Dieses mußte meine Verwunderung erregen, da ich mich in einem Land befand, dessen Pferdereichtum zur Folge hat, daß man niemals Tiere reitet, welche mit diesem Übel behaftet sind. Der Besitzer des Rosses war entweder kein oder ein sehr armer Araber.
Halef lächelte über die Sorgfalt, mit welcher ich den Sand untersuchte, und fragte, als ich mich wieder emporrichtete:
„Was hast du gesehen, Sihdi?“
„Es waren zwei Pferde und ein Kamel.“
„Zwei Pferde und ein Djemmel! Allah segne deine Augen; ich habe ganz dasselbe gesehen, ohne daß ich von meinem Tier zu steigen brauchte. Du willst ein Taleb sein, ein Gelehrter, und tust doch Dinge, über welche ein Hamahr, ein Eselstreiber, lachen würde. Was hilft dir nun der Schatz des Wissens, den du hier gehoben hast?“
„Ich weiß nun zunächst, daß die drei Reiter vor ungefähr vier Stunden hier vorübergekommen sind.“
„Wer gibt dir etwas für diese Weisheit? Ihr Männer aus dem Belad er Rumi, aus Europa, seid sonderbare Leute!“
Er schnitt bei diesen Worten ein Gesicht, von welchem ich das tiefste Mitleid lesen konnte, doch zog ich es vor, schweigend unsern Weg fortzusetzen.
Wir folgten der Fährte wohl eine Stunde lang, bis wir da, wo das Wadi eine Krümmung machte und wir nun um eine Ecke bogen, unwillkürlich unsere Pferde anhielten. Wir sahen drei Geier, welche nicht weit vor uns hinter einer Sanddüne hockten und sich bei unserem Anblick mit heiseren Schreien in die Lüfte erhoben.
„El Büdj, der Bartgeier“, meinte Halef. „Wo er ist, da gibt es ganz sicher ein Aas.“
„Es wird dort irgendein Tier verendet sein“, antwortete ich, indem ich ihm folgte.
Er hatte sein Pferd rascher vorwärts getrieben, so daß ich hinter ihm zurückgeblieben war. Kaum hatte er die Düne erreicht, so hielt er mit einem Ruck still und stieß einen Ruf des Schreckens aus.
„Maschallah, Wunder Gottes! Was ist das? Ist das nicht ein Mensch, Sihdi, welcher hier liegt?“
Ich mußte allerdings bejahend antworten. Es war wirklich ein Mann, welcher hier lag, und an dessen Leichnam die Geier ihr schauderhaftes Mahl gehalten hatten. Schnell sprang ich vom Pferd und kniete bei ihm nieder. Seine Kleidung war von den Krallen der Vögel zerfetzt. Aber lange konnte dieser Unglückliche noch nicht tot sein, wie ich bei der Berührung sofort fühlte.
„Allah kerihm, Gott ist gnädig! Sihdi, ist dieser Mann eines natürlichen Todes gestorben?“ fragte Halef.
„Nein. Siehst du nicht die Wunde am Hals und das Loch am Hinterhaupt? Er ist ermordet worden.“
„Allah verderbe den Menschen, der dies getan hat! Oder sollte der Tote in einem ehrlichen Kampf gefallen sein?“
„Was nennst du ehrlichen Kampf? Vielleicht ist er das Opfer einer Blutrache. Wir wollen seine Kleider untersuchen.“
Halef half dabei. Wir fanden nicht das Geringste, bis mein Blick auf die Hand des Toten fiel. Ich bemerkte einen einfachen Goldreif von der gewöhnlichen Form der Trauringe und zog ihn ab. In seine innere Seite war klein, aber deutlich eingegraben: ‚E.P. 15. Juillet 1830.‘
„Was findest du?“ fragte Halef.
„Dieser Mann ist kein Ibn Arab (Araber).“
„Was sonst?“
„Ein Franzose.“
„Ein Franke, ein Christ? Woran willst du dies erkennen?“
„Wenn ein Christ sich ein Weib nimmt, so tauschen beide je einen Ring, in welchem der Name und der Tag eingegraben ist, an dem die Ehe geschlossen wurde.“
„Und dies ist ein solcher Ring?“
„Ja.“
„Aber woran erkennst du, daß dieser Tote zu dem Volk der Franken gehört? Er könnte doch ebensogut von den Inglis (Engländern) oder den Nemsi (Deutschen) stammen, zu denen auch du gehörst.“
„Es sind französische Zeichen, welche ich hier lese.“
„Er kann dennoch zu einem anderen Volk gehören. Meinst du nicht, Effendi, daß man einen Ring finden oder auch stehlen kann?“
„Das ist wahr. Aber sieh das Hemd, welches er unter seiner Kleidung trägt. Es ist dasjenige eines Europäers.“
„Wer hat ihn getötet?“
„Seine beiden Begleiter. Siehst du nicht, daß der Boden hier aufgewühlt ist vom Kampf? Bemerkst du nicht, daß – – –“
Ich hielt mitten im Satz inne. Ich hatte mich aus meiner knieenden Stellung erhoben, um den Erdboden zu untersuchen, und fand nicht weit von der Stelle, an welcher der Tote lag, den Anfang einer breiten Blutspur, welche sich seitwärts zwischen die Felsen zog. Ich folgte ihr mit schußbereitem Gewehr, da die Mörder sich leicht noch in der Nähe befinden konnten. Noch war ich nicht weit gegangen, so stieg mit lautem Flügelschlag ein Geier empor und ich bemerkte an dem Ort, von welchem er sich erhoben hatte, ein Kamel liegen. Es war tot; in seiner Brust klaffte eine tiefe, breite Wunde. Halef schlug die Hände bedauernd ineinander.
„Ein graues Hedjihn, ein graues Tuareg-Hedjihn, und diese Mörder, diese Schurken, diese Hunde haben es getötet!“
Es war klar, er bedauerte das prächtige Reittier viel mehr als den toten Franzosen. Als echter Sohn der Wüste, dem der geringste Gegenstand kostbar werden kann, bückte er sich nieder und untersuchte den Sattel des Kamels. Er fand nichts; die Taschen waren leer.
„Die Mörder haben bereits alles hinweggenommen, Sihdi. Mögen sie in alle Ewigkeit in der Dschehennah braten.
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