Kandidat Schomaker will es sehr loben.«
»Und ich lob' es wirklich«, sagte Goldine. Da trat der Kandidat selber herein, warf sich bloß vor dem Fiskale krumm und salutierte mit blitzenden Augen. Er sah aus allen, daß die Freuden-Post des Testaments noch nicht in der Stube erschollen war. »Sehr spät«, sagte Lukas, »der exzellente Aktus ist ganz vorbei.« Ausführlich beteuerte der Kandidat, er sei erst gegen Vesperzeit aus der Stadt gekommen; »ich steh' auch«, sagte er und sah gern den Schulzen an, vergnügt, daß er nicht einen so vornehmen und bedenklichen Herrn wie Knoll beschauen mußte, »schon seit einer geraumen Vierteil-Stunde unten im Hofe, habe mich aber vor fünf Gänsen, welche vor der Türe Flügel und Schnabel gegen mich aufgemachet, nicht hereingetraut.« – »Nein, sechs warens«, sagte die satirische Jüdin. »Oder auch sechs«, versetzte er; »genung, eine ist genung, wie ich gelesen, um einen Menschen durch einen wütigen Biß ganz toll und wasserscheu zu machen.«
»Ah ça!« wandt' er sich zu Walten (mehr französisch konnt er nicht), »Ihre Polymeter!« – »Was sinds?« fragte Knoll trinkend. »Herr Graf (sagte Schomaker und ließ die Pfalz weg), in der Tat eine neue Erfindung des jungen Kandidaten, meines Schülers, er machet Gedichte nach einem freien Metrum, so nur einen einzigen, aber reimfreien Vers haben, den er nach Belieben verlängert, seiten-, bogenlang; was er den Streckvers nennt, ich einen Polymeter.«
Vult fluchte aus Ungeduld zwischen den Äpfeln. Walt stellte sich endlich mit dem Manuskripte und mit dem Profil seiner Bogenstirn und seiner geraden Nase vor das Licht – blätterte über alle Beschreibung lange und blöde nach dem Frontispiz seines Musentempels – der Kandidat tat mit der einen Hand in der Weste, mit der andern in der Hose drei Streck-Schritte nach Vults Fenster, um hinaus zu – spucken. Stotternd, aber mit schreiender ungebildeter Stimme fing der Dichter an:
Nr. 9. Schwefelblumen
Streckverse
»Ich weiß nicht, ich finde jetzt kein rechtes Gedicht, ich muß auf Geratewohl ausheben:
Der Widerschein des Vesuvs im Meer
›Seht, wie fliegen drunten die Flammen unter die Sterne, rote Ströme wälzen sich schwer um den Berg der Tiefe und fressen die schönen Gärten. Aber unversehrt gleiten wir über die kühlen Flammen, und unsere Bilder lächeln aus brennender Woge.‹ Das sagte der Schiffer erfreut und blickte besorgt nach dem donnernden Berg auf. Aber ich sagte: ›Siehe, so trägt die Muse leicht im ewigen Spiegel den schweren Jammer der Welt, und die Unglücklichen blicken hinein, aber auch sie erfreuet der Schmerz.‹«
*
»Was weint denn der wunderliche Mensch, da er ja alles sich selber ausgesonnen?« rief Lukas. »Weil er selig ist«, sagte Goldine, ohne es zu treffen; es war bloß das Weinen der Bewegung, die weder eine entzückte noch betrübte, sondern nur eine Bewegung zu sein braucht. Er las jetzt:
»Der Kindersarg in den Armen
Wie schön, nicht nur das Kind wird leicht in den Armen gewiegt, auch die Wiege.
Die Kinder
Ihr Kleinen steht nahe bei Gott, die kleinste Erde ist ja der Sonne am nächsten.
