12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
Karl May
Durch Wüste und Harem
Im Schatten des Großherrn 1
Der Text dieser Ausgabe folgt in sorgfältiger Überarbeitung
der Textgestalt des ehemaligen Verlags von H.G. Münchmeyer, Dresden,
die von Karl May selbst geschaffen wurde.
Die Orthographie wurde der heutigen Schreibweise angeglichen
Copyright © 1983 by Manfred Pawlak Verlagsgesellschaft mbH, Herrsching
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Umschlagentwurf: Bine Cordes, Weyarn,
unter Verwendung von Zeichnungen von Helmut Preiß
Gesamtherstellung: Eisnerdruck GmbH, Berlin
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ERSTES KAPITEL
Ein Todesritt
„Und ist es wirklich wahr, Sihdi (Herr), daß du ein Giaur bleiben willst, ein Ungläubiger, welcher verächtlicher ist als ein Hund, widerlicher als eine Ratte, die nur Verfaultes frißt?“
„Ja.“
„Effendi, ich hasse die Ungläubigen und gönne es ihnen, daß sie nach ihrem Tod in die Dschehennah kommen, wo der Teufel wohnt; aber dich möchte ich retten vor dem ewigen Verderben, welches dich ereilen wird, wenn du dich nicht zum Ikrar bil Lisan, zum heiligen Zeugnis, bekennst. Du bist so gut, so ganz anders als andere Sihdis, denen ich gedient habe, und darum werde ich dich bekehren, du magst wollen oder nicht.“
So sprach Halef, mein Diener und Wegweiser, mit dem ich in den Schluchten und Klüften des Dschebel Aures herumgekrochen und dann nach dem Dra el Hauna heruntergestiegen war, um über den Dschebel Tarfaui nach Seddada, Kris und Dgasche zu kommen, von welchen Orten aus ein Weg über den berüchtigten Schott Dscherid nach Fetnassa und Kbilli führt.
Halef war ein eigentümliches Kerlchen. Er war so klein, daß er mir kaum bis unter die Arme reichte, und dabei so hager und dünn, daß man hätte behaupten mögen, er habe ein volles Jahrzehnt zwischen den Löschpapierblättern eines Herbariums in fortwährender Pressung gelegen. Dabei verschwand sein Gesichtchen vollständig unter einem Turban, der drei volle Fuß im Durchmesser hatte, und sein einst weiß gewesener Burnus, welcher jetzt in allen möglichen Fett- und Schmutznuancen schimmerte, war jedenfalls für einen weit größeren Mann gefertigt worden, so daß er ihn, sobald er vom Pferd gestiegen war und nun gehen wollte, empornehmen mußte wie das Reitkleid einer Dame. Aber trotz dieser äußeren Unansehnlichkeit mußte man allen Respekt vor ihm haben. Er besaß einen ungemeinen Scharfsinn, viel Mut und Gewandtheit und eine Ausdauer, welche ihn die größten Beschwerden überwinden ließ. Und da er auch außerdem alle Dialekte sprach, welche zwischen dem Wohnsitz der Uëlad Bu Seba und den Nilmündungen erklingen, so kann man sich denken, daß er meine vollste Zufriedenheit besaß, so daß ich ihn mehr als Freund denn als Diener behandelte.
Eine Eigenschaft besaß er nun allerdings, welche mir zuweilen recht unbequem werden konnte: er war ein fanatischer Muselmann und hatte aus Liebe zu mir den Entschluß gefaßt, mich zum Islam zu bekehren. Eben jetzt hatte er wieder einen seiner fruchtlosen Versuche unternommen, und ich hätte lachen können, so komisch sah er dabei aus.
