch ein edler Grieche, der auch Helden zu schildern weiß,
keineswegs, die seinigen bei schmerzlichem Drange weinen zu lassen.
Selbst im Sprüchwort sagt er: 'tränenreiche Männer sind gut.' Verlasse
mich jeder, der trocknen Herzens, trockner Augen ist!
Ich verwünsche die Glücklichen, denen der Unglückliche nur zum
Spektakel dienen soll.
Er soll sich in der grausamsten Lage körperlicher und geistiger
Bedrängnis noch edel gebärden, um ihren Beifall zu erhalten, und,
damit sie ihm beim Verscheiden noch applaudieren, wie ein Gladiator
mit Anstand vor ihren Augen umkommen.
Lieber Mittler, ich danke Ihnen für Ihren Besuch; aber Sie erzeigten
mir eine große Liebe, wenn Sie sich im Garten, in der Gegend umsähen.
Wir kommen wieder zusammen.
Ich suche gefaßter und Ihnen ähnlicher zu werden".
Mittler mochte lieber einlenken als die Unterhaltung abbrechen, die er
so leicht nicht wieder anknüpfen konnte.
Auch Eduarden war es ganz gemäß, das Gespräch weiter fortzusetzen, das
ohnehin zu seinem Ziele abzulaufen strebte.
"Freilich", sagte Eduard, "hilft das Hin—und Widerdenken, das
Hin—und Widerreden zu nichts; doch unter diesem Reden bin ich mich
selbst erst gewahr worden, habe ich erst entschieden gefühlt, wozu ich
mich entschließen sollte, wozu ich entschlossen bin.
Ich sehe mein gegenwärtiges, mein zukünftiges Leben vor mir; nur
zwischen Elend und Genuß habe ich zu wählen.
Bewirken Sie, bester Mann, eine Scheidung, die so notwendig, die schon
geschehen ist; schaffen Sie mir Charlottens Einwilligung!
Ich will nicht weiter ausführen, warum ich glaube, daß sie zu erlangen
sein wird.
Gehen Sie hin, lieber Mann, beruhigen Sie uns alle, machen Sie uns
glücklich!" Mittler stockte.
Eduard fuhr fort: "mein Schicksal und Ottiliens ist nicht zu trennen,
und wir werden nicht zugrunde gehen.
Sehen Sie dieses Glas!
Unsere Namenszüge sind dareingeschnitten.
Ein fröhlich Jubelnder warf es in die Luft; niemand sollte mehr daraus
trinken, auf dem felsigen Boden sollte es zerschellen; aber es ward
aufgefangen.
Um hohen Preis habe ich es wieder eingehandelt, und ich trinke nun
täglich daraus, um mich täglich zu überzeugen, daß alle Verhältnisse
unzerstörlich sind, die das Schicksal beschlossen hat".
"O wehe mir", rief Mittler, "was muß ich nicht mit meinen Freunden für
Geduld haben!
Nun begegnet mir noch gar der Aberglaube, der mir als das Schädlichste,
was bei den Menschen einkehren kann, verhaßt bleibt.
Wir spielen mit Voraussagungen und Träumen und machen dadurch das
alltägliche Leben bedeutend.
Aber wenn das Leben nun selbst bedeutend wird, wenn alles um uns sich
bewegt und braust, dann wird das Gewitter durch jene Gespenster nur
noch fürchterlicher".
"Lassen Sie in dieser Ungewißheit des Lebens", rief Eduard, "zwischen
diesem Hoffen und Bangen dem bedürftigen Herzen doch nur eine Art von
Leitstern, nach welchem es hinblicke, wenn es auch nicht darnach
steuern kann".
"Ich ließe mirs wohl gefallen", versetzte Mittler, "wenn dabei nur
einige Konsequenz zu hoffen wäre, aber ich habe immer gefunden: auf
die warnenden Symptome achtet kein Mensch, auf die schmeichelnden und
versprechenden allein ist die Aufmerksamkeit gerichtet und der Glaube
für sie ganz allein lebendig".
Da sich nun Mittler sogar in die dunklen Regionen geführt sah, in
denen er sich immer unbehaglicher fühlte, je länger er darin verweilte,
so nahm er den dringenden Wunsch Eduards, der ihn zu Charlotten gehen
hieß, etwas williger auf.
Denn was wollte er überhaupt Eduarden in diesem Augenblicke noch
entgegensetzen?
Zeit zu gewinnen, zu erforschen, wie es um die Frauen stehe, das war
es, was ihm selbst nach seinen eignen Gesinnungen zu tun übrigblieb.
Er eilte zu Charlotten, die er wie sonst gefaßt und heiter fand.
Sie unterrichtete ihn gern von allem, was vorgefallen war; denn aus
Eduards Reden konnte er nur die Wirkung abnehmen.
Er trat von seiner Seite behutsam heran, konnte es aber nicht über
sich gewinnen, das Wort Scheidung auch nur im Vorbeigehn auszusprechen.
Wie verwundert, erstaunt und, nach seiner Gesinnung, erheitert war er
daher, als Charlotte ihm in Gefolg so manches Unerfreulichen endlich
sagte: "ich muß glauben, ich muß hoffen, daß alles sich wieder geben,
daß Eduard sich wieder nähern werde.
Wie kann es auch wohl anders sein, da Sie mich guter Hoffnung finden".
"Versteh ich Sie recht?" fiel Mittler ein.
"Vollkommen", versetzte Charlotte.
"Tausendmal gesegnet sei mir diese Nachricht!" rief er, die Hände
zusammenschlagend.
"Ich kenne die Stärke dieses Arguments auf ein männliches Gemüt.
Wie viele Heiraten sah ich dadurch beschleunigt, befestigt,
wiederhergestellt!
Mehr als tausend Worte wirkt eine solche gute Hoffnung, die fürwahr
die beste Hoffnung ist, die wir haben können.
Doch", fuhr er fort, "was mich betrifft, so hätte ich alle Ursache,
verdrießlich zu sein.
In diesem Falle, sehe ich wohl, wird meiner Eigenliebe nicht
geschmeichelt.
Bei euch kann meine Tätigkeit keinen Dank verdienen.
Ich komme mir vor wie jener Arzt, mein Freund, dem alle Kuren gelangen,
die er um Gottes willen an Armen tat, der aber selten einen Reichen
heilen konnte, der es gut bezahlen wollte.
Glücklicherweise hilft sich hier die Sache von selbst, da meine
Bemühungen, mein Zureden fruchtlos geblieben wären".
Charlotte verlangte nun von ihm, er solle die Nachricht Eduarden
bringen, einen Brief von ihr mitnehmen und sehen, was zu tun, was
herzustellen sei.
Er wollte das nicht eingehen.
"Alles ist schon getan", rief er aus.
"Schreiben Sie!
Ein jeder Bote ist so gut als ich.
Muß ich doch meine Schritte hinwenden, wo ich nötiger bin.
Ich komme nur wieder, um Glück zu wünschen; ich komme zur Taufe".
Charlotte war diesmal, wie schon öfters, über Mittlern unzufrieden.
Sein rasches Wesen brachte manches Gute hervor, aber seine übereilung
war schuld an manchem Mißlingen.
Niemand war abhängiger von augenblicklich vorgefaßten Meinungen als er.
Charlottens Bote kam zu Eduarden, der ihn mit halbem Schrecken empfing.
Der Brief konnte ebensogut für Nein als für Ja entscheiden.
Er wagte lange nicht, ihn aufzubrechen, und wie stand er betroffen,
als er das Blatt gelesen, versteinert bei folgender Stelle, womit es
sich endigte: "gedenke jener nächtlichen Stunden, in denen du deine
Gattin abenteuerlich als Liebender besuchtest, sie unwiderstehlich an
dich zogst, sie als eine Geliebte, als eine Braut in die Arme
schlossest.
Laß uns in dieser seltsamen Zufälligkeit eine Fügung des Himmels
verehren, die für ein neues Band unserer Verhältnisse gesorgt hat in
dem Augenblick, da das Glück unseres Lebens auseinanderzufallen und zu
verschwinden droht".
Was von dem Augenblick an in der Seele Eduards vorging, würde schwer
zu schildern sein.
In einem solchen Gedränge treten zuletzt alte Gewohnheiten, alte
Neigungen wieder hervor, um die Zeit zu töten und den Lebensraum
auszufüllen.
Jagd und Krieg sind eine solche für den Edelmann immer bereite
Aushülfe.
Eduard sehnte sich nach äußerer Gefahr, um der innerlichen das
Gleichgewicht zu halten.
Er sehnte sich nach dem Untergang, weil ihm das Dasein unerträglich
zu werden drohte; ja es war ihm ein Trost zu denken, daß er nicht mehr
sein werde und eben dadurch seine Geliebten, seine Freunde glücklich
machen könne.
Niemand stellte seinem Willen ein Hindernis entgegen, da er seinen
Entschluß verheimlichte.
Mit allen Förmlichkeiten setzte er sein Testament auf; es war ihm eine
süße Empfindung, Ottilien das Gut vermachen zu können.
Für Charlotten, für das Ungeborne, für den Hauptmann, für seine
Dienerschaft war gesorgt.
Der wieder ausgebrochene Krieg begünstigte sein Vorhaben.
Militärische Halbheiten hatten ihm in seiner Jugend viel zu schaffen
gemacht; er hatte deswegen den Dienst verlassen.
Nun war es ihm eine herrliche Empfindung, mit einem Feldherrn zu
ziehen, von dem er sich sagen konnte: unter seiner Anführung ist der
Tod wahrscheinlich und der Sieg gewiß.
Ottilie, nachdem auch ihr Charlottens Geheimnis bekannt geworden,
betroffen wie Eduard, und mehr, ging in sich zurück.
Sie hatte nichts weiter zu sagen.
Hoffen konnte sie nicht, und wünschen durfte sie nicht.
Einen Blick jedoch in ihr Inneres gewährt uns ihr Tagebuch, aus dem
wir einiges mitzuteilen gedenken.
Im gemeinen Leben begegnet uns oft, was wir in der Epopöe als
Kunstgriff des Dichters zu rühmen pflegen, daß nämlich, wenn die
Hauptfiguren sich entfernen, verbergen, sich der Untätigkeit hingeben,
gleich sodann schon ein Zweiter, Dritter, bisher kaum Bemerkter den
Platz füllt und, indem er seine ganze Tätigkeit äußert, uns
gleichfalls der Aufmerksamkeit, der Teilnahme, ja des Lobes und
Preises würdig erscheint.
So zeigte sich gleich nach der Entfernung des Hauptmanns und Eduards
jener Architekt täglich bedeutender, von welchem die Anordnung und
Ausführung so manches Unternehmens allein abhing, wobei er sich genau,
verständig und tätig erwies und zugleich den Damen auf mancherlei Art
beistand und in stillen, langwierigen Stunden sie zu unterhalten wußte.
Schon sein äußeres war von der Art, daß es Zutrauen einflößte und
Neigung erweckte.
Ein Jüngling im vollen Sinne des Wortes, wohlgebaut, schlank, eher ein
wenig zu groß, bescheiden ohne ängstlich, zutraulich ohne zudringend
zu sein.
Freudig übernahm er jede Sorge und Bemühung, und weil er mit großer
Leichtigkeit rechnete, so war ihm bald das ganze Hauswesen kein
Geheimnis, und überallhin verbreitete sich sein günstiger Einfluß.
Die Fremden ließ man ihn gewöhnlich empfangen, und er wußte einen
unerwarteten Besuch entweder abzulehnen oder die Frauen wenigstens
dergestalt darauf vorzubereiten, daß ihnen keine Unbequemlichkeit
daraus entsprang.
Unter andern gab ihm eines Tages ein junger Rechtsgelehrter viel zu
schaffen, der, von einem benachbarten Edelmann gesendet, eine Sache
zur Sprache brachte, die, zwar von keiner sonderlichen Bedeutung,
Charlotten dennoch innig berührte.
Wir müssen dieses Vorfalls gedenken, weil er verschiedenen Dingen
einen Anstoß gab, die sonst vielleicht lange geruht hätten.
Wir erinnern uns jener Veränderung, welche Charlotte mit dem Kirchhofe
vorgenommen hatte.
Die sämtlichen Monumente waren von ihrer Stelle gerückt und hatten an
der Mauer, an dem Sockel der Kirche Platz gefunden.
Der übrige Raum war geebnet.
Außer einem breiten Wege, der zur Kirche und an derselben vorbei zu
dem jenseitigen Pförtchen führte, war das übrige alles mit
verschiedenen Arten Klee besäet, der auf das schönste grünte und
blühte.
Nach einer gewissen Ordnung sollten vom Ende heran die neuen Gräber
bestellt, doch der Platz jederzeit wieder verglichen und ebenfalls
besäet werden.
Niemand konnte leugnen, daß diese Anstalt beim sonn—und festtätigen
Kirchgang eine heitere und würdige Ansicht gewährte.
Sogar der betagte und an alten Gewohnheiten haftende Geistliche, der
anfänglich mit der Einrichtung nicht sonderlich zufrieden gewesen,
hatte nunmehr seine Freude daran, wenn er unter den alten Linden,
gleich Philomon, mit seiner Baucis vor der Hintertüre ruhend, statt
der holprigen Grabstätten einen schönen, bunten Teppich vor sich sah,
der noch überdies seinem Haushalt zugute kommen sollte, indem
Charlotte die Nutzung dieses Fleckes der Pfarre zusichern lassen.
Allein desungeachtet hatten schon manche Gemeindeglieder früher
gemißbilligt, daß man die Bezeichnung der Stelle, wo ihre Vorfahren
ruhten, aufgehoben und das Andenken dadurch gleichsam ausgelöscht;
denn die wohlerhaltenden Monumente zeigen zwar an, wer begraben sei,
aber nicht, wo er begraben sei, und auf das Wo komme es eigentlich an,
wie viele behaupteten.
Von ebensolcher Gesinnung war eine benachbarte Familie, die sich und
den Ihrigen einen Raum auf dieser allgemeinen Ruhestätte vor mehreren
Jahren ausbedungen und dafür der Kirche eine kleine Stiftung
zugewendet hatte.
Nun war der junge Rechtsgelehrte abgesendet, um die Stiftung zu
widerrufen und anzuzeigen, daß man nicht weiterzahlen werde, weil die
Bedingung, unter welcher dieses bisher geschehen, einseitig aufgehoben
und auf alle Vorstellungen und Widerreden nicht geachtet worden.
Charlotte, die Urheberin dieser Veränderung, wollte den jungen Mann
selbst sprechen, der zwar lebhaft, aber nicht allzu vorlaut seine und
seines Prinzipals Gründe darlegte und der Gesellschaft manches zu
denken gab.
"Sie sehen", sprach er nach einem kurzen Eingang, in welchem er seine
Zudringlichkeit zu rechtfertigen wußte, "Sie sehen, daß dem Geringsten
wie dem Höchsten daran gelegen ist, den Ort zu bezeichnen, der die
Seinigen aufbewahrt.
Dem ärmsten Landmann, der ein Kind begräbt, ist es eine Art von Trost,
ein schwaches hölzernes Kreuz auf das Grab zu stellen, es mit einem
Kranze zu zieren, um wenigstens das Andenken so lange zu erhalten, als
der Schmerz währt, wenn auch ein solches Merkzeichen, wie die Trauer
selbst, durch die Zeit aufgehoben wird.
Wohlhabende verwandeln diese Kreuze in eiserne, befestigen und
schützen sie auf mancherlei Weise, und hier ist schon Dauer für
mehrere Jahre.
Doch weil auch diese endlich sinken und unscheinbar werden, so haben
Begüterte nichts Angelegeneres, als einen Stein aufzurichten, der für
mehrere Generationen zu dauern verspricht und von den Nachkommen
erneut und aufgefrischt werden kann.
Aber dieser Stein ist es nicht, der uns anzieht, sondern das darunter
Enthaltene, das daneben der Erde Vertraute.
Es ist nicht sowohl vom Andenken die Rede als von der Person selbst,
nicht von der Erinnerung, sondern von der Gegenwart.
Ein geliebtes Abgeschiedenes umarme ich weit eher und inniger im
Grabhügel als im Denkmal, denn dieses ist für sich eigentlich nur
wenig; aber um dasselbe her sollen sich wie um einen Markstein Gatten,
Verwandte, Freunde selbst nach ihrem Hinscheiden noch versammeln, und
der Lebende soll das Recht behalten, Fremde und Mißwollende auch von
der Seite seiner geliebten Ruhenden abzuweisen und zu entfernen.
Ich halte deswegen dafür, daß mein Prinzipal völlig recht habe, die
Stiftung zurückzunehmen; und dies ist noch billig genug, denn die
Glieder der Familie sind auf eine Weise verletzt, wofür gar kein
Ersatz zu denken ist.
Sie sollen das schmerzlich süße Gefühl entbehren, ihren Geliebten ein
Totenopfer zu bringen, die tröstliche Hoffnung, dereinst unmittelbar
neben ihnen zu ruhen".
"Die Dache ist nicht von der Bedeutung",versetzte Charlotte, "daß man
sich deshalb durch einen Rechtshandel beunruhigen sollte.
Meine Anstalt reut mich so wenig, daß ich die Kirche gern wegen dessen,
was ihr entgeht, entschädigen will.
Nur muß ich Ihnen aufrichtig gestehen: Ihre Argumente haben mich nicht
überzeugt.
Das reine Gefühl einer endlichen allgemeinen Gleichheit, wenigstens
nach dem Tode, scheint mir beruhigender als dieses eigensinnige,
starre Fortsetzen unserer Persönlichkeiten, Anhänglichkeiten und
Lebensverhältnisse.—Und was sagen Sie hierzu?" richtete sie ihre
Frage an den Architekten.
"Ich möchte", versetzte dieser, "in einer solchen Sache weder streiten
noch den Ausschlag geben.
Lassen Sie mich das, was meiner Kunst, meiner Denkweise am nächsten
liegt, bescheidentlich äußern.
Seitdem wir nicht mehr so glücklich sind, die Reste eines geliebten
Gegenstandes eingeurnt an unsere Brust zu drücken, da wir weder reich
noch heiter genug sind, sie unversehrt in großen, wohlausgezierten
Sarkophagen zu verwahren, ja da wir nicht einmal in den Kirchen mehr
Platz für uns und für die Unsrigen finden, sondern hinaus ins Freie
gewiesen sind, so haben wir alle Ursache, die Art und Weise, die Sie,
meine gnädige Frau, eingeleitet haben, zu billigen.
Wenn die Glieder einer Gemeinde reihenweise nebeneinander liegen, so
ruhen sie bei und unter den Ihrigen; und wenn die Erde uns einmal
aufnehmen soll, so finde ich nichts natürlicher und reinlicher, als
daß man die zufällig entstandenen, nach und nach zusammensinkenden
Hügel ungesäumt vergleiche und so die Decke, indem alle sie tragen,
einem jeden leichter gemacht werde".
"Und ohne irgendein Zeichen des Andenkens, ohne irgend etwas, das der
Erinnerung entgegenkäme, sollte das alles so vorübergehen?" versetzte
Ottilie.
"Keineswegs!" fuhr der Architekt fort; "nicht vom Andenken, nur vom
Platze soll man sich lossagen.
Der Baukünstler, der Bildhauer sind höchlich interessiert, daß der
Mensch von ihnen, von ihrer Kunst, von ihrer Hand eine Dauer seines
Daseins erwarte; und deswegen wünschte ich gut gedachte, gut
ausgeführte Monumente, nicht einzeln und zufällig ausgesäet, sondern
an einem Orte aufgestellt, wo sie sich Dauer versprechen können.
Da selbst die Frommen und Hohen auf das Vorrecht Verzicht tun, in den
Kirchen persönlich zu ruhen, so stelle man wenigstens dort oder in
schönen Hallen um die Begräbnisplätze Denkzeichen, Denkschriften auf.
Es gibt tausenderlei Formen, die man ihnen vorschreiben, tausenderlei
Zieraten, womit man sie ausschmücken kann".
"Wenn die Künstler so reich sind", versetzte Charlotte, "so sagen Sie
mir doch: wie kann man sich niemals aus der Form eines kleinlichen
Obelisken, einer abgestutzten Säule und eines Aschenkrugs
herausfinden?
Anstatt der tausend Erfindungen, deren Sie sich rühmen, habe ich immer
nur tausend Wiederholungen gesehen".
"Das ist wohl bei uns so", entgegnete ihr der Architekt, "aber nicht
überall.
Und überhaupt mag es mit der Erfindung und der schicklichen Anwendung
eine eigne Sache sein.
Besonders hat es in diesem Falle manche Schwierigkeit, einen ernsten
Gegenstand zu erheitern und bei einem unerfreulichen nicht ins
Unerfreuliche zu geraten.
Was Entwürfe zu Monumenten aller Art betrifft, deren habe ich viele
gesammelt und zeige sie gelegentlich; doch bleibt immer das schönste
Denkmal des Menschen eigenes Bildnis.
Dieses gibt mehr als irgend etwas anders einen Begriff von dem, was er
war; es ist der beste Text zu vielen oder wenigen Noten; nur müßte es
aber auch in seiner besten Zeit gemacht sein, welches gewöhnlich
versäumt wird.
Niemand denkt daran, lebende Formen zu erhalten, und wenn es geschieht,
so geschieht es auf unzulängliche Weise.
