Faust

Lenau, Nikolaus

Faust

 

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Nikolaus Lenau

Faust

Ein Gedicht

 

Der Morgengang

Ein hoher Berg, vom Morgen angeglüht,

Der hell und froh herauf im Osten sprüht;

Ein Wandrer kühn, der dort zum Gipfel strebt,

Von Fels zu Fels im raschen Fluge schwebt.

Was willst du, Faust, auf diesen Bergeszinnen?

Den Nebeln und den Zweifeln dort entrinnen?

Des Abgrunds Nebel werden nach dir schleichen,

Auch dort dir Zweifel an die Stirne streichen.

O freue dich am hellen Sonnenglanze,

Freu dich an seinem Kind, der stillen Pflanze,

Der Alpenlerche, die sich einsam schwingt,

Am Schneegebirg, das durch den Himmel dringt!

Laß Bergeslüfte froh dein Herz durchschauern

Und sie verwehn dein ungerechtes Trauern;

Laß nicht den Flammenwunsch im Herzen lodern,

Der Schöpfung ihr Geheimnis abzufordern;

O wolle nicht mit Gott zusammenfallen,

Solang dein Los auf Erden ist zu wallen.

Das Land der Sehnsucht ist die Erde nur;

Was Gott dir liebend in die Seele schwur,

Empfängst du erst im Lande der Verheißung,

Nach deiner Hülle fröhlicher Zerreißung! –

Umsonst, umsonst! Die ungestümen Fragen

Ihn ohne Rast von Fels zu Felsen jagen.

Viel Pflanzen hat er schon entpflückt dem Grund

Und, kaum besehn, geworfen in den Schlund;

Viel Steine schon hat dringend aufgerafft,

Am Fels zerschmettert seine Leidenschaft,

Und manch Insekt zerknickt des Forschers Hand,

Weils ihm von seiner Schöpfung nichts gestand.

Nun bleibt er stehn und lauscht dem Glockenklang

Vom Tal herauf, und fernem Kirchensang,

Der Glockenruf – die Lieder – mit den Winden

Dem Ohr des Wandrers schwellen und verschwinden;

Und wechselnd horcht er auf der Töne Flucht

Und spricht hinab in eine tiefe Schlucht:

»Wie wird mir nun zu Mut mit einem Mal!

Wie faßt mich plötzlich ungekannte Qual!

Ich fühls: des Glaubens letzter Faden reißt,

Anweht mein Herz ein kalter, finstrer Geist.

O, daß die Töne, die vom Tal sich schwingen,

Mich wie ein Aufschrei bittrer Not durchdringen!

Da unten Wandrer durch die Wüste ziehn

Und jetzt im Notgezelt, dem Kirchlein, knien,

Und die Verlaßnen rufen sehnsuchtsvoll

Dem Führer, daß er endlich kommen soll.

Ob eure Sehnsucht betet, fluchet, weint,

Der Führer nirgends, nirgends euch erscheint!«

Und weiter, höher, steiler treibt die Hast,

Der Unmut fort der Berge trüben Gast,

Auf Klippen, wo den Pfad die Furcht verschlingt,

Wohin verzweifelnd nur die Gemse springt.

Schon kann der Klang vom Tal ihn nicht erreichen;

Doch fernher tönts von dumpfen Donnerstreichen.

Zu Füßen jetzt dem ungestümen Frager

Erbraust ein sturmversammelt Wolkenlager,

Und wilder stets das Wetter blitzt und kracht;

Er ruft hinab frohlockend in die Nacht:

»Die Wetterwolken hab ich übersprungen,

Daß sie vergebens mir zu Füßen klaffen,

Nach mir ausstreckend ihre Feuerzungen:

So will ich mich der Geistesnacht entraffen!«

Da plötzlich wankt und weicht von seinem Tritt

Ein Stein und reißt ihn jach zum Abgrund mit;

Doch faßt ihn rettend eine starke Hand

Und stellt ihn ruhig auf den Felsenrand;

Ein finstrer Jäger blickt ins Aug ihm stumm

Und schwindet um das Felseneck hinum.

 

Der Besuch

 

Faust und sein Famulus Wagner im anatomischen Theater an einer Leiche.

 

FAUST.

Wenn diese Leiche lachen könnte, traun!

Sie würde plötzlich ein Gelächter schlagen,

Daß wir sie so zerschneiden und beschaun,

Daß wir die Toten um das Leben fragen.

Mein Freund, das plumpe Messer tappt vergebens

Verlaßnen Spuren nach des flüchtgen Lebens.

Längst ist das scheue Wild auf und davon;

Es setzte flüchtig durch den Acheron,

Drin sich dem Jäger seine Spur verloren.

Ich wills nicht länger hier im Walde suchen.

Mir dünkt das Los des blödgeäfften Toren,

Das Los des Forschers wahrlich zu verfluchen.

WAGNER.

Mir aber dünkt das stille Los des Weisen

Vor jedem andern glücklich und zu preisen.

Und schreiten wir auch ferne noch vom Ziel,

So wissen wir des Wahren doch schon viel.

FAUST.

Du weißt nicht mehr vom Leben, als das Vieh,

Trotz deiner sämtlichen Anatomie.

WAGNER.

Ihr scherzet, Meister; welch ein Hochvergnügen,

An dieser frischen Leiche zu erfahren,

Wie all die feingewebten, wunderbaren

Gebilde sich so schön zusammenfügen;

Wie sein Geschäft ein jegliches Organ

Einträchtig übt, dem Ganzen Untertan.

FAUST.

Dich mag beglücken, Freund, das tiefe Wissen,

Daß dieser Tote, als er war gesund,

Das Futter hat gesteckt in seinen Mund,

Und daß er mit den Zähnen es zerbissen.

Auch ist zu deinem Glücke nicht erdichtet,

Der Magen war zum Dauen eingerichtet,

Und daß dazu in dem erwähnten Falle

Getröpfelt aus der Leber kam die Galle,

Und daß die Säfte durchs Geäder kreisen,

Und was noch schlau der Forscher sonst erfrug;

Doch ist die ganze Weisheit nicht genug,

Auch nur den kleinsten Zweifel satt zu speisen.

WAGNER.

Ich ehre die Natur in ihrem Schweigen;

Erfreut sie mich mit noch so leiser Kunde,

So dank ich ihr aus tiefem Herzensgrunde.

Seht nur, wie diese Nerven sich verzweigen,

Durch die die ewge Seele fühlt und denkt,

Gebieterisch des Leibes Glieder lenkt.

FAUST.

Oft, wenn ich so die langen Forschernächte

Einsam mit stillen Leichen nur verkehrte

Und in der Nerven sinnigem Geflechte

Eifrig verfolgt des Lebens dunkle Fährte;

Wenn meinem Blicke dann sich aufgeschlossen

Der Nerven Stamm mit seinen Zweigen, Sprossen –

Da rief mein Wahn, entzückt ob solchem Funde:

Hier seh ich deutlich den Erkenntnisbaum,

Von dem die Bibel spricht im Alten Bunde;

Hier träumt die Seele ihren Kindestraum,

Süßschlummernd noch im Schatten dieser Äste,

Durch die sich Paradieseslüfte drängen

Und Vögel ziehn mit wonnigen Gesängen,

Aus andern Welten lieblich fremde Gäste.

Kaum aber ist vom Traum die Seel erwacht,

Wird glühend ihre Sehnsucht angefacht,

Die süße Frucht den Zweigen zu entpflücken,

Unheilbar ihren Frieden zu zerstücken.

Ich will, so rief ich, diese Frucht genießen,

Und wenn die Götter ewig mich verstießen!

MEPHISTOPHELES als fahrender Scholast plötzlich zur Tür herein.

Ha! ha! Herr Anatom, recht fein und zierlich!

Des Baumes vom verlornen Paradiese

Steckt die fatale Wurzel Euch possierlich

Im Schädel eingepflanzt als Zirbeldrüse?

FAUST.

Wer ist es, der so spät hier ein sich findet,

Da schon die Glocke zählte Mitternacht?

Der da so laut herein zur Türe lacht

Und mein zu spotten frech sich unterwindet?

Ich sprach von einem Traum aus frühern Tagen; –

Verloren ist zusamt dem Paradies

Der Baum der Wahrheit;

MEPHISTOPHELES.

Wenn nicht all die Sagen

Die Lüg aus alter Zeit herüberblies.

Verzeiht, daß ich so spät mich eingedrungen.

Auch ich bin Arzt, des Kuren oft gelungen.

Es macht mir Spaß, des Nachts mit klugen Leuten

Das Menschenlos zu prüfen und zu deuten.

FAUST.

O unglückselig Wort: das Menschenlos!

Ich fühls in seiner ganzen Bitterkeit.

Vom Schoß der Mutter in den Grabesschoß

Jagt mich die ernste, tiefvermummte Zeit,

Die dunkle Sklavin unbekannter Mächte.

Sie spricht kein Wort auf alle meine Fragen,

Gleichgültig meinem Fluchen und Verzagen,

Stoßt sie mich weiter durch des Lebens Nächte.

In meinem Innern ist ein Heer von Kräften,

Unheimlich eigenmächtig, rastlos heiß,

Entbrannt zu tief geheimnisvolln Geschäften,

Von welchen all mein Geist nichts will und weiß.

So bin ich aus mir selbst hinausgesperrt,

Und stets geneckt von Zweifeln und gezerrt,

Ein Fremdling ohne Ziel und Vaterland,

Indem ich schwindelnd, strauchelnd fort mich quäle

Zwischen dem dunkeln Abgrund meiner Seele

Und dieser Welt verschloßner Felsenwand,

Auf des Bewußtseins schmalem, schwankem Stege,

Solang dem Herz belieben seine Schläge.

MEPHISTOPHELES.

Euch grämt, daß Kräfte rüstig in Euch schaffen

Und Euch nicht lassen in die Werkstatt gaffen!

Was kümmerts Euch, wohers die Kräfte geben

Und wie bereiten, was Ihr braucht zum Leben?

Der Geist soll einem Kavaliere gleichen,

Dem, was er braucht, die Untertanen reichen,

Der aber nicht begierig ist zu schauen,

Wie sie viehzüchten und die Felder bauen.

Doch ist vergeblich Forschen Euch verleidet,

Wie kommts, daß Ihr an dieser Leiche schneidet?

FAUST.

Wer was Verlegtes sucht in seinem Zimmer,

Kehrt wieder an die alte Stelle immer,

Wo er schon oft vergebens hat gesucht;

So zog mich stets mit kläglichem Betrug

Zu Leichen ein geheimer Hoffnungszug.

Nun aber sei die Stunde mir verflucht,

Die je mich äfft hier am verstockten Aase!

MEPHISTOPHELES.

Die Wissenschaft, die sich von Leichen nährt,

Da habt Ihr recht, ist nicht der Mühe wert,

Daß Ihr damit behelligt Eure Nase.

FAUST.

Warum doch muß in meiner Seele brennen

Die unlöschbare Sehnsucht nach Erkennen!

Nichts ist die Wissenschaft; doch wo ist Rettung

Aus meiner Zweifel peinlicher Verkettung?

MEPHISTOPHELES.

Mein wackrer Mann, ich find an dir Behagen,

Drum will ich dir ein Wort des Trostes sagen:

Dein Schöpfer ist dein Feind, gesteh dirs keck,

Weil grausam er in diese Nacht dich schuf,

Und weil er deinen bangen Hülferuf

Verhöhnt in seinem heimlichen Versteck.

Du mußt, soll sich dein Feind dir offenbaren,

Einbrechen plötzlich als ein kühner Frager

In sein geheimnisvoll verschanztes Lager,

Mußt angriffsweise gegen ihn verfahren.

Willst du in deines Feinds Entwürfe dringen,

So mußt du ihn durch tapfern Angriff zwingen,

Daß er die stumme, starre Stellung bricht

Und, aufgereizt, sich endlich rührt und spricht.

Du mußt entweder dieses Erdenleben

Vertaumeln dumpf in viehischer Geduld;

Wo nicht, dich als entschloßner Mann erheben

Und kühn zur Wahrheit dringen durch die Schuld.

Wer glaubt, gehorcht, des Fragens sich bescheidet,

Als frommes Rind sein Plätzchen Wiese weidet,

Dem wird wohl nimmer mit dem Futtergrase

Die Wahrheit freundlich wachsen vor die Nase.

Den Menschen gab der ewige Despot

Für ihr Geschick ein rätselhaft Gebot;

Nur dem Verbrecher, der es überschritten,

Wirds klar und lesbar in das Herz geschnitten.

Hast du den Mut, um diesen Preis zu wetten,

So kann dich dies mein Wort vom Zweifel retten.

 

Er verschwindet.

 

WAGNER.

Gott sei mit uns! – wer war der fremde Mann?

Wo ist er hin? mir graut von seinem Worte,

Daß ich das Messer nimmer halten kann.

Er kam und ging durch die verschloßne Pforte.

Welch ein Gesicht, so fahl und grimmig kalt!

Wie hat sein Blick so schrecklich mir gestrahlt!

Versuch uns nicht, o Himmel, und erlöse

Vom Übel uns; ich mein, es war der Böse.

 

Er bekreuzt sich.

 

 

Die Verschreibung

In eines Urwalds nie durchdrungner Nacht

Saß Faust auf einem Stamm, bemoost, vermodert;

Wildhastig gräbt sein Geist, der Wahrheit fodert,

Im labyrinthischen Gedankenschacht.

Das Auge zu; die festgeballten Hände

Sind an die Stirn gepreßt mit starrem Krampfe,

Als wollten helfen sie dem Geist im Kampfe,

Eindrücken seines Kerkers Knochenwände.

So saß der dumpfe Forscher manche Stunde,

Von seinen Zweifelqualen stets betäubter;

Bedenklich schütteln über ihm die Häupter

Die alten Eichen in verschwiegner Runde.

Nun springt er plötzlich auf von seinem Sitze,

Sein Aug durchstarrt die öden Waldesräume

Und schießt umher im Dunkel Zornesblitze,

Und also fährt er scheltend an die Bäume:

So sprich, so sprich, verfluchte Säuselbrut!

Sag an: was ist der Tod? was ist das Leben?

Ich find es nicht; mein Geist will Antwort geben,

Doch sie ersauft sogleich in meinem Blut.

Ihr Bäume haftet an der Mutter Brust,

Woraus hervorquillt der Geheimniswust,

Ihr lauschet mit den Wurzeln in den Grund,

Doch gebt ihr nichts aus seiner Tiefe kund.

Steht ihr im Blätterschmuck, ist euer Rauschen

Ein dummbehaglich Durcheinanderplappern;

Zu Winterszeit vernimmt mein gierig Lauschen

Von euren Ästen nur sinnloses Klappern.

Ihr kommt, den Wachstum in die Luft zu strecken,

Mit eurem stillen Glück mein Herz zu necken;

In Ast und Krone, Rindenriß und Knorren,

In eurem Blühen, Rauschen und Verdorren,

In Weisen mannigfalt, je nach den Zeiten,

Den alten Rätselkram mir auszubreiten.

Schweigsam verstockt ist alle Kreatur,

Sie weiset und verschlingt der Wahrheit Spur;

Den holden Flüchtling selbst, den rätselhaften,

Der leise nur berührt die Erd im Fluge,

Ihn können auch die Steine nicht verhaften

In dauernd starrender Kristallenfuge;

Und bei dem Tier ein Narr um Kunde wirbt,

Das frißt und sprießt, das zeugt und säugt, und stirbt.

Ich kann mich nicht vom heißen Wunsche trennen,

Den schöpferischen Urgeist zu erkennen,

Mein innerst Wesen ist darauf gestellt,

In meiner ewigen Wurzel mich zu fassen;

Doch ists versagt, und Sehnsucht wird zum Hassen,

Daß mich die Endlichkeit gefangen hält.

Furchtbarer Zwiespalt ists und tödlich bitter,

Wenn innen tobt von Fragen ein Gewitter,

Und außen antwortlose Totenstille

Und ein verweigernd ewig starrer Wille.

EIN MÖNCH aus dem Waldesdunkel hervortretend.

Nicht wende an die Kreatur dein Fragen,

Sie weiß, wornach du dürstest, nicht zu sagen.

Was soll dein herber Groll und die Empörung?

Wer betend fragt, gewinnt allein Erhörung.

Dein Donnern weht wie Zirpen der Zikade

Vorüber an dem großen Gott der Gnade.

Willst du den Heiligen schauen und erkennen,

Muß erst sein Licht in deine Seele brennen,

Durch seine Kraft allein kannst du Ihn denken;

O möchte segnend sie zu dir sich senken!

FAUST.

Wenn Er der Angeschaute ist

Und Aug und Licht zu gleicher Frist,

So sieht doch nur Er selber sich

In meinem Haus, nicht aber ich.

