Ach! wie mußte er sich freuen, wie schlug ihm das Herz, als er am Horizont ein neues Meer im Sonnenschein funkeln sah!
– Ja, Herr Paganel, rief Robert Grant, begeistert von den Worten des Geographen, ich hätte dabei sein mögen!
– Ich auch, lieber Junge, und ich hätte die Gelegenheit nicht versäumt, wenn mich der Himmel hätte drei Jahrhunderte früher leben lassen!
– Das wäre für uns sehr zu bedauern, Herr Paganel, erwiderte Lady Helena, denn da könnten Sie nicht uns hier die Geschichte erzählen.
– Das hätte dann ein Anderer statt meiner gethan, Madame, und hätte hinzugefügt, daß man die Entdeckung der Westküsten den Brüdern Pizarro verdankt. Diese kühnen Abenteurer waren große Städtegründer. Cusco, Quito, Lima, Santiago, Villarica, Valparaiso und Concepcion, wohin wir jetzt fahren, sind von ihnen angelegt worden. Zu dieser Zeit schlossen sich Pizarro's Entdeckungen an die Magelhaen's an, und die amerikanischen Küsten erschienen zur großen Befriedigung der Gelehrten der alten Welt auf den Landkarten.
– Ei, ich, sagte Robert, wäre damit noch nicht befriedigt gewesen.
– Warum denn? erwiderte Mary, und sah ihren Bruder an, der an der Geschichte dieser Entdeckungen eine leidenschaftliche Freude hatte.
– Ja, lieber Junge, warum? fragte Lord Glenarvan mit aufmunterndem Lächeln.
– Weil ich hätte wissen mögen, was für Land noch über der Magelhaen'schen Straße hinaus lag.
– Bravo, mein Freund, entgegnete Paganel, ich hätte auch wissen mögen, ob sich das feste Land bis zum Pol erstrecke, oder ob da ein freies Meer sei, wie Drake, Ihr Landsmann, Mylord, vermuthete. Es ist also ausgemacht, daß, wenn Robert Grant, und Jakob Paganel im sechzehnten Jahrhundert gelebt hätten, sie mit Schouten und Lemaire zu Schiffe gegangen wären, zwei Holländern, welche dieses geographische Räthsel zu lösen beflissen waren.
– Waren's Gelehrte, fragte Lady Helena.
– Nein, aber kühne Kaufleute, welchen an wissenschaftlichen Entdeckungen sehr wenig lag. Es bestand damals eine holländisch-ostindische Handelsgesellschaft, welche den ganzen Handel, der durch die Magelhaen'sche Straße getrieben wurde, unbedingt beherrschte. Da nun damals noch kein anderer Weg bekannt war, um auf einer Ostfahrt nach Indien zu kommen, so lag in jenem Vorrecht ein wahrer Alleinhandel. Daher entschlossen sich einige Kaufleute, durch Entdeckung einer anderen Straße jenes Monopol zu bekämpfen; unter ihnen befand sich ein gewisser Isaak Lemaire, ein einsichtsvoller und unterrichteter Mann. Er bestritt die Kosten einer Fahrt, welche von seinem Neffen, Jakob Lemaire, und Schouten, einem trefflichen Seemann aus Horn, unternommen wurde. Diese kühnen Seefahrer fuhren im Juni 1615 ab, beinahe hundert Jahre nach Magelhaen, und entdeckten die Straße Lemaire, zwischen dem Feuerland und Staatenland, und am 12. Februar 1616 fuhren sie um das berühmte Cap Horn, welches mit mehr Recht, als das Cap der guten Hoffnung den Namen »Vorgebirge der Stürme« verdiente!
– Ja gewiß, wär' ich nur dabei gewesen! rief Robert aus.
– Und Du hättest da lebhafte Befriedigung gefunden, lieber Junge, fuhr Paganel mit Eifer fort. Es giebt in der That keine ächtere Freude, als die Befriedigung des Seefahrers, der seine Entdeckungen auf die Karte zeichnet. Er sieht unter seinen Augen die Länder, Insel bei Insel, Vorgebirg bei Vorgebirg allmälig Gestalt gewinnen, und sozusagen aus den Wogen auftauchen. Anfangs sind die umgrenzenden Linien unbestimmt, stückweise und unterbrochen, hier ein vereinzeltes Cap, dort eine abgetrennte
Bucht, weiter ein Golf, der sich hinauszieht. Hernach ergänzen sich die Entdeckungen, die Linien rücken zusammen, die Pünktchen werden zu Strichen; die Baien weiten sich aus zu Gestaden, die Caps stützen sich auf ein bestimmtes Uferland; endlich entfaltet sich das neue Festland mit seinen Seen, Strömen und Flüssen, seinen Gebirgen, Thälern und Ebenen, seinen Dörfern, Flecken und Städten auf der Erdkugel in seinem vollen Glanze! Ach! meine Freunde, ein Landentdecker ist ein wahrer Erfinder! Es giebt da freudige Ueberraschungen! Aber gegenwärtig ist diese Fundgrube fast ausgebeutet! Man hat Alles, was es von Festland und neuen Welten giebt, gesehen, untersucht, ergründet, und es bleibt uns, die wir zuletzt kommen, in der Geographie nichts mehr zu thun übrig!