Da wird ein Toter geschwind noch abgegossen und eine solche Maske auf
einen Block gesetzt, und das heißt man eine Büste.
Wie selten ist der Künstler imstande, sie völlig wiederzubeleben!"
"Sie haben, ohne es vielleicht zu wissen ud zu wollen", versetzte
Charlotte, "dies Gespräch ganz zu meinen Gunsten gelenkt.
Das Bild eines Menschen ist doch wohl unabhängig; überall, wo es steht,
steht es für sich, und wir werden von ihm nicht verlangen, daß es die
eigentliche Grabstätte bezeichne.
Aber soll ich Ihnen eine wunderliche Empfindung bekennen?
Selbst gegen die Bildnisse habe ich eine Art von Abneigung; denn sie
scheinen mir immer einen stillen Vorwurf zu machen; sie deuten auf
etwas Entferntes, Abgeschiedenes und erinnern mich, wie schwer es sei,
die Gegenwart recht zu ehren.
Gedenkt man, wieviel Menschen man gesehen, gekannt, und gesteht sich,
wie wenig wir ihnen, wie wenig sie uns gewesen, wie wird uns da zumute!
Wir begegnen dem Geistreichen, ohne uns mit ihm zu unterhalten, dem
Gelehrten, ohne von ihm zu lernen, dem Gereisten, ohne uns zu
unterrichten, dem Liebevollen, ohne ihm etwas Angenehmes zu erzeigen.
Und leider ereignet sich dies nicht bloß mit den Vorübergehenden.
Gesellschaften und Familien betragen sich so gegen ihre liebsten
Glieder, Städte gegen ihre würdigsten Bürger, Völker gegen ihre
trefflichsten Fürsten, Nationen gegen ihre vorzüglichsten Menschen.
Ich hörte fragen, warum man von den Toten so unbewunden Gutes sage,
von den Lebenden immer mit einer gewissen Vorsicht.
Es wurde geantwortet: weil wir von jenen nichts zu befürchten haben
und diese uns noch irgendwo in den Weg kommen könnten.
So unrein ist die Sorge für das Andenken der andern; es ist meist nur
ein selbstischer Scherz, wenn es dagegen ein heiliger Ernst wäre,
seine Verhältnisse gegen die überbliebenen immer lebendig und tätig zu
erhalten".
Aufgeregt durch den Vorfall und die daran sich knüpfenden Gespräche,
begab man sich des andern Tages nach dem Begräbnisplatz zu dessen
Verzierung und Erheiterung der Architekt manchen glücklichen Vorschlag
tat.
Allein auch auf die Kirche sollte sich seine Sorgfalt erstrecken, auf
ein Gebäude, das gleich anfänglich seine Aufmerksamkeit an sich
gezogen hatte.
Diese Kirche stand seit mehrern Jahrhunderten, nach deutscher Art und
Kunst in guten Maßen errichtet und auf eine glückliche Weise verziert.
Man konnte wohl nachkommen, daß der Baumeister eines benachbarten
Klosters mit Einsicht und Neigung sich auch an diesem kleineren
Gebäude bewährt, und es wirkte noch immer ernst und angenehm auf den
Betrachter, obgleich die innere neue Einrichtung zum protestantischen
Gottesdienste ihm etwas von seiner Ruhe und Majestät genommen hatte.
Dem Architekten fiel es nicht schwer, sich von Charlotten eine mäßige
Summe zu erbitten, wovon er das äußere sowohl als das Innere im
altertümlichen Sinne herzustellen und mit dem davorliegenden
Auferstehungsfelde zur übereinstimmung zu bringen gedachte.
Er hatte selbst viel Handgeschick, und einige Arbeiter, die noch am
Hausbau beschäftigt waren, wollte man gern so lange beibehalten, bis
auch dieses fromme Werk vollendet wäre.
Man war nunmehr in dem Falle, das Gebäude selbst mit allen Umgebungen
und Angebäuden zu untersuchen, und da zeigte sich zum größten
Erstaunen und Vergnügen des Architekten eine wenig bemerkte kleine
Seitenkapelle von noch geistreichern und leichtern Maßen, von noch
gefälligern und fleißigern Zierarten.
Sie enthielt zugleich manchen geschnitzten und gemalten Rest jenes
älteren Gottesdienstes, der mit mancherlei Gebild und Gerätschaft die
verschiedenen Feste zu bezeichnen und jedes auf seine eigne Weise zu
feiern wußte.
Der Architekt konnte nicht unterlassen, die Kapelle sogleich in seinen
Plan mit hereinzuziehen und besonders diesen engen Raum als ein
Denkmal voriger Zeiten und ihres Geschmacks wiederherzustellen.
Er hatte sich die leeren Flächen nach seiner Neigung schon verziert
gedacht und freute sich, dabei sein malerisches Talent zu üben; allein
er machte seinen Hausgenossen fürs erste ein Geheimnis davon.
Vor allem andern zeigte er versprochenermaßen den Frauen die
verschiedenen Nachbildungen und Entwürfe von alten Grabmonumenten,
Gefäßen und andern dahin sich nähernden Dingen, und als man im
Gespräch auf die einfachern Grabhügel, der nordischen Völker zu reden
kam, brachte er seine Sammlung von mancherlei Waffen und Gerätschaften,
die darin gefunden worden, zur Ansicht.
Er hatte alles sehr reinlich und tragbar in Schubladen und Fächern auf
eingeschnittenen, mit Tuch überzogenen Brettern, sodaß diese alten,
ernsten Dinge durch seine Behandlung etwas Putzhaftes annahmen und man
mit Vergnügen darauf wie auf die Kästchen eines Modehändlers
hinblickte.
Und da er einmal im Vorzeigen war, da die Einsamkeit eine Unterhaltung
forderte, so pflegte er jeden Abend mit einem Teil seiner Schätze
hervorzutreten.
Sie waren meistenteils deutschen Ursprungs: Brakteaten, Dickmünzen,
Siegel und was sonst sich noch anschließen mag.
Alle diese Dinge richteten die Einbildungskraft gegen die ältere Zeit
hin, und da er zuletzt mit den Anfängen des Drucks, Holzschnitten und
den ältesten Kupfern seine Unterhaltung zierte und die Kirche täglich
auch, jenem Sinne gemäß, an Farbe und sonstiger Auszierung gleichsam
der Vergangenheit entgegenwuchs, so mußte man sich beinahe selbst
fragen, ob man denn wirklich in der neueren Zeit lebe, ob es nicht ein
Traum sei, daß man nunmehr in ganz andern Sitten, Gewohnheiten,
Lebensweisen und überzeugungen verweile.
Auf solche Art vorbereitet, tat ein größeres Portefeuille, das er
zuletzt herbeibrachte, die beste Wirkung.
Es enthielt zwar meist nur umrissene Figuren, die aber, weil sie auf
die Bilder selbst durchgezeichnet waren, ihren altertümlichen
Charakter vollkommen erhalten hatten, und diesen, wie einnehmend
fanden ihn die Beschauenden!
Aus allen Gestalten blickte nur das reinste Dasein hervor; alle mußte
man, wo nicht für edel, doch für gut ansprechen.
Heitere Sammlung, willige Anerkennung eines Ehrwürdigen über uns,
stille Hingebung in Liebe und Erwartung war auf allen Gesichtern, in
allen Gebärden ausgedrückt.
Der Greis mit dem kahlen Scheitel, der reichlockige Knabe, der muntere
Jüngling, der ernste Mann, der verklärte Heilige, der schwebende Engel,
alle schienen selig in einem unschuldigen Genügen, in einem frommen
Erwarten.
Das Gemeinste, was geschah, hatte einen Zug von himmlischem Leben, und
eine gottesdienstliche Handlung schien ganz jeder Natur angemessen.
Nach einer solchen Region blicken wohl die meisten wie nach einem
verschwundenen goldenen Zeitalter, nach einem verlorenen Paradiese hin.
Nur vielleicht Ottilie war in dem Fall, sich unter ihresgleichen zu
fühlen.
Wer hätte nun widerstehen können, als der Architekt sich erbot, nach
dem Anlaß dieser Urbilder die Räume zwischen den Spitzbogen der
Kapelle auszumalen und dadurch sein Andenken entschieden an einem Orte
zu stiften, wo es ihm so gut gegangen war.
Er erklärte sich hierüber mit einiger Wehmut; denn er konnte nach der
Lage der Sache wohl einsehen, daß sein Aufenthalt in so vollkommener
Gesellschaft nicht immer dauern könne, ja vielleicht bald abgebrochen
werden müsse.
übrigens waren diese Tage zwar nicht reich an Begebenheiten, doch
voller Anlässe zu ernsthafter Unterhaltung.
Wir nehmen daher Gelegenheit, von demjenigen, was Ottilie sich daraus
in ihren Heften angemerkt, einiges mitzuteilen, wozu wir keinen
schicklichern übergang finden als durch ein Gleichnis, das sich uns
beim Betrachten ihrer liebenswürdigen Blätter aufdringt.
Wir hören von einer besondern Einrichtung bei der englischen Marine.
Sämtliche Tauwerke der königlichen Flotte, vom stärksten bis zum
schwächsten, sind dergestalt geht, den man nicht herauswinden kann,
ohne alles aufzulösen, und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich
sind, daß sie der Krone gehören.
Ebenso zieht sich durch Ottiliens Tagebuch ein Faden der Neigung und
Anhänglichkeit, der alles verbindet und das Ganze bezeichnet. Dadurch
werden diese Bemerkungen, Betrachtungen, ausgezogenen Sinnsprüche und
was sonst vorkommen mag, der Schreibenden ganz besonders eigen und für
sie von Bedeutung.
Selbst jede einzelne von uns ausgewählte und mitgeteilte Stelle gibt
davon das entschiedenste Zeugnis.
Neben denen dereinst zu ruhen, die man liebt, ist die angenehmste
Vorstellung, welche der Mensch haben kann, wenn er einmal über das
Leben hinausdenkt.
Zu den Seinigen versammelt werden ist ein so herzlicher Ausdruck.
Es gibt mancherlei Denkmale und Merkzeichen, die uns Entfernte und
Abgeschidene näher bringen.
Keins ist von der Bedeutung des Bildes.
Die Unterhaltung mit einem geliebten Bilde, selbst wenn es unähnlich
ist, hat was Reizendes, wie es manchmal etwas Reizendes hat, sich mit
einem Freunde streiten.
Man fühlt auf eine angenehme Weise, daß man zu zweien ist und doch
nicht auseinander kann.
Man unterhält sich manchmal mit einem gegenwärtigen Menschen als mit
einem Bilde.
Er braucht nicht zu sprechen, uns nicht anzusehen, sich nicht mit uns
zu beschäftigen; wir sehen ihn, wir fühlen unser Verhältnis zu ihm, ja
sogar unsere Verhältnisse zu ihm können wachsen, ohne daß er etwas
dazu tut, ohne daß er etwas davon empfindet, daß er sich eben bloß zu
uns wie ein Bild verhält.
Man ist niemals mit einem Porträt zufrieden von Personen, die man
kennt.
Deswegen habe ich die Porträtmaler immer bedauert.
Man verlangt so selten von den Leuten das Unmögliche, und gerade von
diesen fordert mans.
Sie sollen einem jeden sein Verhältnis zu den Personen, seine Neigung
und Abneigung mit in ihr Bild aufnehmen; sie sollen nicht bloß
darstellen, wie sie einen Menschen fassen, sondern wie jeder ihn
fassen würde.
Es nimmt mich nicht wunder, wenn solche Künstler nach und nach
verstockt, gleichgültig und eigensinnig werden.
Daraus möchte denn entstehen, was wollte, wenn man nur nicht gerade
darüber die Abbildungen so mancher lieben und teuren Menschen
entbehren müßte.
Es ist wohl wahr, die Sammlung des Architekten von Waffen und alten
Gerätschaften, die nebst dem Körper mit hohen Erdhügeln und
Felsenstücken zugedeckt waren, bezeugt uns, wie unnütz die Vorsorge
des Menschen sei für die Erhaltung seiner Persönlichkeit nach dem Tode.
Und so widersprechend sind wir!
Der Architekt gesteht, selbst solche Grabhügel der Vorfahren geöffnet
zu haben, und fährt dennoch fort, sich mit Denkmälern für die
Nachkommen zu beschäftigen.
Warum soll man es aber so streng nehmen?
Ist denn alles, was wir tun, für die Ewigkeit getan?
Ziehen wir uns nicht morgens an, um uns abends wieder auszuziehen?
Verreisen wir nicht, um wiederzukehren?
Und warum sollten wir nicht wünschen, neben den Unsrigen zu ruhen, und
wenn es auch nur für ein Jahrhundert wäre?
Wenn man die vielen versunkenen, die durch Kirchgänger abgetretenen
Grabsteine, die über ihren Grabmälern selbst zusammengestürzten
Kirchen erblickt, so kann einem das Leben nach dem Tode doch immer wie
ein zweites Leben vorkommen, in das man nun im Bilde, in der
überschrift eintritt und länger darin verweilt als in dem eigentlichen
lebendigen Leben.
Aber auch dieses Bild, dieses zweite Dasein verlischt früher oder
später.
Wie über die Menschen, so auch über die Denkmäler läßt sich die Zeit
ihr Recht nicht nehmen.
Es ist eine so angenehme Emfpindung, sich mit etwas zu beschäftigen,
was man nur halb kann, daß niemand den Dilettanten schelten sollte,
wenn er sich mit einer Kunst abgibt, die er nie lernen wird, noch den
Künstler tadeln dürfte, wenn er über die Grenze seiner Kunst hinaus in
einem benachbarten Felde sich zu ergehen Lust hat.
Mit so billigen Gesinnungen betrachten wir die Anstalten des
Architekten zum Ausmalen der Kapelle.
Die Farben waren bereitet, die Maße genommen, die Kartone gezeichnet;
allen Anspruch auf Erfindung hatte er aufgegeben; er hielt sich an
seine Umrisse: nur die sitzenden und schwebenden Figuren geschickt
auszuteilen, den Raum damit geschmackvoll auszuzieren, war seine Sorge.
Das Gerüste stand, die Arbeit ging vorwärts, und da schon einiges, was
in die Augen fiel, erreicht war, konnte es ihm nicht zuwider sein, daß
Charlotte mit Ottilien ihn besuchte.
Die lebendigen Engelsgesichter, die lebhaften Gewänder auf dem blauen
Himmelsgrunde erfreuten das Auge, indem ihr stilles frommes Wesen das
Gemüt zur Sammlung berief und eine sehr zarte Wirkung hervorbrachte.
Die Frauen waren zu ihm aufs Gerüst gestiegen, und Ottilie bemerkte
kaum, wie abgemessen leicht und bequem das alles zuging, als sich in
ihr das durch frühern Unterricht Empfangene mit einmal zu entwickeln
schien, sie nach Farbe und Pinsel griff und auf erhaltene Anweisung
ein faltenreiches Gewand mit soviel Reinlichkeit als Geschicklichkeit
anlegte.
Charlotte, welche gern sah, wenn Ottilie sich auf irgendeine Weise
beschäftigte und zerstreute, ließ die beiden gewähren und ging, um
ihren eigenen Gedanken nachzuhängen, um ihre Betrachtungen und Sorgen,
die sie niemanden mitteilen konnte, für sich durchzuarbeiten. Wenn
gewöhnliche Menschen, durch gemeine Verlegenheiten des Tags zu einem
leidenschaftlich ängstlichen Betragen aufgeregt, uns ein mitleidiges
Lächeln abnötigen, so betrachten wir dagegen mit Ehrfurcht ein Gemüt,
in welchem die Saat eines großen Schicksals ausgesäet worden, das die
Entwicklung dieser Empfängnis abwarten muß und weder das Gute noch das
Böse, weder das Glückliche noch das Unglückliche, was daraus
entspringen soll, beschleunigen darf und kann.
Eduard hatte durch Charlottens Boten, den sie ihm in seine Einsamkeit
gesendet, freundlich und teilnehmend, aber doch eher gefaßt und ernst
als zutraulich und liebevoll, geantwortet.
Kurz darauf war Eduard verschwunden, und seine Gattin konnte zu keiner
Nachricht von ihm gelangen, bis sie endlich von ungefähr seinen Namen
in den Zeitungen fand, wo er unter denen, die sich bei einer
bedeutenden Kriegsgelegenheit hervorgetan hatten, mit Auszeichnung
genannt war.
Sie wußte nun, welchen Weg er genommen hatte, sie erfuhr, daß er
großen Gefahren entronnen war; allein sie überzeugte sich sogleich,
daß er größere aufsuchen würde, und sie konnte sich daraus nur
allzusehr deuten, daß er in jedem Sinne schwerlich vom äußersten würde
zurückzuhalten sein.
Sie trug diese Sorgen für sich allein immer in Gedanken und mochte sie
hin und wider legen, wie sie wollte, so konnte sie doch bei keiner
Ansicht Beruhigung finden.
Ottilie, von alledem nichts ahnend, hatte indessen zu jener Arbeit die
größte Neigung gefaßt und von Charlotten gar leicht die Erlaubnis
erhalten, regelmäßig darin fortfahren zu dürfen.
Nun ging es rasch weiter, und der azurne Himmel war bald mit würdigen
Bewohnern bevölkert.
Durch eine anhaltende übung gewannen Ottilie und der Architekt bei den
letzten Bildern mehr Freiheit; sie wurden zusehends besser.
Auch die Gesichter, welche dem Architekten zu malen allein überlassen
war, zeigten nach und nach eine ganz besondere Eigenschaft; sie fingen
sämtlich an, Ottilien zu gleichen.
Die Nähe des schönen Kindes mußte wohl in die Seele des jungen Mannes,
der noch keine natürliche oder künstlerische Physiognomie vorgefaßt
hatte, einen so lebhaften Eindruck machen, daß ihm nach und nach auf
dem Wege vom Auge zur Hand nichts verlorenging, ja daß beide zuletzt
ganz gleichstimmig arbeiteten.
Genug, eins der letzten Gesichtchen glückte vollkommen, so daß es
schien, als wenn Ottilie selbst aus den himmlischen Räumen
heruntersähe.
An dem Gewölbe war man fertig; die Wände hatte man sich vorgenommen
einfach zu lassen und nur mit einer hellern bräunlichen Farbe zu
überziehen; die zarten Säulen und künstlichen bildhauerischen Zieraten
sollten sich durch eine dunklere auszeichnen.
Aber wie in solchen Dingen immer eins zum andern führt, so wurden noch
Blumen und Fruchtgehänge beschlossen, welche Himmel und Erde gleichsam
zusammenknüpfen sollten.
Hier war nun Ottilie ganz in ihrem Felde.
Die Gärten lieferten die schönsten Muster, und obschon die Kränze sehr
reich ausgestattet wurden, so kam man doch früher, als man gedacht
hatte, damit zustande.
Noch sah aber alles wüste und roh aus.
Die Gerüste waren durcheinander geschoben, die Bretter übereinander
geworfen, der ungleiche Fußboden durch mancherlei vergossene Farben
noch mehr verunstaltet.
Der Architekt erbat sich nunmehr, daß die Frauenzimmer ihm acht Tage
Zeit lassen und bis dahin die Kapelle nicht betreten möchten.
Endlich ersuchte er sie an einem schönen Abende, sich beiderseits
dahin zu verfügen; doch wünschte er, sie nicht begleiten zu dürfen,
und empfahl sich sogleich.
"Was er uns auch für eine überraschung zugedacht haben mag", sagte
Charlotte, als er weggegangen war, "so habe ich doch gegenwärtig keine
Lust hinunterzugehen.
Du nimmst es wohl allein über dich und gibst mir Nachricht.
Gewiß hat er etwas Angenehmes zustande gebracht.
Ich werde es erst in deiner Beschreibung und dann gern in der
Wirklichkeit genießen".
Ottilie, die wohl wußte, daß Charlotte sich in manchen Stücken in acht
nahm, alle Gemütsbewegungen vermied und besonders nicht überrascht
sein wollte, begab sich sogleich allein auf den Weg und sah sich
unwillkürlich nach dem Architekten um, der aber nirgends erschien und
sich mochte verborgen haben.
Sie trat in die Kirche, die sie offen fand.
Diese war schon früher fertig, gereinigt und eingeweiht.
Sie trat zur Türe der Kapelle, deren schwere, mit Erz beschlagene Last
sich leicht vor ihr auftat und sie in einem bekannten Raume mit einem
unerwarteten Anblick überraschte.
Durch das einzige hohe Fenster fiel ein ernstes, buntes Licht herein;
denn es war von farbigen Gläsern anmutig zusammengesetzt.
Das Ganze erhielt dadurch einen fremden Ton und bereitete zu einer
eigenen Stimmung.
Die Schönheit des Gewölbes und der Wände ward durch die Zierde des
Fußbodens erhöht, der aus besonders geformten, nach einem schönen
Muster gelegten, durch eine gegossene Gipsfläche verbundenen
Ziegelsteinen bestand.
Diese sowohl als die farbigen Scheiben hatte der Architekt heimlich
bereiten lassen und konnte nun in kurzer Zeit alles zusammenfügen.
Auch für Ruheplätze war gesorgt.
Es hatten sich unter jenen kirchlichen Altertümern einige schön
geschnitzte Chorstühle vorgefunden, die nun gar schicklich an den
Wänden angebracht umherstanden.