Verworrne Demut ist das Beten;

Ich will Ihm gegenübertreten,

Beglücken kann mich nur ein Wissen,

Das mein ist und von seinem losgerissen.

Ich will mich immer als mich selber fühlen;

Nicht soll aus meinem festen Mauerring

Die heilige Meereswoge fort mich spülen

Wie Tau, der leicht am Ufergrase hing.

MÖNCH.

Durch seine Kraft allein kannst du Ihn finden,

Und mit der Kirche sollst du dich verbinden.

FAUST.

Was bist du, Mönch, zu stören mich, gekommen?

Ich kenn euch wohl und haß euch längst, ihr Frommen!

Willst du ums Haupt dein Zingulum verstohlen

Mir werfen, wie die Schlinge einem Fohlen?

Ich lache dein und spotte ganz gewaltig

Der Metze Babels, alt und mißgestaltig.

MÖNCH.

Zur Kirche, wüstes Weltkind! sollst du kehren,

Daß mütterlich sie dir die bittern Zähren

Des Zweifels trockne, der Verlassenheit,

Die, unbewußt dir selbst, um Hülfe schreit.

O kehre heim zur gläubigen Gemeinde,

Und laß von ihr das kranke Herz dir pflegen!

Rings steht um dich der brüderliche Segen

Und wird dich schützen vor dem wilden Feinde;

Erlösen wird dich im geweihten Bunde

Der Geist des Herrn, lebendige Liebeskunde.

FAUST.

Ohnmächtig ist und elend auch die Schar,

Wenn jeder einzle aller Weisheit bar.

Die Kunde, die mir Einsamen geschwiegen,

Mit vielen würd ich sie zu hören kriegen?

Zur Kirche, meinst du, daß ich flüchten soll?

Ei! wartet Gott, gleich einem Bänkelsänger,

Mit seiner Stimme, bis die Stube voll?

Mönch, hebe dich und laste mir nicht länger!

 

Wieder allein.

 

Ist diese Welt dadurch entstanden,

Daß Gott sich selber kam abhanden?

Ist Göttliches von Gotte abgefallen,

Um wieder gottwärts heimzuwallen? –

Ist aus urdunklen Ahnungstiefen,

Worin die Gotteskeime schliefen,

Das Göttliche zuerst erwacht,

Und stieg es auf zur Geistesmacht?

So daß Natur in Haß und Lieben

Als ihre Blüte Gott getrieben? –

An dieser Frage hängt die Welt,

Doch hab ich immer sie umsonst gestellt.

Ja! ob die Welt mit ihrem Lauf

Zu nennen ein Hinab? Hinauf?

Ist wohl der ernsten Frage wert;

Wie aber, wenn es ein Hinaus?

Des vollen Gottes Ausstrom, Überbraus,

Der nie zurück zu seinem Quelle kehrt?

Ob alles Leben ein Verschwenden

Des unerschöpflich Reichen ist,

Das nie mehr wird von ihm vermißt

Und bald wie ein vergeßnes Spiel muß enden? –

Wenn ich vorbei an einem Kirchhof geh,

Und Gräber mit den Leichensteinen seh,

Und mir das Wechselspiel bedenke,

Das mit den hier Vergeßnen ward getrieben,

Ists wie ein Blick in eine leere Schenke,

Wo auf dem Tisch die Karten liegen blieben. –

Was ists? – Man spricht von unglücklicher Liebe,

Wie sie manch armes Herz zu Staub zerriebe,

Ich habe diese Liebe nie gekannt,

Fürs Erdenweib war nie mein Herz entbrannt;

Die unglücklichste, ewig hoffnungslose,

Die Liebe für die Wahrheit ist mein Schmerz.

Vom Himmel fallen nicht Erhörungslose,

So schreit ich, sie zu suchen, höllenwärts.

Faust sprach es aus, das grausenvolle Wort,

Riß aus der Brust ein Buch und warf es fort,

Und eine Rolle rafft er nun dafür

Aus abgebleichtem Schriftenhauf herfür

Und liest daraus ein dringendes Beschwören,

Daß rauschend sich des Waldes Haar' empören.

Er blickt umher im öden Waldesraume,

Ob er nicht seh den schauerlich Ersehnten.

Was knistert hinter jenem alten Baume,

Dem sturmgebrochnen, traurig hingelehnten?

Er ists! am Baum hervor, aus Moos und Moder,

Mit seiner Augen finsterem Geloder,

Der Teufel blickt gewärtig und bereit

Und streckt sein Haupt in Faustens Einsamkeit.

MEPHISTOPHELES.

Faust, kennst du noch den Medikus,

Der an der Leich um Mitternacht

Dich überrascht mit seinem Gruß

Und dir ein Wörtlein Trost gebracht?

Faust, kennst du mich den Jäger noch,

Der dich auf jenem Berge hoch,

Als du geglitscht vom steilen Rand,

Ergriff und hielt mit fester Hand

Und stehen ließ verblüfft im Schrecke,

Hinumschwand um die Felsenecke?

FAUST.

Ich kenne dich, doch ohne Dank;

Mir wäre besser, wenn ich dort versank.

MEPHISTOPHELES.

Freund, mir gefiel die Leidenschaft,

Die dich hoch über Blitz und Sturm

Von Fels zu Fels emporgerafft

Nach Stein und Blume, Kraut und Wurm;

Wie du in heißer Lieb entflammt

Für deine rätselhafte Braut,

Die noch dein Auge nie geschaut;

Wie du am Stein dich festgeklammt,

Wie an der Eiswand ohne Halt

Du fest und keck die Hand geballt,

Sie blutig schlugst, im tollen Schweben

Mit deinem Blut dich hinzukleben.

Freund, mir gefiel so heiße Gier,

Und wahrlich, ich gestehe dir,

Wer also mit dem Tode wettet,

Ist wert, daß ihn der Teufel rettet.

Sieh da, noch sind die Hände wund,

Wie du sie hast ins Eis gehackt;

Dies Blut besiegle dir den Bund:

Auf, schreibe frisch den Ehepakt

Mit deines Herzens Purpurnaß

Fürs holde Liebchen Veritas!

Doch hast du was am Boden dort,

Das fort muß, oder ich muß fort.

Was starrst du so auf jenes Buch,

Das du wegwarfst mit einem Fluch?

Was hinterm Baum mich angekündet,

Wonach du hingelauscht, das Knistern,

Vom Feuer kams, das ich entzündet,

Es brennt nach der Scharteke lüstern;

O wirf hinein den eklen Band

Mit allen Liedern und Gebeten,

Geschichtefaslern und Propheten.

Hinein, 's gibt einen lustgen Brand.

FAUST.

Hab ich verworfen auch die Schrift,

Ihr Anblick noch das Herz mir trifft;

Durch die mir einst so teuren Zeilen

Hör ich die Winde blätternd eilen;

Sie wecken, wie sie drüber fahren,

Mir Klänge aus vergangnen Jahren:

Als ob die Bibel mahnend wehte

Ans Herz mir Psalmen und Gebete

In wunderbaren Sehnsuchtsklängen,

Fühl ich darin ein bang Bedrängen.

MEPHISTOPHELES.

Ha, die Gebete waren Wind.

Du sei ein Mann und schnell dich fasse,

Eh ich verachtend dich verlasse;

Der Teufel taugt nicht für ein Kind.

Die Blätter, einst dir noch so teuer,

Wirf sie geschwind in dieses Feuer!

Und sind verbrannt sie ganz und gar,

So streu zur Sühnung dir ins Haar

Die Asche vom geliebten Buch;

Mit einem büßerischen Spruch

Verneige dein geäschert Haupt,

Daß du so dumm warst und geglaubt,

Die Wahrheit, scheu und ewig flüchtig,

Nach der dir heiß die Pulse pochen,

Sie habe, völlig zahm und züchtig,

In diesen Schweinsband sich verkrochen.

Schlag dir die Faust zur Stirne oft,

Daß du so dumm warst und gehofft,

Daß du geträumt hast, der Geschichte

Längst abgewelkte Judenblätter,

Sie dauern grün im Zeitenwetter,

Und daß sie dir noch bringen Früchte,

Die ewig frisch das Herz dir laben,

Weil einer aufstand, der begraben.

O, Freund, sei bis zum Tod betrübt,

Daß du so dumm warst und geliebt,

Wie diese Blätter dir geboten,

Den ungeheuren Urdespoten!

FAUST.

Den Herrn nicht lieben, wäre schwer;

Doch liebt mein Herz die Wahrheit mehr.

MEPHISTOPHELES.

So, Faust, du hast es recht begonnen;

Die Wahrheit mehr – ist viel gewonnen.

Sieh, wie das Feur die Zunge streckt,

Nach dem geweihten Futter leckt; –

Hinein damit, hinein damit,

Und deiner Knechtschaft bist du quitt!

FAUST wirft die Bibel ins Feuer.

Mich soll der Glaube nimmer locken.

Sie brennt; ihr Zauber ist besiegt;

Der Trost, den sie geboten, fliegt

Zerstreut in grauen Aschenflocken.

Entschieden war mein Sinn zuvor,

Als dich mein Wort heraufbeschwor.

Jetzt wärs zu spät, mich zu bedenken,

Im Herzen noch den süßen Wahn

Unschlüssig feig herumzuschwenken;

Ich schütt ihn plötzlich aus: wohlan,

Ich bin ein Mann, und was ich liebe,

Lieb ich mit vollem Mannestriebe,

Ich liebs auf Leben und auf Sterben,

Auf Heil und ewiges Verderben.

Wohlan, du letzter Helfer, sprich:

Willst du zur Wahrheit führen mich,

Daß ich ihr Antlitz schauen mag?

MEPHISTOPHELES.

Ich will; doch schließe den Vertrag.

Das beste Mittel wäre fast,

Du hängtest dich an diesen Ast;

Doch wirst du wohl noch länger wollen

Herum dich treiben auf den Schollen;

Und wenn ichs recht genau bedenke,

Schad wärs, daß Faust sich jetzo henke.

Dein halbes Leben ist verflossen,

Es ward vergrämelt und vergrübelt,

Einsam in studiis verstübelt,

Hast nichts getan und nichts genossen.

Hast noch die Weiber nicht geschmeckt,

Noch keinen Feind ins Blut gestreckt.

Das Beste, so das Leben beut,

Hast du zu kosten dich gescheut.

Sonst ist des Menschen höchste Lust,

Daß liebend er ein Kindlein mache,

Und wenn er haßt, dem Mann der Rache

Den Dolch zu stoßen in die Brust.

Denn: liebend zeugen, hassend morden,

Ist Menschenherzens Süd und Norden;

Und was dazwischen innesteckt,

Sind Keime, doch zurückgeschreckt,

Sind Sprossen, doch die halben, matten,

Von Totschlag oder von Begatten.

Du warst bis jetzt ein blöder Tor;

Drum höre, was ich schlage vor:

Der alte Zwingherr hält die Erde

In knechtisch frömmelnder Gebärde;

Doch hat mein Erzfeind nicht versagt

In seiner Welt mir freie Jagd.

Verdinge dich mir zum Gesellen

Und hilf mein Weidwerk mir bestellen,

Ich will dafür bei meinem Leben

Die Wahrheit dir zum Lohne geben,

Und Ruhm und Ehre, Macht und Gold,

Und alles, was den Sinnen hold.

Von deiner Seel es sich versteht,

Daß sie mit in den Handel geht.

Laß bluten die verharschte Hand,

Zu schreiben mir das Unterpfand,

Und daß dazu beitrage jeder,

Reich ich dir diese Hahnenfeder,

Die ich in einem Forste jüngst,

's war grade Sonntag früh, zu Pfingst,

Dem Raubschütz aus dem Hute zog,

Als ihm ins Herz die Kugel flog.

Recht artlich war es anzusehn,

Wie so der Dieb, im dichten Laub

Versteckt, auflauscht dem Wildesraub;

Wie doch vier Jäger ihn erspähn,

Wie er auf sie drei Kugeln sendet,

Von denen jed' ein Leben endet,

Die vierte, ohne Sakrament,

Ihm selber durch die Lungen rennt.

Was ist dir, Faust, du wirst so blaß,

Ging dir zu Herzen gar der Spaß?

FAUST.

So reiche mir den Hahnenkiel:

Doch laß der Laune freches Spiel,

Die widerlich dein Wort mir salzt.

 

Die Feder betrachtend.

 

Der arme Hahn, voll Liebesnot,

Hat selber sich dem bittern Tod

Und mich der Hölle zugefalzt.

Hier unterschreib ich den Vertrag,

Weil ich nicht länger zweifeln mag.

MEPHISTOPHELES.

So recht, mein Faust, es ist geschehn;

Leb wohl, auf frohes Wiedersehn!

 

Der Jugendfreund

 

Fausts Wohnung Graf Heinrich von Isenburg und Famulus Wagner, später Faust.

 

WAGNER.

Ihr werdet nimmer ihn erkennen;

Verwandelt ist sein ganzes Wesen,

In jedem Zuge ist zu lesen,

Was ich nicht wage laut zu nennen.

Als wär er innerlich zerbrochen,

Wich alle Freude von ihm fort.

Der Finstre spricht oft lange Wochen

Mit mir, dem treuen Freund, kein Wort.

Es ist mit großem Herzeleide,

Wenn ich gezwungen von ihm scheide.

Er tat mich lieben und belehren,

Ich werde schwer sein Wort entbehren.

O, daß ein Mann von so viel Wissen

Kann sein im Herzen so zerrissen!

ISENBURG.

Wohl lange hat sich Faust herumgetrieben,

Bin ohne Kunde lang von ihm geblieben.

Vorüber sind zehn Jahresfluchten,

Seit ich und mein geliebter Faust

Die hohe Schule Wittenbergs besuchten

Und in der Schenke manche Nacht verbraust.

Noch steht vor mir sein herrlich Bild.

Wie war er dort so froh, so wild,

Wie war er dort der Erste stets,

Die edle Kraft nur sein Gesetz!

Wie er den alten Professoren,

Den eingeschrumpften Weisheitstoren,

Dem Auditorium zur Freude,

Die hochgetürmten Lehrgebäude,

Des Volksverstandes Burgverlies,

Leicht hauchend in die Lüfte blies!

Und wie sein Geist, voll Forschermut,

Nur nach den höchsten Sternen flog,

So war sein Herz voll edler Glut,

Der schnell die tapfre Klinge zog.

Nicht beugen konnte solchen Mann

Die Zeit, die tief mit ihrer Beute

Zu Füßen ihm vorüberrann;

Und was er war, ist er noch heute.

Und wenn ihn einst der Tod erfaßt,

Tut ers mit zagendem Verdruß,

Wie ein Rebellenknecht erblaßt,

Der einen König morden muß.

WAGNER.

Und doch ist er ein andrer ganz und gar,

Als er vor wenig Monden war.

Er hat die teure Wissenschaft,

Verkennend seine eigne Kraft,

Und seine Pflichten aufgegeben;

Auf dunklen Bahnen geht sein Leben,

Wohin ich ihn nicht kann geleiten,

Will ich mein Seelenheil nicht auch verscherzen.

Mag auch die Freundschaft gegenstreiten,

Ich scheid von ihm; weiß Gott, mit schwerem Herzen.

ISENBURG.

Seid Ihr sein Freund, so bleibt ihm treu,

Sein finstres Wesen geht vorbei.

Wie sehn ich mich, o daß er käme!

Daß ich ihn schließ in meine Arme

Und ihn entreiße seinem Harme

Und Euch Kleinmütigen beschäme!

War ich sein liebster Freund ihm doch,

Er hielt mich stets vor allen hoch.

Ihr werdet sehn, mir wirds gelingen,

Die Freude wieder in sein Herz zu bringen.

WAGNER.

Das hoff ich leider! nimmermehr.

Die Freude flieht mit schnellen Sohlen;

Läßt man sie fort so weit, wie der,

So ist sie nimmer einzuholen. –

Seht nur, da liegen noch die Splitter

Vom alchymistschen Apparat,

Den er im Zorn zerschlug, zertrat;

Wie kränkt' er mich damit so bitter!

Da kam er heim in später Nacht,

Als ich am Herde noch gewacht

Und so vergnügt mein Feuer schürte

Und meine Kolben hitzt und rührte;

Da rief er aus mit wildem Spott:

»Ist doch die sämtliche Natur

Zu unsrer Qual geschäftig nur,

Ein heimlich tückisches Komplott;

Die Glieder halten fest zusammen,

Daß keins das andre je verrät,

Von ihrem Sinne was gesteht,

Daß sie, geworfen in die Folterflammen,

Den Märtyrtod des Schweigens sterben.«

Er riefs und hatte mit den Worten

Phiolen, Flaschen und Retorten

Zerschmettert schnell in tausend Scherben.

