Orest ist nun einmal
gestorben, und das alles mußte kommen,
so wie es kam. Er freute sich zu sehr
an seinem Leben, und die Götter droben
vertragen nicht den allzu hellen Laut
der Lust, ein allzu starkes Flügelschlagen
vor Abend widert sie, sie greifen schnell
nach einem Pfeil und nageln das Geschöpf
an seines dunklen Schicksals finstern Baum,
der ihm im stillen irgendwo schon längst
gewachsen war. So mußte er denn sterben.
ELEKTRA.
Wie er vom Sterben redet, dieser Bursche!
Als hätte ers geschmeckt und wieder ausgespien.
Doch ich! doch ich! da liegen, und
zu wissen, daß das Kind nie wiederkommt,
daß die da drinnen leben und sich freuen,
daß dies Gezücht in seiner Höhle lebt
und ißt und trinkt und schläft und sich vermehrt,
indes das Kind da unten in den Klüften
des Grausens lungert, und dem Vater nicht
sich in die Nähe wagt. Und ich hier droben
allein! wie nicht das Tier des Waldes einsam
und gräßlich lebt.
OREST.
Wer bist denn du?
ELEKTRA.
Was kümmerts
dich, wer ich bin. Hab ich gefragt, wer du bist?
OREST.
Ich kann nicht anders, als zu denken: du
muß ein verwandtes Blut zu denen sein,
die starben, Agamemnon und Orest.
ELEKTRA.
Verwandt? ich bin dies Blut! ich bin das hündisch
vergoßne Blut des Königs Agamemnon!
Elektra heiß ich.
OREST.
Nein!
ELEKTRA.
Er leugnets ab.
Er bläst auf mich und nimmt mir meinen Namen.
Weil ich nicht Vater und nicht Bruder hab,
bin ich der Spott der Buben! Wer des Wegs kommt,
stößt mit dem Fuß nach mir, sie lassen mir
auch meinen Namen nicht!
OREST.
Elektra muß
zehn Jahre jünger sein als du. Elektra
ist groß, ihr Aug ist traurig, aber sanft,
wo deins voll Blut und Haß. Elektra wohnt
abseits der Menschen, und ihr Tag vergeht
mit Hüten eines Grabes. Zwei, drei Frauen
hat sie um sich, die lautlos dienen, Tiere
umschleichen ihre Wohnung scheu und schmiegen
sich, wenn sie geht, an ihr Gewand.
ELEKTRA klatscht in die Hände.
Recht! recht!
Erzähl mir noch was Schönes von Elektra.
Ich werd ihrs wiedersagen, wenn ich sie
Mit erstickter Stimme.
sehe.
OREST.
So seh ich sie? ich seh sie wirklich? du?
Schnell.
So haben sie dich darben lassen oder –
sie haben dich geschlagen?
ELEKTRA.
Wer bist du
mit deinen vielen Fragen?
OREST.
Sag mirs! sag mirs!
Sag!
ELEKTRA.
Beides! beides! beides! Königinnen
gedeihen nicht, wenn man sie mit dem Wegwurf
vom Zugemüse füttert. Priesterinnen
sind nicht geschaffen, daß man nach der Peitsche
sie springen läßt und in so kurzen Lumpen
statt eines wallenden Gewandes. Laß
mein Kleid, wühl nicht mit deinem Blick daran.
OREST.
Elektra!
Was haben sie gemacht mit deinen Nächten!
Furchtbar sind deine Augen.
ELEKTRA verbissen.
Geh ins Haus,
drin hab ich eine Schwester, die bewahrt sich
für Freudenfeste auf!
OREST.
Elektra, hör mich.
ELEKTRA.
Ich will nicht wissen, wer du bist, du sollst mir
nicht näher kommen. Ich will niemand sehen!
Kauert sich, das Gesicht gegen die Wand.
OREST.
Hör zu, ich hab nicht Zeit. Hör zu. Ich darf nicht
laut reden. Hör mich an: Orestes lebt.
ELEKTRA wirft sich herum.
OREST.
Gib keinen Laut von dir. Wenn du dich regst,
verrätst du ihn.
ELEKTRA.
So ist er frei? wo ist er?
Du weißt es, wo? ist er versteckt? er liegt
gefangen! irgendwo in einem Winkel
gekauert wartet er auf seinen Tod!
Ich muß ihn sterben sehn, sie haben dich
geschickt, um mich zu foltern, meine Seele
sollst du aufziehn an einem Strick, und wieder
zu Boden schmettern!
OREST.
Er ist unversehrt
wie ich.
ELEKTRA.
So rett ihn doch! bevor sie ihn
erwürgen. Kannst du ihm kein Zeichen geben?
Ich küsse deine Füße, daß du ihm
ein Zeichen gibst. Bei deines Vaters Leichnam
beschwör ich dich, so schnell du laufen kannst,
lauf hin und bring ihn fort! das Kind muß sterben,
wenn es die Nacht in diesem Haus verbringt.
OREST.
Bei meines Vaters Leichnam! dazu kam
das Kind ins Haus, damit noch diese Nacht
die sterben, welche sterben sollen –
ELEKTRA von seinem Ton getroffen.
Wer
bist du?
Der alte finstre Diener stürzt aus dem Hof lautlos herein, wirft sich vor Orest nieder, küßt seine Füße, rafft sich auf, angstvoll um sich schauend, und stürzt lautlos wieder ab.
ELEKTRA kaum ihrer mächtig.
Wer bist du denn? Ich fürchte mich.
OREST sanft.
Die Hunde auf dem Hof erkennen mich,
und meine Schwester nicht?
ELEKTRA schreit auf.
Orest!
OREST fieberhaft.
Wenn einer dich im Haus gehört hat, der
hat jetzt mein Leben in der Hand.
ELEKTRA ganz leise, bebend.
Orest!
Es rührt sich niemand. O laß deine Augen
mich sehen! Nein, du sollst mich nicht berühren!
Tritt weg, ich schäme mich vor dir. Ich weiß nicht,
wie du mich ansiehst.
Ich bin nur mehr der Leichnam deiner Schwester,
mein armes Kind. Ich weiß, es schaudert dich
vor mir. Und war doch eines Königs Tochter!
Ich glaube, ich war schön: wenn ich die Lampe
ausblies vor meinem Spiegel, fühlte ich
mit keuschem Schauder, wie mein nackter Leib
vor Unberührtheit durch die schwüle Nacht
wie etwas Göttliches hinleuchtete.
Ich fühlte, wie der dünne Strahl des Monds
in seiner weißen Nacktheit badete
so wie in einem Weiher, und mein Haar
war solches Haar, vor dem die Männer zittern,
dies Haar, versträhnt, beschmutzt, erniedrigt, dieses!
Verstehst dus, Bruder! diese süßen Schauder
hab ich dem Vater opfern müssen. Meinst du,
wenn ich an meinem Leib mich freute, drangen
nicht seine Seufzer, drang sein Stöhnen nicht
bis an mein Bette? Eifersüchtig sind
die Toten: und er schickte mir den Haß,
den hohläugigen Haß als Bräutigam.
Da mußte ich den Gräßlichen, der atmet
wie eine Viper, über mich in mein
schlafloses Bette lassen, der mich zwang,
alles zu wissen, wie es zwischen Mann
und Weib zugeht. Die Nächte, weh, die Nächte,
in denen ichs begriff! Da war mein Leib
eiskalt und doch verkohlt, im Innersten
verbrannt.
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