Ottilie freute sich der bekannten, ihr als ein unbekanntes Ganze
entgegentretenden Teile.
Sie stand, ging hin und wider, sah und besah; endlich setzte sie sich
auf einen der Stühle, und es schien ihr, indem sie auf—und
umherblickte, als wenn sie wäre und nicht wäre, als wenn sie sich
empfände und nicht empfände, als wenn dies alles vor ihr, sie vor sich
selbst verschwinden sollte; und nur als die Sonne das bisher sehr
lebhaft beschienene Fenster verließ, erwachte Ottilie vor sich selbst
und eilte nach dem Schlosse.
Sie verbarg sich nicht, in welche sonderbare Epoche diese überraschung
gefallen sei.
Es war der Abend vor Eduards Geburtstage.
Diesen hatte sie freilich ganz anders zu feiern gehofft.
Wie sollte nicht alles zu diesem Feste geschmückt sein!
Aber nunmehr stand der ganze herbstliche Blumenreichtum ungepflückt.
Diese Sonnenblumen wendeten noch immer ihr Angesicht gen Himmel, diese
Astern sahen noch immer still bescheiden vor sich hin, und was
allenfalls davon zu Kränzen gebunden war, hatte zum Muster gedient,
einen Ort auszuschmücken, der, wenn er nicht bloß eine Künstlergrille
bleiben, wenn er zu irgend etwas genutzt werden sollte, nur zu einer
gemeinsamen Grabstätte geeignet schien.
Sie mußte sich dabei der geräuschvollen Geschäftigkeit erinnern, mit
welcher Eduard ihr Geburtsfest gefeiert; sie mußte des neugerichteten
Hauses gedenken, unter dessen Decke man sich soviel Freundliches
versprach.
Ja das Feuerwerk rauschte ihr wieder vor Augen und Ohren, je einsamer
sie war, desto mehr vor der Einbildungskraft; aber sie fühlte sich
auch nur um desto mehr allein.
Sie lehnte sich nicht mehr auf seinen Arm und hatte keine Hoffnung, an
ihm jemals wieder eine Stütze zu finden.
Eine Bemerkung des jungen Künstlers muß ich aufzeichnen: "wie am
Handwerker so am bildenden Künstler kann man auf das deutlichste
gewahr werden, daß der Mensch sich am wenigsten zuzueignen vermag, was
ihm ganz eigens angehört.
Seine Werke verlassen ihn so wie die Vögel das Nest, worin sie
ausgebrütet worden".
Der Baukünstler vor allen hat hierin das wunderlichste Schicksal.
Wie oft wendet er seinen ganzen Geist, seine ganze Neigung auf, um
Räume hervorzubringen, von denen er sich selbst ausschließen muß! Die
königlichen Säle sind ihm ihre Pracht schuldig, deren größte Wirkung
er nicht mitgenießt.
In den Tempeln zieht er eine Grenze zwischen sich und dem
Allerheiligsten; er darf die Stufen nicht mehr betreten, die er zur
hrzerhebenden Feierlichkeit gründete, so wie der Goldschmied die
Monstranz nur von fern anbetet, deren Schmelz und Edelsteine er
zusammengeordnet hat.
Dem Reichen übergibt der Baumeister mit dem Schlüssel des Palastes
alle Bequemlichkeit und Behäbigkeit, ohne irgend etwas davon
mitzugenießen.
Muß sich nicht allgemach auf diese Weise die Kunst von dem Künstler
entfernen, wenn das Werk wie ein ausgestattetes Kind nicht mehr auf
den Vater zurückwirkt?
Und wie sehr mußte die Kunst sich selbst befördern, als sie fast
allein mit dem öffentlichen, mit dem, was allen und also auch dem
Künstler gehörte, sich zu beschäftigen bestimmt war!
Eine Vorstellung der alten Völker ist ernst und kann furchtbar
scheinen.
Sie dachten sich ihre Vorfahren in großen Höhlen ringsumher auf
Thronen sitzend in stummer Unterhaltung.
Dem Neuen, der hereintrat, wenn er würdig genug war, standen sie auf
und neigten ihm einen Willkommen.
Gestern, als ich in der Kapelle saß und meinem geschnitzten Stuhle
gegenüber noch mehrere umhergestellt sah, erschien mir jener Gedanke
gar freundlich und anmutig.
"Warum kannst du nicht sitzenbleiben?" dachte ich bei mir selbst,
"still und in dich gekehrt sitzenbleiben, lange, lange, bis endlich
die Freunde kämen, denen du aufstündest und ihren Platz mit
freundlichem Neigen anwiesest".
Die farbigen Scheiben machen den Tag zur ernsten Dämmerung, und jemand
müßte eine ewige Lampe stiften, damit auch die Nacht nicht ganz
finster bliebe.
Man mag sich stellen, wie man will, und man denkt sich immer sehend.
Ich glaube, der Mensch träumt nur, damit er nicht aufhöre zu sehen.
Es könnte wohl sein, daß das innere Licht einmal aus uns herausträte,
sodaß wir keines andern mehr bedürften.
Das Jahr klingt ab.
Der Wind geht über die Stoppeln und findet nichts mehr zu bewegen; nur
die roten Beeren jener schlanken Bäume scheinen uns noch an etwas
Munteres erinnern zu wollen, so wie uns der Taktschlag des Dreschers
den Gedanken erweckt, daß in der abgesichelten ähre soviel Nährendes
und Lebendiges verborgen liegt.
Wie seltsam mußte solchen Ereignissen, nach diesem aufgedrungenen
Gefühl von Vergänglichkeit und Hinschwinden Ottilie durch die
Nachricht getroffen werden, die ihr nicht länger verborgen bleiben
konnte, daß Eduard sich dem wechselnden Kriegsglück überliefert habe.
Es entging ihr leider keine von den Betrachtungen, die sie dabei zu
machen Ursache hatte.
Glücklicherweise kann der Mensch nur einen gewissen Grad des Unglücks
fassen; was darüber hinausgeht, vernichtet ihn oder läßt ihn
gleichgültig.
Es gibt Lagen, in denen Furcht und Hoffnung eins werden, sich einander
wechselseitig aufheben und in eine dunkle Fühllosigkeit verlieren.
Wie könnten wir sonst die entfernten Geliebtesten in stündlicher
Gefahr wissen und dennoch unser tägliches, gewöhnliches Leben immer so
forttreiben.
Es war daher, als wenn ein guter Geist für Ottilien gesorgt hätte,
indem er auf einmal in diese Stille, in der sie einsam und
unbeschäftigt zu versinken schien, ein wildes Heer hereinbrachte, das,
indem es ihr von außen genug zu schaffen gab und sie aus sich selbst
führte, zugleich in ihr das Gefühl eigener Kraft anregte.
Charlottens Tochter, Luciane, war kaum aus der Pension in die große
Welt getreten, hatte kaum in dem Hause ihrer Tante sich von
zahlreicher Gesellschaft umgeben gesehen, als ihr Gefallenwollen
wirklich Gefallen erregte und ein junger, sehr reicher Mann gar bald
eine heftige Neigung empfand, sie zu besitzen.
Sein ansehnliches Vermögen gab ihm ein Recht, das Beste jeder Art sein
eigen zu nennen, und es schien ihm nichts weiter abzugehen als eine
vollkommene Frau, um die ihn die Welt so wie um das übrige zu beneiden
hätte.
Diese Familienangelegenheit war es, welche Charlotten bisher sehr viel
zu tun gab, der sie ihre ganze überlegung, ihre Korrespondenz widmete,
insofern diese nicht darauf gerichtet war, von Eduard nähere Nachricht
zu erhalten; deswegen auch Ottilie mehr als sonst in der letzten Zeit
allein blieb.
Diese wußte zwar um die Ankunft Lucianens; im Hause hatte sie deshalb
die nötigsten Vorkehrungen getroffen; allein so nahe stellte man sich
den Besuch nicht vor.
Man wollte vorher noch schreiben, abreden, näher bestimmen, als der
Sturm auf einmal über das Schloß und Ottilien hereinbrach.
Angefahren kamen nun Kammerjungfern und Bediente, Brancards mit
Koffern und Kisten; man glaubte schon eine doppelte und dreifache
Herrschaft im Hause zu haben; aber nun erschienen erst die Gäste
selbst: die Großtante mit Lucianen und einigen Freundinnen, der
Bräutigam gleichfalls nicht unbegleitet.
Da lag das Vorhaus voll Vachen, Mantelsäcke und anderer lederner
Gehäuse.
Mit Mühe sonderte man die vielen Kästchen und Futterale auseinander.
Des Gepäckes und Geschleppes war kein Ende.
Dazwischen regnete es mit Gewalt, woraus manche Unbequemlichkeit
entstand.
Diesem ungestümen Treiben begegnete Ottilie mit gleichmütiger
Tätigkeit, ja ihr heiteres Geschick erschien im schönsten Glanze; denn
sie hatte in kurzer Zeit alles untergebracht und angeordnet.
Jedermann war logiert, jedermann nach seiner Art bequem, und glaubte
gut bedient zu sein, weil er nicht gehindert war, sich selbst zu
bedienen.
Nun hätten alle gern, nach einer höchst beschwerlichen Reise, einige
Ruhe genossen; der Bräutigam hätte sich seiner Schwiegermutter gern
genähert, um ihr seine Liebe, seinen guten Willen zu beteuern; aber
Luciane konnte nicht rasten.
Sie war nun einmal zu dem Glücke gelangt, ein Pferd besteigen zu
dürfen.
Der Bräutigam hatte schöne Pferde, und sogleich mußte man aufsitzen.
Wetter und Wind, Regen und Sturm kamen nicht in Anschlag; es war, als
wenn man nur lebte, um naß zu werden und sich wieder zu trocknen.
Fiel es ihr ein, zu Fuße auszugehen, so fragte sie nicht, was für
Kleider sie anhatte und wie sie beschuht war: sie mußte die Anlagen
besichtigen, von denen sie vieles gehört hatte.
Was nicht zu Pferde geschehen konnte, wurde zu Fuß durchrannt.
Bald hatte sie alles gesehen und abgeurteilt.
Bei der Schnelligkeit ihres Wesens war ihr nicht leicht zu
widersprechen.
Die Gesellschaft hatte manches zu leiden, am meisten aber die
Kammermädchen, die mit Waschen und Bügeln, Auftrennen und Annähen
nicht fertig werden konnten.
Kaum hatte sie das Haus und die Gegend erschöpft, als sie sich
verpflichtet fühlte, rings in der Nachbarschaft Besuch abzulegen.
Weil man sehr schnell ritt und fuhr, so reichte die Nachbarschaft
ziemlich fern umher.
Das Schloß ward mit Gegenbesuchen überschwemmt, und damit man sich ja
nicht verfehlen möchte, wurden bald bestimmte Tage angesetzt. Indessen
Charlotte mit der Tante und dem Geschäftsträger des Bräutigams die
innern Verhältnisse festzustellen bemüht war und Ottilie mit ihren
Untergebenen dafür zu sorgen wußte, daß es an nichts bei so großem
Zugang fehlen möchte, da denn Jäger und Gärtner, Fischer und Krämer in
Bewegung gesetzt wurden, zeigte sich Luciane immer wie ein brennender
Kometenkern, der einen langen Schweif nach sich zieht.
Die gewöhnlichen Besuchsunterhaltungen dünkten ihr bald ganz
unschmackhaft.
Kaum daß sie den ältesten Personen eine Ruhe am Spieltisch gönnte: wer
noch einigermaßen beweglich war—und wer ließ sich nicht durch ihre
reizenden Zudringlichkeiten in Bewegung setzen?
-, Mußte herbei, wo nicht zum Tanze, doch zum lebhaften Pfand-,
Straf—und Vexierspiel.
Und obgleich das alles, so wie hernach die Pfänderlösung, auf sie
selbst berechnet war, so ging doch von der andern Seite niemand,
besonders kein Mann, er mochte von einer Art sein, von welcher er
wollte, ganz leer aus; ja es glückte ihr, einige ältere Personen von
Bedeutung ganz für sich zu gewinnen, indem sie ihre eben einfallenden
Geburts—und Namenstage ausgeforscht hatte und besonders feierte.
Dabei kam ihr ein ganz eignes Geschick zustatten, sodaß, indem alle
sich begünstigt sahen, jeder sich für den am meisten Begünstigten
hielt: eine Schwachheit, deren sich sogar der älteste in der
Gesellschaft am allermerklichsten schuldig machte.
Schien es bei ihr Plan zu sein, Männer, die etwas vorstellten, Rang,
Ansehen, Ruhm oder sonst etwas Bedeutendes für sich hatten, für sich
zu gewinnen, Weisheit und Besonnenheit zuschanden zu machen und ihrem
wilden, wunderlichen Wesen selbst bei der Bedächtlichkeit Gust zu
erwerben, so kam die Jugend doch dabei nicht zu kurz; jeder hatte sein
Teil, seinen Tag, seine Stunde, in der sie ihn zu entzücken und zu
fesseln wußte.
So hatte sie den Architekten schon bald ins Auge gefaßt, der jedoch
aus seinem schwarzen, langlockigen Haar so unbefangen heraussah, so
gerad und ruhig in der Entfernung stand, auf alle Fragen kurz und
verständig antwortete, sich aber auf nichts weiter einzulassen geneigt
schien, daß sie sich endlich einmal, halb unwillig halb listig,
entschloß, ihn zum Helden des Tages zu machen und dadurch auch für
ihren Hof zu gewinnen.
Nicht umsonst hatte sie so vieles Gepäck mitgebracht, ja es war ihr
noch manches gefolgt.
Sie hatte sich auf eine unendliche Abwechselung in Kleidern vorgesehen.
Wenn es ihr Vergnügen machte, sich des Tages drei-, viermal umzuziehen
und mit gewöhnlichen, in der Gesellschaft üblichen Kleidern vom Morgen
bis in die Nacht zu wechseln, so erschien sie dazwischen wohl auch
einmal im wirklichen Maskenkleid, als Bäuerin und Fischerin, als Fee
und Blumenmädchen.
Sie verschmähte nicht, sich als alte Frau zu verkleiden, um desto
frischer ihr junges Gesicht aus der Kutte hervorzuzeigen; und wirklich
verwirrte sie dadurch das Gegenwärtige und das Eingebildete dergestalt,
daß man sich mit der Saalnixe verwandt und verschwägert zu sein
glaubte.
Wozu sie aber diese Verkleidungen hauptsächlich benutzte, waren
pantomimische Stellungen und Tänze, in denen sie verschiedene
Charaktere auszudrücken gewandt war.
Ein Kavalier aus ihrem Gefolge hatte sich eingerichtet, auf dem Flügel
ihre Gebärden mit der wenigen nötigen Musik zu begleiten; es bedurfte
nur einer kurzen Abrede, und sie waren sogleich in Einstimmung.
Eines Tages, als man sie bei der Pause eines lebhaften Balls auf ihren
eigenen heimlichen Antrieb gleichsam aus dem Stegereife zu einer
solchen Darstellung aufgefordert hatte, schien sie verlegen und
überrascht und ließ sich wider ihre Gewohnheit lange bitten.
Sie zeigte sich unentschlossen, ließ die Wahl, bat wie ein
Imporvisator um einen Gegenstand, bis endlich jener Klavier spielende
Gehülfe, mit dem es abgeredet sein mochte, sich an den Flügel setzte,
einen Trauermarsch zu spielen anfing und sie aufforderte, jene
Artemisia zu geben, welche sie so vortrefflich einstudiert habe.
Sie ließ sich erbitten, und nach einer kurzen Abwesenheit erschien sie,
bei den zärtlich traurigen Tönen des Totenmarsches, in Gestalt der
königlichen Witwe, mit gemessenem Schritt, einen Aschenkrug vor sich
hertragend.
Hinter ihr brachte man eine große schwarze Tafel und in einer goldenen
Reißfeder ein wohlzugeschnitztes Stück Kreide.
Einer ihrer Verehrer und Adjutanten, dem sie etwas ins Ohr sagte, ging
sogleich den Architekten aufzufordern, zu nötigen und gewissermaßen
herbeizuschieben, daß er als Baumeister das Grab des mausolus zeichnen
und also keineswegs einen Statisten, sondern einen ernstlich
Mitspielenden vorstellen sollte.
Wie verlegen der Architekt auch äußerlich erschien—denn er machte in
seiner ganz schwarzen, knappen, modernen Zivilgestalt einen
wunderlichen Kontrast mit jenen Flören, Kreppen, Fransen, Schmelzen,
Quasten und Kronen -, so faßte er sich doch gleich innerlich, allein
um so wunderlicher war es anzusehen.
Mit dem größten Ernst stellte er sich vor die große Tafel, die von ein
paar Pagen gehalten wurde, und zeichnete mit viel Bedacht und
Genauigkeit ein Grabmal, das zwar eher einem longobardischen als einem
karischen König wäre gemäß gewesen, aber doch in so schönen
Verhältnissen, so ernst in seinen Teilen, so geistreich in seinen
Zieraten, daß man es mit Vergnügen entstehen sah und, als es fertig
war, bewunderte.
Er hatte sich in diesem ganzen Zeitraum fast nicht gegen die Königin
gewendet, sondern seinem Geschäft alle Aufmerksamkeit gewidmet.
Endlich, als er sich vor ihr neigte und andeutete, daß er nun ihre
Befehle vollzogen zu haben glaube, hielt sie ihm noch die Urne hin und
bezeichnete das Verlangen, diese oben auf dem Gipfel abgebildet zu
sehen.
Er tat es, obgleich ungern, weil sie zu dem Charakter seines übrigen
Entwurfs nicht passen wollte.
Was Lucianen betraf, so war sie endlich von ihrer Ungeduld erlöst;
denn ihre Absicht war keineswegs, eine gewissenhafte Zeichnung von ihm
zu haben.
Hätte er mit wenigen Strichen nur hinskizziert, was etwa einem
Monument ähnlich gesehen, und sich die übrige Zeit mit ihr abgegeben,
so wäre das wohl dem Endzweck und ihren Wünschen gemäßer gewesen.
Bei seinem Benehmen dagegen kam sie in die größte Verlegenheit; denn
ob sie gleich in ihrem Schmerz, ihren Anordnungen und Andeutungen,
ihrem Beifall über das nach und nach Entstehende ziemlich abzuwechseln
suchte und sie ihn einigemal beinahe herumzerrte, um nur mit ihm in
eine Art von Verhältnis zu kommen, so erwies er sich doch gar zu steif,
dergestalt daß sie allzuoft ihre Zuflucht zur Urne nehmen, sie an ihr
Herz drücken und zum Himmel schauen mußte, ja zuletzt, weil sich doch
dergleichen Situationen immer steigern, mehr einer Witwe von Ephesus
als einer Königin von Karien ähnlich sah.
Die Vorstellung zog sich daher in die Lage; der Klavierspieler, der
sonst Geduld genug hatte, wußte nicht mehr, in welchen Ton er
ausweichen sollte.
Er dankte Gott, als er die Urne auf der Pyramide stehn sah, und fiel
unwillkürlich, als die Königin ihren Dank ausdrücken wollte, in ein
lustiges Thema, wodurch die Vorstellung zwar ihren Charakter verlor,
die Gesellschaft jedoch völlig aufgeheitert wurde, die sich denn
solgeich teilte, der Dame für ihren vortrefflichen Ausdruck und dem
Architekten für seine künstliche und zierliche Zeichnung eine freudige
Bewunderung zu beweisen.
Besonders der Bräutigam unterhielt sich mit dem Achritekten.
"Es tut mir leid", sagte jener, "daß die Zeichnung so vergänglich ist.
Sie erlauben wenigstens, daß ich sie mir auf mein Zimmer bringen lasse
und mich mit Ihnen darüber unterhalte".
-"Wenn es Ihnen Vergnügen macht", sagte der Architekt, "so kann ich
Ihnen sorgfältige Zeichnungen von dergleichen Gebäuden und Monumenten
vorlegen, wovon dieses nur ein zufälliger, flüchtiger Entwurf ist".
Ottilie stand nicht fern und trat zu den beiden.
"Versäumen Sie nicht",sagte sie zum Architekten, "den Herrn Baron
gelegentlich Ihre Sammlung sehen zu lassen; er ist ein Freund der
Kunst und des Altertums; ich wünsche, daß Sie sich näher kennenlernen".
Luciane kam herbeigefahren und fragte: "wovon ist die Rede?" "Von
einer Sammlung Kunstwerke", antwortete der Baron, "welche dieser Herr
besitzt und die er uns gelegentlich zeigen will".
"Er mag sie nur gleich bringen!" rief Luciane.
"Nicht wahr, Sie bringen sie gleich?" setzte sie schmeichelnd hinzu,
indem sie ihn mit beiden Händen freundlich anfaßte.
"Es möchte jetzt der Zeitpunkt nicht sein", versetzte der Architekt.
"Was!" rief Luciane gebieterisch, "Sie wollen dem Befehl Ihrer Königin
nicht gehorchen?" Dann legte sie sich auf ein neckisches Bitten.
"Sein Sie nicht eigensinnig!" sagte Ottilie halb leise.
Der Architekt entfernte sich mit einer Beugung; sie war weder bejahend
noch verneinend.
Kaum war er fort, als Luciane sich mit einem Windspiel im Saale
herumjagte.
