Er wollte nun die Früchte so vieler Schicksalsschläge pflücken, als ihn in seinem achtundzwanzigsten Lebensjahre der Tod ereilte, gerade als er sich anschickte, dieses blutdürstige Neu-Seeland zu regeneriren. Gewiß wurde die Civilisation durch diesen unersetzlichen Verlust um viele Jahre verzögert. Nichts ersetzt ja einen intelligenten und guten Mann, der in seinem Herzen die Liebe zum Guten mit der zu seinem Vaterlande verbindet.
Bis zum Jahre 1816 wurde Neu-Seeland vernachlässigt. Zu dieser Zeit bereisten Thompson, 1817 Lidiard Nicholas, 1819 Marsden verschiedene Theile beider Inseln, und 1820 hielt sich Richard Cruise, Kapitän im vierundachtzigsten Infanterie-Regiment, sechs Monate hier auf, was für die Kenntniß von den Sitten der Eingeborenen von großem Vortheil war.
Im Jahre 1824 verblieb Duperrey, der Commandant der Coquille, vierzehn Tage in der Bai der Inseln, und konnte die Eingeborenen nur loben.
Nach ihm mußte sich im Jahre 1827 der Wallfahrer Mercury gegen Beraubung und Mord vertheidigen; in demselben Jahre aber wurde der Kapitän Dillon bei zweimaligem Aufenthalte sehr gastlich aufgenommen.
Im März 1827 konnte der berühmte Dumont d'Urville mehrere Nächte ungestraft und ohne Waffen unter den Eingeborenen zubringen, Geschenke und Gesänge wechseln, in den Hütten schlafen und ohne gestört zu werden, seine interessanten Aufnahme-Arbeiten verfolgen, die dem Depot der Marine so schöne Karten geliefert haben.
Dagegen hatte die von John James befehligte englische Brigg Hawes, welche die Bai der Inseln berührt und sich dann nach dem Ostcap gewendet hatte, von Seiten eines perfiden Häuptlings, namens Enararo, viel zu leiden. Mehrere von der Besatzung starben eines schrecklichen Todes.
Nach diesen sich widersprechenden Erfahrungen, diesem Wechsel von Milde und Barbarei, ist man zu dem Schlusse genöthigt, daß die Grausamkeiten der Neu-Seeländer oft nur Repressalien waren. Gute oder schlechte Behandlung hingen von guten oder schlechten Kapitänen ab. Gewiß sind einzelne ungerechtfertigte Angriffe seitens der Eingeborenen vorgekommen, aber meist waren es nur von den Europäern provocirte Acte der Rache, und zum Unglück fiel die Züchtigung auf Die zurück, welche sie nicht verdient hatten.
Nach d'Urville wurde die Ethnographie Neu-Seelands durch einen kühnen Forscher vervollständigt, der als Nomade, als wissenschaftlicher Zigeuner, zwanzigmal die ganze Erde bereiste, durch den Engländer Earle. Er besuchte die unbekannten Gegenden beider Inseln, ohne sich persönlich über die Eingeborenen zu beklagen zu haben, doch war er oft Zeuge der Menschenfresserei. Die Neu-Seeländer verzehrten sich gegenseitig mit einer widerlichen Wollust.
Das beobachtete auch der Kapitän Laplace im Jahre 1831 wieder, als er die Bai der Inseln besuchte. Schon waren die Kämpfe furchtbarer geworden, denn die Wilden handhabten die Feuerwaffen mit bemerkenswerther Sicherheit. Die früher blühenden und bevölkerten Landstriche von Ika-na-Maoui waren zu Einöden geworden. Ganze Völkerschaften waren verschwunden wie Schafheerden, nämlich gebraten und aufgegessen worden.