Herr, so umnachtetem Gemüt

Kein Hoffen mehr auf Erden blüht.

FAUST hereintretend und auf Isenburg zueilend.

O Freund aus meinen Jugendtagen!

Mein Isenburg! dich sandte Gott!

ISENBURG.

Mein Faust!

 

Sie umarmen sich.

 

WAGNER.

Wohl mir, ich hör ihn wieder sagen,

Und ohne Groll, den Namen Gott.

ISENBURG Faust betrachtend.

Dein Leben traf ein harter Streich;

Mein Faust, wie bist du worden bleich,

Seit ich dich sah zum letztenmal.

FAUST.

O Freund! du schöner, letzter Strahl

Von meiner Sonne, die versunken!

Wohl bleich, – ich habe Gift getrunken,

Des Zweifels Gift in starken Zügen,

Und meine bösen Würfel liegen.

ISENBURG.

Nein, nein! mußt wieder dich erheben

Und freuen dich am schönen Leben.

Nicht länger hier so einsam bleib,

Nimm dir ans Herz ein holdes Weib.

O Freund, du kennst die Liebe nicht,

Sie soll dir bringen Trost und Licht.

Ist an der Welt dein Herz erkrankt,

Und wenn dein guter Glaube wankt,

Blick einem Weibe, das dich liebt,

Ins Auge, und dein Gram zerstiebt,

Die Welt wird sich dir freundlich zeigen,

Es werden all die Stimmen schweigen,

Die dich zum Abgrund lockend riefen,

Du blickst in heitre Gottestiefen.

O, laß dein Herz an Vaterwonnen

Sich froh zum ewgen Frühling sonnen.

Was frommt die ungewisse Saat

Der Wissenschaft? was frommt die Tat?

Die leichte Saat verweht der Wind,

Und eine Tat ist doch kein Kind;

Du kannst ihr nicht die Locken streicheln,

Ihr nicht ins liebe Antlitz blicken

Und ihr mit süßen Namen schmeicheln,

Das warme Haupt ans Herz dir drücken.

Ich habs erfahren: Weib und Kind

Das höchste Gut auf Erden sind.

FAUST.

Ich will kein Weib als Braut umschlingen.

Mein Leben ist ein wildes Hadern,

Aus grolldurchgiftet bösen Adern

Soll mir kein Kind, mir gleich, entspringen.

Mir taugt kein Weib voll Lieb und Treu,

Es ward mein Herz versöhnungsscheu.

Ein Weib, das mir nicht Ekel brächte,

Das müßte fromm sein und im Bund der Mächte,

Mit denen ich in Bruch und Fluch;

Das wär ein ärgerlicher Widerspruch.

Wenn du das helle, farbenfrohe

Röslein hinpfropfest in den Eichenspalt,

So wird es von der scharfen Lohe

Des Baumes schwarz und mißgestalt.

Kurz, Freund, laß mich damit in Frieden;

Mir dünkt die Welt ein enges Kerkerloch,

Und sollt ich im Gefängnis noch

Der Blöde sein, mich anzuschmieden?

Für mich ist jedes Glück verloren.

Ich will dir treuen Freund nicht sagen,

Du könntest mich zu schwer beklagen,

Wem ich mein Leben zugeschworen.

ISENBURG.

O schwör es einem Herzen zu,

Das ohne dich ist ohne Ruh.

Gedenkst du meiner Schwester noch, Theresen?

Sie war ein zartes Mägdlein noch,

Als sie dich sah, und konnte doch

Von deinem Bilde nicht genesen,

Ist nun ein Fräulein herrlich anzuschauen,

Die Zierde aller sächsischen Jungfrauen,

An Seele fromm und himmlisch rein;

Kannst du sie lieben, sei sie dein!

Als einst ich nah dem Tode lag,

Da standst du treulich Nacht wie Tag

Am Bett mir, bis dein seltnes Wissen

Des Todes Armen mich entrissen.

Du hast das Leben mir gerettet,

Ich rette dir den Lebensfrieden,

So ist dein Glück und meins entschieden,

Wir sind auf ewig festverkettet.

Wie freundlich mir die Zukunft glänzet!

Der Liebe und dem Herrn ergeben,

So wollen wir zusammenleben

Auf unserm Schlosse waldumkränzet,

Uns teilen brüderlich in Gottes Segen,

All unsre Freuden treu zusammenlegen.

Faust, freue dich und reiche mir die Hand,

Mit mir zu ziehen in mein Heimatland!

FAUST.

Geliebter Freund, du bist umsonst gekommen,

Nun kann mir deine Treue nichts mehr frommen.

Du letzter Strahl aus meinen hellen Tagen,

Kann dich und deine Liebe nicht ertragen;

Du dringst mir in des Busens Finsternisse,

Beleuchtest mir des Herzens tiefe Risse,

Die durch und durch hinab zur Hölle klaffen.

's ist aus! leb wohl! ich muß mich dir entraffen! –

 

Faust eilt davon; Isenburg eilt ihm nach; doch Mephistopheles erfüllt das Haus mit schwarzem Nebel, in welchem Faust verschwindet

 

 

Der Teufel

Landstraße.

 

MEPHISTOPHELES allein, und dem forteilenden Faust von ferne nachschreitend.

Am Menschen ists ein mir beliebter Zug,

Daß, wenns Geschick ihm eine Wunde schlug,

Wenn ein Verdruß die Seele ihm erweicht,

Der Sinnenreiz viel freier ihn beschleicht;

Als wären alsdann seine Tugendwächter,

– Die doch am Ende nur gedungne Fechter –

Vom Schmerz berauscht, verschlafen an der Pforte.

Gewaltig packten ihn des Grafen Worte;

Nun stehts mit meinem Faust am rechten Sprunge,

Ganz durchgeweicht ist mir der arme Junge.

Wogegen er sich lange mochte sträuben,

Dem wird er nun sich rasch entgegenstürzen,

Im Drang sich zu zerstreuen, zu betäuben,

Die Tage des Verdrusses abzukürzen,

Frisch zu verzehren seine Lebenskraft

Im Todestaumel süßer Leidenschaft.

Von Christus ist er los; noch hab ich nur

Zu lösen meinen Faust von der Natur.

Gelingen wirds, ich hab es mir durchdacht:

Tief in die Lust, bevor die Lieb erwacht!

Mit Weibern zärtlich rohes Spiel getrieben!

Manch Kind gezeugt! – So wird der grade Stand

Sich zwischen Faust und der Natur verschieben

Und er im Unmut stürmen an den Rand.

Dann faßt die Liebe ihn am steilen Bord

Und stürzt hinab ihn jählings in den Mord.

Und schlug er der Natur dann manche Wunde,

So läßt sein Stolz ihn nicht Versöhnung suchen;

Nein! weil er sie gekränkt, wird er ihr fluchen

Und los sich reißen wild aus ihrem Bunde.

Ist mir der Bruch gelungen zwischen beiden,

Von jeder Friedensmacht ihn abzuschneiden,

Dann setzt er sich mit seinem Ich allein,

Und in den Kreis spring ich dann mit hinein.

Dann laß ich rings um ihn mein Feuer brennen,

Er wird im Glutring hierhin, dorthin rennen,

Ein Skorpion sein eignes Ich erstechen. –

So wird mein Schmerz am Göttlichen sich rächen,

So will Verstoßner ich mein Leiden kühlen,

Verderbend mich als Gegenschöpfer fühlen.

 

Der Tanz

 

Dorfschenke.

Hochzeit. Musik und Tanz.

 

MEPHISTOPHELES als Jäger, zum Fenster herein.

Da drinnen geht es lustig zu;

Da sind wir auch dabei. Juchhu!

 

Mit Faust eintretend.

 

So eine Dirne lustentbrannt

Schmeckt besser als ein Foliant.

FAUST.

Ich weiß nicht, wie mir da geschieht,

Wie michs an allen Sinnen zieht.

So kochte niemals noch mein Blut,

Mir ist ganz wunderlich zu Mut.

MEPHISTOPHELES.

Dein heißes Auge blitzt es klar:

Es ist der Lüste tolle Schar,

Die eingesperrt dein Narrendünkel,

Sie brechen los aus jedem Winkel.

Fang Eine dir zum Tanz heraus

Und stürze keck dich ins Gebraus!

FAUST.

Die mit den schwarzen Augen dort

Reißt mir die ganze Seele fort.

Ihr Aug mit lockender Gewalt

Ein Abgrund tiefer Wonne strahlt.

Wie diese roten Wangen glühn,

Ein volles, frisches Leben sprühn!

's muß unermeßlich süße Lust sein,

An diese Lippen sich zu schließen,

Die schmachtend schwellen, dem Bewußtsein

Zwei wollustweiche Sterbekissen.

Wie diese Brüste ringend bangen

In selig flutendem Verlangen!

Um diesen Leib, den üppig schlanken,

Möcht ich entzückt herum mich ranken.

Ha! wie die langen schwarzen Locken

Voll Ungeduld den Zwang besiegen

Und um den Hals geschwungen fliegen,

Der Wollust rasche Sturmesglocken!

Ich werde rasend, ich verschmachte,

Wenn länger ich das Weib betrachte;

Und doch versagt mir der Entschluß,

Sie anzugehn mit meinem Gruß.

MEPHISTOPHELES.

Ein wunderlich Geschlecht fürwahr,

Die Brut vom ersten Sünderpaar!

Der mit der Höll es hat gewagt,

Vor einem Weiblein jetzt verzagt,

Das viel zwar hat an Leibeszierden,

Doch zehnmal mehr noch an Begierden.

 

Zu den Spielleuten.

 

Ihr lieben Leutchen, euer Bogen

Ist viel zu schläfrig noch gezogen!

Nach eurem Walzer mag sich drehen

Die sieche Lust auf lahmen Zehen,

Doch Jugend nicht voll Blut und Brand.

Reicht eine Geige mir zur Hand,

's wird geben gleich ein andres Klingen

Und in der Schenk ein andres Springen!

Der Spielmann dem Jäger die Fiedel reicht,

Der Jäger die Fiedel gewaltig streicht.

Bald wogen und schwinden die scherzenden Töne

Wie selig hinsterbendes Lustgestöhne,

Wie süßes Geplauder, so heimlich und sicher,

In schwülen Nächten verliebtes Gekicher.

Bald wieder ein Steigen und Fallen und Schwellen;

So schmiegen sich lüsterne Badeswellen

Um blühende nackte Mädchengestalt.

Jetzt gellend ein Schrei ins Gemurmel schallt:

Das Mädchen erschrickt, sie ruft nach Hilfe,

Der Bursche, der feurige, springt aus dem Schilfe.

Da hassen sich, fassen sich mächtig die Klänge

Und kämpfen verschlungen im wirren Gedränge.

Die badende Jungfrau, die lange gerungen,

Wird endlich vom Mann zur Umarmung gezwungen.

Dort fleht ein Buhle, das Weib hat Erbarmen,

Man hört sie von seinen Küssen erwarmen.

Jetzt klingen im Dreigriff die lustigen Saiten,

Wie wenn um ein Mädel zwei Buben sich streiten;

Der eine, besiegte, verstummt allmählig,

Die liebenden Beiden umklammern sich selig,

Im Doppelgetön die verschmolzenen Stimmen

Aufrasend die Leiter der Lust erklimmen.

Und feuriger, brausender, stürmischer immer,

Wie Männergejauchze, Jungferngewimmer,

Erschallen der Geige verführende Weisen,

Und alle verschlingt ein bacchantisches Kreisen.

Wie närrisch die Geiger des Dorfs sich gebärden!

Sie werfen ja sämtlich die Fiedel zur Erden.

Der zauberergriffene Wirbel bewegt,

Was irgend die Schenke Lebendiges hegt.

Mit bleichem Neide die dröhnenden Mauern,

Daß sie nicht mittanzen können, bedauern.

Vor allen aber der selige Faust

Mit seiner Brünette den Tanz hinbraust;

Er drückt ihr die Händchen, er stammelt Schwüre

Und tanzt sie hinaus durch die offene Türe.

Sie tanzen durch Flur und Gartengänge,

Und hinterher jagen die Geigenklänge;

Sie tanzen taumelnd hinaus zum Wald,

Und leiser und leiser die Geige verhallt.

Die schwingenden Töne durchsäuseln die Bäume,

Wie lüsterne, schmeichelnde Liebesträume.

Da hebt den flötenden Wonneschall

Aus duftigen Büschen die Nachtigall,

Die heißer die Lust der Trunkenen schwellt,

Als wäre der Sänger vom Teufel bestellt.

Da zieht sie nieder die Sehnsucht schwer,

Und brausend verschlingt sie das Wonnemeer.

 

Das arme Pfäfflein

 

Wie 's Völklein in der Stube

Die tollsten Tänze springt

Und in die Luft der Bube

Zuhöchst die Dirne schwingt,

Verstummt die Geig, verschwunden

Der fremde Weidgesell,

Und wie von hundert Hunden

Erschallt ein laut Gebell.

Am Geigerbänkel sitzend,

Aus roten Augen blitzend,

Sieht einen schwarzen Pudel

Das bange Bauernrudel:

Fausts Hund, Prästigiar genannt,

Im Lande weit und breit bekannt.

Doch wars von ihm nur Necken,

Die Leutchen zu erschrecken,

Denn mit geducktem Schädel,

Diskretem Schwanzgewedel

Der Pudel sich verkriecht

Ins Eck und rührt sich nicht.

Die Bursche haben, lustbetäubt

Gar bald den Spuk vergessen,

Die Dirnen wieder ungesträubt

Zum Tanze sich vermessen.

Auch sind beschämt die Musikanten

An ihre Bank zurückgeschlichen,

Es werden die beliebt bekannten

Drehwalzer bestens abgestrichen.

O arme Dorfesfiedel,

Dein Ruhm ist nun zerstört!

Wes Ohr einmal gehört

Ein reizend Höllenliedel,

Dem soll die Einfalt schweigen,

Ist schwer zu Dank zu geigen. –

Jetzt durch die Schenke poltert,

Von Eifersucht gefoltert,

Der Hahnrei-Bräutigam,

Dem Faust sein Schätzel nahm.

Er hat den Garten rings durchsucht

Und aus und ein den Wald durchflucht,

Laut vorgeheult den Winden,

Die Braut ist nicht zu finden.

Arm Hannchen ist verfallen

Der Reue scharfen Krallen,

Denn als des Zaubers Bande

Im vollen Kussesbrande,

Im glühendsten Vereinen

Der Taumelnden sich lösten:

Ergriff sie lautes Weinen,

War sie nicht mehr zu trösten. –

Nun sehn erstaunt die Bauern,

Wie der, auf den sie lauern,

Eintritt mit kaltem Mut.

Er hatte, tanzgeschäftig,

Vergessen seinen Hut,

Den Mantel zauberkräftig,

Sein Fahrzeug durch die Luft;

Und alles: »Packt ihn!« ruft.

Wie sie den Doktor schnell umringen,

Wie sie die harten Fäuste schwingen,

Die guten Lehren festzunageln,

Die brausend auf den Sünder hageln.

Den Faust jedoch berührt das nicht,

Verachtung lächelt sein Gesicht,

Er donnert ins Getümmel:

»Still! rührt euch nicht, ihr Lümmel!«

Da faßt sie alle schnell der Bann,

Und keiner sich bewegen kann,

Und wie gestellt ihn der Verdruß,

Ein jeder so verharren muß:

Die Mäuler sind weit aufgerissen,

Zu schelten drollig stumm beflissen;

Die Fäuste zornzusammgepreßt,

Sie wurzeln in der Luft gar fest.

Als gute Zuchtverfeinerung

War wirksam die Versteinerung;

Denn wie nun Faust den Zauber hob,

Sprach jeder seufzend ein: »Gottlob!«

Wie Faust herab sich läßt zu sagen:

»Wir wollen friedlich uns vertragen!«

Schleicht jeder mit gesenkter Stirne

Zu seiner Flasche oder Dirne.

Die Bauern werden allgemach

Mit Faustens Näh vertrauter,

's wird in der Schenke nach und nach

Die Freude wieder lauter;

Der schwarze Pudel kriecht hervor

Zu Faust mit freudigem Rumor,

Bemüht, den Doktor zu erfreuen

Mit seltsamlichen Gaukeleien.

Doch, nun die Tür wird aufgetan

Und kommt ein junger Wandersmann

Mit einem hübschen Frauenbild

Und ringsum grüßt, verlegen mild,

Und Wein begehrt und fasset Platz,

Unweit von Faust, mit seinem Schatz:

Beginnt der Hund zu zittern,

Zu schnuppern und zu wittern

Und läßt sich nicht bescheiden,

Stets knurrend um die beiden.

