Don Carlos, Infant von Spanien

Schiller, Friedrich

Don Carlos, Infant von Spanien

 

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Friedrich Schiller

Don Carlos

Infant von Spanien

Ein dramatisches Gedicht

 

 

Personen.

Philipp der Zweite, König von Spanien.

 

Elisabeth von Valois, seine Gemahlin.

 

Don Carlos, der Kronprinz.

 

Alexander Farnese, Prinz von Parma, Neffe des Königs.

 

Infantin Klara Eugenia, ein Kind von drei Jahren.

 

Herzogin von Olivarez, Oberhofmeisterin.

 

Marquisin von Mondekar,

Prinzessin von Eboli,

Gräfin Fuentes, , Damen der Königin.

 

Marquis von Posa, ein Malteserritter,

Herzog von Alba,

Graf von Lerma, Oberster der Leibwache,

Herzog von Feria, Ritter des Vlieses,

Herzog von Medina Sidonia, Admiral,

Don Raimond von Taxis, Oberpostmeister, , Granden von Spanien.

 

Domingo, Beichtvater des Königs.

 

Der Grossinquisitor des Königreichs.

 

Der Prior eines Kartäuserklosters.

 

Ein Page der Königin.

 

Don Ludwig Merkado, Leibarzt der Königin.

 

Mehrere Damen und Granden, Pagen, Offiziere.

 

Die Leibwache und verschiedene stumme Personen.

 

 

Erster Akt

 

Der königliche Garten in Aranjuez.

 

Erster Auftritt

Carlos, Domingo.

 

DOMINGO.

Die schönen Tage in Aranjuez

Sind nun zu Ende. Eure königliche Hoheit

Verlassen es nicht heiterer. Wir sind

Vergebens hier gewesen. Brechen Sie

Dies rätselhafte Schweigen. Öffnen Sie

Ihr Herz dem Vaterherzen, Prinz. Zu teuer

Kann der Monarch die Ruhe seines Sohns –

Des einzgen Sohns – zu teuer nie erkaufen.

 

Carlos sieht zur Erde und schweigt.

 

Wär noch ein Wunsch zurücke, den der Himmel

Dem liebsten seiner Söhne weigerte?

Ich stand dabei, als in Toledos Mauern

Der stolze Karl die Huldigung empfing,

Als Fürsten sich zu seinem Handkuß drängten,

Und jetzt in einem – einem Niederfall

Sechs Königreiche ihm zu Füßen lagen –

Ich stand und sah das junge stolze Blut

In seine Wangen steigen, seinen Busen

Von fürstlichen Entschlüssen wallen, sah

Sein trunknes Aug durch die Versammlung fliegen,

In Wonne brechen – Prinz, und dieses Auge

Gestand: Ich bin gesättigt.

 

Carlos wendet sich weg.

 

Dieser stille

Und feierliche Kummer, Prinz, den wir

Acht Monde schon in Ihren Blicken lesen,

Das Rätsel dieses ganzen Hofs, die Angst

Des Königreichs, hat Seiner Majestät

Schon manche sorgenvolle Nacht gekostet,

Schon manche Träne Ihrer Mutter.

CARLOS dreht sich rasch um.

Mutter?

– O Himmel, gib, daß ich es dem vergesse,

Der sie zu meiner Mutter machte!

DOMINGO.

Prinz?

CARLOS besinnt sich und fährt mit der Hand über die Stirne.

Hochwürdger Herr – ich habe sehr viel Unglück

Mit meinen Müttern. Meine erste Handlung,

Als ich das Licht der Welt erblickte, war

Ein Muttermord.

DOMINGO.

Ists möglich, gnädger Prinz?

Kann dieser Vorwurf Ihr Gewissen drücken?

CARLOS.

Und meine neue Mutter – hat sie mir

Nicht meines Vaters Liebe schon gekostet?

Mein Vater hat mich kaum geliebt. Mein ganzes

Verdienst war noch, sein Einziger zu sein.

Sie gab ihm eine Tochter – O wer weiß,

Was in der Zeiten Hintergrunde schlummert?

DOMINGO.

Sie spotten meiner, Prinz. Ganz Spanien

Vergöttert seine Königin. Sie sollten

Nur mit des Hasses Augen sie betrachten?

Bei ihrem Anblick nur die Klugheit hören?

Wie, Prinz? Die schönste Frau auf dieser Welt,

Und Königin – und ehmals Ihre Braut?

Unmöglich, Prinz! Unglaublich! Nimmermehr!

