Dann stürmte wieder die Liebe zum Neuen und zu Abenteuern in voller Fluth durch seine Seele; er fühlte sich wunderbar und plötzlich an die Welt gekettet und auf dem geraden Wege, die Gegenden und Wunder, welche über diesen mächtigen Strom und die blauen Gebirge, die seit seiner Kindheit seinen Horizont begränzt hatten, zu erforschen. Während er in diesem Strudel von Gedanken befangen war, spannten sich die Segel vom Winde, die Küsten schienen hinter ihm zu fliehen, und ehe er vollkommen wieder sich zu beherrschen vermochte, war die Schaluppe schon an Spikingdevil und an den Yonkershügeln vorbeigesegelt, und der höchste Schornstein von Manhattoes war seinen Blicken entschwunden.
Ich habe gesagt, eine Reise auf dem Hudson sei in diesen Tagen ein Unternehmen von einiger Bedeutung gewesen; sie bedeutete ebenso viel als jetzt eine Reise nach Europa. Die Schaluppen waren oft viele Tage unterwegs; die vorsichtigen Schiffer segelten, wenn eine frische Breeze wehte, und legten Nachts vor Anker; sie hielten an, um Boote ans Land zu setzen, um Milch und Thee zu holen; ohne dieß war es den würdigen alten Damen, die mitreisten, unmöglich zu subsistiren. Da waren aber auch noch die vielbesprochenen Gefahren der Tapan Zee und die Hochlande. [Fußnote: Seeartige Erweiterung des untern Hudson. Die »Hochlande« (Highlands), großartige Gebirgsgegend am Hudson.] Kurz, ein kluger holländischer Bürger sprach sonst Monate, ja Jahre lang von einer solchen Reise und unternahm sie nie, ohne zuvor seine Geschäfte in Ordnung zu bringen, und ohne daß Gebete für ihn in den holländischen Kirchen abgehalten wurden.
Im Verlauf einer solchen Reise war deßhalb Dolph zufrieden, hinreichende Zeit zum Nachdenken zu finden und zu überlegen, was er thun solle, wenn er in Albany ankäme. Der Kapitän mit seinem blinden Auge und seinem lahmen Beine brachte ihm seinen seltenen Traum wieder in Erinnerung und beunruhigte ihn auf einige Augenblicke; aber sein Leben hatte ihm vor Kurzem so viele Träume und Wirklichkeiten vorgeführt, seine Tage und Nächte waren so zusammengewürfelt, daß er sich immer um eine Täuschung zu drehen schien. Indessen findet sich immer eine Art flüchtigen Trostes in einem Menschen, der nichts in der Welt zu verlieren hat; damit stärkte Dolph sein Herz und beschloß, so viel als möglich die Gegenwart zu genießen.
Am zweiten Tag ihrer Reise gelangten sie zu den Hochlanden. Es war der Rest eines ruhigen, schwülen Tages, als sie ruhig mit der Fluth zwischen diese schrecklichen Gebirge dahin schifften. Es herrschte die vollkommene Ruhe, welche sich über die Natur in den trägen und heißen Sommertagen verbreitet; das Umdrehen einer Diele, oder das zufällige Herabfallen eines Ruders auf das Verdeck tönte von der Seite der Gebirge wider und schallte längs der Küsten; und wenn zufällig der Kapitän einen Kommandoruf ertönen ließ, ahmten es luftige Zungen von jeder Klippe nach.
Dolph sah in stiller Wonne und Bewunderung auf diese prachtvollen Naturscenen. Zur Linken erhob der Dunderberg seine waldigen Abgründe, Gipfel über Gipfel, Forst über Forst, in den tiefen Sommerhimmel. Zur Rechten starrte das Vorgebirge der Antonius-Nase mit einem einsamen, um ihn fliegenden Adler hervor, während jenseits Berg auf Berg folgte, bis sie ihre Arme zusammenzuschließen und diesen mächtigen Strom in sie zu fassen schienen. Man hatte ein ruhiges wollüstiges Gefühl, wenn man auf die breiten grünen Buchten sah, die hier und da unter den Abgründen ausgehöhlt waren; oder auf das Waldland hoch oben in der Bucht, das über den Rand einer Klippe herüber nickte und seine Blätter in dem Sonnenschein ausbreitete.