Der fremde luftige Gesell

Scheint weidlich froh an seiner Stell,

Er trinkt es seiner Schönen zu,

Sie kosen zärtlich du zu du;

Ihn scheint das frohe Lärmen,

Der goldne Bergwein Guß auf Guß

Stets gründlicher zu wärmen;

Er gibt der Schönen Kuß auf Kuß.

Die Heißverliebten schämen

Mit nichten sich und nehmen

In so behaglichem Besitz

Vom Groll des Hundes nicht Notiz.

Nun aber ist der Pudel frisch

Mit einem Satz auf ihrem Tisch,

Und gierig schnappt Prästigiar

Dem fremden Wandersmann ins Haar,

Reißt ihm vom Kopf sein Häubchen,

Ein rund Perückenscheibchen,

Und trägt dem Mann zu Schimpf und Tort

Faust hin den lustigen Apport.

Weh! wo vom Haupt das Käpplein fuhr,

Kriecht vor verrätrisch – die Tonsur. –

Der Hund verbringt ein grimmig Klaffen,

Bis man den schelmisch geilen Pfaffen

Hat in der Schenke scharf geplagt

Und samt dem Weib hinausgejagt.

 

Die Lektion

 

Hofgarten einer Residenz.

Des Königs erster Günstling und Minister, Faust und Mephistopheles als Scholast, in einer Allee spazierend.

 

MINISTER.

Geehrte Herrn, ich bin entzückt,

Daß mir zu finden ist geglückt

Ein paar so köstliche Talente.

O daß ich doch die Mittel kennte,

Zu lohnen solche Trefflichkeit!

MEPHISTOPHELES.

Wir sind zu Eurem Dienst bereit.

Talente, Herr, von unsrer Art

Sind für gemeinen Lohn zu zart;

Für mich und diesen Musensohn

Ists reichlicher Genuß und Lohn,

Zu sehn, wie unsre Phantaseien

So recht verfangen und gedeihen.

MINISTER zu Faust.

Ihr also, hochgelahrter Mann,

Dem sich kein Stern der Fakultäten

In artibus vergleichen kann,

Ihr seid vorerst von mir gebeten,

An meines Fürsten Trauungsfeier

Zu schmücken morgen Eure Leier

Mit einem feinen, blühend warmen

Und schmeichelhaften Hochzeitskarmen;

Daß Ihr darin den hohen Geist,

Die unvergänglich großen Werke,

Die Tapferkeit des Königs preist

Und seine schöne Jugendstärke.

Auch lasset über Eure Saiten

Der Braut erhabne Zierden gleiten,

Mit denen wirklich sie begabt,

Und solche, die sie nie gehabt,

So, daß sie selbst nicht unterschiede

Die wahren und die angesungnen

Liebreize in dem schlauverschlungnen

Ganz meisterhaften Hochzeitsliede.

FAUST.

Ich will, was meine Kräfte können,

Das Fest mit einem Liede zieren;

Doch müßt Ihr mir die Ehre gönnen,

Es dann auch selbst zu deklamieren;

Kein andrer spricht wie der Poet

Ein Lied, das ihm von Herzen geht.

MINISTER.

Ihr tätet zwar mir eine Liebe,

Wenn morgen mir die Ehre bliebe,

Was Ihr gedichtet, vorzutragen,

Doch will ich dem Gewinn entsagen.

MEPHISTOPHELES.

Das Lied wird gut, ich steh dafür,

Ihr klopftet an die rechte Tür.

FAUST abgehend.

Ich will im Schatten jener Fichten

Euch die bestellten Verse dichten.

MINISTER zu Mephistopheles.

Und Ihr, hochpreislicher Scholast,

Ihr wißt gewiß so manches noch,

Was recht in meine Pläne paßt;

Fahrt fort in Euern Reden doch,

Es unterbrach Euch, o verzeiht,

Die Hochzeitsangelegenheit.

Ihr seid mein Mann, noch fand ich nie

Solch ein politisches Genie.

Vielwerter Freund, habt doch die Güte

Und laßt mich weiden an der Blüte

Der Staatsweisheit, die Ihr gefunden

In so beglückten Forscherstunden.

MEPHISTOPHELES.

Das Erste also, wie gesagt,

Wird immer sein: das Volk geplagt.

MINISTER.

Wenn aber sich das Volk empört?

MEPHISTOPHELES.

Nur in zwei Fällen brichts das Gitter:

Wenn Ihrs geplaget allzubitter,

Wenn Ihrs zu plagen aufgehört;

Steht das Euch nicht im hellsten Lichte,

So seid Ihr schwach in der Geschichte.

MINISTER.

Ich geb es zu; doch nennet, was

Gibt uns der Plage rechtes Maß?

MEPHISTOPHELES.

Ihr Herrscher über Volk und Land,

Das ist der Klugheit rechter Stand:

Verkümmert stets, doch nie zu scharf,

Dem Volk den sinnlichen Bedarf,

Und lenket so all sein Begehren

Nach dem, was ihr ihm könnt gewähren.

So wird es, nach dem Nächsten greifend,

Niemals weitsichtig, überschweifend,

Nach dem gelüsten frechverwegen,

Was nicht in eurer Macht gelegen.

Das Volk sich gerne selbst belügt,

Es ist am Ende hochzufrieden

Und untertäniglich vergnügt,

Wenn ihm des Zwingherrn Huld beschieden,

Was ohne ihn und seine Kette

Das dumme Volk von selber hätte.

MINISTER.

Der Grundsatz klingt für mich entzückend

Und ist gewiß auch volkbeglückend;

Doch türmen sich ihm allerwegen

Der Feinde gar zu viel' entgegen.

MEPHISTOPHELES.

Der schlimmste Feind für Euer Wirken

Ist der Gedanke, der da feiert,

Als Vagabund entfesselt steuert

Nach fernen, luftigen Bezirken.

Laßt Ihr ihn ziehn vom Heimatstrand

Fort in die offne, weite See,

So schleppt er Euch zurück ins Land

Das Bild von jener schönen Fee,

Der Freiheit, die auf ferner Insel

Von Geistern wohnt; – das Volk wird toll,

Und: Freiheit! Freiheit! sehnsuchtsvoll

Ruft dann sein Fluchen, sein Gewinsel.

MINISTER.

Wie fügte sich der ewig schwanke,

Nie fest zu haltende Gedanke?

MEPHISTOPHELES.

›Verkümmert stets, doch nie zu scharf,

Dem Volk den sinnlichen Bedarf.‹

O haltet fest an diesem Worte.

Wie Weingeistsflamme, der Retorte

Dienstbar, muß Elixiere kochen,

Sollt Menschengeist Ihr unterjochen,

Solls Feuer Eurer Sklavenköpfe

Dem Magen heizen seine Töpfe.

Will jemals von den Nutzgeschäften,

Daran Ihr müßt die Geister heften,

Sich der und jener dispensieren,

Sich ins Ideenreich verlieren,

Will er in Schriften gar den Knechten

Einraunen was von Menschenrechten:

So müßt Ihr solche Herrscherplagen

In ihrem Keime gleich erschlagen.

Ich rat Euch hier das beste Mittel:

Wie für die Taten einst die Alten

Zensoren hielten, sollt Ihr halten

Zensoren als Gedankenbüttel.

Ja, so ein Zensor, so ein echter,

Ein unerbittlich scharfer Wächter

Und tapferer Gedankenwürger,

Der leider! erst zum Heil der Bürger

In fernen, schönern Zeiten sproßt,

Das wäre so mein Augentrost!

Einst schlief ich unter grünen Bäumen,

Da ist sein Bild mir klar erschienen,

In meinen patriotischen Träumen:

Wie er mit lieben Forschermienen

Gedanken greift auf ihrer Flucht

Und ihre hüllenden Gewande,

Jed Fältlein lüftend, streng durchsucht,

Ob sie nicht führen Konterbande

An allerlei verruchten Dingen,

Ob sie ein Liebesbriefelein

Der Freiheit wollen überbringen

Und ein gefährlich Stelldichein. –

Mir ward in jenen Visionen

Beglückter Zukunft schönster Gruß:

Ich sah das Heer von Maulspionen,

Welch ein prophetischer Hochgenuß!

Wie Jäger, einen Fuchs zu prellen,

Ans Loch des Baus ihm Schlingen stellen,

Drein sich der Lose muß verfangen,

Treibt ihn aus seiner dunklen Schluft

Hinaus vorwitziges Verlangen

Nach freier frischer Waldesluft:

So schaut ich damals mit Ergetzen

An Menschenmundes offner Pforte

Spione lauern und die Worte

Auffangen mit Verratesnetzen.

Hat es die Politik, gebracht

In ihrer Kunst zu solchen Flügen,

Dann ist begründet Eure Macht,

Dann ist Regieren ein Vergnügen.

MINISTER.

Nur seufzend kann ich nach dem Eden,

Das mir aufblüht in Euern Reden,

Und hoffnungslos hinüberschauen;

Unüberspringlich weite Klüfte

Gräbt mir mein Fürst, der – im Vertrauen –

Etwas gewissenhaft Verblüffte.

EIN HOFBEDIENTER mit Erfrischungen kommend.

Verzeihen, Herr Minister, hohe Gnaden,

Daß ich ein Störer, bei des Abends Schwüle,

Aufmerksam dienend, mich gedrungen fühle,

Zu einiger Erfrischung einzuladen.

MINISTER zu Mephistopheles.

Mein trefflicher Kollege, laßt

Euch von dem Obste was belieben;

Ich pfropfte selbst den braven Ast,

Der diese Pfirschen mir getrieben,

So farbig frisch und saftgeschwellt;

Nehmt von den Pflaumen, wenns gefällt,

Kühlt Euch an dieser edlen Traube,

Gepflückt von meiner Lieblingslaube.

MEPHISTOPHELES.

Viel Dank, viel Dank; ich find es eben

Im Garten hier nicht gar so heiß,

Wie dieser Bursche vorgegeben

In seinem dienerischen Fleiß.

Natur kommt mit Erfrischungsfrüchten

Etwas post festum angezogen,

Wenn schon die Sommerglut verflogen

Und 's Laub will von den Bäumen flüchten;

So bringt die Weisheit ihre Kühlung

Im Nachtrab stets der Leidenschaft,

Wenns aus ist mit der heißen Fühlung,

Wenn schon von selber friert die Kraft

Und Tod sich nistet in die Glieder.

Auch ist mir überhaupt zuwider

Das Obst, an dem sich Kinder laben,

Und die noch was vom Kinde haben.

Ihr beißet da mit solcher Lust

Den Pfirsich, daß der Bart Euch saftet;

Dran seh ich, was ich längst gewußt,

Daß Ihr noch sehr am Wahne haftet.

Ihr habt noch viel zu viel vom Kinde;

Und weil ich wollt aus Eurem Herzen

Die letzte Spur vom Kinde merzen,

Darum ich mich vor Euch befinde.

MINISTER.

Ihr seid sehr wunderlich, Scholast!

Ich sah noch niemals Euresgleichen;

Betracht ich Euch genauer, fast

Will michs unheimlich überschleichen.

MEPHISTOPHELES.

Laßt das, mein Gönner; lieber seht

Den Burschen hier Euch schärfer an,

Im Knechteskittel angetan,

Wie dem die Sklavenmiene steht!

MINISTER zum Bedienten.

Entferne dich. –

 

Zu Mephistopheles.

 

Ihr habet recht,

Geboren scheint er mir zum Knecht.

Mein Freund, es ist wahrhaftig köstlich

Und sehr für unsre Hoffnung tröstlich,

Daß so die Menschen ein Behagen

Am Sklaventum im Herzen tragen;

Es ist durchaus nicht zu verkennen,

Sie lernen leichter Sklavensitten,

Als daß sie Freiheit an sich litten,

Für die sie doch so leicht entbrennen.

MEPHISTOPHELES.

Und also, meint Ihr, müsset freilich

Ihr guten Herren euch bequemen,

Des Herrschens Last auf euch zu nehmen,

Damit die andern recht gedeihlich

Und ungestört dem süßen Triebe

Der Sklaverei sich widmen können;

Den andern ihre Lust zu gönnen,

Seid ihr das Opfer eurer Liebe.

Vergeßt Ihr meine Worte nicht,

Könnt Ihr ein großer Staatsmann werden.

Gebt Eurem Herrn auch Trost und Licht

Zu seinen fürstlichen Beschwerden.

Nun aber kann ich nicht mehr weilen,

Ich muß zu meinem Doktor eilen.

 

Das Lied

 

Saal im königlichen Palaste.

Der König, die Königin und die Großen des Reiches sitzen an der Hochzeitstafel. Allgemeines Vivatrufen und Anklingen mit den Pokalen.

 

DER MINISTERGÜNSTLING sich von seinem Stuhl erhebend.

Auf einen Wink von Euren Majestäten

Soll in den Saal sogleich ein Sänger treten,

Den ich aus fernem Lande herbeschied,

Zu feiern dieses Fest mit seinem Lied.

DER KÖNIG

Daß Ihr zum Fest den Sänger uns geladen,

Befestigt Euch in unsern höchsten Gnaden.

DIE KÖNIGIN.

Ihr setzet meinen Dank in Eure Schuld;

Nehmt diesen Ring als Zeichen meiner Huld.

MEPHISTOPHELES.

Das Lied wird gut, ich steh dafür;

Ihr klopftet an die rechte Tür.

 

Während der Minister den Ring auf seinen Knien empfängt, tritt Faust mit einer Gitarre ein.

 

FAUST singt zur Gitarre.

Griff die Leier hin und her,

Was ein Lied das beste wär,

Nirgends doch die grobe Hand

Feines Schmeichelverslein fand;

Pflücke nun vom nächsten Ast

Euch ein Sprüchlein, brings zu Gast:

Siecher Mann! hast keinen Leib,

Keine Seel, du blödes Weib!

Drum, du hocherlauchtes Paar,

Paßt zur Hochzeit auf ein Haar

Dir das Sprüchlein: Mann und Weib

Eine Seele und Ein Leib!

 

Alle erheben sich unwillig und drohend von der Tafel, Faust und Mephistopheles fahren zum Fenster hinaus; der Minister ist vor Wut und Schreck wahnsinnig geworden und heult, herumspringend und die Hände ringend, fort und fort:

 

Mann und Weib

Eine Seele und Ein Leib! –

 

Die Schmiede

 

Faust reitet hin im grauen Dämmerschein

Auf seinem Rappen, sinnend und allein.

Es zieht der Weg durch grüne Wogenfelder,

Durch Österreichs erhabne Eichenwälder.

Der Reiter folget ohne Wunsch und Wahl

Dem Weg bergüber und durch manches Tal.

Heiß war am Frühlingstag der Sonne Sengen,

Das Roß ist müde von des Weges Längen

Und von des Reiters feurigen Gedanken,

Die es gefühlt als Spornstich in den Flanken.

Jetzt duldet Faust dem Rosse seinen Willen,

Es lenkt an einen Bach, den Durst zu stillen.

Der Reiter läßt die losen Zügel sinken,

Das müde Roß am klaren Quelle trinken,

Und er gewahrt mit lächelndem Vergnügen,

Wie seinem Rappen in gedehnten Zügen

Die Flut behaglich rieselt durch die Zähne,

Und wie im Wasser badet seine Mähne.

Zum weitern Ritte faßt er drauf die Zügel,

Von ferne winkt ein Dorf am Waldeshügel. –

Die Dämmerung verliert sich tiefer immer

In stille Nacht, kein Mond, kein Sternenschimmer.

Bald hat das Roß, erquickt von seiner Labe,

Das Dorf erreicht im aufgefrischten Trabe.

Die Häuser decket schon ein trauter Friede,

Nur brennt noch frisch das Feuer in der Schmiede.

Die Eisenstange glüht in hellem Glanz,

Vom lauten Hammer springt der Funkentanz.

FAUST in die Schmiede tretend.

Ich grüß Euch, hämmernder Kumpan!

Ihr seid doch früh und spät geschoren.

Schlagt meinem Roß ein Eisen an,

Das auf dem Waldweg ging verloren!

MEISTER.

Seid schön gegrüßt, mein edler Gast!

Ja, wohl muß unser eines hämmern,

Wenn längst der Tag hat seine Rast,

Wie bei des Morgens frühstem Dämmern.

Doch sind wir fröhlich, schwing ich doch

Den Hammer für mein Weib und Kind,

Und ruht nun endlich das Gepoch,

Umfaßt ihr Arm mich lieb und lind.

Und meine rüstigen Gesellen

Erklopfen redlichen Gewinn

Und haben stets dabei im Sinn,

Sich auch ein Ehbett aufzustellen.