Ich ritt einen kleinen, halb wilden Berberhengst, und meine Füße schleiften dabei fast am Boden; er aber hatte sich, um seine Figur zu unterstützen, eine alte, dürre, aber himmelhohe Hassi-Ferdschahn-Stute ausgewählt und saß also so hoch, daß er zu mir herniederblicken konnte. Während der Unterhaltung war er äußerst lebhaft; er wedelte mit den bügellosen Beinen, gestikulierte mit den dünnen, braunen Ärmchen und versuchte, seinen Worten durch ein so lebhaftes Mienenspiel Nachdruck zu geben, daß ich alle Mühe hatte, ernst zu bleiben.
Als ich auf seine letzten Worte nicht antwortete, fuhr er fort:
„Weißt du, Sihdi, wie es den Giaurs nach ihrem Tod ergehen wird?“
„Nun?“
„Nach dem Tod kommen alle Menschen, sie mögen Moslemim, Christen, Juden oder etwas anderes sein, in den Barzakh.“
„Das ist der Zustand zwischen dem Tod und der Auferstehung?“
„Ja, Sihdi. Aus ihm werden sie alle mit dem Schall der Posaunen erweckt, denn el Jaum el aakhar, der jüngste Tag, und el Akhiret, das Ende, sind gekommen, wo dann alles zugrunde geht, außer el Kuhrs, der Sessel Gottes, er Ruhh, der heilige Geist, el Lauhel mafus und el Kalam, die Tafel und die Feder der göttlichen Vorherbestimmung.“
„Weiter wird nichts mehr bestehen?“
„Nein.“
„Aber das Paradies und die Hölle?“
„Sihdi, du bist klug und weise; du merkst gleich, was ich vergessen habe, und daher ist es jammerschade, daß du ein verfluchter Giaur bleiben willst. Aber ich schwöre es bei meinem Barte, daß ich dich bekehren werde, du magst wollen oder nicht!“
Bei diesen Worten zog er seine Stirn in sechs drohende Falten, zupfte sich an den sieben Fasern seines Kinns, zerrte an den acht Spinnenfäden rechts und an den neun Partikeln links von seiner Nase, Summa Summarum Bart genannt, schlenkerte die Beine unternehmend in die Höhe und fuhr mit der freien anderen Hand der Stute so kräftig in die Mähne, als sei sie der Teufel, dem ich entrissen werden sollte.
Das so grausam aus seinem Nachdenken gestörte Tier machte einen Versuch, vorn emporzusteigen, besann sich aber sofort auf die Ehrwürdigkeit seines Alters und ließ sich in seinen Gleichmut stolz zurückfallen. Halef aber setzte seine Rede fort:
„Ja, Dschennet, das Paradies, und Dschehennah, die Hölle, müssen auch mit bleiben, denn wohin sollten die Seligen und die Verdammten sonst kommen? Vorher aber müssen die Auferstandenen über die Brücke Ssirath, welche über den Teich Handh führt und so schmal und scharf ist, wie die Schneide eines gut geschliffenen Schwertes.“
„Du hast noch eins vergessen.“
„Was?“
„Das Erscheinen des Deddschel.“
„Wahrhaftig! Sihdi, du kennst den Koran und alle heiligen Bücher und willst dich nicht zur wahren Lehre bekehren! Aber trage nur keine Sorge; ich werde einen gläubigen Moslem aus dir machen! Also vor dem Gericht wird sich der Deddschel zeigen, den die Giaurs den Antichrist nennen, nicht wahr, Effendi?“
„Ja.“
„Dann wird über jeden das Buch Kitab aufgeschlagen, in welchem seine guten und bösen Taten verzeichnet stehen, und die Hisab gehalten, die Musterung seiner Handlungen, welche über fünfzigtausend Jahre währt, eine Zeit, welche den Guten wie ein Augenblick vergehen, den Bösen aber wie eine Ewigkeit erscheinen wird. Das ist das Hukm, das Abwiegen aller menschlichen Taten.“
„Und nachher?“
„Nachher folgt das Urteil. Diejenigen mit überwiegenden guten Werken kommen in das Paradies, die ungläubigen Sünder aber in die Hölle, während die sündigen Moslemim nur auf kurze Zeit bestraft werden. Du siehst also, Sihdi, was deiner wartet, selbst wenn du mehr gute als böse Taten verrichtest. Aber du sollst gerettet werden, du sollst mit mir in das Dschennet, in das Paradies, kommen, denn ich werde dich bekehren, du magst wollen oder nicht!“
Und wieder strampelte er bei dieser Versicherung so energisch mit den Beinen, daß die alte Hassi-Ferdschahn-Stute ganz verwundert die Ohren spitzte und mit den großen Augen nach ihm zu schielen versuchte.