Mitten in seiner Bewunderung bemerkte Dolph einen Haufen glänzender, über die westlichen Höhen zum Vorschein kommender Schneewolken. Auf sie folgten andere und wieder andere, so daß jede ihren Vorgänger vorwärts zu treiben schien und mit blendendem Glanz in die tiefe blaue Atmosphäre sich verlor; auch hörte man jetzt den grollenden Donner schwach hinter den Gebirgen rollen. Der Fluß, der bisher ruhig und gläsern war und die Bilder des Himmels und des Landes widerspiegelte, sah jetzt, wo der Wind ihm näher kam, in der Entfernung aus wie ein dunkler Pfuhl. Die Fischreiher schweiften umher und kreischten und suchten ihre Nester auf den Gipfeln dürrer Bäume; die Krähen flogen schreiend in die Felsenritzen, und die ganze Natur schien eine Vorahnung von dem nahenden Gewitter zu haben.
Die Wolken rollten jetzt in dichten Massen über die Gipfel der Gebirge, deren Höhen immer hell und beschneit, die unteren Theile aber von einer Dintenschwärze waren. Der Regen fing an in starken und mächtigen Tropfen herabzufallen; der Wind wurde kälter und kräuselte die Wogen; endlich schien es, als wenn die schwellenden Wolken durch die Gipfel der Gebirge aufgeschlossen wurden, und ganze Regenströme fielen mit Geprassel herab. Die Blitze sprangen von Wolke zu Wolke, brachen sich mächtig gegen die Felsen und zersplitterten und zerrissen die stärksten Waldbäume. Der Donner ließ sich in dröhnenden Explosionen hören; der Schall hallte von Gebirg zu Gebirg wider; er krachte auf dem Dunderberg und rollte längs der Kette der Hochlande; jedes Vorgebirge brachte ein neues Echo hervor, bis der alte Bull-Hill den Sturm zurückzudrängen schien.
Eine Zeitlang verbarg das dahin streichende Gewölk sowie der Nebel und anhaltende Regen die Landschaft dem Auge. Es herrschte eine furchtbare Dunkelheit, die noch furchtbarer wurde durch die Ströme von Blitzen, welche unter dem Regen glänzten. Nie hatte Dolph einen solchen absoluten Kampf der Elemente gesehen; es schien, als wenn der Sturm tobte und seinen Weg durch dieses Berg-Defilé nähme und die ganze Artillerie des Himmels ins Treffen geführt hätte.
Das Fahrzeug wurde durch den wachsenden Wind immer vorwärts getrieben, bis sie dahin gelangten, wo der Fluß eine plötzliche Krümmung macht, die einzige in seinem ganzen majestätischen Lauf. Gerade als sie diesen Punkt berührten, entstand ein heftiger Windstoß, stürzte ein Felsstück hervor, dämmte den Wald vor ihm und peitschte in einem Augenblick den Fluß zu weißem Schaum und Gischt. Der Kapitän sah die Gefahr und rief, man solle die Segel reffen. Ehe der Befehl ausgeführt werden konnte, traf der Windstoß die Fregatte und zog sie an ihrem Balkenende. Alles war jetzt in Furcht und Verwirrung; das Schlagen der Segel, das Pfeifen und Rauschen des Windes, das Schreien des Kapitäns und des Schiffsvolkes, das Kreischen der Passagiere, Alles mischte sich mit dem Rollen und Brüllen des Donners. Mitten in dem Aufruhr richtete sich die Fregatte auf; in der nämlichen Zeit nahm das Hauptsegel eine andere Richtung, die Querstenge wurde auf das Quarterdeck geschleudert, und Dolph, der unvorsichtig nach den Wolken sah, wurde plötzlich in den Fluß geschleudert.
Eine seiner unnützen Fertigkeiten kam ihm jetzt zu statten. Die vielen müßigen Stunden, die er darauf verwendet hatte, in dem Hudson seine Spiele zu treiben, hatten ihn zu einem vollkommenen Schwimmer gemacht; aber bei aller Stärke und Geschicklichkeit machte es ihm doch große Schwierigkeiten, das Ufer zu erreichen. Sein Verschwinden von dem Deck war von den Schiffsleuten nicht bemerkt worden, da sie alle mit ihrer eigenen Rettung beschäftigt waren. Die Fregatte wurde mit unbegreiflicher Schnelligkeit fortgetrieben. Sie hatte eine schwere Aufgabe, sich an einem Vorgebirge an der östlichen Küste durchzuarbeiten, um welches der Fluß sich drehte, und welches sie vollkommen von Dolph abschloß.
Endlich kam er an der westlichen Küste ans Land, kletterte auf die Felsen und schwang sich, ermattet und erschöpft, an den Fuß eines Baumes.
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