FAUST.

Ihr sollt den Rappen mir beschlagen,

Kam nicht nach Eurer Eh zu fragen.

Hemmt Eure rasche Plauderflut!

MEISTER.

Verzeiht, war Euch mein Wort zur Last.

Das Eisen liegt schon in der Glut,

Gleich wirds dem Hufe angepaßt.

Ich bin ein einfach plumper Schmied,

Der leicht die rechte Art versieht.

Hier aber tritt aus ihrer Stube

Mein Weib, das Euch begrüßen will;

Auf ihrem Arm mein jüngster Bube.

Nun bin ich gerne wieder still.

Der Anblick, Herr, Euch doch erzählt,

Daß mirs im Haus an Glück nicht fehlt.

SCHMIEDS FRAU.

Mein Herr, ich grüß Euch untertänig!

Verargt mir nicht, daß ich ein wenig

Will solchen seltnen Gast beachten

Und seine Kostbarkeit betrachten.

Die schwarze Feder am Barette!

Am Hals von Gold die schwere Kette!

Die unsers Bischofs ist geringer!

Viel Ring' an beiden Händen blitzen,

Gar edle Stein', Ihr habt ja sitzen

Schier Haus und Hof an jedem Finger!

FAUST.

Das Weib mit ihrem Kindelein,

Umglüht vom hellen Essenschein,

Gefällt mir wahrlich gar nicht übel;

Ich grüß Euch, Frau, und Euer Bübel!

MEISTER.

Hier, edler Herr, beschlag ich Euch

Das Roß, doch gönnt mir meine Bräuch,

Ich singe gern dazu das Lied

Von einem guten alten Schmied.

 

Er singt, indem er das Roß beschlägt.

 

Fein Rößlein, ich

Beschlage dich.

Sei frisch und fromm,

Und wieder komm!

 

Trag deinen Herrn

Stets treu dem Stern,

Der seiner Bahn

Hell glänzt voran!

 

Bergab, bergauf

Mach flinken Lauf;

Leicht wie die Luft

Durch Strom und Kluft!

 

Trag auf dem Ritt

Mit jedem Tritt

Den Reiter du

Dem Himmel zu.

 

Nun, Rößlein, ich

Beschlagen dich:

Sei frisch und fromm,

Und wieder komm!

FAUST.

Mein guter Schmied, wenn Euer Eisen

Nicht fester haftet an der Mähre,

Als Eure weise Sittenlehre,

So wirds nicht lange mit mir reisen.

MEISTER.

Ich meine, Herr, ein frommer Segen

Tat manchem gut auf seinen Wegen;

Da aber sei Gott gnädig vor,

Daß er an Euch die Kraft verlor!

FAUST.

Was Ihr da schwatzt von Gottesgnade,

Klingt meinen Ohren matt und fade.

Da, nehmt für Eure Müh den Lohn,

Führt vor mein Roß, ich will davon.

 

Reicht ihm ein Goldstück.

 

MEISTER.

Ihr habt was Guts in Euren Zügen,

Drum kann mich Euer Wort nicht trügen;

Doch seid Ihr bleich vom starken Ritte,

Und Eure Augen sehn verstört,

Ob Euer Innres heimlich litte,

Ihr scheint wahrhaftig krank; drum hört,

Bleibt diese Nacht in meinem Haus

Und schlaft Euch von dem Ritte aus,

Was not auch Eurem Pferde tut,

Ihr habts gejagt wohl müd und heiß,

Auf seinem Rücken steht der Schweiß,

Von seinen Weichen rinnt das Blut.

Herr, tretet in mein Zimmer ein,

Labt Euch an einem Becher Wein.

 

Zu seinem Weibe.

 

Geh, Lise, hol aus unserm Keller

Vom Gumpoldskirchner, von dem alten,

Und deck die zinnern blanken Teller,

Worauf der Bischof Mahl gehalten,

Als von der Jagd er eingekehrt

Bei mir mit vielen Edelleuten

Und mit dem Zuspruch mir geehrt

Mein niedres Haus auf ewige Zeiten.

FAUST.

Die Abendmahlzeit nehm ich an

Für mich und meinen guten Rappen;

Dann muß er wieder frisch die Bahn

Mit mir durch Nacht und Nebel tappen.

SCHMIEDS FRAU.

Erwartet nur das Morgengrau;

Was eilt Ihr doch so gar geschwind?

Ihr trachtet wohl zu Eurer Frau?

Habt Ihr daheim ein krankes Kind?

FAUST.

Ihr ärgert mich doch fort und fort

Mit Eurem gutgemeinten Wort.

So hatt ich einmal an der Rechten

'nen bösen Finger, und ein Tölpel kam,

Den seine plumpe Liebe übernahm,

In seine Arme mich zu flechten;

Er drückte mir in seiner Lieb

Die Rechte mit so zärtlicher Gewalt,

Daß ich die Linke hatt im Schmerz geballt

Und ihm die Nase blutig hieb.

Und wenn ihr nicht so überaus

Gutmütig lächelnd vor mir stündet,

So hätt ich euch schon längst das Haus

Ob euren dummen Köpfen angezündet.

MEISTER.

Verdammt! verflucht! was soll das heißen?

Das käm Euch wohl zu stehen teuer!

Mein Herr, ich würd Euch dort ins Feuer

Wie einen rostgen Nagel schmeißen!

FAUST.

Stellt Euch zufrieden, kommt zum Essen;

Will meine Macht an Euch nicht messen.

Reicht mir die Hand, seid wieder froh.

Schmied, Ihr gefielt mir besser so,

Wie Ihr im hellen Zorne strahltet,

Als da Ihr mit dem Bischof prahltet.

SCHMIED ihm die Hand reichend.

Nehmt nichts für ungut, edler Gast,

Ihr habt ein wenig hart gespaßt.

Sie haben sich gesetzt ans Abendmahl.

Die Wirtin dient mit freudigem Gesicht

Entschuldigend ein jegliches Gericht

Mit ihrer Kochkunst gar beschränkter Wahl;

Daß sie gefaßt auf solchen Gast nicht wäre,

Doch hoffe sie, der Gumpoldskirchner Wein,

Der wackre, werde noch der Retter sein

Von ihres Mannes gastfreundlicher Ehre.

Der Doktor läßt die Mahlzeit sich behagen;

Die brave Hausfrau hat in froher Hast

Ihm Speisen köstlich schmackhaft aufgetragen

Und drängt zu essen herzlich ihren Gast.

»Sie hat ein gut Gemüt, drum kocht sie gut,

Drum wird an ihrem Tisch mir froh zu Mut!«

– Spricht Faust – »Wir wollen ihr ein Vivat! bringen.«

Er schwingt den Becher mit dem goldig hellen

Bergwein: »Stoßt an, mein Schmied, und ihr Gesellen,

Die Wirtin lebe!« und die Gläser klingen.

»Ich habs erfahren oft auf meinen Reisen«

– Bemerkt nun Faust mit schwatzhaftem Vergnügen –

»Der Frauen Herz, voll rätselhaften Zügen,

Erprobt sich stets am Wohlschmack ihrer Speisen.

Wenn so ein gutes Weib kocht, brät und schürt

Und in den Topf den Wunsch des Herzens rührt,

Daß es den Gästen schmecke und gedeihe,

Das gibt den Speisen erst die rechte Weihe!« –

Darauf beginnt der Ritter zu erzählen

Von seinen Taten viel und Abenteuern,

Sie sehen ihn mit froh gespannten Seelen

Gen Riesen kämpfen und durch Meere steuern;

Prahlhaft gedenkt er manchen Schauderfalles

Aus seinen vielbewegten Lebensstunden,

Und manch ein Schwank wird augenblicks erfunden;

Die guten Leutchen aber glauben alles.

Wie strahlt der Wirtin freundliches Gesicht!

Nur manchmal wird ihr blühend Antlitz blässer,

Wenn Faust im Eifer das geschwungne Messer

Ins feine Tischtuch ihr zuweilen sticht;

Faust spricht, die Dulderin anlächelnd spöttisch:

»Oft schon ergetzte mich auf meiner Fahrt

Der guten Hausfraun wunderliche Art,

Daß sie am Tischzeug hangen fast abgöttisch,

Daß so ein Stich auf ihre weißen Linnen

Ins Herz sie trifft!« – Er stoßt die Messerspitze

Tief durchs geblümte Tuch, und aus der Ritze

Sehn alle schreckenbleich Blutstropfen rinnen.

»Seht, Frau, hier Euer häuslich Herzblut fließen;

Doch sollt Ihr mir nicht gar zu viel vergießen!«

Faust wollte sie nicht dauerhaft erschrecken;

Er läßt sogleich des blutgen Spukes Necken

Zusamt dem Ritz vom weißen Tuch verschwinden;

Es kann die Frau sich lang nicht wiederfinden.

Faust müht sich jetzt, mit seinen besten Schwänken

Ihr aus dem Sinne listig fortzuschwätzen

Des blutgen Fleckens schaurig Angedenken

Und sie mit Schmeicheleien zu ergetzen.

Streng blickend nimmt sie's hin vom fremden Reiter;

Den Schmied bekümmerts nicht, der ist zu heiter,

Der hat Vertraun sich eingeflößt im Weine,

Daß Faust nur scherzend spricht in Schmeichelworten,

Und wenn er mit den Reden ja was meine,

Daß sie anprellen an verschloßne Pforten.

Auch hat er völlig sich zurückgetrunken

In jenen Tag, des Glorie ihn umzieht,

Schon wieder ist der dankbar gute Schmied

In seinen lieben Bischof ganz versunken.

DER MEISTER.

Mein Herr, Ihr untersagtet mirs vergebens,

Hier wäre Schweigen Sünd, es muß heraus:

Es war die schönste Stunde meines Lebens,

Als einst Hochwürden traten in mein Haus.

Da lächelt Faust, er will nicht widersprechen,

Doch denkt er still und haltbar sich zu rächen,

Und er beginnt, wie spielend, die Buchstaben

Ins Zinn des Tellers unbemerkt zu graben:

Von diesem Teller ließ einmal,

Als mit Halloh! durch Berg und Tal

Die Jagd verklungen und verbraust,

Ein frommer Bischof sichs belieben,

Und heute tuts der Doktor Faust,

Der sich dem Teufel hat verschrieben.

 

Es wird ans Fenster geklopft.

 

FAUST hinaustretend.

Ich muß hinaus, es wird mein Diener sein,

Er wagt es nicht, zu treten frei herein.

MEPHISTOPHELES draußen zu Faust.

Mach schnell, mach schnell, versäume nicht dein Glück!

Das schöne Weib ging wieder in den Keller,

Solange du gekritzelt auf den Teller,

Nicht merkend ihren süßverstohlnen Blick.

Ich will indes den dummen Schmied

Und die besoffenen Gesellen

Mit einem lustgen Schelmenlied

Um eine Viertelstunde prellen.

Mach schnell, mach schnell, dem jungen Weib

Glüht schon vor Lust der süße Leib!

FAUST.

Du lügst, dies Weib ist nimmer zu verführen,

Die blickt nicht aus, die hält an ihren Schwüren;

So gern ich auch die frische Frucht genösse,

Ich wag es nicht, sie gab mir keine Blöße.

Die Sünd ist Spaß, doch kanns mein Stolz nicht tragen,

Von einem Weib zu werden abgeschlagen.

MEPHISTOPHELES indem er Faust gegen die Kellertüre zieht.

Gefährlich ist ein hübscher Kavalier,

Fein huldigend, den Frauen auf dem Lande,

Denn nicht begriffen wird in niedrem Stande

Und plump genossen ihre schönste Zier.

Die junge Wirtin tat nur, ob sie grollte,

Sie lugte auf den schönen fremden Ritter

Wohl öfter hin und länger, als sie sollte;

Die Weiberzucht hat mürb' und morsche Gitter.

Mach schnell, mach schnell, versäume nicht dein Glück,

Sie gab dir einen süßverstohlnen Blick!

Der heiße Faust verwünscht die Weibertreue,

Er schwankt noch immer zwischen Lust und Scheue,

Als nun die brave Wirtin mit den Krügen

Vom Keller kommt und schon von fern die vollen

Dem Gast zuschwingt mit schalkhaftem Vergnügen,

Nicht ahnend, was die fremden Männer wollen.

Sie mahnt den Ritter freundlich unbefangen:

»Eilt noch nicht fort, laßt Euch noch einmal füllen

Das Glas!

 

Auf Mephistopheles deutend.

 

Doch wer ist der um Gottes willen?«

Fragt sie erschrocken, mit verfärbten Wangen.

Faust gibt nicht Antwort, wie sich selbst entrückt,

Das Blut in seinen Adern stürmisch wallt,

Und seine ganze Flammenseele zückt

Auf ihre schöne, reizende Gestalt. –

Da klopft es an die Türe mit Gewimmer;

Scheu zögernd, mit zerrissenem Gewand,

Tritt eine blasse Bettlerin ins Zimmer,

Ein ausgehungert Kind an ihrer Hand.

Die Arme fleht in ihrer bittern Not

Fürs Kind und sich um einen Bissen Brot,

Man möchte doch in einem Winkel wo

Barmherzig ihnen streun ein Häuflein Stroh.

Da springt zu Faust sein Diener hin und schlägt

Ihn auf die Schulter derb: »Freund, aufgewacht!«

Und dreht ihn nach der Bettlerin und lacht,

Daß dröhnend sich das ganze Haus bewegt.

MEPHISTOPHELES.

Kennst du dein Hannchen noch aus jener Schenke

O wiederhole die verliebten Schwänke:

 

Nachspottend.

 

»Die mit den schwarzen Augen dort

Reißt mir die ganze Seele fort.

Ihr Aug mit lockender Gewalt

Ein Abgrund tiefer Wonne strahlt!«

Jetzt ist es hohl und leer an Wonnen,

Ein ausgepumpter Tränenbronnen.

»'s muß unermeßlich süße Lust sein,

An diese Lippen sich zu schließen,

Die schmachtend schwellen, dem Bewußtsein

Zwei wollustweiche Sterbekissen!«

Die Lippen, welk, nach Brot nur schmachten

Und betteln um ein Übernachten.

Du sahst »die Brüste ringend bangen

In selig flutendem Verlangen!«

Und siehst sie jetzo niederhangen;

Die Arme hat an diesen Brüsten

Dein Kind, gezeugt in tollen Lüsten,

Und ihren Jammer auferzogen,

Die haben sie so ausgesogen.

Willst um den Leib, den hungerschlanken,

Doch noch »entzückt herum dich ranken?«

 

Immer spottender.

 

»Ha, wie die langen schwarzen Locken

Voll Ungeduld den Zwang besiegen

Und um den Hals geschwungen fliegen,

Der Wollust rasche Sturmesglocken!«

Jetzt hangen träg die ungekämmten Haare,

Als lägen sie schon lieber auf der Bahre.

Greif zu! greif zu! bist sonst kein Kostverächter!

 

Und wieder schallt sein höhnisches Gelächter.

 

Faust wird todblaß, es zittert seine Seele

Vom ungeheuren Wechsel dieser Stunde;

Der Reue Schmerz schnürt heftig ihm die Kehle,

Er bringt kein Wort aus stummbewegtem Munde.

Lang stand er so; doch, plötzlich nun gefaßt,

Reicht er der Bettlerin mit Krampfeshast

Die Börse Gold, abwendend sein Gesicht.

Sie heftig aus in lautes Weinen bricht,

Zeigt ihm sein Kind mit schrecklicher Gebärde

Und wirft die Börse klirrend auf die Erde.

»Du mußt mich führen heut noch zum Altar!«

So ruft sie schmerzverwirrt und rauft das Haar.

Da stürzte Faust hinaus und auf sein Roß,

Das sturmgeschwind mit ihm von dannen braust,

Und hinterher mit ihrem Kinde schoß

Die Bettlerin, nachrufend: »Faust! Faust!«

Sie hat ihn bald in dunkler Nacht verloren;

Er aber kann, wie er auch stürmt und flieht,

Den bangen Ruf nicht schütteln aus den Ohren,

Und überall ihr Bild sein Auge sieht.

Es treibt ihn fort, trotz seiner Seelenbängnis,

Stets tiefer in die Sünde sein Verhängnis.

 

Der nächtliche Zug

 

Am Himmel schwere dunkle Wolken hangen

Und harrend schon zum Walde niederlauschen.

Tiefnacht; doch weht ein süßes Frühlingsbangen

Im Wald, ein warmes, seelenvolles Rauschen.

Die blütentrunknen Lüfte schwinden, schwellen,

Und hörbar rieseln alle Lebensquellen.

O Nachtigall, du teure, rufe, singe!

Dein Wonnelied ein jedes Blatt durchdringe!