"Ach!" rief sie aus, indem sie zufällig an ihre Mutter stieß, "wie bin
ich nicht unglücklich!
Ich habe meinen Affen nicht mitgenommen; man hat es mir abgeraten; es
ist aber nur die Bequemlichkeit meiner Leute, die mich um dieses
Vergnügen bringt.
Ich will ihn aber nachkommen lassen, es soll mir jemand hin, ihn zu
holen.
Wenn ich nur sein Bildnis sehen könnte, so wäre ich schon vergnügt.
Ich will ihn aber gewiß auch malen lassen, und er soll mir nicht von
der Seite kommen".
"Vielleicht kann ich dich trösten", versetzte Charlotte, "wenn ich dir
aus der Bibliothek einen ganzen Band der wunderlichsten Affenbilder
kommen lasse".
Luciane schrie vor Freuden laut auf, und der Folioband wurde gebracht.
Der Anblick dieser menschenähnlichen und durch den Künstler noch mehr
vermenschlichten abscheulichen Geschöpfe machte Lucianen die größte
Freude.
Ganz glücklich aber fühlte sie sich, bei einem jeden dieser Tiere die
ähnlichkeit mit bekannten Menschen zu finden.
"Sieht der nicht aus wie die Onkel?" rief sie unbarmherzig, "der wie
der Galanteriehändler M-, der wie der Pfarrer S-, und dieser ist der
Dings -, der—leibhaftig.
Im Grunde sind doch die Affen die eigentlichen Incroyables, und es ist
unbegreiflich, wie man sie aus der besten Gesellschaft ausschließen
mag".
Sie sagte das in der besten Gesellschaft, doch niemand nahm es ihr
übel.
Man war so gewohnt, ihrer Anmut vieles zu erlauben, daß man zuletzt
ihrer Unart alles erlaubte.
Ottilie unterhielt sich indessen mit dem Bräutigam.
Sie hoffte auf die Rückkunft des Architekten, dessen ernstere,
geschmackvollere Sammlungen die Gesellschaft von diesem Affenwesen
befreien sollten.
In dieser Erwartung hatte sie sich mit dem Baron besprochen und ihn
auf manches aufmerksam gemacht.
Allein der Architekt blieb aus, und als er endlich wiederkam, verlor
er sich unter der Gesellschaft, ohne etwas mitzubringen und ohne zu
tun, als ob von etwas die Frage gewesen wäre.
Ottilie ward einen Augenblick—wie soll mans nennen?—Verdrießlich,
ungehalten, betroffen; sie hatte ein gutes Wort an ihn gewendet, sie
gönnte dem Bräutigam eine vergnügte Stunde nach seinem Sinne, der bei
seiner unendlichen Liebe für Lucianen doch von ihrem Betragen zu
leiden schien.
Die Affen mußten einer Kollation Platz machen.
Gesellige Spiele, ja sogar noch Tänze, zuletzt ein freudeloses
Herumsitzen und Wiederaufjagen einer schon gesunkenen Lust dauerten
diesmal, wie sonst auch, weit über Mitternacht.
Denn schon hatte sich Luciane gewöhnt, morgens nicht aus dem Bette und
abends nicht ins Bette gelangen zu können.
Um diese Zeit finden sich in Ottiliens Tagebuch Ereignisse seltner
angemerkt, dagegen häufiger auf das Leben bezügliche und vom Leben
abgezogene Maximen und Sentenzen.
Weil aber die meisten derselben wohl nicht durch ihre eigene Reflexion
entstanden sein können, so ist es wahrscheinlich, daß man ihr
irgendeinen Heft mitgeteilt, aus dem sie sich, was ihr gemütlich war,
ausgeschrieben.
Manches Eigene von innigererem Bezug wird an dem roten Faden wohl zu
erkennen sein.
Wir blicken so gern in die Zukunft, weil wir das Ungefähre, was sich
in ihr hin und her bewegt, durch stille Wünsche so gern zu unsern
Gunsten heranleiten möchten.
Wir befinden uns nicht leicht in großer Gesellschaft, ohne zu denken,
der Zufall, der so viele zusammenbringt, solle uns auch unsre Freunde
herbeiführen.
Man mag noch so eingezogen leben, so wird man, ehe man sichs versieht,
ein Schuldner oder ein Gläubiger.
Begegnet uns jemand, der uns Dank schuldig ist, gleich fällt es uns
ein.
Wie oft können wir jemand begegnen, dem wir Dank schuldig sind, ohne
daran zu denken!
Sich mitzuteilen ist Natur; mitgeteiltes aufzunehmen, wie es gegeben
wird, ist Bildung.
Niemand würde viel in Gesellschaften sprechen, wenn er sich bewußt
wäre, wie oft er die andern mißversteht.
Man verändert fremde Reden beim Wiederholen wohl nur darum so sehr,
weil man sie nicht verstanden hat.
Wer vor andern lange allein spricht, ohne den Zuhörern zu schmeicheln,
erregt Widerwillen.
Jedes ausgesprochene Wort erregt den Gegensinn.
Widerspruch und Scheichelei machen beide ein schlechtes Gespräch.
Die angenehmsten Gesellschaften sind die, in welchen eine heitere
Ehrerbietung der Glieder gegeneinander obwaltet.
Durch nichts bezeichnen die Menschen mehr ihren Charakter als durch
das, was sie lächerlich finden.
Das Lächerliche entspringt aus einem sittlichen Kontrast, der auf eine
unschädliche Weise für die Sinne in Verbindung gebracht wird. Der
sinnliche Mensch lacht oft, wo nichts zu lachen ist.
Was ihn auch anregt, sein inneres Behagen kommt zum Vorschein.
Der Verständige findet fast alles lächerlich, der Vernünftige fast
nichts.
Einem bejahrten Manne verdachte man, daß er sich noch um junge
Frauenzimmer bemühte.
"Es ist das einzige Mittel", versetzte er, "sich zu verjüngen, und das
will doch jedermann".
Man läßt sich seine Mängel vorhalten, man läßt sich strafen, man
leidet manches um ihrer willen mit Geduld; aber ungeduldig wird man,
wenn man sie ablegen soll.
Gewisse Mängel sind notwendig zum Dasein des einzelnen.
Es würde uns unangenehm sein, wenn alte Freunde gewisse Eigenheiten
ablegten.
Man sagt: "es stirbt bald", wenn einer etwas gern seine Art und Weise
tut.
Was für Mängel dürfen wir behalten, ja an uns kultivieren? Solche,
die den andern eher schmeicheln als sie verletzen.
Die Leidenschaften sind Mängel oder Tugenden, nur gesteigerte.
Unsre Leidenschaften sind wahre Phönixe.
Wie der alte verbrennt, steigt der neue sogleich wieder aus der Asche
hervor.
Große Leidenschaften sind Krankheiten ohne Hoffnung.
Was sie heilen könnte, macht sie erst recht gefährlich.
Die Leidenschaft erhöht und mildert sich durchs Bekennen.
In nichts wäre die Mittelstraße vielleicht wünschenswerter als im
Vertrauen und Verschweigen gegen die, die wir lieben.
So peitschte Luciane den Lebensrausch im geselligen Strudel immer vor
sich her.
Ihr Hofstaat vermehrte sich täglich, teils weil ihr Treiben so manchen
erregte und anzog, teils weil sie sich andre durch Gefälligkeit und
Wohltun zu verbinden wußte.
Mittteilend war sie im höchsten Grade; denn da ihr durch die Neigung
der Tante und des Bräutigams soviel Schönes und Köstliches auf einmal
zugeflossen war, so schien sie nichts Eigenes zu besitzen und den Wert
der Dinge nicht zu kennen, die sich um sie gehäuft hatten.
So zauderte sie nicht einen Augenblick, einen kostbaren Schal
abzunehmen und ihn einem Frauenzimmer umzuhängen, das ihr gegen die
übrigen zu ärmlich gekleidet schien, und sie tat das auf eine so
neckische, geschickte Weise, daß niemand eine solche Gabe ablehnen
konnte.
Einer von ihrem Hofstaat hatte stets eine Börse und den Auftrag, in
den Orten, wo sie einkehrten, sich nach den ältesten und Kränksten zu
erkundigen und ihren Zustand wenigstens für den Augenblick zu
erleichtern.
Dadurch entstand ihr in der ganzen Gegend ein Name von
Vortrefflichkeit, der ihr doch auch manchmal unbequem ward, weil er
allzuviel lästige Notleidende an sie heranzog.
Durch nichts aber vermehrte sie so sehr ihren Ruf als durch ein
auffallendes, gutes, beharrliches Benehmen gegen einen unglücklichen
jungen Mann, der die Gesellschaft floh, weil er, übrigens schön und
wohlgebildet, seine rechte Hand, obgleich rühmlich, in der Schlacht
verloren hatte.
Diese Verstümmlung erregte ihm einen solchen Mißmut, es war ihm so
verdrießlich, daß jede neue Bekanntschaft sich auch immer mit seinem
Unfall bekannt machen sollte, daß er sich lieber versteckte, sich dem
Lesen und andern Studien ergab und ein für allemal mit der
Gesellschaft nichts wollte zu schaffen haben.
Das Dasein dieses jungen Mannes blieb ihr nicht verborgen.
Er mußte herbei, erst in kleiner Gesellschaft, dann in größerer, dann
in der größten.
Sie benahm sich anmutiger gegen ihn als gegen irgendeinen andern;
besonders wußte sie durch zudringliche Dienstfertigkeit ihm seinen
Verlust wert zu machen, indem sie geschäftig war, ihn zu ersetzen.
Bei Tafel mußte er neben ihr seinen Platz nehmen; sie schnitt ihm vor,
sodaß er nur die Gabel gebrauchen durfte.
Nahmen ältere, Vornehmere ihm ihre Nachbarschaft weg, so erstreckte
sie ihre Aufmerksamkeit über die ganze Tafel hin, und die eilenden
Bedienten mußten das ersetzen, was ihm die Entfernung zu rauben drohte.
Zuletzt munterte sie ihn auf, mit der linken Hand zu schreiben; er
mußte alle seine Versuche an sie richten, und so stand sie, entfernt
oder nah, immer mit ihm in Verhältnis.
Der junge Mann wußte nicht, wie ihm geworden war, und wirklich fing er
von diesem Augenblick ein neues Leben an.
Vielleicht sollte man denken, ein solches Betragen wäre dem Bräutigam
mißfällig gewesen; allein es fand sich das Gegenteil.
Er rechnete ihr diese Bemühungen zu großem Verdienst an und war um so
mehr darüber ganz ruhig, als er ihre fast übertriebenen Eigenheiten
kannte, wodurch sie alles, was im mindesten verfänglich schien, von
sich abzulehnen wußte.
Sie wollte mit jedermann nach Belieben umspringen, jeder war in Gefahr,
von ihr einmal angestoßen, gezerrt oder sonst geneckt zu werden;
niemand aber durfte sich gegen sie ein Gleiches erlauben, niemand sie
nach Willkür berühren, niemand auch nur im entferntesten Sinne eine
Freiheit, die sie sich nahm, erwidern; und so hielt sie die andern in
den strengsten Grenzen der Sittlichkeit gegen sich, die sie gegen
andere jeden Augenblick zu übertreten schien.
überhaupt hätte man glauben können, es sei bei ihr Maxime gewesen,
sich dem Lobe und dem Tadel, der Neigung und der Abneigung gleichmäßig
auszusetzen.
Denn wenn sie die Menschen auf mancherlei Weise für sich zu gewinnen
suchte, so verdarb sie es wieder mit ihnen gewöhnlich durch eine böse
Zunge, die niemanden schonte.
So wurde kein Besuch in der Nachbarschaft abgelegt, nirgends sie und
ihre Gesellschaft in Schlössern und Wohnungen freundlich aufgenommen,
ohne daß sie bei der Rückkehr auf das ausgelassenste merken ließ, wie
sie alle menschlichen Verhältnisse nur von der lächerlichen Seite zu
nehmen geneigt sei.
Da waren drei Brüder, welche unter lauter Komplimenten, wer zuerst
heiraten sollte, das Alter übereilt hatte; hier eine kleine, junge
Frau mit einem großen, alten Manne; dort umgekehrt ein kleiner,
munterer Mann und eine unbehülfliche Riesin.
In dem einen Hause stolperte man bei jedem Schritt über ein Kind; das
andre wollte ihr bei der größten Gesellschaft nicht voll erscheinen,
weil keine Kinder gegenwärtig waren.
Alte Gatten sollten sich nur schnell begraben lassen, damit doch
wieder einmal jemand im Hause zum Lachen käme, da ihnen keine Noterben
gegeben waren.
Junge Eheleute sollten reisen, weil das Haushalten sie gar nicht
kleide.
Und wie mit den Personen, so machte sie es auch mit den Sachen, mit
den Gebäuden wie mit dem Haus—und Tischgeräte.
Besonders alle Wandverzierungen reizten sie zu lustigen Bemerkungen.
Von dem ältesten Hautelisseteppich bis zu der neusten Papiertapete,
vom ehrwürdigsten Familienbilde bis zum frivolsten neuen Kupferstich,
eins wie das andre mußte leiden, eins wie das andre wurde durch ihre
spöttischen Bemerkungen gleichsam aufgezehrt, so daß man sich hätte
verwundern sollen, wie fünf Meilen umher irgend etwas nur noch
existierte.
Eigentliche Bosheit war vielleicht nicht in diesem verneinenden
Bestreben; ein selbstischer Mutwille mochte sie gewöhnlich anreizen;
aber eine wahrhafte Bitterkeit hatte sich in ihrem Verhältnis zu
Ottilien erzeugt.
Auf die ruhige, ununterbrochene Tätigkeit des lieben Kindes, die von
jedermann bemerkt und gepriesen wurde, sah sie mit Verachtung herab;
und als zur Sprache kam, wie sehr sich Ottilie der Gärten und der
Treibhäuser annehme, spottete sie nicht allein darüber, indem sie
uneingedenk des tiefen Winters, in dem man lebte, sich zu verwundern
schien, daß man weder Blumen noch Früchte gewahr werde, sondern sie
ließ auch von nun an so viel Grünes, so viel Zweige und was nur irgend
keimte, herbeiholen und zur täglichen Zierde der Zimmer und des
Tisches verschwenden, daß Ottilie und der Gärtner nicht wenig gekränkt
waren, ihre Hoffnungen für das nächste Jahr und vielleicht auf längere
Zeit zerstört zu sehen.
Ebensowenig gönnte sie Ottilien die Ruhe des häuslichen Ganges, worin
sie sich mit Bequemlichkeit fortbewegte.
Ottilie sollte mit auf die Lust—und Schlittenfahrten, sie sollte mit
auf die Bälle, die in der Nachbarschaft veranstaltet wurden; sie
sollte weder Schnee noch Kälte noch gewaltsame Nachtstürme scheuen, da
ja soviel andre nicht davon stürben.
Das zarte Kind litt nicht wenig darunter, aber Luciane gewann nichts
dabei; denn obgleich Ottilie sehr einfach gekleidet ging, so war sie
doch, oder so schien sie wenigstens immer den Männern die Schönste.
Ein sanftes Anziehen versammelte alle Männer um sie her, sie mochte
sich in den großen Räumen am ersten oder am letzten Platze befinden;
ja der Bräutigam Lucianens selbst unterhielt sich oft mit ihr, und
zwar um so mehr, las er in einer Angelegenheit, die ihn beschäftigte,
ihren Rat, ihre Mitwirkung verlangte.
Er hatte den Architekten näher kennen lernen, bei Gelegenheit seiner
Kunstsammlung viel über das Geschichtliche mit ihm gesprochen, in
andern Fällen auch, besonders bei Betrachtung der Kapelle, sein Talent
schätzen gelernt.
Der Baron war jung, reich; er sammelte, er wollte bauen; seine
Liebhaberei war lebhaft, seine Kenntnisse schwach; er glaubte in dem
Architekten seinen Mann zu finden, mit dem er mehr als Einen Zweck
zugleich erreichen könnte.
Er hatte seiner Braut von dieser Absicht gesprochen; sie lobte ihn
darum und war höchlich mit dem Vorschlag zufrieden, doch vielleicht
mehr, um diesen jungen Mann Ottilien zu entziehen—denn sie glaubte so
etwas von Neigung bei ihm zu bemerken -, als daß sie gedacht hätte,
sein Talent zu ihren Absichten zu benutzen.
Denn ob er gleich bei ihren extemporierten Festen sich sehr tätig
erwiesen und manche Ressourcen bei dieser und jener Anstalt dargeboten,
so glaubte sie es doch immer selbst besser zu verstehen; und da ihre
Erfindungen gewöhnlich gemein waren, so reichte, um sie auszuführen,
die Geschicklichkeit eines gewandten Kammerdieners ebensogut hin als
die des vorzüglichsten Künstlers.
Weiter als zu einem Altar, worauf geopfert ward, und zu einer
Bekränzung, es mochte nun ein gipsernes oder ein lebendes Haupt sein,
konnte ihre Einbildungskraft sich nicht versteigen, wenn sie irgend
jemand zum Geburts—und Ehrentage ein festliches Kompliment zu machen
gedachte.
Ottilie konnte dem Bräutigam, der sich nach dem Verhältnis des
Architekten zum Hause erkundigte, die beste Auskunft geben.
Sie wußte, daß Charlotte sich schon früher nach einer Stelle für ihn
umgetan hatte; denn wäre die Gesellschaft nicht gekommen, so hätte
sich der junge Mann gleich nach Vollendung der Kapelle entfernt, weil
alle Bauten den Winter über stillstehn sollten und mußten; und es war
daher sehr erwünscht, wenn der geschickte Künstler durch einen neuen
Gönner wieder genutzt und befördert wurde.
Das persönliche Verhältnis Ottiliens zum Architekten war ganz rein und
unbefangen.
Seine angenehme und tätige Gegenwart hatte sie wie die Nähe eines
ältern Bruders unterhalten und erfreut.
Ihre Empfindungen für ihn blieben auf der ruhigen, leidenschaftslosen
Oberfläche der Blutsverwandtschaft; denn in ihrem Herzen war kein Raum
mehr; es war von der Liebe zu Eduard ganz gedrängt ausgefüllt, und nur
die Gottheit, die alles durchdringt, konnte dieses Herz zugleich mit
ihm besitzen.
Indessen je tiefer der Winter sich senkte, je wilderes Wetter, je
unzugänglicher die Wege, desto anziehender schien es, in so guter
Gesellschaft die abnehmenden Tage zuzubringen.
Nach kurzen Ebben überflutete die Menge von Zeit zu Zeit das Haus.
Offiziere von entfernteren Garnisonen, die gebildeten zu ihrem großen
Vorteil, die roheren zur Unbequemlichkeit der Gesellschaft, zogen sich
herbei; am Zivilstande fehlte es auch nicht, und ganz unerwartet kamen
eines Tages der Graf und die Baronesse zusammen angefahren.
Ihre Gegenwart schien erst einen wahren Hof zu bilden.
Die Männer von Stand und Sitten umgaben den Grafen, und die Frauen
ließen der Baronesse Gerechtigkeit widerfahren.
Man verwunderte sich nicht lange, sie beide zusammen und so heiter zu
sehen; denn man vernahm, des Grafen Gemahlin sei gestorben, und eine
neue Verbindung werde geschlossen sein, sobald es die Schicklichkeit
nur erlaube.
Ottilie erinnerte sich jenes ersten Besuchs, jedes Worts, was über
Ehestand und Scheidung, über Verbindung und und Trennung, über
Hoffnung, Erwartung, Entbehren und Entsagen gesprochen ward.
Beide Personen, damals noch ganz ohne Aussichten, standen nun vor ihr,
dem gehofften Glück so nahe, und ein unwillkürlicher Seufzer drang aus
ihrem Herzen.
Luciane hörte kaum, daß der Graf ein Liebhaber von Musik sei, so wußte
sie ein Konzert zu veranstalten; sie wollte sich dabei mit Gesang zur
Gitarre hören lassen.
Es geschah.
Das Instrument spielte sie nicht ungeschickt, ihre Stimme war angenehm;
was aber die Worte betraf, so verstand man sie so wenig, als wenn
sonst eine deutsche Schöne zur Gitarre singt.
Indes versicherte jedermann, sie habe mit viel Ausdruck gesungen, und
sie konnte mit dem lauten Beifall zufrieden sein.
Nur ein wunderliches Unglück begegnete bei dieser Gelegenheit. In
der Gesellschaft befand sich ein Dichter, den sie auch besonders zu
verbinden hoffte, weil sie einige Lieder von ihm an sie gerichtet
wünschte, und deshalb diesen Abend meist nur von seinen Liedern
vortrug.
Er war überhaupt, wie alle, höflich gegen sie, aber sie hatte mehr
erwartet.
Sie legte es ihm einigemal nahe, konnte aber weiter nichts von ihm
vernehmen, bis sie endlich aus Ungeduld einen ihrer Hofleute an ihn
schickte und sondieren ließ, ob er denn nicht entzückt gewesen sei,
seine vortrefflichen Gedichte so vortrefflich vortragen zu hören.
"Meine Gedichte?" versetzte dieser mit Erstaunen.
"Verzeihen Sie, mein Herr", fügte er hinzu; "ich habe nichts als
Vokale gehört und die nicht einmal alle.