Die Missionäre haben vergeblich gegen diesen instinctiven Blutdurst angekämpft. Seit 1808 hat die Church Missionary Society ihre gewandtesten Agenten – denn das ist der für sie passende Name – nach den Hauptstationen der nördlichen Insel entsendet; die Barbarei der Neu-Seeländer zwang sie aber, die Missionen wieder aufzuheben. Allein im Jahre 1814 schifften sich Marsden, der Beschützer Doua-Tara's, Hall und King in der Bai der Inseln aus, und kauften den Häuptlingen für den Preis von zwölf eisernen Aexten ein Stück Land von zweihundert Ackern ab, welches der Sitz der anglikanischen Gesellschaft wurde.
Der Anfang war schwer, indeß respectirten die Eingeborenen das Leben der Missionäre. Sie nahmen ihre Pflege und ihre Lehren an. Einige menschenscheue Eingeborene wurden sanfter. Das Gefühl der Dankbarkeit erwachte in ihren entmenschten Herzen. Im Jahre 1824 kam es sogar vor, daß die Neu-Seeländer ihre »Ariki's«, d. h. die Geistlichen, gegen rohe Matrosen, welche sie belästigten und ihnen mit übler Behandlung drohten, vertheidigten.
Mit der Zeit blühten indessen die Missionen empor, trotz der Anwesenheit aus Port Jackson entsprungener Sträflinge, welche die eingeborene Bevölkerung demoralisirten.
Im Jahre 1831 berichtet das »Journal des Missions évangéliques« von zwei umfangreichen Niederlassungen, die eine in Kidi-Kidi, an den Ufern des Canals, der in der Bai der Inseln in's Meer ausläuft; die andere in Paï-Hia, an den Ufern des Flusses Kawa-Kawa. Die zum Christenthume bekehrten Eingeborenen hatten unter Leitung der Ariki's Straßen hergestellt, Wege durch die ungeheuren Wälder gebrochen und Brücken über die Bergströme geschlagen. Jeder Priester zog, wenn die Reise an ihm war, aus, den entlegeneren Stämmen die civilisirende Religion zu predigen, errichtete Capellen von Binsen oder Baumrinde, Schulen für die jungen Eingeborenen, und von dem Dache dieser bescheidenen Bauwerke flatterte die Fahne der Mission, die das christliche Kreuz und die Worte: »Rongo-Pai« (so heißt in neuseeländischer Sprache das Evangelium) trug.
Unglücklicher Weise erstreckt sich der Einfluß der Missionäre nicht über ihre Etablissements hinaus. Die ganze umherziehende Bevölkerung entgeht ihrer Einwirkung. Der Cannibalismus ist nur bei den Christen unterdrückt, und noch jetzt dürfte man die Neubekehrten wohl keiner allzu harten Prüfung unterwerfen. Der Instinct des Blutes lebt noch in ihnen.
Im Uebrigen ist der Kriegszustand in jenen wilden Gegenden geradezu chronisch. Die Seeländer sind keine verthierten Australier, die vor der europäischen Einwanderung zurückweichen; sie widerstehen, vertheidigen sich, hassen ihre Bedränger, und eben jetzt treibt sie ein unbesiegbarer Haß gegen die englischen Emigranten in den Kampf. Die Zukunft dieser großen Insel steht auf einem Würfelfall. Entweder erwartet sie eine unmittelbare Civilisirung, oder, je nach der Entscheidung der Waffen, eine tiefe Barbarei für lange Jahrhunderte.
So hatte Paganel mit vor Ungeduld brennendem Gehirn die Geschichte Neu-Seelands seinem Geiste wieder aufgefrischt. Nichts darin gestattete aber, dieses aus zwei Inseln bestehende Land als einen Continent zu betrachten, und wenn einige Worte des Documentes auch seine Einbildung erweckt hatten, so hielten ihn die beiden Silben »contin« doch bei jeder neuen Erklärung auf dem eingeschlagenen Wege zurück.
Drittes Capitel.
Die Metzeleien in Neu-Seeland.
Am 31. Januar, also vier Tage nach seiner Abfahrt, hatte der Macquarie noch nicht zwei Drittheile des so schmalen Meerestheiles zwischen Australien und Neu-Seeland zurückgelegt. Will Halley bekümmerte sich sehr wenig um die Manoeuvres seines Schiffes; er ließ Alles seinen Gang gehen.
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