– Ja doch, lieber Paganel, erwiderte Glenarvan.
– Was denn?
– Das, was wir jetzt vorhaben!«
Unterdessen segelte der Duncan auf dieser Straße des Vespucio und Magelhaen mit wunderbarer Schnelligkeit weiter. Am 15. September durchschnitt er den Wendekreis des Steinbocks, und sein Vordertheil ward schon der Einfahrt in die berühmte Meerenge zugekehrt. Mitunter wurden schon die flachen Küsten Patagoniens sichtbar, aber als ein am Horizont kaum sichtbarer Streifen; man fuhr über zehn Meilen davon entfernt hin, und Paganel's Fernrohr gab ihm nur einen unbestimmten Begriff von diesen amerikanischen Gestaden.
Am 25. September befand sich der Duncan auf der Höhe der Magelhaen'schen Straße, und fuhr ohne Zaudern in dieselbe ein. Die Dampfschiffe, welche sich in den Stillen Ocean begeben, ziehen im Allgemeinen diesen Weg vor. Seine Länge beträgt genau nur dreitausendsiebenhundertundsechzig Kilometer; die Fahrzeuge vom stärksten Tonnengehalt finden da stets tiefes Wasser, selbst dicht an seinen Ufern, vortrefflichen Ankergrund, zahlreiche Wasserplätze, fischreiche Flüsse, Wälder voll Wild, an zwanzig Stellen sichere und leicht zugängliche Landeplätze, kurz, unzählige Hilfsmittel, welche der Straße Lemaire und dem fürchterlichen Felsen des Cap Horn abgehen, die von Orkanen und Stürmen beständig heimgesucht werden.
Während der ersten Stunden der Fahrt, d. h. in einer Länge von sechzig bis achtzig Meilen, bis zum Cap Gregory, sind die Küsten niedrig und sandig. Jakob Paganel wollte keine Ansicht, keinen Punkt der Enge verlieren. Die Durchfahrt dauerte kaum sechsunddreißig Stunden, und dies bewegliche Panorama beider Ufer verlohnte wohl der Mühe, sich den Strahlen der Südsonne auszusetzen, um es zu bewundern. An der nördlichen Küste zeigte sich kein Bewohner, und an den dürren Felsen der Feuerlande schweiften nur einige kümmerliche Gestalten.
Paganel mußte daher darauf verzichten, Patagonier zu sehen, worüber er zum Ergötzen seiner Reisegefährten ärgerlich war.
»Ein Patagonien ohne Patagonier, sagte er, ist kein Patagonien mehr.
– Geduld, mein würdiger Geograph, erwiderte Glenarvan, wir werden noch Patagonier zu sehen bekommen.
– Ich bin dessen nicht gewiß.
– Aber es giebt doch welche, sagte Lady Helena.
– Ich zweifle stark daran, weil ich keine sehe.
– Kurz, der Name Patagonier, was im Spanischen »Großfüße« bedeutet, ist doch nicht eingebildeten Wesen gegeben worden.
– O! Der Name macht nichts aus, erwiderte Paganel, der, um das Gespräch zu beleben, auf seinem Satz beharrte, und übrigens, die Wahrheit zu sagen, man weiß gar nicht, wie sie heißen!
– Das wäre! rief Glenarvan. Wußten Sie das, Major?
– Nein, entgegnete Mac Nabbs, und ich gebe auch nicht ein schottisch Pfund darum, es zu wissen.
– Doch sollen Sie es erfahren, gleichgiltiger Major, fuhr Paganel fort. Während Magelhaen die Eingeborenen dieser Gegenden Patagonier benannte, hießen sie bei den Feuerländern Tiremenen, bei den Chilesen Caucalhues, bei den Auracanen Huiliches; Bougainville nannte sie Chaouha, Falkner Tehuelhets! Sie selbst gaben sich die allgemeine Benennung Inaken! Ich frage, wie soll man sich dabei auskennen, und kann man von einem Volk von so vielen Benennungen sagen, daß es existirt?
– Das ist ein rechter Grund! erwiderte Lady Helena.
– Räumen wir es ein, fuhr Glenarvan fort; aber unser Freund Paganel wird doch zugeben, denk' ich, daß, wenn auch der Name Patagonier nicht fest steht, wenigstens über ihren hohen Wuchs kein Zweifel ist!
– Etwas so Absonderliches gebe ich nicht zu, entgegnete Paganel.
– Sie sind groß, sagte Glenarvan.
– Das weiß ich nicht.
– Klein? fragte Lady Helena.
– Das kann Niemand behaupten.
– Also mittelmäßig? sagte Mac Nabbs, um zu vereinbaren.
– Ich weiß es ebensowenig.
– Das ist ein wenig stark, rief Glenarvan; die Reisenden, welche sie sahen ...
– Die Reisenden, welche sie gesehen haben, erwiderte der Geograph, stimmen keineswegs mit einander überein.
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