Unterdessen ist es meine Schuldigkeit, mich für eine so liebenswürdige
Intention dankbar zu erweisen".
Der Hofmann schwieg und verschwieg.
Der andre suchte sich durch einige wohltönende Komplimente aus der
Sache zu ziehen.
Sie ließ ihre Absicht nicht undeutlich merken, auch etwas eigens für
sie Gedichtetes zu besitzen.
Wenn es nicht allzu unfreundlich gewesen wäre, so hätte er ihr das
Alphabet überreichen können, um sich daraus ein beliebiges Lobgedicht
zu irgendeiner vorkommenden Melodie selbst einzubilden.
Doch sollte sie nicht ohne Kränkung aus dieser Begebenheit scheiden.
Kurze Zeit darauf erfuhr sie, er habe noch selbigen Abend einer von
Ottiliens Lieblingsmelodien ein allerliebstes Gedicht untergelegt, das
noch mehr als verbindlich sei.
Luciane, wie alle Menschen ihrer Art, die immer durcheinander mischen,
was ihnen vorteilhaft und was ihnen nachteilig ist, wollte nun ihr
Glück im Rezitieren versuchen.
Ihr Gedächtnis war gut, aber, wenn man aufrichtig reden sollte, ihr
Vortrag geistlos und heftig, ohne leidenschaftlich zu sein.
Sie rezitierte Balladen, Erzählungen und was sonst in Deklamatorien
vorzukommen pflegt.
Dabei hatte sie die unglückliche Gewohnheit angenommen, das, was sie
vortrug, mit Gesten zu begleiten, wodurch man das, was eigentlich
episch und lyrisch ist, auf eine unangenehme Weise mit dem
Dramatischen mehr verwirrt als verbindet.
Der Graf, ein einsichtsvoller Mann, der gar bald die Gesellschaft,
ihre Neigungen, Leidenschaften und Unterhaltungen übersah, brachte
Lucianen glücklicher—oder unglücklicherweise auf eine neue Art von
Darstellung, die ihrer Persönlichkeit sehr gemäß war.
"Ich finde", sagte er, "hier so manche wohlgestaltete Personen, denen
es gewiß nicht fehlt, malerische Bewegungen und Stellungen nachzuahmen.
Sollten sie es noch nicht versucht haben, wirkliche, bekannte Gemälde
vorzustellen?
Eine solche Nachbildung, wenn sie auch manche mühsame Anordnung
erfordert, bringt dagegen auch einen unglaublichen Reiz hervor".
Schnell ward Luciane gewahr, daß sie hier ganz in ihrem Fach sein
würde.
Ihr schöner Wuchs, ihre volle Gestalt, ihr regelmäßiges und doch
bedeutendes Gesicht, ihre lichtbraunen Haarflechten, ihr schlanker
Hals, alles war schon wie aufs Gemälde berechnet; und hätte sie nun
gar gewußt, daß sie schöner aussah, wenn sie still stand, als wenn sie
sich bewegte, indem ihr im letzten Falle manchmal etwas störendes
Ungraziöses entschlüpfte, so hätte sie sich mit noch mehrerem Eifer
dieser natürlichen Bildnerei ergeben.
Man suchte nun Kupferstiche nach berühmten Gemälden, man wählte zuerst
den Belisar nach van Dyck.
Ein großer und wohlgebauter Mann von gewissen Jahren sollte den
sitzenden blinden General, der Architekt den vor ihm teilnehmend
traurig stehenden Krieger nachbilden, dem er wirklich etwas ähnlich
sah.
Luciane hatte sich, halb bescheiden, das junge Weibchen im
Hintergrunde gewählt, das reichliche Almosen aus einem Beutel in die
flache Hand zählt, indes eine Alte sie abzumahnen und ihr vorzustellen
scheint, daß sie zuviel tue.
Eine andre, ihm wirklich Almosen reichende Frauensperson war nicht
vergessen.
Mit diesen und andern Bildern beschäftigte man sich sehr ernstlich.
Der Graf gab dem Architekten über die Art der Einrichtung einige Winke,
der sogleich ein Theater dazu aufstellte und wegen der Beleuchtung
die nötige Sorge trug.
Man war schon tief in die Anstalten verwickelt, als man erst bemerkte,
daß ein solches Unternehmen einen ansehnlichen Aufwand verlangte und
daß auf dem Lande mitten im Winter gar manches Erfordernis abging.
Deshalb ließ, damit ja nichts stocken möge.
Luciane beinah ihre sämtliche Garderobe zerschneiden, um die
verschiedenen Kostüme zu liefern, die jene Künstler willkürlich genug
angegeben hatten.
Der Abend kam herbei, und die Darstellung wurde vor einer großen
Gesellschaft und zu allgemeinem Beifall ausgeführt.
Eine bedeutende Musik spannte die Erwartung.
Jener Belisar eröffnete die Bühne.
Die Gestalten waren so passend, die Farben so glücklich ausgeteilt,
die Beleuchtung so kunstreich, daß man fürwahr in einer andern Welt zu
sein glaubte, nur daß die Gegenwart des Wirklichen statt des Scheins
eine Art von ängstlicher Empfindung hervorbrachte.
Der Vorhang fiel und ward auf Verlangen mehr als einmal wieder
aufgezogen.
Ein musikalisches Zwischenspiel unterhielt die Gesellschaft, die man
durch ein Bild höherer Art überraschen wollte.
Es war die bekannte Vorstellung von Poussin: Ahasverus und Esther.
Diesmal hatte sich Luciane besser bedacht.
Sie entwickelte in der ohnmächtig hingesunkenen Königin alle ihre
Reize und hatte sich klugerweise zu den umgebenden, unterstützenden
Mädchen lauter hübsche, wohlgebildete Figuren ausgesucht, worunter
sich jedoch keine mit ihr auch nur im mindesten messen konnte.
Ottilie blieb von diesem Bilde wie von den übrigen ausgeschlossen.
Auf den goldnen Thron hatten sie, um den Zeus gleichen König
vorzustellen, den rüstigsten und schönsten Mann der Gesellschaft
gewählt, sodaß dieses Bild wirklich eine unvergleichliche
Vollkommenheit gewann.
Als drittes hatte man die sogenannte "väterliche Ermahnung" von
Terburg gewählt, und wer kennt nicht den herrlichen Kupferstich
unseres Wille von diesem Gemälde!
Einen Fuß über den andern geschlagen, sitzt ein edler, ritterlicher
Vater und scheint seiner vor ihm stehenden Tochter ins Gewissen zu
reden.
Diese, eine herrliche Gestalt im faltenreichen, weißen Atlaskleide,
wird zwar nur von hinten gesehen, aber ihr ganzes Wesen scheint
anzudeuten, daß sie sich zusammennimmt.
Daß jedoch die Ermahnung nicht heftig und beschämend sei, sieht man
aus der Miene und Gebärde des Vaters; und was die Mutter betrifft, so
scheint diese eine kleine Verlegenheit zu verbergen, indem sie in ein
Glas Wein blickt, das sie eben auszuschlürfen im Begriff ist.
bei dieser Gelegenheit nun sollte Luciane in ihrem höchsten Glanze
erscheinen.
Ihre Zöpfe, die Form ihres Kopfes, Hals und Nacken waren über alle
Begriffe schön, und die Taille, von der bei den modernen
antikisierenden Bekleidungen der Frauenzimmer wenig sichtbar wird,
höchst zierlich, schlank und leicht, zeigte sich an ihr in dem älteren
Kostüm äußerst vorteilhaft; und der Architekt hatte gesorgt, die
reichen Falten des weißen Atlasses mit der künstlichsten Natur zu
legen, sodaß ganz ohne Frage diese lebendige Nachbildung weit über
jenes Originalbildnis hinausreichte und ein allgemeines Entzücken
erregte.
Man konnte mit dem Wiederverlangen nicht endigen, und der ganz
natürliche Wunsch, einem so schönen Wesen, das man genugsam von der
Rückseite gesehen, auch ins Angesicht zu schauen, nahm dergestalt
überhand, daß ein lustiger, ungeduldiger Vogel die Worte, die man
manchmal an das Ende einer Seite zu schreiben pflegt: "tournez s'il
vous plait", laut ausrief und eine allgemeine Beistimmung erregte.
Die Darstellenden aber kannten ihren Vorteil zu gut und hatten den
Sinn dieser Kunststücke zu wohl gefaßt, als daß sie dem allgemeinen
Ruf hätten nachgeben sollen.
Die beschämt scheinende Tochter blieb ruhig stehen, ohne den
Zuschauern den Ausdruck ihres Angesichts zu gönnen; der Vater blieb in
seiner ermahnenden Stellung sitzen, und die Mutter brachte Nase und
Augen nicht aus dem durchsichtigen Glase, worin sich, ob sie gleich zu
trinken schien, der Wein nicht verminderte.—Was sollen wir noch viel
von kleinen Nachstücken sagen, wozu man niederländische Wirtshaus—und
Jahrmarktsszenen gewählt hatte!
Der Graf und die Baronesse reisten ab und versprachen, in den ersten
glücklichen Wochen ihrer nahen Verbindung wiederzukehren, und
Charlotte hoffte nunmehr, nach zwei mühsam überstandenen Monaten, die
übrige Gesellschaft gleichfalls loszuwerden.
Sie war des Glücks ihrer Tochter gewiß, wenn bei dieser der erste
Braut—und Jugendtaumel sich würde gelegt haben; denn der Bräutigam
hielt sich für den glücklichsten Menschen von der Welt.
Bei großem Vermögen und gemäßigter Sinnesart schien er auf eine
wunderbare Weise von dem Vorzuge geschmeichelt, ein Frauenzimmer zu
besitzen, das der ganzen Welt gefallen mußte.
Er hatte einen so ganz eigenen Sinn, alles auf sie und erst durch sie
auf sich zu beziehen, daß es ihm eine unangenehme Empfindung machte,
wenn sich nicht gleich ein Neuankommender mit aller Aufmerksamkeit auf
sie richtete und mit ihm, wie es wegen seiner guten Eigenschaften
besonders von älteren Personen oft geschah, eine nähere Verbindung
suchte, ohne sich sonderlich um sie zu kümmern.
Wegen des Architekten kam es bald zur Richtigkeit.
Aufs Neujahr sollte ihm dieser folgen und das Karneval mit ihm in der
Stadt zubringen, wo Luciane sich von der Wiederholung der so schön
eingerichteten Gemälde sowie von hundert andern Dingen die größte
Glückseligkeit versprach, um so mehr, als Tante und Bräutigam jeden
Aufwand für gering zu achten schienen, der zu ihrem Vergnügen
erfordert wurde.
Nun sollte man scheiden, aber das konnte nicht auf eine gewöhnliche
Weise geschehen.
Man scherzte einmal ziemlich laut, daß Charlottens Wintervorräte nun
bald aufgezehrt seien, als der Ehrenmann, der den Belisar vorgestellt
hatte und freilich reich genug war, von Lucianens Vorzügen hingerissen,
denen er nun schon so lange huldigte, unbedachtsam ausrief: "so
lassen Sie es uns auf politische Art halten!
Kommen Sie nun und zehren mich auch auf!
Und so geht es dann weiter in der Runde herum".
Gesagt, getan: Luciane schlug ein.
Den andern Tag war gepackt, und der Schwarm warf sich auf ein anderes
Besitztum.
Dort hatte man auch Raum genug, aber weniger Bequemlichkeit und
Einrichtung.
Daraus entstand manches Unschickliche, das erst Lucianen recht
glücklich machte.
Das Leben wurde immer wüster und wilder.
Treibjagen im tiefsten Schnee, und was man sonst nur Unbequemes
auffinden konnte, wurde veranstaltet.
Frauen so wenig als Männer durften sich ausschließen, und so zog man
jagend und reitend, schlittenfahrend und lärmend von einem Gute zum
andern, bis man sich endlich der Residenz näherte; da denn die
Nachrichten und Erzählungen, wie man sich bei Hofe und in der Stadt
vergnüge, der Einbildungskraft eine andere Wendung gaben und Lucianen
mit ihrer sämtlichen Begleitung, indem die Tante schon vorausgegangen
war, unaufhaltsam in einen andern Lebenskreis hineinzogen.
Man nimmt in der Welt jeden, wofür er sich gibt; aber er muß sich auch
für etwas geben.
Man erträgt die Unbequemen lieber, als man die Unbedeutenden duldet.
Man kann der Gesellschaft alles aufdringen, nur nicht, was eine Folge
hat.
Wir lernen die Menschen nicht kennen, wenn sie zu uns kommen; wir
müssen zu ihnen gehen, um zu erfahren, wie es mit ihnen steht.
Ich finde es beinahe natürlich, daß wir an Besuchenden mancherlei
auszusetzen haben, daß wir sogleich, wenn sie weg sind, über sie nicht
zum liebevollsten urteilen; denn wir haben sozusagen ein Recht, sie
nach unserm Maßstabe zu messen.
Selbst verständige und billige Menschen enthalten sich in solchen
Fällen kaum einer scharfen Zensur.
Wenn man dagegen bei andern gewesen ist und hat sie mit ihren
Umgebungen, Gewohnheiten, in ihren notwendigen, unausweichlichen
Zuständen gesehen, wie sie um sich wirken oder wie sie sich fügen, so
gehört schon Unverstand und böser Wille dazu, um das lächerlich zu
finden, was uns in mehr als einem Sinne ehrwürdig scheinen müßte.
Durch das, was wir Betragen und gute Sitten mennen, soll das erreicht
werden, was außerdem nur durch Gewalt oder auch nicht einmal durch
Gewalt zu erreichen ist.
Der Umgang mit Frauen ist das Element guter Sitten.
Wie kann der Charakter, die Eigentümlichkeit des Menschen, mit der
Lebensart bestehen?
Das Eigentümliche müßte durch die Lebensart erst recht hervorgehoben
werden.
Das Bedeutende will jedermann, nur soll es nicht unbequem sein.
Die größten Vorteile im Leben überhaupt wie in der Gesellschaft hat
ein gebildeter Soldat.
Rohe Kriegsleute gehen wenigstens nicht aus ihrem Charakter, und weil
doch meist hinter der Stärke eine Gutmütigkeit verborgen liegt, so ist
im Notfall auch mit ihnen auszukommen.
Niemand ist lästiger als ein täppischer Mensch vom Zivilstande.
Von ihm könnte man die Feinheit fordern, da er sich mit nichts Rohem
zu beschäftigen hat.
Wenn wir mit Menschen leben, die ein zartes Gefühl für das Schickliche
haben, so wird es uns angst um ihretwillen, wenn etwas Ungeschicktes
begegnet.
So fühle ich immer für und mit Charlotten, wenn jemand mit dem Stuhle
schaukelt, weil sie das in den Tod nicht leiden kann.
Es käme niemand mit der Brille auf der Nase in ein vertrauliches
Gemach, wenn er wüßte, daß uns Frauen sogleich die Lust vergeht, ihn
anzusehen und uns mit ihm zu unterhalten.
Zutraulichkeit an der Stelle der Ehrfurcht ist immer lächerlich.
Es würde niemand den Hut ablegen, nachdem er kaum das Kompliment
gemacht hat, wenn er wüßte, wie komisch das aussieht.
Es gibt kein äußeres Zeichen der Höflichkeit, das nicht einen tiefen
sittlichen Grund hätte.
Die rechte Erziehung wäre, welche dieses Zeichen und den Grund
zugleich überlieferte.
Das Betragen ist ein Spiegel, in welchem jeder sein Bild zeigt.
Es gibt eine Höflichkeit des Herzens; sie ist der Liebe verwandt.
Aus ihr entspringt die bequemste Höflichkeit des äußern Betragens.
Freiwillige Abhänglichkeit ist der schönste Zustand, und wie wäre der
möglich ohne Liebe.
Wir sind nie entfernter von unsern Wünschen, als wenn wir uns
einbilden, das Gewünschte zu besitzen.
Niemand ist mehr Sklave, als der sich für frei hält, ohne es zu sein.
Es darf sich einer nur für frei erklären, so fühlt er sich den
Augenblick als bedingt.
Wagt er es, sich für bedingt zu erklären, so fühlt er sich frei.
Gegen große Vorzüge eines andern gibt es kein Rettungsmittel als die
Liebe.
Es ist was Schreckliches um einen vorzüglichen Mann, auf den sich die
Dummen was zugute tun.
Es gibt, sagt man, für den Kammerdiener keinen Helden.
Das kommt aber bloß daher, weil der Held nur vom Helden anerkannt
werden kann.
Der Kammerdiener wird aber wahrscheinlich seinesgleichen zu schätzen
wissen.
Es gibt keinen größern Trost für die Mittelmäßigkeit, als daß das
Genie nicht unsterblich sei.
Die größten Menschen hängen immer mit ihrem Jahrhundert durch eine
Schwachheit zusammen.
Man hält die Menschen gewöhnlich für gefährlicher, als sie sind.
Toren und gescheite Leute sind gleich unschädlich.
Nur die Halbnarren und Halbweisen, das sind die Gefährlichsten.
Man weicht der Welt nicht sicherer aus als durch die Kunst, und man
verknüpft sich nicht sicherer mit ihr als durch die Kunst.
Selbst im Augenblick des höchsten Glücks und der höchsten Not bedürfen
wir des Künstlers.
Die Kunst beschäftigt sich mit dem Schweren und Guten.
Das Schwierige leicht behandelt zu sehen, gibt uns das Anschauen des
Unmöglichen.
Die Schwierigkeiten wachsen, je näher man dem Ziele kommt.
Säen ist nicht so beschwerlich als ernten.
Die große Unruhe, welche Charlotten durch diesen Besuch erwuchs, ward
ihr dadurch vergütet, daß sie ihre Tochter völlig begreifen lernte,
worin ihr die Bekanntschaft mit der Welt sehr zu Hülfe kam.
Es war nicht zum erstenmal, daß ihr ein so seltsamer Charakter
begegnete, ob er ihr gleich noch niemals auf dieser Höhe erschien.
Und doch hatte sie aus der Erfahrung, daß solche Personen, durchs
Leben, durch mancherlei Ereignisse, durch elterliche Verhältnisse
gebildet, eine sehr angenehme und liebenswürdige Reife erlangen können,
indem die Selbstigkeit gemildert wird und die schwärmende Tätigkeit
eine entschiedene Richtung erhält.
Charlotte ließ als Mutter sich um desto eher eine für andere
vielleicht unangenehme Erscheinung gefallen, als es Eltern wohl
geziemt, da zu hoffen, wo Fremde nur zu genießen wünschen oder
wenigstens nicht belästigt sein wollen.
Auf eine eigne und unerwartete Weise jedoch sollte Charlotte nach
ihrer Tochter Abreise getroffen werden, indem diese nicht sowohl durch
das Tadelnswerte in ihrem Betragen als durch das, was man daran
lobenswürdig hätte finden können, eine üble Nachrede hinter sich
gelassen hatte.
Luciane schien sichs zum Gesetz gemacht zu haben, nicht allein mit den
Fröhlichen fröhlich, sondern auch mit den Traurigen traurig zu sein
und, um den Geist des Widerspruchs recht zu üben, manchmal die
Fröhlichen verdrießlich und die Traurigen heiter zu machen.
In allen Familien, wo sie hinkam, erkundigte sie sich nach den Kranken
und Schwachen, die nicht in Gesellschaft erscheinen konnten.
Sie besuchte sie auf ihren Zimmern, machte den Arzt und drang einem
jeden aus ihrer Reiseapotheke, die sie beständig im Wagen mit sich
führte, energische Mittel auf; da denn eine solche Kur, wie sich
vermuten läßt, gelang oder mißlang, wie es der Zufall herbeiführte.
In dieser Art von Wohltätigkeit war sie ganz grausam und ließ sich gar
nicht einreden, weil sie fest überzeugt war, daß sie vortrefflich
handle.
Allein es mißriet ihr auch ein Versuch von der sittlichen Seite, und
dieser war es, der Charlotten viel zu schaffen machte, weil er Folgen
hatte und jedermann darüber sprach.
Erst nach Lucianens Abreise hörte sie davon; Ottilie, die gerade jene
Partie mitgemacht hatte, mußte ihr umständlich davon Rechenschaft
geben.
Eine der Töchter eines angesehenen Hauses hatte das Unglück gehabt, an
dem Tode eines ihrer jüngeren Geschwister schuld zu sein, und sich
darüber nicht beruhigen noch wiederfinden können.
Sie lebte auf ihrem Zimmer beschäftigt und still und ertrug selbst den
Anblick der Ihrigen nur, wenn sie einzeln kamen; denn sie argwohnte
sogleich, wenn mehrere beisammen waren, daß man untereinander über sie
und ihren Zustand reflektiere.
Gegen jedes allein äußerte sie sich vernünftig und unterhielt sich
stundenlang mit ihm.
Luciane hatte davon gehört und sich sogleich im stillen vorgenommen,
wenn sie in das Haus käme, gleichsam ein Wunder zu tun und das
Frauenzimmer der Gesellschaft wiederzugeben.
Sie betrug sich dabei vorsichtiger als sonst, wußte sich allein bei
der Seelenkranken einzuführen und, soviel man merken konnte, durch
Musik ihr Vertrauen zu gewinnen.
