Wenn es Ihnen daher gleichviel ist, bei den Canarien anzulegen...
– So legen wir bei den Canarien an, erwiderte Glenarvan. Sie liegen auf unserer Fahrt.
– Ich weiß es, mein lieber Lord. Da sind, sehen Sie, drei Gruppen zu studiren, ohne vom Pic Teneriffa zu reden, den ich stets zu sehen wünschte. Bei der Gelegenheit kann es geschehen. Während ich ein Schiff abwarte, das mich nach Europa zurück bringt, will ich diesen berühmten Berg besteigen.
– Nach Ihrem Belieben, mein lieber Paganel, erwiderte Lord Glenarvan, der sich des Lächelns nicht erwehren konnte, und mit Recht. Denn die Canarien sind gar nicht weit von Madeira entfernt, kaum zweihundertundfünfzig Meilen; ein Abstand, der für einen Segler wie der Duncan wenig ausmacht.
Am 31. August, Nachmittags um zwei Uhr, spazierten John Mangles und Paganel auf dem Hinterverdeck. Der Franzose befragte seinen Genossen lebhaft über Chili; plötzlich unterbrach ihn der Kapitän, und zeigte im Süden auf einen Punkt am Horizont.
»Herr Paganel? sprach er.
– Lieber Kapitän, erwiderte der Gelehrte.
– Richten Sie doch Ihre Blicke dorthin. Sehen Sie nichts? . . .
– Nichts.
– Sie schauen nicht an die rechte Stelle. Nicht am Horizont ist's, sondern drüber, in den Wolken.
– In den Wolken? Ich mag suchen, wie ich will . . .
– Sehen Sie, jetzt, am äußeren Ende des Bugspriet.
– Ich sehe nichts.
– Sie wollen nichts sehen. Wie dem auch sei, und sind wir auch noch vierzig Meilen entfernt, Sie verstehen mich, der Pic von Teneriffa ist über dem Horizont vollkommen sichtbar.«
Mochte Paganel sehen wollen, oder nicht, einige Stunden später mußte er den Augenschein anerkennen, wollte er sich nicht für blind erklären.
»Sie erkennen ihn endlich? sagte John Mangles.
– Ja, ja, vollständig, erwiderte Paganel; und das ist also, fügte er in verächtlichem Ton bei, das ist,, was man den Pic von Teneriffa nennt?
– Ja wohl.
– Er scheint nicht sehr hoch zu sein.
– Doch immer ragt er elftausend Fuß über die Meeresfläche.
– Dem Montblanc kommt das nicht gleich.
– Möglich, aber sollten Sie ihn besteigen, würden Sie ihn vielleicht hoch genug finden.
– O! ihn besteigen! lieber Kapitän, zu welchem Zweck, bitte ich, nach Humboldt und Bonpland? Der Humboldt war doch ein großes Genie! Er hat den Berg bestiegen, und davon eine Beschreibung geliefert, die nichts zu wünschen übrig läßt; er hat auf ihm die fünf Zonen erkannt; die des Weins, des Lorbeers, der Fichten, der Alpengewächse, und endlich die unfruchtbare Zone. Auf die Spitze seines Kegels hat er sogar seinen Fuß gesetzt, und hatte da nicht einmal Platz sich niederzusetzen. Von der Spitze des Berges hatte er einen Gesichtskreis so groß wie ein Viertheil von Spanien. Hernach hat er den Vulkan bis in sein Innerstes besucht, ist zur Zeit, da sein Krater erloschen war, bis in den Grund desselben hinabgestiegen. Was soll ich nach einem so großen Manne noch dort thun, frag' ich Sie?
– Wirklich, erwiderte John Mangles, da giebt's nicht einmal eine Nachlese zu halten. Das ist schade, denn Sie würden beim Abwarten eines Schiffes sehr Langeweile spüren. Viele Zerstreuungen darf man zu Teneriffa nicht erwarten.
– Ausgenommen die meinigen, sagte Paganel mit Lachen. Aber, lieber Mangles, giebt es auf den Capverdischen Inseln keinen erheblichen Anlegepunkt?
– Ja wohl. Nichts leichter als zu Villa Praïa zu landen.
– Ohne von einem Vortheil zu reden, der nicht zu unterschätzen ist, versetzte Paganel, nämlich daß diese Inseln nicht weit vom Senegal entfernt sind, wo ich Landsleute finden kann. Man sagt zwar, diese Gruppe sei wenig interessant, wild und ungesund; aber in den Augen des Geographen ist Alles merkwürdig. Man muß zu sehen verstehen. Das verstehen manche nicht, und reisen dann mit so wenig Verstand, wie ein Schaalthier. Glauben Sie wohl, zu diesen gehöre ich nicht.
– Nach Belieben, Herr Paganel, erwiderte John Mangles; ich bin überzeugt, die Wissenschaft der Geographie wird durch Ihren Aufenthalt auf den Capverdischen Inseln bereichert werden. Wir müssen dort anlegen, um Kohlen einzunehmen. Ihr Aussteigen wird uns daher keine Verzögerung veranlassen.«
Hierauf richtete er den Lauf so, daß man westlich von den Canarien vorüber fuhr; der berühmte Pic wurde links gelassen, und der eiligst weiter segelnde Duncan durchschnitt am 2. September, um fünf Uhr früh, den Wendekreis des Krebses.
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