Du willst des Frühlings flüchtige Gestalten

Auch nachts in Lieb und Sehnsucht wach erhalten,

Daß sie, solang die holden Stunden säumen,

Vom Glücke nichts verschlafen und verträumen.

Faust aber reitet fürder durch die Nacht

Und hat im düstern Unmut nimmer acht

Der wunderbar bewegten Frühlingsstimmen.

Er läßt nunmehr sein Roß gelassen schlendern

Den Weg dahin an frischen Waldesrändern.

Leuchtkäfer nur, die hin und wieder glimmen,

Bedämmern ihm die Pfade manchesmal,

Und selten ein verlorner Sternenstrahl.

Je tiefer ihn die Bahn waldeinwärts führt,

Je stiller wirds, und ferner stets verhallen

Der Bäche Lauf, das Lied der Nachtigallen,

Der Wind stets leiser an den Zweigen rührt.

Was leuchtet dort so hell zum Wald herein,

Daß Busch und Himmel glühn in Purpurschein?

Was singt so mild in feierlichen Tönen,

Als wollt es jedes Erdenleid versöhnen?

Das ferne, dunkle, sehnsuchtsvolle Lied

Weht süßerschütternd durch die stille Luft.

Wie einem Gläubigen, der an der Gruft

Von seinen Lieben weinend, betend kniet,

In seine hoffnungsmilden Schmerzensträume

Hinter den Gräbern flüstern die Gesänge

Der Seligen: so säuseln diese Klänge

Wohllautend durch die aufhorchsamen Bäume.

Faust hält sein Roß und lauscht gespannter Sinne,

Ob nicht der helle Schein und Klang zerrinne

Vor Blick und Ohr, ein träumerischer Trug?

Doch kommts heran, ein feierlicher Zug.

Da scheucht es ihn, ins Dunkel hoher Eichen

Seitab des Wegs mit seinem Roß zu weichen,

Und abzuschreiten zwingt unwiderstehlich

Der Zug ihn jetzt, der näher wallt allmählich.

Mit Fackellichtern wandelt Paar an Paar,

In weißen Kleidern, eine Kinderschar,

Zur heilig nächtlichen Johannisfeier,

In zarten Händen Blumenkränze tragend;

Jungfrauen dann, im ernsten Nonnenschleier

Freudvoll dem süßen Erdenglück entsagend;

Mit Kreuzen dann, im dunkeln Ordensrocke,

Ziehn priesterliche Greise, streng gereiht,

Gesenkten Hauptes, und in Bart und Locke

Den weißen Morgenreif der Ewigkeit.

Sie schreiten singend fort die Waldesbahnen.

Horch! wie in hellen Kinderstimmen singt

Die Lebensahnung, und zusammenklingt

Mit greiser Stimmen tiefem Todesahnen!

Horch, Faust, wie ernster Tod und heitres Leben,

In Gott verloren, hier so schön verschweben!

Er starrt hervor aus dunklem Buschesgitter,

Die Frommen um ihr Glück beneidend bitter.

Als sie vorüber, und der letzte Ton

Des immer fernern, leisern Lieds entflohn,

Und als der fernen Fackeln letzter Schein

Den Wald noch einmal zauberhell verklärt

Und nun dahin am Laube zitternd fährt,

Als Faust im Finstern wieder steht allein:

Da faßt er fest und wild sein treues Roß

Und drückt das Antlitz tief in seine Mähnen

Und weint an seinem Halse heiße Tränen,

Wie er noch nie so bitter sie vergoß.

 

Der See

 

An Klostermauern, alten, einsam düstern,

Ist weit ein stiller See hinausgegossen;

Am Saume Eins und Weide heimlich flüstern,

Und sanftgewiegte Wasserblumen sprossen.

Hell scheint der Mond, es spielen, leisen Bebens,

Die Strahlen lieblich auf dem tiefen See,

Wie über den Geheimnissen des Lebens

Und seiner Tiefe ungeahntem Weh

Die Kinderseelen lieblich zitternd spielen,

Die rein und klar vom Himmel niederfielen.

Am Ufer wandelt Faust und sein Gefährte,

Der heute unvermerkt den Abendgang

Zu diesem See, zu diesem Kloster kehrte.

Nun stehn sie still und beide schweigen lang.

Versenkt ist auch die Nacht in ernstes Schweigen,

Man hört es, wenn im Klostergarten sacht

Ein frühgewelktes Blatt entfällt den Zweigen,

Wenn auf dem See ein Lüftchen halb erwacht.

Seltsame Töne aus dem Schilfe dringen

Und manchesmal das Schweigen unterbrechen;

Die Vögel dort von Wanderzügen sprechen

Im Traum und regen sehnsuchtsvoll die Schwingen

Zum See hinstarrend, hat sich Faust verloren

In stummes Trauern, daß er ward geboren.

MEPHISTOPHELES.

Blick auf die Mauern dort, sind Altbekannte;

Vor ihnen ist dein schmachtend Lied erklungen,

Woran die schöne Nonne heiß entbrannte,

Sie hast du damals feurig übersprungen.

Dort ragt der Baum, wo ihr so wonnig saßet

Und euch in süßer Trunkenheit vergaßet,

Der Baum, der eure Küsse überrauschte,

Wenn euch ein Ohr in jener Nacht belauschte.

Blick auf den Mond, es ist derselbe noch,

Er stand, wie jetzt, genau so voll, so hoch;

Nur daß er damals eurem Glutverlangen

Und heute eurem Kummer aufgegangen.

Der Mond, der deinem Auge strahlt so helle,

Dringt auch der Nonne mahnend in die Zelle.

FAUST.

Wirst mir zuwider und verhaßt;

Du wirst mir immer mehr zur Last.

MEPHISTOPHELES.

Verhaßt? das kümmert mich mit nichten,

Du kannst es ohne mich nicht richten;

Bin doch für dich von großem Reize,

Denn deine kranke Seele braucht,

Daß nicht ein Seufzer sie verhaucht,

Zur Stärkung meine scharfe Beize.

So sprach der böse Führer; plötzlich sprang

Er in den See hinab, der ihn verschlang;

Nach kurzer Weile taucht' er jetzt empor,

Und was er hat heraufgeholt vom Grund,

Streckt seine Hand den Blicken Faustens vor:

»Das ist aus jenen Zeiten noch ein Fund!«

Da schimmern schreckhaft hell im Mondenscheine

Von einem Kind die nassen Totenbeine.

 

Maria

 

Wie Silberglocken am Marienfeste

Versenden ihren reinen, hellen Klang,

Durch Stadt und Flur und stillen Waldeshang

Weithin geführt vom sanftbewegten Weste:

So drang der Ruf zur Ferne hell und rein,

Und seinem Wohlklang jedes Herz entbrannte,

Wenn er Marie, die Königstochter, nannte,

Der Tugend und der Schönheit Morgenschein.

Vergebens war manch Dichterherz entglüht,

Zu schildern durch begeisterte Gesänge

Der jungfräulichen Reize hold Gedränge,

Das um den schönen Leib Marias blüht;

Vergebens preist sein bettelhaft Geklimper,

Wie tief dies Auge mit der Schattenwimper

In süße Einsamkeit das Herz entreißt

Und alle Welt umher vergessen heißt;

Wie diese Rosenlippen sich erschließen,

In jedem Wort ein holdes Lied vergießen:

So läßt der Lenz aus frischen Rosenröten

Der Nachtigallen Zauberlieder flöten;

Wie diese sanftgehauchte Jugendglut,

Ein Traum von Rosen, auf den Wangen ruht,

Vom Morgenrot ein fernes Widerscheinen,

Das einst gestrahlt den Paradieseshainen.

Sie ist so schön, die schönste der Jungfrauen,

Daß man sie nicht kann ohne Schmerz betrachten,

Denn zitternd spricht das Herz mit bangem Grauen:

Nach dir muß selbst der Tod, der kalte, schmachten! –

O schwelge noch in ihrem Anblick, Welt,

Solange dieser flüchtge Zauber hält!

Berauschet euch in ihrem Odem, Lüfte!

Verhaucht, beglückte Blumen, eure Düfte!

O eilet schneller aus den Himmelsfernen

Herüber, goldne Strahlen von den Sternen,

Und strömet eure Küsse auf sie nieder,

So holde Jungfrau findet ihr nicht wieder.

 

Der Maler

 

Einsam die hohe Königsvilla stand

Und ragt' ins Meer vom steilen Felsenstrand.

Zypressenhaine und Orangenwälder,

Die schattend sich an ihr landeinwärts dehnen,

Erwecken oft dem Seemann heimlich Sehnen,

Schifft er dahin die wüsten Wogenfelder. –

Es ruht auf Land und Meer ein schwüler Tag,

Es reget sich kein Blatt, kein Wellenschlag;

Doch abends kommt ein schwarz Gewölk gezogen,

Der Sturm erwacht und wühlet in den Wogen.

Am offnen Fenster lehnt im Sommerhaus

Maria, blickend in das Meer hinaus.

Sie sieht der Sonne letzte Gluten schwinden,

Sie überläßt ihr blondes Haar den Winden,

Die freudig mit der Lockenbeute schwanken,

Und ihre Seele sinnigen Gedanken.

Und Faust, in stummer Wonnetrunkenheit,

Die holde Königstochter konterfeit.

Er ist ein Meister in der Kunst der Farben,

Sein Ruhm und sein Bemühn die Gunst erwarben,

Dem Könige Marias Bild zu malen,

Eh sie verglühn, der Schönheit Morgenstrahlen.

Er ist zur höchsten Stelle hier gedrungen,

Die je ein kühner Maler noch erschwungen:

Marien gegenüber, stundenlang!

Die wunderbaren Züge zu erfassen

Und seine Seele frei zu überlassen

In tiefer Schönheit ihrem Untergang! –

Ein schönes Bild! die Reize ohne Namen

Umschließt des Fensters luftger Bogenrahmen;

Das wilde Meer, die Wetterwolken tragen

Die Lichtgestalt als dunkler Hintergrund. –

Faust wollt ein lustig Abenteuer wagen

Und schaute hier das Herz sich todeswund.

Er hat manch Weib genossen und verlacht;

Hier aber soll er schmerzlich inne werden:

Der wahren Frauenschönheit holder Macht

Kann widerstehen keine Macht auf Erden. –

Ein schönes Bild! wie sanft und lieblich ruht

Mariens Antlitz auf der dunklen Flut;

Ha! wie, berauscht, die aufruhrsvollen Wellen

Um ihren weißen, warmen Busen schwellen

Und höher stets an ihrem Nacken steigen,

Sie mitzureißen in den wilden Reigen!

Ihr goldnes Haar auf schwarzen Wolken wallt,

Die Blitze flammen aus den Wetternächten

Und flattern um die göttliche Gestalt,

Ein Strahlendiadem um sie zu flechten. –

Je mehr nun Faust des Bildes Farbentrug

Zu wunderbarem Leben sieht erwarmen,

Je heftiger ergreift sein Herz der Zug,

Entzückt das süße Urbild zu umarmen.

Doch, wie auch flammt des Wunsches Leidenschaft,

Die Ehrfurcht hält ihn fest in scheuer Haft.

O Frauenschönheit! Vieles ist zu preisen

An dir, in ewig unerschöpften Weisen;

Das ist dein Schönstes: daß in deiner Nähe

Auch wilde Sünderherzen weicher schlagen,

Daß ein Gefühl sie faßt mit dunklem Wehe

Aus ihrer Unschuld längst verlornen Tagen.

Mag auch des Sünders Herz zur Lust entflammen,

Wenn er in deine Zauberfülle blickt,

Doch sieht er auch dein Ewiges und schrickt

An dir, du Himmelsabgrund! scheu zusammen.

 

Die Warnung

 

Herzog Hubert reitet durch einen Wald zur Villa.

 

MEPHISTOPHELES ihm entgegenreitend.

Ihr reitet recht behaglich sacht;

Nichts kann befeuern Euren Trott,

Nicht Hahnreischaft, nicht Wetternacht,

Nicht nasse Haut und Bubenspott!

HERZOG.

Wer bist du, frecher, grauser Wicht,

Mit diesem Teufelsangesicht?

MEPHISTOPHELES.

Ich bin, was meine Miene spricht.

Nur recht mir ins Gesicht geschaut,

Wenn auch dem Herrn ein wenig graut,

Ihr seht so feinen Kopf nicht mehr.

Betrachtet diese Stirnenfalte,

Da diese finstre, tiefe, kalte,

Von einem Aug zum andern quer.

Einst kam ein Mathematikus,

Ein scharfer Ritter Minusplus,

Der schlaue Bursch fixierte mich

Und nannte diesen Faltenstrich

Das Minuszeichen alles Guten,

Vom Kreuze Plus das Gegenteil,

Wobei er dacht ans Christenheil.

Doch, edler Herr, Ihr müßt Euch sputen;

Derweil Ihr mein Gesicht studiert,

Studiert ein andrer ganz vertraut

Die Züge Eurer schönen Braut.

Macht fort, eh sie den Kranz verliert!

 

Er sprengt davon.

 

DER HERZOG.

Du lügst, du lügst, es kann nicht sein!

Maria ist getreu und rein.

Doch sterben soll auf frischer Tat.

Wer meiner Braut sich frech genaht!

 

Der Mord

 

Die königliche Villa.

Prinzessin Maria, ihre Zofe, Faust, später Herzog Huber.

 

FAUST.

Das Bild ist fertig, und, ich glaube,

Mir ist gelungen zur Genüge,

Zu fesseln Eure holden Züge

In meiner Blicke stillem Raube.

 

Das Bild betrachtend.

 

Wie dieses sanfte, schöne Bild

Auf wildem Meeresgrunde ruht,

So ruht es ewig, klar und mild,

Auf meines Herzens wilder Flut.

PRINZESSIN.

Es mag dem Künstler widerfahren,

Hat er ein Bild mit Fleiß vollbracht,

Daß ein Erinnern oft nach Jahren

An dessen Züge ihm erwacht.

ZOFE.

Das, gnädige Gebieterin,

Bleibt Eurem Maler als Gewinn,

Der Eure Schönheit Zug für Zug

So wahr lebendig übertrug,

Daß sich das Bild ihm ungebeten

Im Angedenken wird verspäten.

FAUST.

Hell flammt in diesem Augenblick

Mir auf mein ganzes Mißgeschick.

Was ich bis jetzo nicht gekannt,

Hat mich allmächtig übermannt.

O lächelt, holde Königstochter,

Herab voll Mitleid auf mein Weh,

Der ich vor Euch, ein Unterjochter,

In meiner bittern Armut steh;

Wenn Ihr mein glühend Herz verstoßt,

Bleibt mir auch nicht der karge Trost,

Daß ich mit einem stolzen Leide

Von Eurem lieben Antlitz scheide,

Daß ich auf meinem Trauerwege

Euch doch ein Opfer noch geweiht,

Entsagend, meine Seligkeit

Auf Eure Schwelle niederlege:

Hab keine zu verlieren mehr,

Das drückt das Herz mir doppelt schwer.

Doch, blick ich wieder Euch ins Angesicht,

So hat die Hölle, der ich zugeschworen,

Mit einmal ihre Macht an mir verloren,

Mir strahlt ein wunderbares Hoffnungslicht.

O nein! ich kann, ich will Euch nicht entsagen,

Ich wills noch einmal mit dem Himmel wagen!

PRINZESSIN.

Verlasset mich, unheimlich bang

Wird mir vor Eurem ungestümen Drang,

Kann Eure dunklen Worte nicht verstehen;

Doch ruht auf Eurer Stirne tiefes Trauern,

Das mich bewegt zu innigem Bedauern,

Lebt wohl! ich will Euch nimmer wieder sehen.

FAUST auf die Knie fallend.

Ach, nur ein leises Wort, ein Hauch, ein Blick,

– Und wär es nur ein mitleidsvoller Trug, –

Daß du mich liebst, es ist genug, genug,

Auf immer zu verwandeln mein Geschick.

Mag dann der Hölle tiefes Qualenmeer

Mit seinen Wogen rauschen um mich her,

Ich werde nicht darin zu Grunde gehn,

Mir wird aus deinem holden Liebeszeichen

Ein ewig grünes Eiland auferstehn,

Verzweifelnd muß die Hölle rückwärts weichen;

Vergebens werden dann Erinnerungen

Aus meinen wüsten, schuldgetrübten Tagen

Ans heilige Ufer meiner Liebe schlagen,

Ich bin gerettet, hab ich dich errungen!

HERZOG HUBERT hereinstürzend.

Erstick in deinem frechen Übermut!

Verdirb, verdirb, schamloses Sklavenblut!

Nach einer Königstochter, Fürstenbraut

Hast du den Blick zu heben dich getraut?