Nur zuletzt versah sie es; denn eben weil sie Aufsehn erregen wollte,
so brachte sie das schöne, blasse Kind, das sie genug vorbereitet
wähnte, eines Abends plötzlich in die bunte, glänzende Gesellschaft;
und vielleicht wäre auch das noch gelungen, wenn nicht die Sozietät
selbst aus Neugierde und Apprehension sich ungeschickt benommen, sich
um die Kranke versammelt, sie wieder gemieden, sie durch Flüstern,
Köpfezusammenstecken irregemacht und aufgeregt hätte.
Die zart Empfindende ertrug das nicht.
Sie entwich unter fürchterlichem Schreien, das gleichsam ein Entsetzen
vor einem eindringenden Umgeheuren auszudrücken schien.
Erschreckt fuhr die Gesellschaft nach allen Seiten auseinander, und
Ottilie war unter denen, welche die völlig Ohnmächtige wieder auf ihr
Zimmer begleiteten.
Indessen hatte Luciane eine starke Strafrede nach ihrer Weise an die
Gesellschaft gehalten, ohne im mindesten daran zu denken, daß sie
allein alle Schuld habe, und ohne sich durch dieses und andres
Mißlingen von ihrem Tun und Treiben abhalten zu lassen.
Der Zustand der Kranken war seit jener Zeit bedenklicher geworden, ja
das übel hatte sich so gesteigert, daß die Eltern das arme Kind nicht
im Hause behalten konnten, sondern einer öffentlichen Anstalt
überantworten mußten.
Charlotten blieb nichts übrig, als durch ein besonder zartes Benehmen
gegen jene Familie den von ihrer Tochter verursachten Schmerz
einigermaßen zu lindern.
Auf Ottilien hatte die Sache einen tiefen Eindruck gemacht; sie
bedauerte das arme Mädchen um so mehr, als sie überzeugt war, wie sie
auch gegen Charlotten nicht leugnete, daß bei einer konsequenten
Behandlung die Kranke gewiß herzustellen gewesen wäre.
So kam auch, weil man sich gewöhnlich vom vergangenen Unangenehmen
mehr als vom Angenehmen unterhält, ein kleines Mißverständnis zur
Sprache, das Ottilien an dem Architekten irregemacht hatte, als er
jenen Abend seine Sammlung nicht vorzeigen wollte, ob sie ihn gleich
so freundlich darum ersuchte.
Es war ihr dieses abschlägige Betragen immer in der Seele geblieben,
und sie wußte selbst nicht warum.
Ihre Empfindungen waren sehr richtig; denn was ein Mädchen wie Ottilie
verlangen kann, sollte ein Jüngling wie der Architekt nicht versagen.
Dieser brachte jedoch auf ihre gelegentlichen leisen Vorwürfe ziemlich
gültige Entschuldigungen zur Sprache.
"Wenn Sie wüßten", sagte er, "wie roh selbst gebildete Menschen sich
gegen die schätzbarsten Kunstwerke verhalten, Sie würden mir verzeihen,
wenn ich die meinigen nicht unter die Menge bringen mag.
Niemand weiß eine Medaille am Rand anzufassen; sie betasten das
schönste Gepräge, den reinsten Grund, lassen die köstlichsten Stücke
zwischen dem Daumen und Zeigefinger hin und her gehen, als wenn man
Kunstformen auf diese Weise prüfte.
Ohne daran zu denken, daß man ein großes Blatt mit zwei Händen
anfassen müsse, greifen sie mit einer Hand nach einem unschätzbaren
Kupferstich, einer unersetzlichen Zeichnung, wie ein anmaßlicher
Politiker eine Zeitung faßt und durch das Zerknittern des Papiers
schon im voraus sein Urteil über die Weltbegebenheiten zu erkennen
gibt.
Niemand denkt daran, daß, wenn nur zwanzig Menschen mit einem
Kunstwerke hintereinander ebenso verführen, der einundzwanzigste nicht
mehr viel daran zu sehen hätte".
"Habe ich Sie nicht auch manchmal", fragte Ottilie, "in solche
Verlegenheit gesetzt?
Habe ich nicht etwan Ihre Schätze, ohne es zu ahnen, gelegentlich
einmal beschädigt?" "Niemals", versetzte der Architekt, "niemals!
Ihnen wäre es unmöglich; das Schickliche ist mit Ihnen geboren".
"Auf alle Fälle", versetzte Ottilie, "wäre es nicht übel, wenn man
künftig in das Büchlein von guten Sitten nach den Kapiteln, wie man
sich in Gesellschaft beim Essen und Trinken benehmen soll, ein recht
umständliches einschöbe, wie man sich in Kunstsammlungen und Museen zu
betragen habe".
"Gewiß", versetzte der Architekt, "würden alsdann Kustoden und
Liebhaber ihre Seltenheiten fröhlicher mitteilen".
Ottilie hatte ihm schon lange verziehen; als er sich aber den Vorwurf
sehr zu Herzen zu nehmen schien und immer aufs neue beteuerte, daß er
gewiß gerne mitteile, gern für Freunde tätig sei, so empfand sie, daß
sie sein zartes Gemüt verletzt habe, und fühlte sich als seine
Schuldnerin.
Nicht wohl konnte sie ihm daher eine Bitte rund abschlagen, die er in
Gefolg dieses Gesprächs an sie tat, ob sie gleich, indem sie schnell
ihr Gefühl zu Rate zog, nicht einsah, wie sie ihm seine Wünsche
gewähren könne.
Die Sache verhielt sich also.
Daß Ottilie durch Lucianens Eifersucht von den Gemäldedarstellungen
ausgeschlossen worden, war ihm höchst empfindlich gewesen; daß
Charlotte diesem glänzenden Teil der geselligen Unterhaltung nur
unterbrochen beiwohnen können, weil sie sich nicht wohl befand, hatte
er gleichfalls mit Bedauern bemerkt.
Nun wollte er sich nicht entfernen, ohne seine Dankbarkeit auch
dadurch zu beweisen, daß er zur Ehre der einen und zur Unterhaltung
der andern eine weit schönere Darstellung veranstaltete, als die
bisherigen gewesen waren.
Vielleicht kam hierzu, ihm selbst unbewußt, ein andrer geheimer
Antrieb: es ward ihm so schwer, dieses Haus, diese Familie zu
verlassen, ja es schien ihm unmöglich, von Ottiliens Augen zu scheiden,
von deren ruhig freundlich gewogenen Blicken er die letzte Zeit fast
ganz allein gelebt hatte.
Die Weihnachtsfeiertage nahten sich, und es wurde ihm auf einmal klar,
daß eigentlich jene Gemäldedarstellungen durch runde Figuren von dem
sogenannten Präsepe ausgegangen, von der frommen Vorstellung, die man
in dieser heiligen Zeit der göttlichen Mutter und dem Kinde widmete,
wie sie in ihrer scheinbaren Niedrigkeit erst von Hirten, bald darauf
von Königen verehrt werden.
Er hatte sich die Möglichkeit eines solchen Bildes vollkommen
vergegenwärtigt.
Ein schöner, frischer Knabe war gefunden; an Hirten und Hirtinnen
konnte es auch nicht fehlen; aber ohne Ottilien war die Sache nicht
auszuführen.
Der junge Mann hatte sie in seinem Sinne zur Mutter Gottes erhoben,
und wenn sie es abschlug, so war bei ihm keine Frage, daß das
Unternehmen fallen müsse.
Ottilie, halb verlegen über seinen Antrag, wies ihn mit seiner Bitte
an Charlotten.
Diese erteilte ihm gern die Erlaubnis, und auch durch sie ward die
Scheu Ottiliens, sich jener heiligen Gestalt anzumaßen, auf eine
freundliche Weise überwunden.
Der Architekt arbeitete Tag und Nacht, damit am Weihnachtsabend nichts
fehlen möge.
Und zwar Tag und Nacht im eigentlichen Sinne.
Er hatte ohnehin wenig Bedürfnisse, und Ottiliens Gegenwart schien ihm
statt alles Labsals zu sein; indem er um ihretwillen arbeitete, war es,
als wenn er keines Schlafs, indem er sich um sie beschäftigte, keiner
Speise bedürfte.
Zur feierlichen Abendstunde war deshalb alles fertig und bereit.
Es war ihm möglich gewesen, wohltönende Blasinstrumente zu versammeln,
welche die Einleitung machten und die gewünschte Stimmung
hervorzubringen wußten.
Als der Vorhang sich hob, war Charlotte wirklich überrascht. Das Bild,
das sich ihr vorstellte, war so oft in der Welt wiederholt, daß man
kaum einen neuen Eindruck davon erwarten sollte.
Aber hier hatte die Wirklichkeit als Bild ihre besonderen Vorzüge.
Der ganze Raum war eher nächtlich als dämmernd und doch nichts
undeutlich im Einzelnen der Umgebung.
Den unübertrefflichen Gedanken, daß alles Licht vom Kinde ausgeht,
hatte der Künstler durch einen klugen Mechanismus der Beleuchtung
auszuführen gewußt, der durch die beschatteten, nur von Streiflichtern
erleuchteten Figuren im Vordergrunde zugedeckt wurde.
Frohe Mädchen und Knaben standen umher, die frischen Gesichter scharf
von unten beleuchtet.
Auch an Engeln fehlte es nicht, deren eigener Schein von dem
göttlichen verdunkelt, deren ätherischer Leib vor dem
göttlich-menschlichen verdichtet und lichtsbedürftig schien.
Glücklicherweise war das Kind in der anmutigsten Stellung
eingeschlafen, sodaß nichts die Betrachtung störte, wenn der Blick auf
der scheinbaren Mutter verweilte, die mit unendlicher Anmut einen
Schleier aufgehoben hatte, um den verborgenen Schatz zu offenbaren.
In diesem Augenblick schien das Bild festgehalten und erstarrt zu sein.
Physisch geblendet, geistig überrascht, schien das umgebende Volk sich
eben bewegt zu haben, um die getroffenen Augen wegzuwenden, neugierig
erfreut wieder hinzublinzen und mehr Verwunderung und Lust als
Bewunderung und Verehrung anzuzeigen, obgleich diese auch nicht
vergessen und einigen ältern Figuren der Ausdruck derselben übertragen
war.
Ottiliens Gestalt, Gebärde, Miene, Blick übertraf aber alles, was je
ein Maler dargestellt hat.
Der gefühlvolle Kenner, der diese Erscheinung gesehen hätte, wäre in
Furcht geraten, es möge sich nur irgend etwas bewegen; er wäre in
Sorge gestanden, ob ihm jemals etwas wieder so gefallen könne.
Unglücklicherweise war niemand da, der diese ganze Wirkung aufzufassen
vermocht hätte.
Der Architekt allein, der als langer, schlanker Hirt von der Seite
über die Knieenden hereinsah, hatte, obgleich nicht in dem genauesten
Standpunkt, noch den größten Genuß.
Und wer beschreibt auch die Miene der neugeschaffenen Himmelskönigin?
Die reinste Demut, das liebenswürdigste Gefühl von Bescheindenheit bei
einer großen, unverdient erhaltenden Ehre, einem unbegreiflich
unermeßlichen Glück bildete sich in ihren Zügen, sowohl indem sich
ihre eigene Empfindung, als indem sich die Vorstellung ausdrückte, die
sie sich von dem machen konnte, was sie spielte.
Charlotten erfreute das schöne Gebilde, doch wirkte hauptsächlich das
Kind auf sie.
Ihre Augen strömten von Tränen, und sie stellte sich auf das
lebhafteste vor, daß sie ein ähnliches liebes Geschöpf bald auf ihrem
Schoße zu hoffen habe.
Man hatte den Vorhang niedergelassen, teils um den Vorstellenden
einige Erleichterung zu geben, teils eine Veränderung in dem
Dargestellten anzubringen.
Der Künstler hatte sich vorgenommen, das erste Nacht—und
Niedrigkeitsbild in ein Tag—und Glorienbild zu verwandeln, und
deswegen von allen Seiten eine unmäßige Erleuchtung vorbereitet, die
in der Zwischenzeit angezündet wurde.
Ottilien war in ihrer halb theatralischen Lage bisher die größte
Beruhigung gewesen, daß außer Charlotten und wenigen Hausgenossen
niemand dieser frommen Kunstmummerei zugesehen.
Sie wurde daher einigermaßen betroffen, als sie in der Zwischenzeit
vernahm, es sei ein Fremder angekommen, im Saale von Charlotten
freundlich begrüßt.
Wer es war, konnte man ihr nicht sagen.
Sie ergab sich darein, um keine Störung zu verursachen.
Lichter und Lampen brannten, und eine ganz unendliche Hellung umgab
sie.
Der Vorhang ging auf, für die Zuschauenden ein überraschender Anblick:
das ganze Bild war alles Licht, und statt des völlig aufgehobenen
Schattens blieben nur die Farben übrig, die bei der klugen Auswahl
eine liebliche Mäßigung hervorbrachten.
Unter ihren langen Augenwimmpern hervorblickend, bemerkte Ottilie eine
Mannsperson neben Charlotten sitzend.
Sie erkannte ihn nicht, aber sie glaubte die Stimme des Gehülfen aus
der Pension zu hören.
Eine wunderbare Empfindung ergriff sie.
Wie vieles war begegnet, seitdem sie die Stimme dieses treuen Lehrers
nicht vernommen!
Wie im zackigen Blitz fuhr die Reihe ihrer Freuden und Leiden schnell
vor ihrer Seele vorbei und regte die Frage auf: 'darfst du ihm alles
bekennen und gestehen?
Und wie wenig wert bist du, unter dieser heiligen Gestalt vor ihm zu
erscheinen, und wie seltsam muß es ihm vorkommen, dich, die er nur
natürlich gesehen, als Maske zu erblicken?'
Mit einer Schnelligkeit, die keinesgleichen hat, wirkten Gefühl und
Betrachtung in ihr gegeneinander.
Ihr Herz war befangen, ihre Augen füllten sich mit Tränen, indem sie
sich zwang, immerfort als ein starres Bild zu erscheinen; und wie froh
war sie, als der Knabe sich zu regen anfing und der Künstler sich
genötiget sah, das Zeichen zu geben, daß der Vorhang wieder fallen
sollte!
Hatte das peinliche Gefühl, einem werten Freunde nicht entgegeneilen
zu können, sich schon die letzten Augenblicke zu den übrigen
Empfindungen Ottiliens gesellt, so war sie jetzt in noch größerer
Verlegenheit.
Sollte sie in diesem fremden Anzug und Schmuck ihm entgegengehn?
Sollte sie sich umkleiden?
Sie wählte nicht, sie tat das letzte und suchte sich in der
Zwischenzeit zusammenzunehmen, sich zu beruhigen, und war nur erst
wieder mit sich selbst in Einstimmung, als sie endlich im gewohnten
Kleide den Angekommenen begrüßte.
Insofern der Architekt seinen Gönnerinnen das Beste wünschte, war es
ihm angenehm, da er doch endlich scheiden mußte, sie in der guten
Gesellschaft des schätzbaren Gehülfen zu wissen; indem er jedoch ihre
Gunst auf sich selbst bezog, empfand er es einigermaßen schmerzhaft,
sich so bald und, wie es seiner Bescheidenheit dünken mochte, so gut,
ja vollkommen ersetzt zu sehen.
Er hatte noch immer gezaudert, nun aber drängte es ihn hinweg; denn
was er wollte sich nach seiner Entfernung mußte gefallen lassen, das
wollte er wenigstens gegenwärtig nicht erleben.
Zu großer Erheiterung dieser halb traurigen Gefühle machten ihm die
Damen beim Abschiede noch ein Geschenk mit einer Weste, an der er sie
beide lange Zeit hatte stricken sehen, mit einem stillen Neid über den
unbekannten Glücklichen, dem sie dereinst werden könnte.
Eine solcher Gabe ist die angenehmste, die ein liebender, verehrender
Mann erhalten mag; denn wenn er dabei des unermüdeten Spiels der
schönen Finger gedenkt, so kann er nicht umhin, sich zu schmeicheln,
das Herz werde bei einer so anhaltenden Arbeit doch auch nicht ganz
ohne Teilnahme geblieben sein.
Die Frauen hatten nun einen neuen Mann zu bewirrten, dem sie
wohlwollten und dem es bei ihnen wohl werden sollte.
Das weibliche Geschlecht hegt ein eignes, inneres, unwandelbares
Interesse, von dem sie nichts in der Welt abtrünnig macht; im äußern,
geselligen Verhältnis hingegen lassen sie sich gern und leicht durch
den Mann bestimmen, der sie eben beschäftigt; und so durch Abweisen
wie durch Empfänglichkeit, durch Beharren und Nachgiebigkeit führen
sie eigentlich das Regiment, dem sich in der gesitteten Welt kein Mann
zu entziehen wagt.
Hatte der Architekt, gleichsam nach eigener Lust und Belieben, seine
Talente vor den Freundinnen zum Vergnügen und zu den Zwecken derselben
geübt und bewiesen, war Beschäftigung und Unterhaltung in diesem Sinne
und nach solchen Absichten eingerichtet, so machte sich in kurzer Zeit
durch die Gegenwart des Gehülfen eine andere Lebensweise.
Seine große Gabe war, gut zu sprechen und menschliche Verhältnisse,
besonders in bezug auf Bildung der Jugend, in der Unterredung zu
behandeln.
Und so entstand gegen die bisherige Art zu leben ein ziemlich
fühlbarer Gegensatz, um so mehr, als der Gehülfe nicht ganz dasjenige
billigte, womit man sich die Zeit über ausschließlich beschäftigt
hatte.
Von dem lebendigen Gemälde, das ihn bei seiner Ankunft empfing, sprach
er gar nicht.
Als man ihm hingegen Kirche, Kapelle und was sich darauf bezog, mit
Zufriedenheit sehen ließ, konnte er seine Meinung, seine Gesinnungen
darüber nicht zurückhalten.
"Was mich betrifft", sagte er, "so will mir diese Annäherung, diese
Vermischung des Heiligen zu und mit dem Sinnlichen keineswegs gefallen,
nicht gefallen, daß man sich gewisse besondere Räume widmet, weihet
und aufschmückt, um erst dabei ein Gefühl der Frömmigkeit zu hegen und
zu unterhalten.
Keine Umgebung, selbst die gemeinste nicht, soll in uns das Gefühl des
Göttlichen stören, das uns überallhin begleiten und jede Stätte zu
einem Tempel einweihen kann.
Ich mag gern einen Hausgottesdienst in dem Saale gehalten sehen, wo
man zu speisen, sich gesellig zu versammeln, mit Spiel und Tanz zu
ergötzen pflegt.
Das Höchste, das Vorzüglichste am Menschen ist gestaltlos, und man
soll sich hüten, es anders als in edler Tat zu gestalten".
Charlotte, die seine Gesinnungen schon im ganzen kannte und sie noch
mehr in kurzer Zeit erforschte, brachte ihn gleich in seinem Fache zur
Tätigkeit, indem sie ihre Gartenknaben, welche der Architekt vor
seiner Abreise eben gemustert hatte, in dem großen Saal aufmarschieren
ließ, da sie sich denn in ihren heitern, reinlichen Uniformen, mit
gesetzlichen Bewegungen und einem natürlichen, lebhaften Wesen sehr
gut ausnahmen.
Der Gehülfe prüfte sie nach seiner Weise und hatte durch mancherlei
Fragen und Wendungen gar bald die Gemütsarten und Fähigkeiten der
Kinder zutage gebracht und, ohne daß es so schien, in Zeit von weniger
als einer Stunde sie wirklich bedeutend unterrichtet und gefördert.
"Wie machen Sie das nur?" sagte Charlotte, indem die Knaben wegzogen.
"Ich habe sehr aufmerksam zugehört; es sind nichts als ganz bekannte
Dinge vorgekommen, und doch wüßte ich nicht, wie ich es anfangen
sollte, sie in so kurzer Zeit, bei so vielem Hin—und Widerreden, in
solcher Folge zur Sprache zu bringen".
"Vielleicht sollte man", versetzte der Gehülfe, "aus den Vorteilen
seines Handwerks ein Geheimnis machen.
Doch kann ich Ihnen die ganz einfache Maxime nicht verbergen, nach der
man dieses und noch viel mehr zu leisten vermag.
Fassen Sie einen Gegenstand, eine Materie, einen Begriff, wie man es
nennen will; halten Sie ihn recht fest; machen Sie sich ihn in allen
seinen Teilen recht deutlich, und dann wird es Ihnen leicht sein,
gesprächsweise an einer Masse Kinder zu erfahren, was sich davon schon
in ihnen entwickelt hat, was noch anzuregen, zu überliefern ist.
Die Antworten auf Ihre Fragen mögen noch so ungehörig sein, mögen noch
so sehr ins Weite gehen, wenn nur sodann Ihre Gegenfrage Geist und
Sinn wieder hereinwärts zieht, wenn Sie sich nicht von Ihrem
Standpunkte verrücken lassen, so müssen die Kinder zuletzt denken,
begreifen, sich überzeugen, nur von dem, was und wie es der Lehrende
will.
Sein größter Fehler ist der, wenn er sich von den Lernenden mit in die
Weite reißen läßt, wenn er sie nicht auf dem Punkte festzuhalten weiß,
den er eben jetzt behandelt.
Machen Sie nächstens einen Versuch, und es wird zu Ihrer großen
Unterhaltung dienen".
"Das ist artig", sagte Charlotte; "die gute Pädagogik ist also gerade
das Umgekehrte von der guten Lebensart.