Wo alles liebt, kann Karl allein nicht hassen;

So seltsam widerspricht sich Carlos nicht.

Verwahren Sie sich, Prinz, daß sie es nie,

Wie sehr sie ihrem Sohn mißfällt, erfahre;

Die Nachricht würde schmerzen.

CARLOS.

Glauben Sie?

DOMINGO.

Wenn Eure Hoheit sich des letzteren

Turniers zu Saragossa noch entsinnen,

Wo unsern Herrn ein Lanzensplitter streifte –

Die Königin mit ihren Damen saß

Auf des Palastes mittlerer Tribune

Und sah dem Kampfe zu. Auf einmal riefs:

»Der König blutet!« – Man rennt durcheinander,

Ein dumpfes Murmeln dringt bis zu dem Ohr

Der Königin. »Der Prinz?« ruft sie und will,

Und will sich von dem obersten Geländer

Herunterwerfen, – »Nein! Der König selbst!«

Gibt man zur Antwort – »So laßt Ärzte holen!«

Erwidert sie, indem sie Atem schöpfte.

 

Nach einigem Stillschweigen.

 

Sie stehen in Gedanken?

CARLOS.

Ich bewundre

Des Königs lustgen Beichtiger, der so

Bewandert ist in witzigen Geschichten.

 

Ernsthaft und finster.

 

Doch hab ich immer sagen hören, daß

Gebärdenspäher und Geschichtenträger

Des Übels mehr auf dieser Welt getan,

Als Gift und Dolch in Mörders Hand nicht konnten.

Die Mühe, Herr, war zu ersparen. Wenn

Sie Dank erwarten, gehen Sie zum König.

DOMINGO.

Sie tun sehr wohl, mein Prinz, sich vorzusehn

Mit Menschen – nur mit Unterscheidung. Stoßen Sie

Nicht mit dem Heuchler auch den Freund zurück.

Ich mein es gut mit Ihnen.

CARLOS.

Lassen Sie

Das meinen Vater ja nicht merken. Sonst

Sind Sie um Ihren Purpur.

DOMINGO stutzt.

Wie?

CARLOS.

Nun ja.

Versprach er Ihnen nicht den ersten Purpur,

Den Spanien vergeben würde?

DOMINGO.

Prinz,

Sie spotten meiner.

CARLOS.

Das verhüte Gott,

Daß ich des fürchterlichen Mannes spotte,

Der meinen Vater seligsprechen und

Verdammen kann!

DOMINGO.

Ich will mich nicht

Vermessen, Prinz, in das ehrwürdige

Geheimnis Ihres Kummers einzudringen.

Nur bitt ich Eure Hoheit, eingedenk

Zu sein, daß dem beängstigten Gewissen

Die Kirche eine Zuflucht aufgetan,

Wozu Monarchen keinen Schlüssel haben,

Wo selber Missetaten unterm Siegel

Des Sakramentes aufgehoben liegen –

Sie wissen, was ich meine, Prinz. Ich habe

Genug gesagt.

CARLOS.

Nein! Das sei fern von mir,

Daß ich den Siegelführer so versuchte!

DOMINGO.

Prinz, dieses Mißtraun – Sie verkennen Ihren

Getreusten Diener.

CARLOS faßt ihn bei der Hand.

Also geben Sie

Mich lieber auf. Sie sind ein heilger Mann,

Das weiß die Welt – doch, frei heraus – für mich

Sind Sie bereits zu überhäuft. Ihr Weg,

Hochwürdger Vater, ist der weiteste,

Bis Sie auf Peters Stuhle niedersitzen.

Viel Wissen möchte Sie beschweren. Melden

Sie das dem König, der Sie hergesandt.

DOMINGO.

Mich hergesandt? –

CARLOS.

So sagt ich. O, zu gut,

Zu gut weiß ich, daß ich an diesem Hof

Verraten bin – ich weiß, daß hundert Augen

Gedungen sind, mich zu bewachen, weiß,

Daß König Philipp seinen einzgen Sohn

An seiner Knechte schlechtesten verkaufte,

Und jede von mir aufgefangne Silbe

Dem Hinterbringer fürstlicher bezahlt,

Als er noch keine gute Tat bezahlte.

Ich weiß – O still! Nichts mehr davon! Mein Herz

Will überströmen, und ich habe schon

Zu viel gesagt.

DOMINGO.

Der König ist gesonnen,

Vor Abend in Madrid noch einzutreffen.

Bereits versammelt sich der Hof.