Streckst du, ein unerhört verwegner Buhle,

Die Arme auf aus deinem Pöbelpfuhle?

 

Zur Prinzessin.

 

Laß ich ihn auch zu deinen Füßen sterben,

Du bist beschimpfet durch sein schnöd Bewerben.

Der Seufzer, den nach dir gesandt sein Lieben,

Ist giftger Hauch vom Sumpf emporgetrieben;

Sein Blick, der frech nach deinen Reizen schmachtet,

Ein Irrwisch faul, der zu den Sternen trachtet.

Es ist dein Bild besudelt und entehrt,

Das er in seinem tollen Hirne nährt,

Das ihm vielleicht im Traum Erhörung lacht,

Mit ihm sich wälzt auf seinem Bett bei Nacht!

Könnt ich in ihm erwürgen, süße Braut,

Dein Bild, eh ihn mein Schwert in Stücke haut!

Doch nein! mein Fürstenschwert sei nicht verdammt

An diesem Knecht zu niederm Schergenamt. –

Faust steht dem Prinzen gegenüber, schweigt,

Sein Blut aufkochend zu Gesichte steigt,

Empöret von der Lästrung Sturmeshauch;

Aus seinen schwarzen Stirnenlocken droht

Die hochgeschwellte Zornesader Tod,

Wie eine Schlange droht aus dunklem Strauch.

Er schüttelt wild und stolz sein zürnend Haupt,

Er knirscht die Zähne und sein Odem schnaubt,

Die Augen glühn im heißen Rachedürsten

Erstarrte Blitze auf den stolzen Fürsten:

Er zückt sein Schwert zum ungeheuren Streiche,

Und – nimmer lästert ihn des Fürsten Leiche.

Maria starr und bleich zu Boden liegt,

Vor Schreck sind Puls und Odem ihr versiegt.

Die Zofe ist entflohn; – des Prinzen Glut

Hat sich nun abgelöscht in seinem Blut. –

Wie ist es nun so still mit einem Mal,

Wo erst der Zorn gebraust, im weiten Saal!

Faust steht und starrt die Leiche finster an,

Und draußen steigt des Sturmes laute Wut,

Es rauscht der Wald, es knarrt der Wetterhahn,

Und an die Klippen stürzt die Meeresflut;

Vorbei am Fenster schießen mit Geschrille

Die Möwen, und die Donner schlagen ein:

Doch mag, o Faust, das Schrecklichste dir sein

Der Tote da, mit seiner tiefen Stille.

MEPHISTOPHELES plötzlich hinter Faust stehend.

Mir ist, dich hört ich einst im Walde sagen:

»Ich habe diese Liebe nie gekannt,

Fürs Erdenweib war nie mein Herz entbrannt«;

Hier aber hast du einen drum erschlagen.

Du bist doch deshalb treulos nicht geworden

Der »Liebe für die Wahrheit, die dein Schmerz«?

Und wärst du's auch, und hätt ein bißchen Morden

Schon für die Wahrheit abgekühlt dein Herz;

Sie gibt darum dich nimmer doch verloren;

Dein Sehnen hat sie nicht umsonst beschworen;

Und wolltest du nun aus dem Weg ihr eilen,

Sie stellt dir nach, darauf sei nun gefaßt.

Verschmähte alte Liebschaft wird zuweilen

Zudringlich, lieber Freund, und sehr zur Last.

Die Wahrheit steht an dieser Leich und schaut

Ins Antlitz dir: sei Mann und nicht erbebe,

Kühn ihren blutbesprengten Schleier hebe,

Und ihre leise Lippe dir vertraut,

Daß, wer ein Bündnis mit der Hölle schlingt,

Den Menschen Fluch mit seiner Liebe bringt.

FAUST.

Marien hab ich leider! Fluch gebracht.

O wenn sie doch ins Leben nur erwacht!

MEPHISTOPHELES.

Das findet sich; doch möcht ich eben

Nicht Zeuge sein, wenn sie erwacht ins Leben.

Hier ists langweilig, Freund, komm fort,

Eh da im Blut dein heller Mut verrostet.

Was dir an Freuden hegte dieser Ort,

Das hast du, mein ich, ziemlich ausgekostet.

FAUST.

Komm fort, komm fort, Maria muß mich hassen;

Doch kann ich nicht zurück ihr Bildnis lassen.

 

Die Diener des Hauses pochen an die von Mephistopheles verschlossene Tür.

 

MEPHISTOPHELES.

Das Bildnis kriegst du nimmermehr, fürwahr!

Ich reiße lieber ein Marienbild,

Zehnfach geweiht, und wundergnadenmild,

Dir eigenhändig wo vom Hochaltar,

Eh ich gedulden mag die Raserei

Daß du dich schleppst mit diesem Konterfei.

FAUST.

Steh ich vor dir, dein Werk, ein Mörder auch,

Und neigt sichs tief mit mir bereits; doch spricht

Noch meines guten Geistes Sterbehauch:

Bewahre dir dies Himmelsangesicht!

Und Faust ergreift das Bild mit heißer Hast,

Der Teufel hats am andern End gefaßt;

Sie ringen mit dem Bilde hin und her,

Laut zankend, bis der Teufel es erzwingt

Und es mit wildem Hohngelächter schwingt

Hinaus zum Fenster und hinab ins Meer. –

Die Diener an die Tür stets lauter pochen,

Und stürmend kommen sie hereingebrochen.

Entsetzenstarr die Königswach erschaut

Den Fürsten hingestreckt und seine Braut.

Sie dringen auf die Fremden, sie zu fassen:

Die trotzen, unerschütterlich gelassen,

Den vorgedrohten Hellebardenspitzen;

Der Böse läßt nur einen Augenblick

Die Höll in seine dunklen Züge blitzen,

Und die Trabanten stürzen bleich zurück.

Nun schauen sie, verblüfft und überwunden,

Den Fremden nach, die schnell waldein geschwunden.

 

Der Abendgang

 

Tiefschweigend ruhn die Alpenwiesenhänge,

Die Blume schließt den Tau in ihren Schoß

Und freut sich still an ihrem Frühlingslos;

Die Vögel sinnen schweigend auf Gesänge.

Fern unten tönt im Tal ein leiser Bronnen,

Als träumte dem Gebirg von einem Quell;

Es glüht im Abendscheine purpurhell

Der Wald, verloren in sprachlose Wonnen.

Wie freudesinnend steht die Lämmerherde,

Vergessend nun das frische Alpenkraut;

Still hält der lichte Wolkenzug und schaut

Herunter nach der schönen Frühlingserde.

Nur manchesmal die blühenden Gestalten

Der Bäume selig rauschend sich verneigen,

Ein Windhauch, überschwellend, bricht das Schweigen,

Wie Wonneseufzer nimmer festzuhalten. –

Doch unerfreut von Gottes Lenzgeschenken,

Irrt Faust umher durch Felsen, Wies und Hain,

Von der Natur geächtet, und allein

Mit seines Mordes bittrem Angedenken.

Natur, die Freundin, ist ihm fremd geworden,

Hat sich ihm abgewendet und verschlossen;

Er ist von jeder Blüte kalt verstoßen,

Denn jede Blüte spricht: du sollst nicht morden.

Der frische Wald, die grünen Lämmerweiden,

Der Friede, der auf allen Bergen ruht,

Und drüber hell der Wolken Freudenglut:

Das alles muß ins kranke Herz ihm schneiden.

Doch wecket ihm der Seele bangste Qual

Der ferne Bach tief unten in dem Tal.

Die Wasserstimme, leise klagend, scheint

Ihm seine Unschuld, die von ferne weint.

Doch ist der Mann zu stolz, um solche Wehen

Dem eignen Herzen gerne zu gestehen.

Er läßt die düstern Blicke zürnend rollen,

Und er beginnt mit der Natur zu grollen:

Wie blöde Kinder ihrem Vater lauschen,

Wenn Märchen bunt von seinen Lippen rauschen,

So horchet ihr, Fels, Wolke, Blum und Baum,

Dem Märchen froh in eurem Kindestraum,

Das euch ein Gott erzählt von seiner Liebe,

Indes der Tod euch trifft mit scharfem Hiebe.

Was laß ich, Tor, an meinem Herzen nagen

Den Vorwurf noch, daß jenen ich erschlagen?

Ist nicht der Mord das alte Weltgebot?

Und gibt es ohne Mörder einen Tod?

Mag mir das Herz des Feindes Stahl durchstechen,

Mag mir den Leib Naturgewalt zerbrechen,

Mag diesen Leib an spätem Lebenstag

Selbstmörderische Trägheit überkommen,

Daß er zu seinem eignen Nutz und Frommen,

Sich selber treulos, sich nicht rühren mag: –

Wie auch das Leben aus dem Herzen floh,

All eins, ich bin gemordet so, und so.

Doch faßt es wieder mich mit herber Pein,

Als könne morden nur der Mensch allein.

MEPHISTOPHELES zwischen den Bäumen hervortretend.

Ja, ja, es mordet, das ist wahr,

Der Mensch allein, und jeder zwar;

Denn, schau dich um, wo findst du einen

So frommen und unmäßig reinen,

Der niemand haßt auf weiter Erden?

Er haßt, und gibt er auch dem Feind

Nicht zu verstehen, wie ers meint,

Frei, mit totschlagenden Gebärden;

Im Herzen doch der Wunsch ihm keimt:

O, wäre der hinweggeräumt!

Im Herzen aber, glaube mir,

Dort hat der Mord sein Standquartier;

Und wagt er sich hervor einmal

Aus dem geheimen Schattental

Verbotner süßer Lustgedanken,

Die flüsternd euer Herz umranken,

Hat er den Mut hinaus zu reisen

Vom Busen in die Faust, ins Eisen:

So hat ihn nur ans Licht beschworen

Der Grimm; er ward nicht erst geboren.

Freund, was dir so zu Kopfe geht,

Und was dich brennt mit scharfer Pein,

War von dir einzig und allein

Ein Fehler der Genußdiät!

Du solltest brauchen das Gewissen,

Damit zu würzen das Genießen;

Hast zu viel Würze nur genommen,

Nun bist du dämisch und beklommen.

FAUST.

Wohl gerne glaubt ich deinem Wort,

Doch rauscht die Luft und weht es fort;

Es sprechen diese Bäume drein,

Die Häupter schüttelnd: nein, o nein!

Ganz andre Worte bringt der Wind

Vom Bache dort heraufgetragen,

Ich hör es leise, ferne klagen

Und möchte weinen wie ein Kind.

Wär ich ein Lamm aus jener Schar!

Die Wolke dort, so licht und klar!

Wär ich ein Baum, ein Halm, ein Stein!

Doch wie sie alle rein! doch rein! –

O Wolke dort im Untergang!

Ich segne dir dein Wandelspiel,

Von dem ein Trost ins Herz mir fiel,

So hoffnungsfroh, so sehnsuchtsbang:

Du, Wolke, zeigest meinem Blick

Vielleicht prophetisch mein Geschick.

Erst hast du hell und klar geblüht,

Vom Sonnenstrahle überglüht; –

Dann wardst du schwarz, es ließ der Schein

Versunkner Sonne dich allein; –

Und nun zerfließet und vergeht

Dein Bild, vom Abendhauch verweht!

Mir ist ein Trost die Hoffnung nur,

Daß einst, im kühlen Abendhauch,

Vergehn wird meine Seele auch,

Ein finstres Traumbild der Natur.

Da unten winkt die dunkle Tiefe,

Wo ich vielleicht gesichert schliefe,

Und unerreicht von meinem Dränger,

Der mich verfolget immer bänger.

Der Seele Frieden ist dahin,

Ich kann der Reue nicht entfliehn;

Verschließ ich mich in meine Kammer,

Fühl ich am Herzen ihre Klammer;

Flücht ich heraus zu diesen Eichen,

Seh ich sie lauernd nach mir schleichen.

Der Bäume kalte Strafgesichter

Umtrotzen mich wie meine Richter.

Der Frühling ist der Flur erschienen,

Um seine vollen Lebensfreuden

An Berg' und Tale zu vergeuden,

Doch mir mit fremd verstörten Mienen.

Ich bin allein vom Lenz verstoßen;

Indem er täglich neue Sprossen

Vom Winterschlafe zieht empor,

Zählt er dem Mörder langsam vor,

Und bitter quälend, Stück für Stück,

Das schöne, süße Erdenglück,

Das dem Erschlagnen ich geraubt,

Und jede Blüte trifft mein Haupt.

Ich fluche dir, der fort mich riß

In seine grause Finsternis

Aus meiner Unschuld Heiligtum!

MEPHISTOPHELES.

Ein lustiges Delirium!

Dem Teufel fluchen, das verdreht

In Gottes Ohr sich zum Gebet?

Ich aber mein, es ist zu spät.

Da seh ich einen Narren leiden,

Weil Blumen ihm Gesichter schneiden;

Und weil im Tal die Wasser lärmen,

Beginnt der weiche Mann zu schwärmen.

Das aber ist die feigste Richtung,

Daß du dich sehnest nach Vernichtung.

Die Wolke soll dirs schmeichelnd malen,

Daß du die Zech nicht darfst bezahlen? –

Warum denn immer auswärts gaffen,

Statt sich im Innern aufzuraffen?

Was kann dich kümmern die Natur

Und ihre Frühlingskreatur?

Ist solcher Tor wohl auch ein Mann,

Den eine Blume kränken kann?

 

Ironisch.

 

Du kennst die Art der Domestiken,

Die dir dienstbare Grüße nicken

Und huldigen zum Überfluß,

Solang du stehst auf Freundesfuß

Mit ihrem Herrn; beleidige den,

So ists um ihren Gruß geschehn;

Sie müssen dem Gebieter dienen

Und treten stolz dir nun entgegen.

Drum sei dir an den bösen Mienen

Des Lenzgesindels nichts gelegen. –

 

Treuherzig.

 

Doch das ist Scherz; ob die Natur

Dir freundlich scheint und wohlgewogen,

Ob feindlich grollend, beides nur

Hast du in sie hineingelogen.

 

Er zieht einen Krug hervor.

 

Tu mir Bescheid aus diesem Krug,

Ich füllt ihn eben zu Tokay

Mit Lust und süßer Raserei;

Dein Geist bedarf wohl neuen Flug.

FAUST trinkt.

Der Wein ist gut; – er macht das Mark

Mir in den Knochen frisch und stark.

MEPHISTOPHELES.

Es lief der Mensch in grauen Tagen,

Wie uns berichten manche Sagen,

Zu Mahom, Christ und Zoroaster,

Zu holen sich ein Wunderpflaster

Für seine alte Erdennot,

Den Zweifel und den bittern Tod.

Mehr als Prophet und Messiade

Half ihm des milden Zufalls Gnade,

Der seine Angst gelehrt zu pressen

Aus Trauben sich ein süß Vergessen.

FAUST.

Vortrefflich schmeckt der edle Wein!

Komm, schenke mir noch weiter ein!

Er hat den Sinn mir aufgehellt,

Mich wieder auf mich selbst gestellt.

MEPHISTOPHELES.

Es gab der Wein schon manchen frei

Aus alten Wahnes Gängelei.

Oft wenn die Gläser lustig schollen,

Mußt Christus sich von dannen trollen;

Drum ist ein Wein im wälschen Land

Lacryma Christi zubenannt.

Freund! neuen Flug bedarf dein Mut,

Nimm hin und trink, das ist mein Blut!

 

Scherzend.

 

Komm, Faustule, wir wollen singen

Und uns an deinen Feinden rächen;

Wir wollen diese Berge zwingen,

Daß sie das fromme Schweigen brechen,

In unser Lied als Chorus fallen

Und unsre Weisen widerhallen.

(Er jauchzt in die Berge)

Ruf du nur einmal zum Versuch

Hinüber einen wackern Fluch.

FAUST ruft, den Krug schwingend, in die Berge.

Dem Teufel hab ich mich ergeben,

Den Teufel lieb ich, er soll leben!

MEPHISTOPHELES scherzend.

Hörst du sie dort herüberschreien,

Echo, die alte Felsenhure?

Sie läßt sich gleich von Gott und Teufel freien,

Dient jedem gleich mit einem Liebesschwure.

Und was du ihr auch magst entgegenjohlen,

Sie wird es, einverstanden, wiederholen.

 

Bitter.

 

Doch das sind wieder eitel Possen

Und Gleichnisse, die schmählich lahmen;

Natur lebt nur für sich, verschlossen,

Und sie hat nichts mit dir zu kramen;

Und wenn sie dir ein Echo schallen läßt,

Wirft sie dein Wort zurück dir mit Protest.

FAUST.

Und doch erregte mir so manches Mal

Der grüne Plunder Herzensqual.