In der Gesellschaft soll man auf nichts verweilen, und bei dem
Unterricht wäre das höchste Gebot, gegen alle Zerstreuung zu arbeiten".
"Abwechselung ohne Zerstreuung wäre für Lehre und Leben der schönste
Wahlspruch, wenn dieses löbliche Gleichgewicht nur so leicht zu
erhalten wäre!" sagte der Gehülfe und wollte weiter fortfahren, als
ihn Charlotte aufrief, die Knaben nochmals zu betrachten, deren
munterer Zug sich soeben über den Hof bewegte.
Er bezeigte seine Zufriedenheit, daß man die Kinder in Uniform zu
gehen anhalte.
"Männer", so sagte er, "sollten von Jugend auf Uniform tragen, weil
sie sich gewöhnen müssen, zusammen zu handeln, sich unter
ihresgleichen zu verlieren, in Masse zu gehorchen und ins Ganze zu
arbeiten.
Auch befördert jede Art von Uniform einen militärischen Sinn sowie ein
knapperes, strackeres Betragen, und alle Knaben sind ja ohnehin
geborne Soldaten; man sehe nur ihre Kampf—und Streitspiele, ihr
Erstürmen und Erklettern".
"So werden Sie mich dagegen nicht tadeln", versetzte Ottilie, "daß ich
meine Mädchen nicht überein kleide.
Wenn ich sie Ihnen vorführe, hoffe ich Sie durch ein buntes Gemisch
zu ergötzen".
"Ich billige das sehr", versetzte jener.
"Frauen sollten durchaus mannigfaltig gekleidet gehen, jede nach
eigner Art und Weise, damit eine jede fühlen lernte, was ihr
eigentlich gut stehe und wohl zieme.
Eine wichtigere Ursache ist noch die, weil sie bestimmt sind, ihr
ganzes Leben allein zu stehen und allein zu handeln".
"Das scheint mir sehr paradox", versetzte Charlotte; "sind wir doch
fast niemals für uns".
"O ja!" versetzte der Gehülfe, "in Absicht auf andere Frauen ganz
gewiß.
Man betrachte ein Frauenzimmer als Liebende, als Braut, als Frau,
Hausfrau und Mutter, immer steht sie isoliert, immer ist sie allein
und will allein sein.
Ja die Eitle selbst ist in dem Falle.
Jede Frau schließt die andre aus, ihrer Natur nach; denn von jeder
wird alles gefordert, was dem ganzen Geschlechte zu leisten obliegt.
Nicht so verhält es sich mit den Männern.
Der Mann verlangt den Mann; er würde sich einen zweiten erschaffen,
wenn es keinen gäbe; eine Frau könnte eine Ewigkeit leben, ohne daran
zu denken, sich ihresgleichen hervorzubringen".
"Man darf", sagte Charlotte, "das Wahre nur wunderlich sagen, so
scheint zuletzt das Wunderliche auch wahr.
Wir wollen uns aus ihren Bemerkungen das Beste herausnehmen und doch
als Frauen mit Frauen zusammenhalten und auch gemeinsam wirken, um den
Männern nicht allzu große Vorzüge über uns einzuräumen.
Ja, Sie werden uns eine kleine Schadenfreude nicht übelnehmen, die wir
künftig um desto lebhafter empfinden müssen, wenn sich die Herren
untereinander auch nicht sonderlich vertragen".
Mit vieler Sorgfalt untersuchte der verständige Mann nunmehr die Art,
wie Ottilie ihre kleinen Zöglinge behandelte, und bezeigte darüber
seinen entschiedenen Beifall.
"Sehr richtig heben Sie", sagte er, "Ihre Untergebenen nur zur
nächsten Brauchbarkeit heran.
Reinlichkeit veranlaßt die Kinder, mit Frauen etwas auf sich selbst zu
halten, und alles ist gewonnen, wenn sie das, was sie tun, mit
Munterkeit und Selbstgefühl zu leisten angeregt sind".
übrigens fand er zu seiner großen Befriedigung nichts auf den Schein
und nach außen getan, sondern alles nach innen und für die
unerläßlichen Bedürfnisse.
"Mit wie wenig Worten", rief er aus, "ließe sich das ganze
Erziehungsgeschäft aussprechen, wenn jemand Ohren hätte zu hören!"
"Mögen Sie es nicht mit mir versuchen?" sagte freundlich Ottilie.
"Recht gern", versetzte jener; "nur müssen Sie mich nicht verraten.
Man erziehe die Knaben zu Dienern und die Mädchen zu Müttern, so wird
es überall wohlstehn".
"Zu Müttern", versetzte Ottilie, "das könnten die Frauen noch hingehen
lassen, da sie sich, ohne Mütter zu sein, doch immer einrichten müssen,
Wärterinnen zu werden; aber freilich zu Dienern würden sich unsre
jungen Männer viel zu gut halten, da man jedem leicht ansehen kann,
daß er sich zum Gebieten fähiger dünkt".
"Deswegen wollen wir es ihnen verschweigen", sagte der Gehülfe.
"Man schmeichelt sich ins Leben hinein, aber das Leben schmeichelt uns
nicht.
Wieviel Menschen mögen denn das freiwillig zugestehen, was sie am Ende
doch müssen?
Lassen wir aber diese Betrachtungen, die uns hier nicht berühren!
Ich preise Sie glücklich, daß Sie bei Ihren Zöglingen ein richtiges
Verfahren anwenden können.
Wenn Ihre kleinsten Mädchen sich mit Puppen herumtragen und einige
Läppchen für sie zusammenflicken, wenn ältere Geschwister alsdann für
die jüngern sorgen und das Haus sich in sich selbst bedient und
aufhilft, dann ist der weitere Schritt ins Leben nicht groß, und ein
solches Mädchen findet bei ihrem Gatten, was sie bei ihren Eltern
verließ. Aber in den gebildeten Ständen ist die Aufgabe sehr
verwickelt.
Wir haben auf höhere, zartere, feinere, besonders auf
gesellschaftliche Verhältnisse Rücksicht zu nehmen.
Wir andern sollen daher unsre Zöglinge nach außen bilden; es ist
notwendig, es ist unerläßlich und möchte recht gut sein, wenn man
dabei nicht das Maß überschritte; denn indem man die Kinder für einen
weiteren Kreis zu bilden gedenkt, treibt man sie leicht ins
Grenzenlose, ohne im Auge zu behalten, was denn eigentlich die innere
Natur fordert.
Hier liegt die Aufgabe, welche mehr oder weniger von den Erziehern
gelöst oder verfehlt wird.
Bei manchem, womit wir unsere Schülerinnen in der Pension ausstatten,
wird mir bange, weil die Erfahrung mir sagt, von wie geringem Gebrauch
es künftig sein werde.
Was wird nicht gleich abgestreift, was nicht gleich der Vergessenheit
überantwortet, sobald ein Frauenzimmer sich im Stande der Hausfrau,
der Mutter befindet!
Indessen kann ich mir den frommen Wunsch nicht versagen, da ich mich
einmal diesem Geschäft gewidmet habe, daß es mir dereinst in
Gesellschaft einer treuen Gehülfin gelingen möge, an meinen Zöglingen
dasjenige rein auszubilden, was sie bedürfen, wenn sie in das Feld
eigener Tätigkeit und Selbständigkeit hinüberschreiten; daß ich mir
sagen könnte: in diesem Sinne ist an ihnen die Erziehung vollendet.
Freilich schließt sich eine andere immer wieder an, die beinahe mit
jedem Jahre unsers Lebens, wo nicht von uns selbst, doch von den
Umständen veranlaßt wird".
Wie wahr fand Ottilie diese Bemerkung!
Was hatte nicht eine ungeahnte Leidenschaft im vergangenen Jahr an ihr
erzogen!
Was sah sie nicht alles für Prüfungen vor sich schweben, wenn sie nur
aufs Nächste, aufs Nächstkünftige hinblickte!
Der junge Mann hatte nicht ohne Vorbedacht einer Gehülfin, einer
Gattin erwähnt; denn bei aller seiner Bescheidenheit konnte er nicht
unterlassen, seine Absichten auf eine entfernte Weise anzudeuten; ja
er war durch mancherlei Umstände und Vorfälle aufgeregt worden, bei
diesem Besuch einige Schritte seinem Ziele näher zu tun.
Die Vorsteherin der Pension war bereits in Jahren; sie hatte sich
unter ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen schon lange nach einer
Person umgesehen, die eigentlich mit ihr in Gesellschaft träte, und
zuletzt dem Gehülfen, dem sie zu vertrauen höchlich Ursache hatte, den
Antrag getan, er solle mit ihr die Lehranstalt fortführen, darin als
in dem Seinigen mitwirken und nach ihrem Tode als Erbe und einziger
Besitzer eintreten.
Die Hauptsache schien hiebei, daß er eine einstimmende Gattin finden
müsse.
Er hatte im stillen Ottilien vor Augen und im Herzen; allein es regten
sich mancherlei Zweifel, die wieder durch günstige Ereignisse einiges
Gegengewicht erhielten.
Luciane hatte die Pension verlassen, Ottilie konnte freier
zurückkehren; von dem Verhältnisse zu Eduard hatte zwar etwas
verlautet, allein man nahm die Sache, wie ähnliche Vorfälle mehr,
gleichgültig auf, und selbst dieses Ereignis konnte zu Ottiliens
Rückkehr beitragen.
Doch wäre man zu keinem Entschluß gekommen, kein Schritt wäre
geschehen, hätte nicht ein unvermuteter Besuch auch hier eine
besondere Anregung gegeben, wie denn die Erscheinung von bedeutenden
Menschen in irgendeinem Kreise niemals ohne Folge bleiben kann.
Der Graf und die Baronesse, welche so oft in den Fall kamen, über den
Wert verschiedener Pensionen befragt zu werden, weil fast jedermann um
die Erziehung seiner Kinder verlegen ist, hatten sich vorgenommen,
diese besonders kennenzulernen, von der soviel Gutes gesagt wurde, und
konnten nunmehr in ihren neuen Verhältnissen zusammen eine solche
Untersuchung anstellen.
Allein die Baronesse beabsichtigte noch etwas anderes.
Während ihres letzten Aufenthalts bei Charlotten hatte sie mit dieser
alles umständlich durchgesprochen, was sich auf Eduarden und Ottilien
bezog.
Sie bestand aber—und abermals darauf: Ottilie müsse entfernt werden.
Sie suchte Charlotten hiezu Mut einzusprechen, welche sich vor Eduards
Drohungen noch immer fürchtete.
Man sprach über die verschiedenen Auswege, und bei Gelegenheit der
Pension war auch von der Neigung des Gehülfen die Rede, und die
Baronesse entschloß sich um so mehr zu dem gedachten Besuch.
Sie kommt an, lernt den Gehülfen kennen, man beobachtet die Anstalt
und spricht von Ottilien.
Der Graf selbst unterhält sich gern über sie, indem er sie bei dem
neulichen Besuch genauer kennengelernt.
Sie hatte sich ihm genähert, ja sie ward von ihm angezogen, weil sie
durch sein gehaltvolles Gespräch dasjenige zu sehen und zu kennen
glaubte, was ihr bisher ganz unbekannt geblieben war.
Und wie sie in dem Umgange mit Eduard die Welt vergaß, so schien ihr
in der Gegenwart des Grafen die Welt erst recht wünschenswert zu sein.
Jede Anziehung ist wechselseitig.
Der Graf empfand eine Neigung für Ottilien, daß er sie gern als seine
Tochter betrachtete.
Auch hier war sie der Baronesse zum zweitenmal und mehr als das
erstemal im Wege.
Wer weiß, was diese in Zeiten lebhafterer Leidenschaft gegen sie
angestiftet hätte!
Jetzt war es ihr genug, sie durch eine Verheiratung den Ehefrauen
unschädlicher zu machen.
Sie regte daher den Gehülfen auf eine leise, doch wirksame Art
klüglich an, daß er sich zu einer kleinen Exkursion auf das Schloß
einrichten und seinen Planen und Wünschen, von denen er der Dame kein
Geheimnis gemacht, sich ungesäumt nähern solle.
Mit vollkommener Beistimmung der Vorsteherin trat er daher seine Reise
an und hegte in seinem Gemüte die besten Hoffnungen.
Er weiß, Ottilie ist ihm nicht ungünstig; und wenn zwischen ihnen
einiges Mißverständnis des Standes war, so glich sich dieses gar
leicht durch die Denkart der Zeit aus.
Auch hatte die Baronesse ihn wohl fühlen lassen, daß Ottilie immer ein
armes Mädchen bleibe.
Mit einem reichen Hause verwandt zu sein, hieß es, kann niemanden
helfen; denn man würde sich selbst bei dem größten Vermögen ein
Gewissen daraus machen, denjenigen eine ansehnliche Summe zu entziehen,
die dem näheren Grade nach ein vollkommeneres Recht auf ein Besitztum
zu haben scheinen.
Und gewiß bleibt es wunderbar, daß der Mensch das große Vorrecht, nach
seinem Tode noch über seine Habe zu disponieren, sehr selten zugunsten
seiner Lieblinge gebraucht und, wie es scheint, aus Achtung für das
Herkommen nur diejenigen begünstigt, die nach ihm sein Vermögen
besitzen würden, wenn er auch selbst keinen Willen hätte.
Sein Gefühl setzte ihn auf der Reise Ottilien völlig gleich.
Eine gute Aufnahme erhöhte seine Hoffnungen.
Zwar fand er gegen sich Ottilien nicht ganz so offen wie sonst; aber
sie war auch erwachsener, gebildeter und, wenn man will, im
allgemeinen mitteilender, als er sie gekannt hatte.
Vertraulich ließ man ihn in manches Einsicht nehmen, was sich
besonders auf sein Fach bezog.
Doch wenn er seinem Zwecke sich nähern wollte, so hielt ihn immer eine
gewisse innere Scheu zurück.
Einst gab ihm jedoch Charlotte hierzu Gelegenheit, indem sie in
Beisein Ottiliens zu ihm sagte:" nun, Sie haben alles, was in meinem
Kreise heranwächst, so ziemlich geprüft; wie finden Sie denn Ottilien?
Sie dürfen es wohl in ihrer Gegenwart aussprechen".
Der Gehülfe bezeichnete hierauf mit sehr viel Einsicht und ruhigem
Ausdruck, wie er Ottilien in Absicht eines freieren Betragens, einer
bequemeren Mitteilung, eines höheren Blicks in die weltlichen Dinge,
der sich mehr in ihren Handlungen als in ihren Worten betätige, sehr
zu ihrem Vorteil verändert finde, daß er aber doch glaube, es könne
ihr sehr zum Nutzen gereichen, wenn sie auf einige Zeit in die Pension
zurückkehre, um das in einer gewissen Folge gründlich und für immer
sich zuzueignen, was die Welt nur stückweise und eher zur Verwirrung
als zur Befriedigung, ja manchmal nur allzuspät überliefere.
Er wolle darüber nicht weitläufig sein; Ottilie wisse selbst am besten,
aus was für zusammenhängenden Lehrvorträgen sie damals herausgerissen
worden.
Ottilie konnte das nicht leugnen; aber sie konnte nicht gestehen, was
sie bei diesen Worten empfand, weil sie sich es kaum selbst auszulegen
wußte.
Es schien ihr in der Welt nichts mehr unzusammenhängend, wenn sie an
den geliebten Mann dachte, und sie begriff nicht, wie ohne ihn noch
irgend etwas zusammenhängen könne.
Charlotte beantwortete den Antrag mit kluger Freundlichkeit.
Sie sagte, daß sowohl sie als Ottilie eine Rückkehr nach der Pension
längst gewünscht hätten.
In dieser Zeit nur sei ihr die Gegenwart einer so lieben Freundin und
Helferin unentbehrlich gewesen; doch wolle sie in der Folge nicht
hinderlich sein, wenn es Ottiliens Wunsch bliebe, wieder auf so lange
dorthin zurückzukehren, bis sie das Angefangene geendet und das
Unterbrochene sich vollständig zugeeignet.
Der Gehülfe nahm diese Anerbietung freudig auf; Ottilie durfte nichts
dagegen sagen, ob es ihr gleich vor dem Gedanken schauderte.
Charlotte hingegen dachte Zeit zu gewinnen; sie hoffte, Eduard sollte
sich erst als glücklicher Vater wiederfinden und einfinden, dann, war
sie überzeugt, würde sich alles geben und auch für Ottilien auf eine
oder die andere Weise gesorgt werden.
Nach einem bedeutenden Gespräch, über welches alle Teilnehmenden
nachzudenken haben, pflegt ein gewisser Stillstand einzutreten, der
einer allgemeinen Verlegenheit ähnlich sieht.
Man ging im Saale auf und ab, der Gehülfe blätterte in einigen Büchern
und kam endlich an den Folioband, der noch von Lucianens Zeiten her
liegengeblieben war.
Als er sah, daß darin nur Affen enthalten waren, schlug er ihn gleich
wieder zu.
Dieser Vorfall mag jedoch zu einem Gespräch Anlaß gegeben haben, wovon
wir die Spuren in Ottiliens Tagebuch finden.
Wie man es nur über das Herz bringen kann, die garstigen Affen so
sorgfältig abzubilden!
Man erniedrigt sich schon, wenn man sie nur als Tiere betrachtet; man
wird aber wirklich bösartiger, wenn man dem Reize folgt, bekannte
Menschen unter dieser Maske aufzusuchen.
Es gehört durchaus eine gewisse Verschrobenheit dazu, um sich gern mit
Karikaturen und Zerrbildern abzugeben.
Unserm guten Gehülfen danke ichs, daß ich nicht mit der
Naturgeschichte gequält worden bin; ich konnte mich mit den Würmern
und Käfern niemals befreunden.
Diesmal gestand er mir, daß es ihm ebenso gehe.
"Von der Natur", sagte er, "sollten wir nichts kennen, als was uns
unmittelbar lebendig umgibt.
Mit den Bäumen, die um uns blühen, grünen, Frucht tragen, mit jeder
Staude, an der wir vorbeigehen, mit jedem Grashalm, über den wir
hinwandeln, haben wir ein wahres Verhältnis; sie sind unsre echten
Kompatrioten.
Die Vögel, die auf unsern Zweigen hin und wider hüpfen, die in unserm
Laube singen, gehören uns an, sie sprechen zu uns von Jugend auf, und
wir lernen ihre Sprache verstehen.
Man frage sich, ob nicht ein jedes fremde, aus seiner Umgebung
gerissene Geschöpf einen gewissen ängstlichen Eindruck auf uns macht,
der nur durch Gewohnheit abgestumpft wird.
Es gehört schon ein buntes, geräuschvolles Leben dazu, um Affen,
Papageien und Mohren um sich zu ertragen".
Manchmal, wenn mich ein neugieriges Verlangen nach solchen
abenteuerlichen Dingen anwandelte, habe ich den Reisenden beneidet,
der solche Wunder mit andern Wundern in lebendiger, alltäglicher
Verbindung sieht.
Aber auch er wird ein anderer Mensch.
Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen, und die Gesinnungen ändern
sich gewiß in einem Lande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind.
Nur der Naturforscher ist verehrungswert, der uns das Fremdeste,
Seltsamste mit seiner Lokalität, mit aller Nachbarschaft jedesmal in
dem eigensten Elemente zu schildern und darzustellen weiß.
Wie gern möchte ich nur einmal Humboldten erzählen hören!
Ein Naturalienkabinett kann uns vorkommen wie eine ägyptische
Grabstätte, wo die verschiedenen Tier—und Pflanzengötzen balsamiert
umherstehen.
Einer Priesterkaste geziemt es wohl, sich damit in geheimnisvollem
Halbdunkel abzugeben; aber in den allgemeinen Unterricht sollte
dergleichen nicht einfließen, um so weniger, als etwas Näheres und
Würdigeres sich dadurch leicht verdrängt sieht.
Ein Lehrer, der das Gefühl an einer einzigen guten Tat, an einem
einzigen guten Gedicht erwecken kann, leistet mehr als einer, der uns
ganze Reihen untergeordneter Naturbildungen der Gestalt und dem Namen
nach überliefert; denn das ganze Resultat davon ist, was wir ohnedies
wissen können, daß das Menschengebild am vorzüglichsten und einzigsten
das Gleichnis der Gottheit an sich trägt.
Dem einzelnen bleibe die Freiheit, sich mit dem zu beschäftigen, was
ihn anzieht, was ihm Freude macht, was ihm nützlich deucht; aber das
eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch.
Es gibt wenig Menschen, die sich mit dem Nächstvergangenen zu
beschäftigen wissen.
Entweder das Gegenwärtige hält uns mit Gewalt an sich, oder wir
verlieren uns in die Vergangenheit und suchen das völlig Verlorene,
wie es nur möglich sein will, wieder hervorzurufen und herzustellen.
Selbst in großen und reichen Familien, die ihren Vorfahren vieles
schuldig sind, pflegt es so zu gehen, daß man des Großvaters mehr als
des Vaters gedenkt.
Zu solchen Betrachtungen ward unser Gehülfe aufgefordert, als er an
einem der schönen Tage, an welchen der scheidende Winter den Frühling
zu lügen pflegt, durch den großen, alten Schloßgarten gegangen war und
die hohen Lindenalleen, die regelmäßigen Anlagen, die sich von Eduards
Vater herschrieben, bewundert hatte.