Der Tod unter dem Erdbeben5
Der Jüngling stand neben der schlummernden Geliebten im Myrtenhaine, um sie schlief der Himmel und die Erde war leise – die Vögel schwiegen – der Zephyr schlummerte in den Rosen ihres Haars und rückte kein Löckchen. Aber das Meer stieg lebendig auf, und die Wellen zogen in Herden heran. ›Aphrodite‹, betete der Jüngling, ›du bist nahe, dein Meer bewegt sich gewaltig, und die Erde ist furchtsam, erhöre mich, herrliche Göttin, verbinde den Liebenden ewig mit seiner Geliebten.‹ Da umflocht ihm mit unsichtbarem Netze den Fuß der heilige Boden, die Myrten bogen sich zu ihm, und die Erde donnerte, und ihre Tore sprangen ihm auf. – Und drunten im Elysium erwachte die Geliebte, und der selige Jüngling stand bei ihr, denn die Göttin hatte sein Gebet gehört.«
*
Vult fluchte gewaltig im Laube vor lauter Jubel, seine sonst leicht zufallende Seele stand weit den Musen offen: »Liebes Gottwältlein! du allein sollst mich kennenlernen; ja bei Gott, das geht an, das muß er mit ausführen – Himmel! wie wird der blöde göttliche Narr erstaunen, wenn ichs ihm vorlege«, sagte er und hatte einen neugebornen Plan im Sinne.
»Ich sollte meynen (sagte Schomaker), daß er die Auktoren der Anthologie nicht ohne Nutz unter mir studieret.«
Da Knoll nicht antwortete, sagte der Vater: »Lies weiter!« Mit schwächerer Stimme las Walt:
»Bei einem brennenden Theatervorhang
Neue erfreuliche Spiele zeigtest du sonst, stiegst du langsam hinauf. Jetzt verschlingt dich schnell die hungrige Flamme, und verworren, unselig und dampfend erscheint die Bühne der Freude. Leise steige und falle der Vorhang der Liebe, aber nie sink' er als feurige Asche auf immer darnieder.
Die nächste Sonne
Hinter den Sonnen ruhen Sonnen im letzten Blau, ihr fremder Strahl fliegt seit Jahrtausenden auf dem Wege zur kleinen Erde, aber er kommt nicht an. O du sanfter, naher Gott, kaum tut ja der Menschengeist sein kleines, junges Aug auf, so strahlst du schon hinein, o Sonne der Sonnen und Geister!
Der Tod eines Bettlers
Einst schlief ein alter Bettler neben einem armen Mann und stöhnte sehr im Schlaf. Da rief der Arme laut, um den Greis aus einem bösen Traum aufzuwecken, damit den matten Busen nicht die Nacht noch drücke. Der Bettler wurde nicht wach, aber ein Schimmer flog über das Stroh; da sah der Arme ihn an, und er war jetzt gestorben; denn Gott hatt' ihn aus einem längern Traum aufgeweckt.
Die alten Menschen
Wohl sind sie lange Schatten, und ihre Abendsonne liegt kalt auf der Erde; aber sie zeigen alle nach Morgen.
Der Schlüssel zum Sarge
›O schönstes, liebstes Kind, fest hinuntergesperrt ins tiefe dunkle Haus, ewig halt' ich den Schlüssel deiner Hütte, und niemals, niemals tut er sie auf!‹ – Da zog vor der jammernden Mutter die Tochter blühend und glänzend die Sterne hinan und rief herunter: ›Mutter, wirf den Schlüssel weg, ich bin droben und nicht drunten!‹«
Nr. 10. Stinkholz
Das Kapaunengefecht der Prosaisten
»O Himmel, wär's nur morgen, Brüderlein! Es ist verdammt, man sollte nie passen müssen«, sagte Vult. – »Ich habe genug«, sagte Knoll, der bisher die eine Tabakswolke gerade so groß und so langsam geschaffen hatte wie die andere. – »Ich meines Parts«, sagte Lukas, »kann mir nichts Rechts daraus nehmen, und den Versen fehlt auch der rechte Schwanz, aber gib her.« – »Fromme und traurige Sachen stehen wohl darin«, sagte die Mutter. Gottwalt hatte Kopf und Ohren noch in der goldnen Morgenwolke der Dichtkunst, und außen vor der Wolke stehe, kam es ihm vor, der ferne Plato als Sonnenball und durchglühe sie. Der Kandidat Schomaker sah scharf auf den Pfalzgrafen und passete auf Entscheidungen. Aus religiöser Freiheit glaubte er überall zu sündigen, wo er eilen sollte und wagen.
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