R. Bentock, Esq., Ihrer britischen Majestät Consul.

Dieser Mann empfing ihn sehr freundlich, und übernahm es, als er die Geschichte des Kapitän Grant vernommen, an dem ganzen Küstenlande Nachforschungen anzustellen.

Die Frage, ob der Dreimaster Britannia unter dem 37. Breitegrad an der Küste von Chili oder Araucanien gescheitert sei, entschied sich verneinend. Ueber ein Ereigniß der Art war weder an den Consul, noch an einen seiner Collegen anderer Nationen ein Bericht gelangt. Glenarvan ließ sich nicht entmuthigen. Er begab sich wieder nach Talcahuano und sparte weder Mühe, noch Sorge, noch Geld, schickte Agenten an die Küsten. Vergeblich. Die genauesten, bei den Uferbewohnern angestellten Untersuchungen lieferten kein Ergebniß. Man mußte annehmen, daß von dem Schiffbruch der Britannia keine Spur geblieben sei.

Glenarvan setzte darauf seine Gefährten von der Erfolglosigkeit seiner Schritte in Kenntniß. Mary Grant und ihr Bruder konnten den Ausdruck ihres Schmerzes nicht zurückhalten. Es war am sechsten Tage nach Ankunft des Duncan zu Talcahuano. Seine Passagiere waren im Inneren des Hinterverdecks beisammen. Lady Helena tröstete, nicht durch Worte – was hätte sie auch sagen können? sondern durch Zärtlichkeit die beiden Kinder des Kapitäns. Jakob Paganel hatte das Document wieder in die Hand genommen und betrachtete es mit tiefer Achtsamkeit, als wollte er ihm neue Geheimnisse entlocken. Seit einer Stunde war er in diese Prüfung versenkt, als Lord Glenarvan ihn anredete mit den Worten:

»Paganel! ich wende mich an Ihren Scharfsinn. Ist unsere Auslegung dieses Documents vielleicht irrig? Steht der Sinn dieser Worte nicht logisch fest?«

Paganel antwortete nicht; er sann nach.

»Irren wir vielleicht in Hinsicht des vermutheten Schauplatzes der Katastrophe?« fuhr Glenarvan fort. Springt der Name Patagonien nicht von selbst in die Augen?«

Paganel schwieg fortwährend.

»Endlich, sagte Glenarvan, giebt nicht auch das Wort Indianer einen Grund dafür?

– Ganz richtig, erwiderte Mac Nabbs.

– Und ferner, ist's nicht klar, daß die Schiffbrüchigen, als sie diese Zeilen schrieben, sich gefaßt hielten, in Gefangenschaft der Indianer zu gerathen?

– Bleiben wir einmal bei diesem Punkt, lieber Lord, erwiderte endlich Paganel. Erkenne ich auch Ihre übrigen Folgerungen als richtig an, so scheint mir diese letztere wenigstens nicht ganz begründet.

– Was meinen Sie damit? fragte Lady Helena, während alle Blicke sich auf den Geographen wendeten.

– Ich meine, versetzte Paganel mit Betonung dieser Worte, der Kapitän Grant sei jetzt Gefangener der Indianer, und führe an, daß das Document dieses nicht in Zweifel läßt.

– Sprechen Sie sich näher aus, mein Herr, sagte Miß Grant.

– Sehr leicht, liebe Mary; anstatt auf dem Document zu lesen: werden Gefangene sein, lesen wir, sind Gefangene, und alles wird klar.

– Aber das ist unmöglich, erwiderte Glenarvan.

– Unmöglich! Weshalb, fragte Paganel lächelnd.

– Weil die Flasche nur im Augenblick des Scheiterns konnte ausgeworfen werden. Die Bestimmung des Länge- und Breitegrades paßt nur für den Ort des Schiffbruches.

– Dafür sehe ich keinen Beweis, entgegnete Paganel lebhaft, und ich sehe nicht ab, weshalb die Schiffbrüchigen, nachdem sie von den Indianern in's Innere des Landes geschleppt worden, nicht sollten getrachtet haben, vermittelst dieser Flasche den Ort ihrer Gefangenschaft kund zu geben.

– Ganz einfach, lieber Paganel, weil, um eine Flasche in's Meer zu werfen, das Meer zur Stelle sein muß.

– Oder in dessen Ermangelung, erwiderte Paganel, Flüsse, welche in dasselbe abfließen!«

Staunendes Schweigen folgte auf diese unerwartete Antwort, die übrigens zulässig war. Paganel begriff aus dem Glanz, der aus Aller Augen strahlte, daß sich eine neue Hoffnung daran knüpfte. Lady Helena ergriff zuerst das Wort:

»Was für eine Idee! rief sie aus.

– Und was für eine gute, fügte naiv der Geograph hinzu.

– Und dann, was rathen Sie? ... fragte Glenarvan.

– Mein Rath geht darin, man soll den siebenunddreißigsten Parallelkreis von da an, wo er die amerikanische Küste berührt, bis zum Atlantischen Meer verfolgen, ohne nur um einen halben Grad von demselben sich zu entfernen. Vielleicht finden, wir auf dieser Linie eine Spur der Schiffbrüchigen.

– Schwache Aussicht! versetzte der Major.

– So schwach sie auch sein mag, fuhr Paganel fort, wir dürfen sie nicht unberücksichtigt lassen. Ein Blick auf die Karte kann uns zeigen, daß es da nicht an Strömen und Flüssen fehlt, welche die Flasche in's Meer führen konnten. Und schmachten da unsere Freunde irgendwo in Gefangenschaft und hoffen auf Befreiung daraus, dürfen wir diese Hoffnung täuschen? Stimmen Sie nicht alle mir bei, daß wir dafür Alles aufbieten müssen?«

Diese mit edler Begeisterung gesprochenen Worte verfehlten nicht, eine tiefe Rührung hervorzurufen. Alle standen auf und drückten ihm die Hand.

»Ja! Mein Vater ist da! rief Robert Grant, und seine Augen wollten die Karte verschlingen.

– Und wo er auch sein mag, fuhr Glenarvan fort, wir werden ihn aufzufinden wissen, lieber Junge! Wir wollen unverzüglich den von unserem Freunde Paganel vorgeschlagenen Weg einschlagen.

– Sehr wohl! sagte John Mangles, und dieser Querzug durch's amerikanische Festland wird keine Schwierigkeiten haben.

– Weder Schwierigkeiten noch Gefahren, versicherte Paganel. Schon viele vor uns haben mit Glück diesen Ausflug gemacht. Uebrigens ist das Klima, unter gleichem Breitegrad, wie Spanien und Griechenland auf der anderen Halbkugel, vortrefflich.

– Herr Paganel, fragte darauf Lady Helena, Sie denken also, daß, wenn die Schiffbrüchigen in die Hände der Indianer gefallen sind, man ihres Lebens geschont hat?

– Ob ich das denke, Madame! Die Indianer sind durchaus keine Menschenfresser! Einer meiner Landsleute, Guinnard, ist drei Jahre lang bei den Indianern der Pampas in Gefangenschaft gewesen. Er hatte zu leiden, wurde sehr mißhandelt, hat aber endlich die Prüfung überwunden.