Nun aber fühl ich Kraft in mir gedeihen,

Die mich von solchem Zudrang will befreien.

Es ballt sich fest in mir und fester immer,

Und schon bereu ich meine Taten nimmer.

 

Der Abschied

 

Kirchhof. Mondnacht.

 

FAUST am Grabe seiner Mutter.

Eh das ersehnte Meer

Mich grenzenlos umtrauert,

Der Wolken trübes Heer

Auf mich herunterschauert

Und Stürme mich umwehen,

Will ich zum letztenmal

Das heimatliche Tal,

Dein Grab, o Mutter! sehen.

O, daß der Tod von hier

So früh dich fortgenommen!

Es wäre wohl mit mir

Sonst nicht so weit gekommen. –

Von deinem treuen Lieben

Ist keine Spur geblieben,

Es schwand in tiefe Nacht.

Groß ist des Todes Macht,

Daß er die Mutter kann

Von ihrem Kinde reißen.

Wie fabelhaft zerrann

Das fröhliche Verheißen

Vom ewigen Wiedersehn,

Als ich dich sah vergehn!

Als sie den Sarg verschlugen

Und dich begraben trugen,

Da hattst du ausgelitten;

Mir ward im Herzen eben,

Ob sie mein junges Leben

Von seiner Wurzel schnitten! –

Als mich dein weicher Arm

Einst liebevoll umfing,

Als froh und segnend warm

An mir dein Auge hing,

Da freuten dich wohl Träume

Der Hoffnung für dein Kind?

Wie einst durch diese Bäume

Hinzog der Frühlingswind?

Nun steht im Mondenstrahl

Der Strauch so dürr und kahl

Der einst so grün, getroffen

Vom kalten Herbsteswind;

So welkte all dein Hoffen,

O Mutter, für dein Kind. –

Derweil du hier zu Staube

Im stillen Grund gemodert,

Ist in mir, seinem Raube,

Das Böse aufgelodert! –

Die Nächte ohne Schlummer,

Die Tage voller Kummer,

Die ungezählten Zähren,

Und deine frommen Lehren,

O Mutter, deine Schmerzen,

Womit du mich geboren,

Womit du unterm Herzen

Mich trugst – sie sind verloren! –

Doch wills mein Sinn nicht leiden,

Daß ich im letzten Scheiden

Mit einer frommen Zähre

Dir danke und dich ehre,

Und daß ich dir die Reue

Als Grabesrose streue.

Welch wunderlicher Klang

Traf plötzlich mir das Ohr?

Wars nicht wie Klaggesang,

Was sich im Strauch verlor?

Zog nur das Trauerstöhnen

Vorbei der Herbstesluft?

Begann das Kreuz zu tönen

So bang auf deiner Gruft?

MEPHISTOPHELES von ferne.

Komm! laß im Mondenschein

Uns wandeln durch den Hain,

Statt weichlich hier zu klagen,

Wo nur das dürre Laub

Heimrauscht zum andern Staub

Und taube Würmer nagen.

 

Sie entfernen sich.

 

 

Das Waldgespräch

MEPHISTOPHELES.

Hörst du im Wald des Herbstes Räuberpfiff,

Mein Freund, und hörst du rauschen seinen Griff?

O schade, daß der Lenz nicht hundertmal

Mehr grünes Laub getrieben hat im Tal,

Auf daß der Herbst mit hundertfacher Beute

Hinsausend jetzo mir das Herz erfreute!

Denn weh zumal tut Menschen das Verlieren

Und nach der Sommerlust ihr erstes Frieren.

FAUST.

Nein! es ist elend, daß des Frühlings Leiter

Zu Blüt und Lust hinauf nicht reichet weiter,

Daß alles ist so knapp gezählt auf Erden!

Bankbrüchig muß Natur in allen Jahren

Der Forderung der armen Menschen werden

Und zur Erholung lange Winter sparen.

MEPHISTOPHELES.

Das seh ich gern, wenn Herbst mit Sturmgeblase

Das Laub den Menschen wegführt vor der Nase;

Und lieber noch, wenn schon der Sommer barsch

Der grünen Hoffnung auf der Flur

In Hagelwettern trommelt einen Marsch,

Daß sie sich trollt bis auf die letzte Spur.

Mir ists ein Anblick immer zum Entzücken,

Wenn die Natur dem Menschen kehrt den Rücken,

Dem undankbaren, feigen und stupiden,

Der sie verkannt, verraten und gemieden.

O hätt ich einen Juden jetzt zur Stelle!

FAUST.

Wozu der Jude, mürrischer Geselle?

MEPHISTOPHELES.

Den Juden möcht ich drillen scharf und plagen

Für seines Volks Vergehn in alten Tagen.

Die Juden haben euch die Welt verpfuscht;

Der Segensgeist der Indier und Hellenen

Ist ungenutzt an euch vorbeigehuscht;

Nun muß die Zeit ob eurer Dummheit gähnen.

Die Juden tatens, die Messiasnarren

Verfuhren euch so tief und fest den Karren.

Messias heißt der Keil, den sie getrieben

Hinein, wo Mensch sich und Natur berührten;

Getrennt ist sie nun hier, er dort geblieben,

Seit auf dem Felde sangen blöde Hirten.

In jener Nacht, der schlimmsten aller Nächte,

Ward das ersehnte Kindlein hergetan;

Die Juden, zitternd, ahnten ihren Wahn,

Doch sprach ihr Schreck, es sei nur nicht der Rechte.

Schreck blieb im Antlitz den Naturverrätern,

Und unaustilgbar blieb er auch den spätern;

Mit scharfem Griffel grub in jener Stund,

Durchschneidend alle Zukunft, die Natur

Den Nachgeschlechtern ein des Fluches Spur:

›Die Juden brachen mir den heiligen Bund!‹ –

Zu sühnen jenen alten Fluch, ersteht

Dereinst ein großer Jude; doch zu spät!

Ein weiser Schreiber nie vergeßner Schriften,

Wird an den Todespfahl er Jesum schlagen

Mit seines Geistes diamantnen Stiften,

Den Namen von der Dornenkrone tragen.

Doch sind erstorben euch urkräftige Triebe,

Verwelkt die wunderbaren Herzensblüten,

Die starken Lieder, zaubervollen Mythen,

Die götterzeugende gewaltige Liebe.

Verraten ward Natur, und ihr Vertrauen

Habt ihr verscherzt und eingebüßt für immer;

Ihr mögt ihr forschend in das Antlitz schauen,

Ihr scheues Herz erschließt sich euch doch nimmer;

Denn wer nicht sie zum Höchsten sich erkoren,

Wer jenseits Götter sucht, hat sie verloren.

FAUST.

Was kann ein Weiser noch dem Menschen frommen?

Ist der Messiasglaube ihm genommen

Und das Naturorakel ihm verklungen,

Wer führt ihn durch die Erdendämmerungen?

Wohin wird sich das Menschenvolk noch wenden?

Wie wird auf Erden noch sein Schicksal enden?

MEPHISTOPHELES.

Mein Faust, ich will dir einen Tempel bauen,

Wo dein Gedanke ist als Gott zu schauen.

Du sollst in eine Felsenhalle treten

Und dort zu deinem eignen Wesen beten.

Dort wirst du's einsam finden, still und kühl;

Tief unten hörst du fern das Weltgewühl,

Wie von den ätherklaren Alpenzinnen

Ein Wandrer unten hört die Bäche rinnen.

Du kannst das Los des Mannes dort genießen,

Wie er die Weltgeschichte wird beschließen.

Doch sieh dich vor, daß du nicht wirst zum Spotte!

Erinnre dich in Welschland jener Grotte;

Dort lagert tief am Boden böse Luft,

Entstiegen gährungsvoller Erdenkluft;

Doch in den obern Schichten ists gesund,

Und atmen kann dort nur, wer mit dem Mund

Ein Hochgewachsner aus der Tiefe taucht;

Doch wer, kurzbeinig, einen Herrn noch braucht,

Der Hund, das Kind in jener Grott ersticken.

So ist der Tempel, drein ich dich will schicken.

FAUST.

Das leuchtet ein! es gilt, daß ich die Seele

Aus Christus und Natur heraus mir schäle.

Ob ich mit ihm, mit ihr zusammenhange,

Umkreist mich unentrinnbar eine Schlange.

Ist Christus Gott, und folg ich seinem Schritt,

So bin ich, sei es auch auf Himmelspfaden,

Der Schuh nur, den sein Fuß erfüllt und tritt,

Ein niederes Gefäß nur seiner Gnaden.

Ists die Natur – bin ich ein Durchgang nur,

Den sie genommen fürs Gesamtgeschlecht,

Bin ohne Eigenzweck, Bestand und Recht,

Und bald bin ich verschwunden ohne Spur.

MEPHISTOPHELES.

In beiden Fällen ist dein Los fatal:

Du magst von ihm, von ihr behandelt sein,

Ob en canaille oder en canal;

Drum schließe trotzend in dich selbst dich ein!

FAUST.

Behaupten will ich fest mein starres Ich,

Mir selbst genug und unerschütterlich,

Niemandem hörig mehr und untertan,

Verfolg ich in mich einwärts meine Bahn.

MEPHISTOPHELES.

Ich aber diene dir als Grubenlicht.

FAUST.

Bin ich unsterblich oder bin ichs nicht?

Bin ichs, so will ich einst aus meinem Ringe

Erobernd in die Welt die Arme breiten

Und für mein Reich mit allen Mächten streiten,

Bis ich die Götterkron aufs Haupt mir schwinge!

Und sterb ich ganz – wohlan! so will ichs fassen

Nicht so, als hätte mich die Kraft verlassen,

Nein! selbst verzehr ich mich in meinem Strahl,

Verbrenne selbst mich wie Sardanapal,

Samt meiner Seele unermeßnen Schätzen,

Mich freuend, daß sie nimmer zu ersetzen!

 

Die Reise

 

Einsamer Meeresstrand. Abend.

Faust und Mephistopheles.

 

FAUST.

In jener Nacht, an jener stillen Leiche

Sprachst du das kecke Wort, das folgenreiche:

»Den Menschen gab der ewige Despot

Für ihr Geschick ein rätselhaft Gebot;

Nur dem Verbrecher, der es überschritten,

Wirds klar und lesbar in das Herz geschnitten.«

Wie wahr! wie falsch! der Mensch wird ewig irren;

Doch wenn Erkenntnisdurst ihn glühend plagt,

Muß er vom reichen Strome unverzagt

Einschöpfen mit den sämtlichen Geschirren,

Er muß ihn mit der Liebe und der Treue,

Und mit der Herzensfurche tiefer Reue,

Mit Kampf und Hoffnung, unversöhntem Hassen,

Und mit den Sinnen der Verzweiflung fassen.

Wie wenig, ach wie wenig dem Verlangen

Kann er auch so vom großen Strom empfangen!

MEPHISTOPHELES.

Das ist wohl wahr, doch frag ich vor der Hand,

Warum du mich beschiedst an diesen Strand?

FAUST.

Ich will nun fort, hinaus ins Meer,

Das ist so einsam, wild und leer,

Das blüht nicht auf, das welkt nicht ab,

Ein ungeschmücktes, ewiges Grab.

Dort zwischen Wogen, zwischen Winden

Soll mir der letzte Kummer schwinden.

MEPHISTOPHELES.

Wenn dichs nach einer Fahrt gelüstet,

Schon hab ich dir ein Schiff gerüstet,

Mein wackrer Herr, wie keines je

Gesehen ward auf aller See.

FAUST.

Wo stehts? ist auch dein Teufelswrack,

Wie es verlanget mein Geschmack?

MEPHISTOPHELES.

Du siehst es in der Dämmrung kommen

Dort stattlich still herangeschwommen;

Und bis es mag zum Strande treiben,

Will ichs ein wenig dir beschreiben.

Setz dich indes auf diese Scheiter,

Sei wieder auch ein wenig heiter.

Dies Rückwärtsdenken, Vorwärtsgrübeln

Muß ich als Freund dir sehr verübeln.

FAUST.

Wenn nicht das böse Grübeln wäre,

So stünd ich jetzo nicht mit dir am Meere.

Doch mache mir des Schiffs Beschreibung

Mit der gewohnten Übertreibung.

MEPHISTOPHELES.

Das Schiff geht stets nach unserm Willen,

Im windgen Meere, und im stillen;

Es ist vollkommen windgerecht,

Denn jeder Wind ist unser Knecht,

Ein jeder muß uns vorwärts schieben.

Das aber ist nicht übertrieben.

FAUST.

Und wenn die wilden Stürme rasen?

MEPHISTOPHELES.

Und wenn sie ringsum wütend bellen,

So spielen sie in unsern Wellen,

Wie durchs Getreide junge Hasen.

FAUST.

Wie stehts um Sandbank, Freund, und Klippen?

MEPHISTOPHELES.

Die machen uns kein Tröpflein Meeres nippen.

Die Bänke ducken sich, die Felsenriffe,

Nachgiebig, biegen sich vor unserm Schiffe,

Wie weiche Butter vor der Messerklinge.

FAUST.

Was rühmst du weiter an dem Ding?

MEPHISTOPHELES.

Das Schönste sind die Zimmer der Kajüte,

Mit zaubrischen Tapeten ausgehangen,

Die sich gestalten, wie du's magst verlangen:

Zur Frühlingslandschaft frisch, mit Laub und Blüte.

Dann schweigt das Meer, du hörst allein die Weste

Melodisch säuseln durch die grünen Äste,

Du bist umwürzt von süßem Waldesduft,

Du hörst die Nachtigall, die ferne ruft. –

Mit noch so leiser Sehnsucht nach dem Herbst

Du plötzlich anders die Tapete färbst:

Du siehst am Felde schöne Schnitterinnen

Im Abendrote stehn – und Liebe sinnen;

Du hörst die Wachtel schlagen im Getreide,

Du siehst den Jäger still den Wald beschleichen,

Zugvögel wandernd durch die Lüfte streichen,

Die Herden kehren von der Alpenweide. –

Fällt dir mit seinem Reiz der Winter ein,

Wirds gleich auf der Tapete Winter sein:

Die sturmverwehten Blätter rauschend fallen,

Dicht stöbert Schnee, nun starren alle Bäche,

Die erst geplätschert, auf gefrorner Fläche

Ziehn lustige Schlitten hin mit Peitschenknallen.

FAUST.

Sei mir vom Land und seinem Wechsel still.

Vergeßner Schalk! hab ich dir nicht gesagt,

Daß ich die Erde nun verlassen will,

Weil mir ihr Wechselspiel nicht mehr behagt?

MEPHISTOPHELES.

Verzeih! mir fiels nicht ein sogleich,

Mir spielte mein Gedächtnis einen Streich.

FAUST.

Sonst brauch ich dein Gedächtnis nicht zu wecken,

Wenns gilt, mit alten Dingen mich zu necken.

MEPHISTOPHELES.

Verkenne meinen guten Willen nicht.

Dich zu erinnern, heischt oft meine Pflicht.

Mich zwingt mein Pakt, die Wahrheit dir zu nennen;

Nur aus Vergangnem kannst du sie erkennen.

Ich liebe sonst ein schlecht Gedächtnis;

Von lüderlichen Vätern ein Vermächtnis,

Seh ichs zumal an lustgen Herrn

Zuweilen für mein Leben gern.

Verwittert wo ein alter Turm,

Von Regenguß zernagt und Sturm,

Und fallen aus den Fugen lose Stücke,

Dann kommen räuberische Geier

Und nisten in der Mauerlücke,

Und brüten drinnen ihre Eier.

Also zernagt der laute Lebenssturm,

Also zernagt der stille Todeswurm

Euch der Erinnrung alterndes Gebäude;

Und fällt dann aus der aufgelösten Fuge

Ein Stück Gedanke, Vorsatz, Schmerzen, Freude:

So fliegt manchmal herbei mit Blitzesfluge

Der Hölle Raubgevögel, Leidenschaften,

Die in der Lücke nisten, brüten, haften. –

Da hast du was von deiner lieben Braut!

Was ich dir von der Wahrheit hier vertraut,

Ist nur von ihrem Kleid ein dunkles Band;

Doch Ritter ehren jedes Liebespfand.

FAUST.

Ich nehms, noch bin ich meinem Bunde treu;

Denk ich auch manchmal mit geheimer Scheu

Der Wahrheit und mit sehnsuchtsvollem Zagen,

Für die nur freudig einst mein Herz geschlagen.

Du gabst von ihrem Kleid ein dunkles Band,

Wird sie im Trauerflore mir erscheinen?

Kommt sie, wohlan, ich biet ihr meine Hand,

Und soll sie ewig mir am Halse weinen.

MEPHISTOPHELES.

Genug davon.