„Und was harrt meiner in eurer Hölle?“ fragte ich ihn.
„In der Dschehennah brennt das Nar, das ewige Feuer, dort fließen Bäche, welche so sehr stinken, daß der Verdammte trotz seines glühenden Durstes nicht aus ihnen trinken mag, und dort stehen fürchterliche Bäume, unter ihnen der schreckliche Baum Zakum, auf dessen Zweigen Teufelsköpfe wachsen.“
„Brrrrrr!“
„Ja, Sihdi, es ist schauderhaft! Der Beherrscher der Dschehennah ist der Strafengel Thabek. Sie hat sieben Abteilungen, zu denen sieben Tore führen. Im Dschehennem, der ersten Abteilung, müssen die sündhaften Moslemim büßen so lange, bis sie gereinigt sind; Ladha, die zweite Abteilung, ist für die Christen, Hothama, die dritte Abteilung, für die Juden, Sair, die vierte, für die Sabier, Sakar, die fünfte, für die Magier und Feueranbeter, und Gehim, die sechste, für alle, welche Götzen oder Fetische anbeten. Zaoviat aber, die siebente Abteilung, welche auch Derk Asfal genannt wird, ist die allertiefste und fürchterlichste; sie wird alle Heuchler aufnehmen. In allen diesen Abteilungen werden die Verdammten von bösen Geistern durch Feuerströme geschleppt, und dabei müssen sie vom Baum Zakum die Teufelsköpfe essen, welche dann ihre Eingeweide zerbeißen und zerfleischen. O, Effendi, bekehre dich zum Propheten, damit du nur kurze Zeit in der Dschehennah zu stecken brauchst!“
Ich schüttelte den Kopf und sagte:
„Dann komme ich in unsere Hölle, welche ebenso entsetzlich ist wie die eurige.“
„Glaube dies nicht, Sihdi! Ich verspreche dir beim Propheten und allen Kalifen, daß du in das Paradies kommen wirst. Soll ich es dir beschreiben?“
„Tue es!“
„Das Dschennet liegt über den sieben Himmeln und hat acht Tore. Zuerst kommst du an den großen Brunnen Hawus Kewser, aus welchem hunderttausende Selige zugleich trinken können. Sein Wasser ist weißer als Milch, sein Geruch köstlicher als Moschus und Myrrha, und an seinem Rande stehen Millionen goldener Trinkschalen, welche mit Diamanten und Steinen besetzt sind. Dann kommst du an Orte, wo die Seligen auf golddurchwirkten Kissen ruhen. Sie erhalten von unsterblichen Jünglingen und ewig jungen Houris köstliche Speisen und Getränke. Ihr Ohr wird ohne Aufhören von den Gesängen des Engels Israfil entzückt und von den Harmonien der Bäume in denen Glocken hängen, welche ein vom Throne Gottes gesendeter Wind bewegt. Jeder Selige ist sechzig Ellen lang und immerfort grad dreißig Jahre alt. Unter allen Bäumen aber ragt hervor der Tubah, der Baum der Glückseligkeit, dessen Stamm im Palast des großen Propheten steht und dessen Äste in die Wohnungen der Seligen reichen, wo an ihnen alles hängt, was zur Seligkeit erforderlich ist.
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