Seine Augen erglänzten von unbedingter Zuversicht, und ihr Feuer theilte sich seinen Zuhörern mit. Sie riefen gleich ihm: »'s ist klar! Sonnenklar!«
Lord Edward fuhr nach einer kleinen Weile fort: »Alle diese Vermuthungen, meine Freunde, scheinen mir äußerst wahrscheinlich; meiner Ansicht nach hat das Unglück an den Küsten Patagoniens stattgefunden. Uebrigens will ich zu Glasgow anfragen, für welchen Bestimmungsort der Britannia abfuhr, und wir werden erfahren, ob er in jene Gegend verschlagen werden konnte.
– O! So weit brauchen wir nicht zu gehen um Auskunft, erwiderte John Mangles. Ich habe die Handels- und Schiffer-Zeitung in vollständiger Sammlung bei mir, die wird uns genaue Auskunft geben.
– Sehen wir, sehen wir!« sagte Lady Glenarvan.
John Mangles nahm also ein Bund Zeitungen von 1862 und durchblätterte sie rasch. Bald fand er schon, was er suchte, und las mit Befriedigung vor:
»30. Mai 1862. Peru! Callao! mit Ladung für Glasgow, Britannia, Kapitän Grant.
– Grant! rief Lady Glenarvan, der kühne Schotte, welcher im Stillen Ocean ein Neu-Schottland gründen wollte!
– Ja, erwiderte John Mangles, der nämliche, welcher im Jahr 1861 zu Glasgow auf dem Britannia unter Segel ging und nichts mehr von sich hören ließ.
– Kein Zweifel mehr! sagte Glenarvan. Der ist's gewiß. Der Britannia war aus Callao am 30. Mai abgefahren, und am 7. Juni, acht Tage nach seiner Abfahrt, ging er an den Küsten Patagoniens zu Grunde. In den scheinbar nicht zu entziffernden Wortresten ist vollständig enthalten, was ihm begegnet ist. Sie sehen, meine Freunde, daß wir doch einen hübschen Theil durch Vermuthung herausbekommen haben. Nur noch der Längegrad geht uns ab.
– Den brauchen wir gar nicht zu wissen, entgegnete John Mangles, weil das Land bekannt ist, und mit der Breite-Angabe allein nehme ich's auf mich, geraden Wegs auf den Schauplatz des Schiffbruchs hinzusteuern.
– Also wissen wir Alles? sagte Lady Glenarvan.
– Alles, liebe Helena, und ich will die Lücken, welche sich auf dem Document befinden, ohne Schwierigkeit ausfüllen, als wenn mir es der Kapitän Grant dictirt hätte.«
Und sogleich ergriff Lord Glenarvan die Feder, und schrieb folgende Notiz, welche zu deutsch lautet:
Am 7. Juni 1862 scheiterte der Dreimaster Britannia aus Glasgow in der südlichen Erdhälfte an der Küste Patagoniens. Zwei Matrosen und der Kapitän Grant versuchen auf dem Kontinent zu landen, wo sie in die Gefangenschaft grausamer Indianer gerathen werden. Sie haben dieses Document in's Meer geworfen unter'm... Grad Länge, und 37° 11' Breite. Kommt Ihnen zu Hilfe, sonst sind sie verloren.
»Gut! Gut! Lieber Edward, sagte Lady Helena, und wenn diese Unglücklichen wieder in ihre Heimat kommen, verdanken sie Dir dies Glück.
– Und sie werden wieder zurück kommen, erwiderte Glenarvan. Dies Document ist zu deutlich, zu klar und zuverlässig, als daß England zaudern sollte, dreien seiner auf einer öden Küste verlassenen Kinder zu Hilfe zu kommen. Was es für Franklin und so viele Andere gethan hat, wird es auch jetzt für die Schiffbrüchigen der Britannia thun!
– Aber diese Unglücklichen, erwiderte Lady Helena, haben ohne Zweifel Familien, welche ihren Verlust beklagen. Vielleicht hat der arme Kapitän Grant eine Frau, Kinder...
– Du hast Recht, liebe Lady, und ich übernehme es, sie wissen zu lassen, daß noch nicht alle Hoffnung verloren ist. Jetzt, meine Freunde, gehen wir wieder auf's Verdeck, denn wir sind am Eingang des Hafens.«
In der That, der Duncan war mit verstärktem Dampfe gefahren; eben fuhr er längs den Ufern der Insel Bute und ließ Rothesay mit seinem reizenden Städtchen im fruchtbaren Thale rechts; nachher drang er in die engeren Fahrwasser des Golfs, machte vor Greenock eine Schwenkung und ankerte um sechs Uhr Abends am Fuß des Basaltfelsens von Dumbarton, der mit dem berühmten Schloß des schottischen Helden Wallace gekrönt ist.
Hier wartete eine Postchaise auf Lady Helena, um sie mit dem Major Nabbs nach Malcolm-Castle zurückzubringen. Darauf umarmte Lord Glenarvan seine junge Frau und eilte mit einem Expreßzug nach Glasgow.
Aber vor seiner Abreise hatte er auf noch rascherem Wege eine wichtige Notiz befördert. Der Telegraph überbrachte in einigen Minuten der »Times« und dem »Morning Chronicle« eine Annonce, die lautete:
»Um Auskunft über das Schicksal des Dreimasters Britannia aus Glasgow, Kapitän Grant, wende man sich an Lord Glenarvan, Malcolm-Castle, Luß, Grafschaft Dumbarton, Schottland.«
Drittes Capitel.
Malcolm-Castle.
Das Schloß Malcolm, eins der poetischsten des Hochlands, liegt nächst dem Dorfe Luß, dessen hübsches Thal von ihm beherrscht wird. Der Granit seiner Mauern ist von dem klaren Wasser des Loch Lomond bespült. Seit unvordenklichen Zeiten gehört es der Familie Glenarvan, welche in der Heimat Rob Roy's die gastlichen Gebräuche der alten Helden Walter Scott's bewahrt. Zur Zeit als in Schottland die große sociale Revolution sich vollzog, wurde eine große Menge Vasallen, welche den alten Clanhäuptern nicht hohes Pachtgeld zahlen konnten, ausgetrieben; einige derselben starben Hungers, andere wurden Fischer, wieder andere wanderten aus. Es war eine Zeit allgemeiner Verzweiflung. Nur allein die Glenarvan glaubten, daß die Pflicht der Treue Große wie Kleine binde, und sie hielten ihren Lehnsleuten die Treue.
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