Sie waren vortrefflich gediehen in dem Sinne desjenigen, der sie
pflanzte, und nun, da sie erst anerkannt und genossen werden sollten,
sprach niemand mehr von ihnen; man besuchte sie kaum und hatte
Liebhaberei und Aufwand gegen eine andere Seite hin ins Freie und
Weite gerichtet.
Er machte bei seiner Rückkehr Charlotten die Bemerkung, die sie nicht
ungünstig aufnahm.
"Indem uns das Leben fortzieht", versetzte sie, "glauben wir aus uns
selbst zu handeln, unsre Tätigkeit, unsre Vergnügungen zu wählen, aber
freilich, wenn wir es genau ansehen, so sind es nur die Plane, die
Neigungen der Zeit, die wir mit auszuführen genötigt sind".
"Gewiß", sagte der Gehülfe; "und wer widersteht dem Strome seiner
Umgebungen?
Die Zeit rückt fort und in ihr Gesinnungen, Meinungen, Vorurteile und
Liebhabereien.
Fällt die Jugend eines Sohnes gerade in die Zeit der Umwendung, so
kann man versichert sein, daß er mit seinem Vater nichts gemein haben
wird.
Wenn dieser in einer Periode lebte, wo man Lust hatte, sich manches
zuzueignen, dieses Eigentum zu sichern, zu beschränken, einzuengen und
in der Absonderung von der Welt seinen Genuß zu befestigen, so wird
jener sodann sich auszudehnen suchen, mitteilen, verbreiten und das
Verschlossene eröffnen".
"Ganze Zeiträume", versetzte Charlotte, "gleichen diesem Vater und
Sohn, den Sie schildern.
Von jenen Zuständen, da jede kleine Stadt ihre Mauern und Gräben haben
mußte, da man jeden Edelhof noch in einen Sumpf baute und die
geringsten Schlösser nur durch eine Zugbrücke zugänglich waren, davon
können wir uns kaum einen Begriff machen.
Sogar größere Städte tragen jetzt ihre Wälle ab, die Gräben selbst
fürstlicher Schlösser werden ausgefüllt, die Städte bilden nur große
Flecken, und wenn man so auf Reisen das ansieht, sollte man glauben,
der allgemeine Friede sei befestigt und das goldne Zeitalter vor der
Tür.
Niemand glaubt sich in einem Garten behaglich, der nicht einem freien
Lande ähnlich sieht; an Kunst, an Zwang soll nichts erinnern; wir
wollen völlig frei und unbedingt Atem schöpfen.
Haben Sie wohl einen Begriff, mein Freund, daß man aus diesem in
einen andern, in den vorigen Zustand zurückkehren könne?" "Warum
nicht?" versetzte der Gehülfe; "jeder Zustand hat seine
Beschwerlichkeit, der beschränkte sowohl als der losgebundene.
Der letztere setzt überfluß voraus und führt zur Verschwendung.
Lassen Sie uns bei Ihrem Beispiel bleiben, das auffallend genug ist.
Sobald der Mangel eintritt, sogleich ist die Selbstbeschränkung
wiedergegeben.
Menschen, die ihren Grund und Boden zu nutzen genötigt sind, führen
schon wieder Mauern um ihre Gärten auf, damit sie ihrer Erzeugnisse
sicher seien.
Daraus entsteht nach und nach eine neue Ansicht der Dinge.
Das Nützliche erhält wieder die Oberhand, und selbst der
Vielbesitzende meint zuletzt auch das alles nutzen zu müssen.
Glauben Sie mir: es ist möglich, daß Ihr Sohn die sämtlichen
Parkanlagen vernachlässigt und sich wieder hinter die ernsten Mauern
und unter die hohen Linden seines Großvaters zurückzieht".
Charlotte war im stillen erfreut, sich einen Sohn verkündigt zu hören,
und verzieh dem Gehülfen deshalb die etwas unfreundliche Prophezeiung,
wie es dereinst ihrem lieben, schönen Park ergehen könne.
Sie versetzte deshalb ganz freundlich: "wir sind beide noch nicht alt
genug, um dergleichen Widersprüche mehrmals erlebt zu haben; allein
wenn man sich in seine frühe Jugend zurückdenkt, sich erinnert,
worüber man von älteren Personen klagen gehört, Länder und Städte mit
in die Betrachtung aufnimmt, so möchte wohl gegen die Bemerkung nichts
einzuwenden sein.
Sollte man denn aber einem solchen Naturgang nichts entgegensetzen,
sollte man Vater und Sohn, Eltern und Kinder nicht in übereinstimmung
bringen können?
Sie haben mir freundlich einen Knaben geweissagt; müßte denn der
gerade mit seinem Vater im Widerspruch stehen?
Zerstören, was seine Eltern erbaut haben, anstatt es zu vollenden und
zu erheben, wenn er in demselben Sinne fortfährt?" "Dazu gibt es auch
wohl ein vernünftiges Mittel", versetzte der Gehülfe, "das aber von
den Menschen selten angewandt wird.
Der Vater erhebe seinen Sohn zum Mitbesitzer, er lasse ihn mitbauen,
-pflanzen und erlaube ihm, wie sich selbst, eine unschädliche Willkür.
Eine Tätigkeit läßt sich in die andre verweben, keine an die andre
anstückeln.
Ein junger Zweig verbindet sich mit einem alten Stamme gar leicht und
gern, an den kein erwachsener Ast mehr anzufügen ist".
Es freute den Gehülfen, in dem Augenblick, da er Abschied zu nehmen
sich genötigt sah, Charlotten zufälligerweise etwas Angenehmes gesagt
und ihre Gunst aufs neue dadurch befestigt zu haben.
Schon allzulange war er von Hause weg; doch konnte er zur Rückreise
sich nicht eher entschließen als nach völliger überzeugung, er müsse
die herannahende Epoche von Charlottens Niederkunft erst vorbeigehen
lassen, bevor er wegen Ottiliens irgendeine Entscheidung hoffen könne.
Er fügte sich deshalb in die Umstände und kehrte mit diesen Aussichten
und Hoffnungen wieder zur Vorsteherin zurück.
Charlottens Niederkunft nahte heran.
Sie hielt sich mehr in ihren Zimmern.
Die Frauen, die sich um sie versammelt hatten, waren ihre
geschlossenere Gesellschaft.
Ottilie besorgte das Hauswesen, indem sie kaum daran denken durfte,
was sie tat.
Sie hatte sich zwar völlig ergeben; sie wünschte für Charlotten, für
das Kind, für Eduarden sich auch noch ferner auf das dienstlichste zu
bemühen; aber sie sah nicht ein, wie es möglich werden wollte.
Nichts konnte sie vor völliger Verworrenheit retten, als daß sie jeden
Tag ihre Pflicht tat.
Ein Sohn war glücklich zur Welt gekommen, und die Frauen versicherten
sämtlich, es sei der ganze leibhafte Vater.
Nur Ottilie konnte es im stillen nicht finden, als sie der Wöchnerin
Glück wünschte und das Kind auf das herzlichste begrüßte.
Schon bei den Anstalten zur Verheiratung ihrer Tochter war Charlotten
die Abwesenheit ihres Gemahls höchst fühlbar gewesen; nun sollte der
Vater auch bei der Geburt des Sohnes nicht gegenwärtig sein; er sollte
den Namen nicht bestimmen, bei dem man ihn künftig rufen würde. Der
erste von allen Freunden, die sich beglückwünschend sehen ließen, war
Mittler, der seine Kundschafter ausgestellt hatte, um von diesem
Ereignis sogleich Nachricht zu erhalten.
Er fand sich ein, und zwar sehr behaglich.
Kaum daß er seinen Triumph in Gegenwart Ottiliens verbarg, so sprach
er sich gegen Charlotten laut aus und war der Mann, alle Sorgen zu
heben und alle augenblicklichen Hindernisse beiseitezubringen.
Die Taufe sollte nicht lange aufgeschoben werden.
Der alte Geistliche, mit einem Fuß schon im Grabe, sollte durch seinen
Segen das Vergangene mit dem Zukünftigen zusammenknüpfen; Otto sollte
das Kind heißen; es konnte keinen andern Namen führen als den Namen
des Vaters und des Freundes.
Es bedurfte der entschiedenen Zudringlichkeit dieses Mannes, um die
hunderterlei Bedenklichkeiten, das Widerreden, Zaudern, Stocken,
Besser—oder Anderswissen, das Schwanken, Meinen, Um—und Wiedermeinen
zu beseitigen, da gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten aus einer
gehobenen Bedenklichkeit immer wieder neue entstehen und, indem man
alle Verhältnisse schonen will, immer der Fall eintritt, einige zu
verletzten.
Alle Meldungsschreiben und Gevatterbriefe übernahm Mittler; sie
sollten gleich ausgefertigt sein, denn ihm war selbst höchlich daran
gelegen, ein Glück, das er für die Familie so bedeutend hielt, auch
der übrigen mitunter mißwollenden und mißredenden Welt bekanntzumachen.
Und freilich waren die bisherigen leidenschaftlichen Vorfälle dem
Publikum nicht entgangen, das ohnehin in der überzeugung steht, alles,
was geschieht, geschehe nur dazu, damit es etwas zu reden habe.
Die Feier des Taufaktes sollte würdig, aber beschränkt und kurz sein.
Man kam zusammen, Ottilie und Mittler sollten das Kind als Taufzeugen
halten.
Der alte Geistliche, unterstützt vom Kirchdiener, trat mit langsamen
Schritten heran.
Das Gebet war verrichtet, Ottilien das Kind auf die Arme gelegt, und
als sie mit Neigung auf dasselbe heruntersah, erschrak sie nicht wenig
an seinen offenen Augen; denn sie glaubte in ihre eigenen zu sehen;
eine solche übereinstimmung hätte jeden überraschen müssen.
Mittler, der zunächst das Kind empfing, stutzte gleichfalls, indem er
in der Bildung desselben eine so auffallende ähnlichkeit, und zwar mit
dem Hauptmann, erblickte, dergleichen ihm sonst noch nie vorgekommen
war.
Die Schwäche des guten alten Geistichen hatte ihn gehindert, die
Taufhandlung mit mehrerem als der gewöhnlichen Liturgie zu begleiten.
Mittler indessen, voll von dem Gegenstande, gedachte seiner frühern
Amtsverrichtungen und hatte überhaupt die Art, sich sogleich in jedem
Falle zu denken, wie er nun reden, wie er sich äußern würde.
Diesmal konnte er sich um so weniger zurückhalten, als es nur eine
kleine Gesellschaft von lauter Freunden war, die ihn umgab.
Er fing daher an, gegen das Ende des Akts mit Behaglichkeit sich an
die Stelle des Geistlichen zu versetzen, in einer muntern Rede seine
Patenpflichten und Hoffnungen zu äußern und um so mehr dabei zu
verweilen, als er Charlottens Beifall in ihrer zufriedenen Miene zu
erkennen glaubte.
Daß der gute alte Mann sich gern gesetzt hätte, entging dem rüstigen
Redner, der noch viel weniger dachte, daß er ein größeres übel
hervorzubringen auf dem Wege war; denn nachdem er das Verhältnis eines
jeden Anwesenden zum Kinde mit Nachdruck geschildert und Ottiliens
Fassung dabei ziemlich auf die Probe gestellt hatte, so wandte er sich
zuletzt gegen den Greis mit diesen Worten:" und Sie, mein würdiger
Altvater, können nunmehr mit Simeon sprechen; 'Herr, laß deinen Diener
in Frieden fahren; denn meine Augen haben den Heiland dieses Hauses
gesehen'".
Nun war er im Zuge, recht glänzend zu schließen, aber er bemerkte bald,
daß der Alte, dem er das Kind hinhielt, sich zwar erst gegen dasselbe
zu neigen schien, nachher aber schnell zurücksank.
Vom Fall kaum abgehalten, ward er in einen Sessel gebracht, und man
mußte ihn ungeachtet aller augenblicklichen Beihülfe für tot
ansprechen.
So unmittelbar Geburt und Tod, Sarg und Wiege nebeneinander zu sehen
und zu denken, nicht bloß mit der Einbildungskraft, sondern mit den
Augen diese ungeheuern Gegensätze zusammenzufassen, war für die
Umstehenden eine schwere Aufgabe, je überraschender sie vorgelegt
wurde.
Ottilie allein betrachtete den Eingeschlummerten, der noch immer seine
freundliche, einnehmende Miene behalten hatte, mit einer Art von Neid.
Das Leben ihrer Seele war getötet; warum sollte der Körper noch
erhalten werden?
Führten sie auf diese Weise gar manchmal die unerfreulichen
Begebenheiten des Tags auf die Betrachtung der Vergänglichkeit, des
Scheidens, des Verlierens, so waren ihr dagegen wundersame nächtliche
Erscheinungen zum Trost gegeben, die ihr das Dasein des Geliebten
versicherten und ihr eigenes befestigten und belebten.
Wenn sie sich abends zur Ruhe gelegt und im süßen Gefühl noch zwischen
Schlaf und Wachen schwebte, schien es ihr, als wenn sie in einen ganz
hellen, doch mild erleuchteten Raum hineinblickte.
In diesem sah sie Eduarden ganz deutlich, und zwar nicht gekleidet,
wie sie ihn sonst gesehen, sondern im kriegerischen Anzug, jedesmal in
einer andern Stellung, die aber vollkommen natürlich war und nichts
Phantastisches an sich hatte: stehend, gehend, liegend, reitend. Die
Gestalt, bis aufs kleinste ausgemalt, bewegte sich willig vor ihr,
ohne daß sie das mindeste dazu tat, ohne daß sie wollte oder die
Einbildungskraft anstrengte.
Manchmal sah sie ihn auch umgeben, besonders von etwas Beweglichem,
das dunkler war als der helle Grund; aber sie unterschied kaum
Schattenbilder, die ihr zuweilen als Menschen, als Pferde, als Bäume
und Gebirge vorkommen konnten.
Gewöhnlich schlief sie über der Erscheinung ein, und wenn sie nach
einer ruhigen Nacht morgens wieder erwachte, so war sie erquickt,
getröstet; sie fühlte sich überzeugt, Eduard lebe noch, sie stehe mit
ihm noch in dem innigsten Verhältnis.
Der Frühling war gekommen, später, aber auch rascher und freudiger als
gewöhnlich.
Ottilie fand nun im Garten die Frucht ihres Vorsehens; alles keimte,
grünte und blühte zur rechten Zeit; manches, was hinter wohlangelegten
Glashäusern und Beeten vorbereitet worden, trat nun sogleich der
endlich von außen wirkenden Natur entgegen, und alles, was zu tun und
zu besorgen war, blieb nicht bloß hoffnungsvolle Mühe wie bisher,
sondern ward zum heitern Genusse.
An dem Gärtner aber hatte sie zu trösten über manche durch Lucianens
Wildheit entstandene Lücke unter den Topfgewächsen, über die zerstörte
Symmetrie mancher Baumkrone.
Sie machte ihm Mut, daß sich das alles bald wieder herstellen werde;
aber er hatte zu ein tiefes Gefühl, zu einen reinen Begriff von seinem
Handwerk, als daß diese Trostgründe viel bei ihm hätten fruchten
sollen.
So wenig der Gärtner sich durch andere Liebhabereien und Neigungen
zerstreuen darf, so wenig darf er ruhige Gang unterbrochen werden, den
die Pflanze zur dauernden oder zur vorübergehenden Vollendung nimmt.
Die Pflanze gleicht den eigensinnigen Menschen, von denen man alles
erhalten kann, wenn man sie nach ihrer Art behandelt.
Ein ruhiger Blick, eine stille Konsequenz, in jeder Jahrszeit, in
jeder Stunde das ganz Gehörige zu tun, wird vielleicht von niemand
mehr als vom Gärtner verlangt.
Diese Eigenschaften besaß der gute Mann in einem hohen Grade, deswegen
auch Ottilie so gern mit ihm wirkte; aber sein eigentliches Talent
konnte er schon einige Zeit nicht mehr mit Behaglichkeit ausüben.
Denn ob er gleich alles, was die Baum—und Küchengärtnerei betraf,
auch die Erfordernisse eines ältern Ziergartens, vollkommen zu leisten
verstand, wie denn überhaupt einem vor dem andern dieses oder jenes
gelingt, ob er schon in Behandlung der Orangerie, der Blumenzwiebeln,
der Nelken—und Aurikelnstöcke die Natur selbst hätte herausfordern
können, so waren ihm doch die neuen Zierbäume ud Modeblumen
einigermaßen fremd geblieben, und er hatte vor dem unendlichen Felde
der Botanik, das sich nach der Zeit auftat, und den darin
herumsummenden fremden Namen eine Art von Scheu, die ihn verdrießlich
machte.
Was die Herrschaft voriges Jahr zu verschreiben angefangen, hielt er
um so mehr für unnützen Aufwand und Verschwendung, als er gar manche
kostbare Pflanze ausgehen sah und mit den Handelsgärtnern, die ihn,
wie er glaubte, nicht redlich genug bedienten, in keinem sonderlichen
Verhältnisse stand.
Er hatte sich darüber nach mancherlei Versuchen eine Art von Plan
gemacht, in welchem ihn Ottilie um so mehr bestärkte, als er auf die
Wiederkehr Eduards eigentlich gegründet war, dessen Abwesenheit man in
diesem wie in manchem andern Falle täglich nachteiliger empfinden
mußte. Indem nun die Pflanzen immer mehr Wurzel schlugen und Zweige
trieben, fühlte sich auch Ottilie immer mehr an diese Räume gefesselt.
Gerade vor einem Jahre trat sie als Fremdling, als ein unbedeutendes
Wesen hier ein; wieviel hatte sie sich seit jener Zeit nicht erworben!
Aber leider wieviel hatte sie nicht auch seit jener Zeit wieder
verloren!
Sie war nie so reich und nie so arm gewesen.
Das Gefühl von beidem wechselte augenblicklich miteinander ab, ja
durchkreuzte sich aufs innigste, sodaß sie sich nicht anders zu helfen
wußte, als daß sie immer wieder das Nächste mit Anteil, ja mit
Leidenschaft ergriff.
Daß alles, was Eduarden besonders lieb war, auch ihre Sorgfalt am
stärksten an sich zog, läßt sich denken; ja warum sollte sie nicht
hoffen, daß er selbst nun bald wiederkommen, daß er die fürsorgliche
Dienstlichkeit, die sie dem Abwesenden geleistet, dankbar gegenwärtig
bemerken werde?
Aber noch auf eine viel andre Weise war sie veranlaßt, für ihn zu
wirken.
Sie hatte vorzüglich die Sorge für das Kind übernommen, dessen
unmittelbare Pflererin sie um so mehr werden konnte, als man es keiner
Amme übergeben, sondern mit Milch und Wasser aufzuziehen sich
entschieden hatte.
Es sollte in jener schönen Zeit der freien Luft genießen; und so trug
sie es am liebsten selbst heraus, trug das schlafende, unbewußte
zwischen Blumen und Blüten her, die dereinst seiner Kindheit so
freundlich entgegenlachen sollten, zwischen jungen Sträuchen und
Pflanzen, die mit ihm in die Höhe zu wachsen durch ihre Jugend
bestimmt schienen.
Wenn sie um sich her sah, so verbarg sie sich nicht, zu welchem großen,
reichen Zustande das Kind geboren sei; denn fast alles, wohin das
Auge blickte, sollte dereinst ihm gehören.
Wie wünschenswert war es zu diesem allen, daß es vor den Augen des
Vaters, der Mutter aufwächse und eine erneute, frohe Verbindung
bestätigte!
Ottilie fühlte dies alles so rein, daß sie sichs als entschieden
wirklich dachte und sich selbst dabei gar nicht empfand.
Unter diesem klaren Himmel, bei diesem hellen Sonnenschein ward es ihr
auf einmal klar, daß ihre Liebe, um sich zu vollenden, völlig
uneigennützig werden müsse; ja in manchen Augenblicken glaubte sie
diese Höhe schon erreicht zu haben.
Sie wünschte nur das Wohl ihres Freundes, sie glaubte sich fähig, ihm
zu entsagen, sogar ihn niemals wiederzusehen, wenn sie ihn nur
glücklich wisse.
Aber ganz entschieden war sie für sich, niemals einem andern
anzugehören.
Daß der Herbst ebenso herrlich würde wie der Frühling, dafür war
gesorgt.
Alle sogenannten Sommergewächse, alles, was im Herbst mit Blühen nicht
enden kann und sich der Kälte noch keck entgegenentwickelt, Astern
besonders, waren in der größten Mannigfaltigkeit gesäet und sollten
nun, überallhin verpflanzt, einen Sternhimmel über die Erde bilden.
Einen guten Gedanken, den wir gelegen, etwas Auffallendes, das wir
gehört, tragen wir wohl in unser Tagebuch.
Nähmen wir uns aber zugleich die Mühe, aus den Briefen unserer Freunde
eigentümliche Bemerkungen, originelle Ansichten, flüchtige geistreiche
Worte auszuzeichnen, so würden wir sehr reich werden.
Briefe hebt man auf, um sie nie wieder zu lesen; man zerstört sie
zuletzt einmal aus Diskretion, und so verschwindet der schönste,
unmittelbarste Lebenshauch unwiederbringlich für uns und andre.
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